Stelter strategisch

Überschätzen die Märkte Macron?

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Investoren kaufen zunehmend vermeintlich günstige Aktien aus Europa, Frankreichs neuer Präsident Macron macht zusätzlich Mut. Warum die Märkte Gefahr laufen, Macron zu überschätzen und die wahren Probleme zu ignorieren.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron: Es geht um Europas Zukunft Quelle: dpa

Unstrittig gehören die europäischen Börsen zu den günstigeren der Welt. Dies vor allem im Vergleich mit den USA, die sich, wie hier letzte Woche diskutiert, auf einem luftigen Niveau befinden. Für diesen Abschlag gibt es gute Gründe. Zum einen sind europäische Unternehmen strukturell weniger profitabel und der Anteil des Technologiesektors ist deutlich geringer. Zum anderen hat das mit den Aussichten für den Kontinent zu tun: schlechte demografische Entwicklung, schwache Produktivitätszuwächse, reformunwillige Bevölkerungen, verkrustete Strukturen in der Politik, Unfähigkeit mit dem Migrationsdruck umzugehen und - eine vollkommen heterogene Währungsunion.

J.P Morgan zufolge haben die Mitglieder der europäischen Währungsunion weniger gemein, als eine fiktive Währungsunion aller Länder der Welt, die mit einem „M“ beginnen. Knapp gefasst könnten wir froh sein, wenn es bei einem japanischen Szenario geringen Wachstums für Europa und vor allem der Eurozone bliebe. Realistischer ist, dass der politische Wille, das Projekt trotz aller Probleme zusammenzuhalten, immer geringer wird und es irgendwann knallt. Die Notfallpläne für einen Zerfall der Euro-Zone gehören keinesfalls in den Papierkorb.

Neue Antworten nötig

Ein „weiter so“ kann es offensichtlich nicht geben. Die deutsche Politik mag das zwar noch glauben, wie die unsinnige Diskussion zu den Steuermehreinnahmen zeigt. Angesichts eines Handelsüberschusses von fast zehn Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist es dringend erforderlich, den deutschen Ersparnisüberhang in eben dieser Höhe zu senken (zum Zusammenhang von Handelsüberschuss und Ersparnis mehr hier). Nachdem private Haushalte (zu recht) und Unternehmen (zu unrecht) sparen, muss der Staat mehr ausgegeben. Deshalb sollten die Steuern gesenkt und die Investitionen erhöht werden. Es ist weder in unserem Interesse in einer überschuldeten Welt immer größere Forderungen gegen faule Schuldner aufzubauen, noch durch die exzessiven Überschüsse ein Argument für Protektionismus zu liefern. Dieser kann übrigens auch unter dem Deckmantel des Umweltschutzes zuschlagen und unserer Vorzeigeindustrie über Nacht die technologische Basis ihrer Wettbewerbsvorteile rauben.

Diese zehn Aktien laufen auch bei Flaute

So hängen alle Hoffnungen für eine Sanierung von EU und Eurozone am neuen französischen Präsidenten. Wird ihm gelingen, was seinen Vorgängern nicht gelungen ist? Ich bin skeptisch.

Migrationsfrage entscheidet Europas Zukunft

Die Zukunft der EU wird sich an der Migrationsfrage entscheiden. Während wir vor einer Schrumpfvergreisung stehen, verdoppelt sich die Bevölkerung im Nahen Osten und Afrika in den nächsten 30 Jahren, was einem Anstieg um rund eine Milliarde Menschen entspricht. Ohne eine Begrenzung und Steuerung der Migration wird es nicht möglich sein, Kultur und Wohlstand Europas zu erhalten. Dies bedeutet aber die Bereitschaft zur Sicherung der Außengrenzen (verbunden mit den unschönen Bildern) und zugleich deutlich größere Anstrengungen, die legalen Zuwanderer in unsere Arbeitsmärkte zu integrieren.

Bis jetzt sieht es nicht danach aus, als hätten die Regierungen Europas die Tragweite der Herausforderung erkannt. Auch Macron blieb bei diesem Thema vage.

Sanierung der Eurozone

Deutlich konkreter sind seine Vorstellungen zur Sanierung der Eurozone. „Teurer Freund“ titelte der Spiegel in dieser Woche und verwies darauf, dass die Überlegungen Macrons vor allem den deutschen Steuerzahler belasten. Ein weiteres Beispiel für die negativen  Folgen unserer Exportobsession, die von der Tatsache ablenkt, dass wir Deutschen zu den Ärmsten in der Eurozone gehören. In praktisch allen anderen Ländern verfügen die privaten Haushalte über ein höheres Vermögen als bei uns.

Abgesehen von der Finanzierung stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen, die Macron vorschlägt, überhaupt die Lösung brächten. Ein Euro-Zonen-Budget, überwacht von einem Euro-Zonen-Parlament und gesteuert von einem Euro-Zonen-Finanzminister ändert zunächst wenig. Es wäre eine Umverteilungsmaschinerie mit dem Ziel, über eine offizielle Transferunion (statt der inoffiziellen, welche die EZB derzeit umsetzt) einen Ausgleich zwischen den Ländern und vor allem den verschiedenen Konjunkturzyklen zu erzielen.

Um einen solchen Ausgleich zu erzielen, muss es sich allerdings um erhebliche Summen handeln, die faktisch eine Verschuldungskompetenz auf der EuroZonen-Ebene erforderlich macht. Macron strebt – nicht als Erster – eine Lösung der durch zu viel Schulden ausgelösten Krise durch noch mehr Schulden an. In die gleiche Richtung gehen auch seine Überlegungen zur vollständigen Umsetzung der Bankenunion, die nichts anderes als eine Sozialisierung fauler Privatschulden ist.

Welche Aktien von einem Sieg Macrons profitieren
Wenn Emmanuel Macron seine Wahlversprechen umsetzt und die regionale Integration vorantreibt, die Unternehmenssteuern senkt und den Arbeitsmarkt reformiert, „könnte die Rückkehr des Vertrauens den Konsum stärken und dann könnten wir wirklich eine positive Spirale in Frankreich sehen“, sagt Vincent Durel, Portfoliomanager bei Fidelity International in Paris. Ein Überblick, welche Aktien und Sektoren von der Wahl beeinflusst werden könnten. Quelle: dpa
Macron befürwortet niedrigere Lohnsteuern und eine höhere Prämie für Beschäftigte im Niedriglohn-Bereich. Höherer Konsum der privaten Haushalte würde zyklischen Konsumwerten zugutekommen wie Einzelhandel, Medien, Hotels, Freizeit und Restaurants, sagten die Analysten um Roland Kaloyan von der Société Générale SA. Quelle: dpa
Auf Bankaktien entfielen neun der zehn größten Gewinner im Aktienmarkt des Euroraums am Tag nach der ersten Wahlrunde. Das Risiko eines Erfolgs von Le Pen und damit für einen Ausstieg Frankreichs aus dem Euro war gesunken, und ein Anstieg der Bondrenditen stärkte den Ausblick für die Ergebnisse der Kreditinstitute. Macron hat auch vorgeschlagen, die Vermögenssteuer zu ändern, sodass sie nur auf Grundbesitz und nicht auf Kapitalinvestments erhoben wird. Zudem macht er sich für eine pauschale Steuer von 30 Prozent auf Kapitaleinkünfte stark. Das könnte zu mehr Aktienkäufen führen, wovon Crédit Agricole SA, BNP Paribas SA und der Vermögensverwalter Amundi SA profitieren würden, meint Société Générale. Quelle: dpa
Macron hat Investitionen in Erneuerbare Energien versprochen. Das wäre laut Goldmann Sachs für Hersteller von Windkraftanlagen wie Vestas Wind Systems und Nordex sowie Energieanbieter wie EDP Renovaveis und Engie positiv. Bei Electricité de France könnte ein von Macron unterstützter Floor für Kohle zu steigenden Strompreisen führen und den Cashflow der staatlich kontrollierten EDF verbessern. Quelle: dpa
Macron hat sich dafür ausgesprochen, den Anteil des Staats an börsennotierten Unternehmen zu senken. Ein Verkauf der staatlichen Anteile an Orange könnte Fidelitys Durel zufolge eine weitere Konsolidierungswelle in der Branche auslösen – oder zumindest Gespräche darüber. Sein Fonds hat Aktien von Iliad gekauft, weil der Telekomanbieter zu den größten Nutznießern einer Konsolidierung gehören würde. Skeptischer ist dagegen Stéphane Beyazian, Analyst bei Raymond James. Eine weitere Konsolidierung in dem Sektor sei angesichts der jüngsten Signale der französischen Regulierer mittelfristig nicht mehr wahrscheinlich, sagt er. Quelle: REUTERS
Die französischen Autobauer Renault und Peugeot könnten von niedrigeren Arbeitskosten, höherem Konsum und Macrons Plänen, Autobesitzern Anreize zu geben, auf schadstoffärmere Autos umzusteigen, profitieren, sagt Société Générale. Laut Evercoriht ist es unter Macron wahrscheinlicher, dass die Regierung Anteile an Renault verkauft. Das wäre gut für das Unternehmen, da es den Weg für eine effizientere, ausbalanciertere Holding mit Nissan freimachen würde, an der Renault ebenfalls beteiligt ist. Quelle: dpa
Der Bausektor würde Société Générale zufolge von Macrons Plan profitieren, die lokale Kopfsteuer für vier Fünftel der Haushalte abzuschaffen und den Wohnbau in bestimmten Regionen zu stärken. Nach Einschätzung der UBS würde seine Agenda auch französischen und auf Frankreich ausgerichteten Immobilien-Investment-Trusts zugutekommen. UBS hat kürzlich die Kursziele für den REIT Unibail-Rodamco und den Entwickler ICADE angehoben. Quelle: dpa

Es gibt also noch die Erwartung, man könnte die Probleme durch mehr Umverteilung lösen. Leider ist dem nicht so. Wir haben es zu tun mit:

  • Einer strukturell fehlenden Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder in der Euro-Zone. Die wird durch mehr Umverteilung verfestigt, nicht gelöst. Man denke nur an die über 100-jährige Währungsunion zwischen Nord- und Süditalien.

  • Einer Überschuldung von Privaten (faule Banken) und Staaten. Daran ändern mehr Transfers nichts. Das geht nur, wenn man die Schulden bereinigt. Wie das ginge, habe ich unter anderem hier erklärt.
  • Einem strukturellen Trend zu geringerem Wachstum aufgrund von Demografie und Produktivitätszuwächsen. Daran ändert mehr Umverteilung auch nichts.

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir uns in den kommenden Monaten mit Scheinthemen beschäftigen, die zwar zu mehr Umverteilung zu unseren Lasten innerhalb von EU und Euro-Zone führen werden, nicht jedoch die eigentlichen Probleme lösen. Derweil wächst der politische Druck weiter. In Italien liegt das BIP real immer noch deutlich unter dem Vorkrisenstand und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Eurokrise in die nächste Phase tritt.

Genießen wir den Frühling

Gut möglich, dass sich die Erholung in der Eurozone und damit an den Märkten in der Hoffnung auf den „Macron-Effekt“ in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzt. Genießen wir den Frühling und freuen uns an steigenden Kursen von Aktien und Euro, ohne zu vergessen, dass es nur eine vorübergehende Phase ist. Solange die Politik sich vor den harten Entscheidungen drückt, kann es nur eine kurze Pause im japanischen Szenario Europas sein. Spätestens, wenn Italien wählt, hat die Krise uns wieder.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%