Der Terroranschlag auf eine Konzerthalle im britischen Manchester mit zahlreichen Toten und Verletzten wühlt jeden emotional auf, der von der grausigen Nachricht hört. Die Börsen dagegen gehen aktuell äußerst gelassen mit der Tragödie um.
Auch der hinterhältige Angriff mit einem entführten Lkw auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat im Dezember 2016 für Trauer und Entsetzen gesorgt, während die Börsen das Ganze erstaunlich kalt ließ. Scheinbar hat sich nach Paris, Nizza, Brüssel, Berlin und jetzt Manchester eine regelrechte Terrorroutine an den Finanzmärkten breitgemacht.
Nach der terroristischen Zerstörung der gigantischen Zwillingstürme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 war der deutsche Aktienindex Dax noch um 8,5 Prozent heftig eingebrochen. Der Anschlag auf einen Pendlerzug in Madrid im März 2004 sorgte immerhin noch für einen Dax-Rückgang um 3,5 Prozent. Nach dem Anschlag auf den Pariser Konzertsaal Bataclan an einem Freitag den 13. im November des Jahres 2015 jedoch war eine Reaktion des Dax bereits kaum noch wahrnehmbar. Und der fiese Lkw-Anschlag auf die Berliner Weihnachtmarktbesucher perlte am wichtigsten deutschen Aktienindex völlig ab, obwohl die Attacke mitten im Herzen des Landes stattfand.
Es sieht so aus, als nähme die Angst ab, obwohl die Einschläge immer näher kommen. Sind die Börsen abgestumpft?
Das Wirtschaftssystem ins Wanken bringen
Mit Abstumpfung hat das aus Sicht von Olaf Stotz, Kapitalmarktexperte an der Frankfurt School of Finance & Management in Frankfurt, nichts zu tun. „Von den Börsen kann man keine menschliche Sensibilität verlangen“, sagt Stotz. Das Muster der Anschläge in den vergangenen Jahren sah so aus, dass die Terroristen auf Menschenleben abzielten. „Gegenüber Menschenleben ist die Börse aber kalt“, so Stotz.
Große Terroranschläge in Europa
Ein Lieferwagen rast auf der Flaniermeile "Las Ramblas" im Zentrum Barcelonas in eine Menschenmenge. Nach offiziellen Angaben soll es mindestens einen Toten und 32 Verletzte gegeben haben, Medien berichten von zwölf Toten. Die Polizei bestätigt, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Die Hintergründe der Tat sind zunächst unklar.
Auf der London Bridge überfahren drei Attentäter mehrere Fußgänger, dann greifen sie eine beliebte Markthalle an. Mindestens sechs Menschen kommen ums Leben, die Angreifer werden getötet.
Bei dem Selbstmordanschlag in Manchester auf Gäste eines Pop-Konzerts hatte Salman Abedi, ein Brite libyscher Abstammung, 22 Menschen ermordet. Außerdem wurden 116 Menschen zur Behandlung von Verletzungen in Krankenhäuser gebracht. Die Polizei geht davon aus, dass Abedi kein Einzeltäter war, sondern dass ein ganzes Terrornetzwerk hinter der Tat steckt.
Auf dem Pariser Boulevard Champs-Élysées schießt ein Islamist mit einem Sturmgewehr in einen Polizeiwagen. Ein Beamter wird getötet, zwei weitere Polizisten und eine deutsche Passantin werden verletzt. Die Polizei erschießt den Angreifer, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Attacke für sich.
Ein gekaperter Lastwagen rast in einer Einkaufsstraße erst in Stockholm in eine Menschenmenge und dann in ein Kaufhaus. Fünf Menschen werden getötet, 15 verletzt. Noch am selben Tag nimmt die Polizei einen 39-jährigen Usbeken unter Terrorverdacht fest.
Ein Attentäter steuert ein Auto absichtlich in Fußgänger auf einer Brücke im Zentrum Londons und ersticht anschließend einen Polizisten. Von den Opfern auf der Brücke erliegen vier ihren Verletzungen. Sicherheitskräfte erschießen den Täter.
Auf dem Pariser Flughafen Orly verhindern Soldaten nur knapp einen möglichen Terroranschlag. Ein Mann will einer dort patrouillierenden Soldatin das Gewehr entreißen und wird von anderen Soldaten erschossen. Erst Anfang Februar war nahe dem Louvre-Museum ein Ägypter niedergeschossen worden, der sich mit Macheten auf eine Militärpatrouille gestürzt hatte.
Am Abend des 19. Dezember 2016 rast ein LKW in einen Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Das Attentat fordert 12 Tote und viele teils Schwerverletzte.
In Nordfrankreich ermorden zwei Angreifer einen katholischen Priester in einer Kirche und verletzen eine weitere Person schwer. Beide Attentäter werden von den Sicherheitskräften erschossen.
In Ansbach in Bayern sprengt sich ein 27-jähriger syrischer Flüchtling vor dem Eingang zu einem Musikfestival mit einer Rucksackbombe in die Luft. Der Attentäter stirbt. 15 Menschen werden verletzt. Auf dem Handy des Mannes findet die Polizei später ein Bekennervideo. Das IS-Sprachrohr Amak behauptet einen Tag später, der Attentäter sei „Soldat des Islamischen Staates“.
In einem Vorort von Würzburg greift ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan in einem Regionalzug Fahrgäste mit einer Axt an. Er verletzt mehrere Menschen teils schwer. Auf seiner Flucht wird er von der Polizei erschossen. Einen Tag später veröffentlichte das IS-Sprachrohr Amak im Internet ein Video des Attentäters. Darin spricht er davon, dass er im Auftrag des IS gehandelt habe und sich an Nicht-Muslimen rächen wollte, die seinen Glaubensbrüdern Leid angetan hätten.
In Nizza fährt ein schwer bewaffneter Franzose tunesischer Herkunft mit einem Lastwagen in die Menge, die den französischen Nationalfeiertag feiert. Er tötet 84 Menschen.
Am Flughafen Istanbul-Atatürk schoss am 28. Juni 2016 ein Attentäter in der Eingangshalle mit einem Sturmgewehr um sich, warf Handgranaten in die Menge und zündete einen Sprengsatz. Zeitgleich sprengte sich ein weiterer Attentäter in einem Parkhaus in die Luft. Ein dritter Täter zündete offenbar einen Bombe in U-Bahn-Nähe. Die türkische Regierung ordnet den Anschlag dem Islamischen Staat zu. Insgesamt kamen 44 Menschen ums Leben (darunter die drei Attentäter); 239 weitere wurden verletzt. (Stand: 29.06.2016, 14:30 Uhr)
Ein Franzose marokkanischer Herkunft ermordet in einem Pariser Vorort einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin, die ebenfalls bei der Polizei arbeitet.
Am Morgen des 22. März 2016 sprengten sich zwei Terroristen am Flughafen Brüssel-Zaventem in die Luft sowie ein weiterer im U-Bahnhof Maalbeek/Maelbeek in der Brüsseler Innenstadt nahe der EU-Behörden. Nach offiziellen Angaben kamen 35 Menschen ums Leben, darunter drei der Attentäter. Mehr als 300 Personen wurden verletzt.
Zwei Attentäter brachten ihr gestohlenes Auto an der Bushaltestelle einer Metrostation im Stadtzentrum von Ankara zur Explosion – 38 Menschen kamen ums Leben, darunter waren auch die Attentäter. Mehr als 120 Menschen wurden verletzt. Zu dem Anschlag, der sich am 13. März 2016 ereignete, bekannte sich eine Splittergruppe der Terrororganisation PKK.
Ein IS-Attentäter sprengte sich am 12. Januar 2016 auf dem belebten Sultan-Ahmed-Platz in Istanbul in die Luft – und riss 12 Menschen mit in den Tod. Elf von ihnen gehörten einer deutschen Touristengruppe an. 13 weitere Personen wurden verletzt.
Extremisten mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat greifen die Konzerthalle Bataclan und andere Ziele in der französischen Hauptstadt Paris an. Dabei kommen 130 Menschen ums Leben. Ein Hauptverdächtiger im Zusammenhang mit den Angriffen ist der 26 Jahre alte Salah Abdeslam, der am 18. März 2016 in Brüssel festgenommen wird.
Ein 22-jähriger radikalislamischer Angreifer tötet den Filmemacher Finn Nørgaard und einen jüdischen Wachmann einer Synagoge in Kopenhagen. Bei einem Feuergefecht mit einer Spezialeinheit der Polizei wird er erschossen.
Drei Extremisten töten bei einer mehrere Tage dauernden Terrorwelle in Paris 17 Menschen, bevor sie selbst erschossen werden. Zunächst greifen zwei Brüder das Büro der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ an und erschießen zwölf Menschen. Für den den Angriff übernimmt Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel die Verantwortung. In den Tagen darauf tötet ein weiterer Extremist eine Polizistin und nimmt in einem koscheren Supermarkt Geiseln. Vier jüdische Kunden sterben.
Im Jüdischen Museum in Brüssel tötet ein Angreifer mit einer Kalaschnikow vier Menschen. Der mutmaßliche Täter ist ein ehemaliger französischer Kämpfer, der Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien haben soll.
Zwei von Al-Kaida inspirierte Extremisten greifen auf einer Londoner Straße den britischen Soldaten Lee Rigby an und töten ihn mit Messern und einem Fleischerbeil.
Ein Bewaffneter, der nach eigenen Angaben Verbindungen zur Al-Kaida hat, tötet in der südfranzösischen Stadt Toulouse drei jüdische Schulkinder, einen Rabbi sowie drei Fallschirmjäger.
Der muslimfeindliche Extremist Anders Behring Breivik legt eine Bombe im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt Oslo und greift anschließend ein Jugendlager auf der Insel Utøya an. 77 Menschen werden getötet, viele davon Teenager.
52 Pendler kommen ums Leben, als sich vier von Al-Kaida inspirierte Selbstmordattentäter in drei Zügen der Londoner U-Bahn und einem Bus in die Luft sprengen.
Bombenanschläge auf Züge zum Madrider Bahnhof Atocha töten 191 Menschen.
Anders sieht es nach Beobachtung des Experten aus, wenn ein Anschlag stattfindet, der den Horizont möglicher Risikofaktoren erweitert. Bei einem nie da gewesenen Negativereignis wie den Anschlägen auf das World Trade Center in New York 2001 reagieren die Finanzmärkte laut Stotz heftiger als sie eigentlich müssten.
Für die Gleichgültigkeit der Börsen angesichts der jüngsten Terroranschläge gibt es also, so zynisch das klingt, rationale Gründe. Es wäre aber falsch, daraus zu schließen, dass uns der Terror nichts anhaben könnte.
Denn es gibt unzählige Möglichkeiten für Terroristen, ein Wirtschaftssystem ins Wanken zu bringen. „Menschen müssen dabei nicht das direkte Ziel einer Attacke sein“, sagt Stotz. Cyberangriffe auf große Unternehmen oder staatliche Institutionen dagegen würden die Gewinne der Unternehmen deutlich sinken lassen. Wenn zum Beispiel massenhaft Falschgeld in unsere Wirtschaft geschleust würde, könnte das Vertrauen in Zahlungsmittel massiv einbrechen. Bei solchen systemischen Attacken wäre die Reaktion an den Finanzmärkten wohl sehr viel deutlicher als bei Angriffen auf Menschen, meint Stotz.
Wie leicht die Börsen die meisten Terroranschläge verdauen, zeigt auch eine Studie der niederländischen Finanzwissenschaftler Dirk Brounrn und Jeroen Derwall aus dem Jahr 2009. Die Ökonomen kamen zu dem Ergebnis, dass die Akteinpreise sich schon eine Woche nach Terrorattacken in fast allen Fällen wieder weitgehend erholt hatten. Einzig der historische Anschlag vom 11. September 2001 hatte langfristige Effekte auf die Finanzmärkte zur Folge.