Trotz Ausverkauf Aktien aus China noch immer zu teuer

Nach dem Höhepunkt der chinesischen Aktienblase begann der weltweit stärkste Ausverkauf. Seitdem hat der Shanghai Composite satte 40 Prozent verloren. Günstig sind Aktien aus China deswegen aber noch lange nicht.

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Noch immer sind chinesische Aktien zu teuer – und das obwohl der Shanghai Composite über 40 Prozent verloren hat. Quelle: Reuters

Zwar ist der Shanghai Composite Index in den letzten zwölf Monaten um 40 Prozent abgesackt, aber die Bewertungen chinesischer A-Aktien sind immer noch drei Mal so hoch wie auf irgendeinem anderen größeren Markt weltweit. Das Median-Kurs-Gewinn-Verhältnis an den Börsen des Landes liegt mit 59 höher als bei amerikanischen Technologieaktien auf dem Höhepunkt des Dot-Com-Booms im Jahr 2000. 

Ein Jahr nach dem Höhepunkt der chinesischen Aktienblase sind die Bewertungen noch nicht auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt. Zu Zeiten sinkender Unternehmensgewinne hält die Regierung mit Interventionen die Kurse hoch. Für die Vermögensverwalter von Silvercrest Asset Management und Blackfriars Asset Management, die den Ausverkauf des vergangenen Jahres vorhergesagt hatten, ist es noch zu früh, um in den sechs Billionen Dollar schweren Markt wieder einzusteigen. Das Wirtschaftswachstum sei zu schwach und die Investorenstimmung fragil. 

„Wir halten keine A-Aktien“, sagt Tony Hann, Leiter Aktien bei Blackfriars in London. Der Oriental Focus Fund der Firma hat sich seit Jahresbeginn 83 Prozent besser entwickelt als der Wettbewerb. „Das Bullenszenario ist, dass ich bei diesem KGV kaufen kann, weil es mir jemand zu einem höheren KGV abkauft. Das größte Risiko ist aber, dass sich die Investorenpsychologie auf dem Festland ändert.“

Und es gibt vieles, worüber sich die Investoren sorgen könnten. Nachdem sie letztes Jahr so schwach wie seit 1990 nicht mehr gewachsen war, zeigt die chinesische Wirtschaft auch jetzt kaum Erholungsanzeichen. Die Gewinne bei den Unternehmen im Shanghai Composite Index sind seit vorigem Juni im 13 Prozent zurückgegangen. Zugleich nehmen Zahlungsausfälle bei Firmen zu, und der Yuan liegt nahe seinem Fünfjahrestief. 

Der trübe Ausblick stehe in scharfem Kontrast zur Stimmung vor einem Jahr, sagt Pan Lizhi, eine 54-jährige Rentnerin in der chinesischen Provinz Hunan. Wie viele der 106 Millionen Privatanleger in China hatte sie während der Blase fast jeden Tag Aktien gehandelt und gehofft, von einem Boom zu profitieren, der von der explosiven Zunahme kreditfinanzierter Spekulation und der offiziellen Fürsprache in den staatlichen Medien genährt wurde. Nun verbringt Pan ihre Zeit hauptsächlich mit Fernsehen. Die 320.000 Yuan (42.919 Euro) auf ihrem Brokerkonto sind zu 94 Prozent in Bargeld geparkt. „Ich erwarte für das nächste Jahr keinen Bullenmarkt“, erklärt die Rentnerin. 


Nicht alle Analysten sind wegen der Bewertung besorgt

Analysten von Brokerfirmen sind nicht so pessimistisch. Sie gehen weiterhin von Kursgewinnen bei den Firmen im Shanghai Composite Index aus. Die von Bloomberg zusammengestellten Kursziele signalisieren einen Anstieg um 13 Prozent über die nächsten zwölf Monate. Impulse könnten vom Indexanbieter MSCI kommen, der diesen Monat entscheidet, ob er Aktien vom chinesischen Festland in ihre internationalen Indizes aufnimmt, oder vom Beginn einer Kooperation der Börsen Hongkong und Shenzhen.

Den Bullen zufolge ist das Abwärtsrisiko für die Aktienkurse wegen der Staatseingriffe begrenzt. Die China Securities Finance (CSF), die im letzten Sommer mit mehr als 480 Milliarden Dollar zur Marktstützung ausgestattet wurde, hält immer noch Festlandsaktien im Wert von mindestens 77 Milliarden Dollar, wie von Bloomberg zusammengestellte Börsendaten zeigen. Das wahre Ausmaß der staatlichen Unterstützung ist mit ziemlicher Sicherheit noch größer, weil Geld von CSF und anderen Staatsfonds über verschiedene Kanäle in den Markt fließt, die in offiziellen Offenlegungen nicht immer auftauchen. 

Nicht jeder macht sich wegen der Bewertungen in China Sorgen. Das Median-KGV des Marktes ist zwar für manche Analysten ein verlockender Indikator, weil er die Auswirkung von Bankaktien mit niedrigem Kurs und hohem Indexgewicht dämpft. Andere bevorzugen aber ein aggregiertes Maß, das den größten Unternehmen mehr Gewicht gibt. Auf dieser Basis wird der Shanghai Composite mit dem 16-Fachen der berichteten Gewinne gehandelt, womit er billiger ist als das US-Börsenbarometer S&P 500, das auf 19 kommt.

„China ist eigentlich ziemlich attraktiv“, sagt Sam Polyak, Vermögensverwalter bei Fidelity Management & Research in Boston. Sein Fidelity Total Emerging Markets Fonds investiert in A-Aktien über die Shanghai-Hongkong-Börsenkooperation. Polyak bevorzugt Internet- und nichtzyklische Konsumwerte sowie Aktien ausgesuchter Industrieunternehmen.


Die schwierige Suche nach Schnäppchen

Schnäppchen seien in China schwer zu finden, weil Unternehmen, deren Aktien eine niedrige Bewertung haben, oftmals Probleme hätten und die Firmen mit den besten Perspektiven teuer seien, sagt Daniel Morris, leitender Investmentstratege bei BNP Paribas Investment Partners in London. Am unteren Ende wird Industrial & Commercial Bank of China mit dem 5,6-Fachen der berichteten Gewinne gehandelt. Die größte Bank des Landes hat in den letzten zwölf Monaten 16 Prozent an Wert verloren. Am Markt gab es Befürchtungen, eine Zunahme notleidender Kredite werde die Profitabilität untergraben. Leshi Internet Information & Technology, die 2015 ihren Umsatz um mehr als 90 Prozent steigerte und einer der Lieblinge zu Zeiten der Blase des vergangenen Jahres war, kommt dagegen auf ein Bewertungsverhältnis von 175.

„Einige Bereiche des Markts sind billig, aber das vielleicht auch aus gutem Grund“, sagt Morris. „Für die Bereiche, die einem gefallen, die mit Wachstumspotenzial, für die muss man bezahlen.“

An den chinesischen Aktien mit Doppellisting wird die anhaltende Entkopplung der Bewertungen zwischen den inländischen und internationalen Börsen wahrscheinlich am deutlichsten. Festlandsaktien werden im Durchschnitt 93 Prozent höher bewertet als identische Aktien, wenn sie in Hongkong gehandelt werden. Am extremsten ist der Unterschied mit 634 Prozent bei Luoyang Glass, einen Glashersteller aus der Provinz Henan.

„Es gibt viel Abwärtspotenzial für den chinesischen Markt“, sagt Patrick Chovanec, Chefstratege bei Silvercrest Asset Management in New York. „Die Fundamentaldaten sind schwach und verschlechtern sich vielleicht sogar noch weiter.“

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