Stelter strategisch

Brexit-Angst der Börse ist nur vorgeschoben

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Kauf von Kunst und Immobilien steigert das Einkommen nicht

Eine Ursache für die abnehmende Produktivität neuer Schulden ist natürlich die schlechte Mittelverwendung. Wir haben uns immer mehr Geld geliehen, um bereits vorhandene Vermögensgegenstände wie (vor allem) Immobilien, Kunst und Finanzassets zu kaufen. Dies und nichts anderes steht hinter dem von vielen Seiten und vor allem prominent von Thomas Piketty bedauerten Zuwachs der weltweiten Vermögen. Diese Art der Verschuldung steigert das Einkommen jedoch nicht. Die Schulden wachsen, ohne dass es sich in der Realwirtschaft niederschlägt. Ich erinnere immer wieder gerne an die Zahlen aus England. Britische Banken haben der produktiven Realwirtschaft (alle Unternehmen außer Baufirmen) 1990 Kredite im Umfang von 25 Prozent des BIP geliehen. Genauso viel wie heute. Die Kredite, die an Baufirmen und für Konsum und Hypotheken ausgereicht wurden, betrugen 1990 rund 35 Prozent des BIP. Heute liegt dieser Wert bei rund 100 Prozent.

Finanzmärkte können sich nur begrenzt von schwacher Realwirtschaft lösen

Das Problem aus Sicht der Finanzmärkte ist, dass die Realwirtschaft letztlich doch die Zinsen für die Schulden erwirtschaften muss. Je mehr sie unter dieser Schuldenlast leidet, desto weniger kann sie wachsen. Hinzu kommen das Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung und abnehmende Produktivitätszuwächse – und da haben wir sie dann, die ökonomische Dauerstagnation der Eiszeit.

Doch Finanzmärkte können sich nur begrenzt von einer schwachen Realwirtschaft lösen. Temporär können billiges Geld und sinkende Eigenkapitalanforderungen die Finanzmärkte weiter nach oben treiben. Doch auch hier setzt der Effekt des abnehmenden Grenznutzens irgendwann ein. Alle, die sich verschulden wollen und können, sind verschuldet. Alle, die investieren und spekulieren wollen, tun dies bereits. Dann kommt der Punkt, an dem es zum Margin Call kommt. In der Weltwirtschaft und an den Finanzmärkten.

Und damit sind wir bei der aktuellen Brexit-Panik an den Märkten. Es war einfach Zeit für den Margin Call. Die Märkte haben schon seit Monaten nicht mehr weiter nach oben gefunden, die Profis begannen sich entsprechend zu positionieren. In Gold und Goldminen und mit der Spekulation auf fallende Märkte. Was dann als Ausrede für den Einbruch herhalten muss, ist eigentlich egal. Nun sind es die Engländer.

Die Fallhöhe für den nächsten Margin Call wird erhöht

Es ist ein lauter Schrei der Märkte nach „Mehr!“. Noch mehr Geld, noch tiefere Zinsen. Am besten Helikopter-Geld und die Monetarisierung aller Schulden durch die Notenbanken. Und wie die Äußerungen der Notenbanker der letzten Tage gezeigt haben, werden sie nicht enttäuscht werden. Dann kommt die Rallye an den Märkten, aber die Krankheit des Systems wird weiter vergrößert. Die Fallhöhe für den nächsten – finalen? – Margin Call erhöht.

Führt mich zum Appell: Investoren, die diese Kolumne regelmäßig lesen, wissen, dass es um Vermögenserhalt geht. Nur durch internationale Diversifikation in Aktien, Gold, Cash und Immobilien und absoluten Kostenfokus können die Verluste begrenzt werden. Wer noch nicht genügend Qualitätsaktien besitzt, der sollte diese Tage nutzen, um die Position aufzustocken.

Können die Märkte weiter fallen? Ja, sie können. Doch sind 100-jährige Anleihen klammer Staaten wirklich besser? Ich denke, schon die zehnjährigen bieten nur renditeloses Risiko.

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