Türkischer Staatsfonds Wie Erdogan die Finanzmärkte umgehen will

Mit einem Fonds aus Staatsvermögen will die türkische Führung Kredite für Infrastrukturprojekte vergeben – ohne Zinsen. Künftig entscheiden enge Vertraute von Präsident Erdogan über die Machbarkeit von Großprojekten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der türkische Präsident vor der Nationalflagge: Der Staatsfonds des Landes verfolgt andere Ziele als die anderen Kapitalsammelstellen. Quelle: Reuters

Istanbul Es war ein kleines Beben, das Himmet Karadag in der türkischen Finanzwelt auslöste. Der neue Chef des türkischen Staatsfonds (Türk Varlik Fonu, TVF) sprach in dieser Woche vor Investoren und Journalisten über die Pläne der staatlichen Kapitalsammelstelle der Türkei. Sein Ziel: Er will Milliardenkredite für die großen Infrastrukturprojekte in der Türkei vergeben – ohne dafür Zinsen zu verlangen.

Damit würde das Land bei großen und teuren Projekten nicht nur die internationalen Finanzmärkte weitestgehend umgehen. Die Türkei ist von einigen Ratingagenturen nach einer äußerst turbulenten Zeit in den vergangenen Jahren aktuell auf Ramschstatus eingestuft. Hinzu kommt: Auch das eigene Finanzministerium hätte offiziell nichts mehr zu melden, wenn es darum geht, die finanzielle Machbarkeit bei neuen Flughäfen, Kraftwerken oder anderen Projekten einzuschätzen.

Der TVF ist ein Staatsfonds der anderen Art. Üblicherweise richten Länder mit hohen Rohstoffvorkommen einen solchen Fonds ein, um ihre Einnahmen aus dem Öl- oder Gasverkauf sinnvoll anzulegen. So besitzt etwa Norwegen einen solchen Fonds, aus dem die steigenden Pensionsansprüche der Norweger finanziert werden. Das Emirat Katar investiert mit dem Geld aus dem Gashandel in der ganzen Welt und sichert sich damit eine möglichst auskömmliche Rendite. Über diesen Hebel sichern viele Länder mit einem solchen Fonds übrigens nebenbei ihre eigene Währung gegen Inflation ab.

In der Türkei, wo die Inflation zuletzt einen Rekordwert von über elf Prozent erreicht hat, verfolgt man mit dem Fonds andere Ziele. Kurz nach einem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 begann die türkische Führung damit, Anteile an Staatsunternehmen in einen Fonds zu überführen. Dazu zählen rund 49 Prozent an der größten Airline des Landes, Turkish Airlines, die staatliche Halkbank, der Satellitendienstleister Turksat oder der Teeproduzent Caykur.

Auch Einnahmen aus der staatlichen Lotterie und Lizenzen für Pferderennen zählen dazu. Künftig sollen mindestens 2,3 Millionen Quadratmeter Land zum Vermögen hinzugezählt werden, vor allem aus den Touristengebieten um Ferienhochburgen wie Antalya oder Bodrum.

Der Wert liegt aktuell bei gut 50 Milliarden US-Dollar. TVF-Chef Karadag möchte das Fondsvermögen auf bis zu 200 Milliarden Dollar ausbauen. Damit hätte er rund ein Fünftel der Größe des norwegischen Pensionsfonds, der eine Billion Dollar wert ist. Während Länder wie Deutschland über ihre solide Finanzstruktur und politische Stabilität ohnehin schnell Vertrauen bei internationalen Anlegern erhalten, muss die Türkei offenbar ihre Schätze sammeln und zu einem monströsen Konstrukt bündeln, das Investoren die nötige Sicherheit gibt.

Von Beginn an lautete das Ziel, mit dem Fondsvermögen Geld von internationalen Anlegern einzusammeln und gleichzeitig mit dem Kapital große Infrastrukturprojekte im eigenen Land zu finanzieren, zu möglichst niedrigen Zinsen. Also genau das Gegenteil der Fonds aus Ländern wie Katar oder Norwegen, wo das Geld in der Regel im Ausland investiert wird.

Außerdem soll der Fonds dabei helfen, Schwankungen der krisengeplagten Wirtschaft abzumildern. Laut Vizeregierungschef Nurettin Canikli kann der Fonds auch dazu genutzt werden, „ein starkes Schutzschild gegen ökonomische Sabotagen und Attacken“ aus dem Ausland darzustellen – ein Bild gegenüber dem Ausland, das in der Türkei oft gezeichnet wird.

Jetzt sollen gar keine Zinsen mehr anfallen. Damit würde öffentliches Vermögen verschleudert, kritisierte Refet Gurkaynak von der Bilkent-Universität in der türkischen Hauptstadt Ankara. Elliot Hentov vom Vermögensverwalter State Street Global Advisors legt nach: „Das Ganze als Staatsfonds zu betiteln ist nicht mehr als Marketing, eigentlich müssten die Gesellschaften als staatliche Holding-Unternehmen bezeichnet werden“, sagt der Analyst.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%