Ukraine Kalter Krieg, überhitzte Börsen

Die sich von Tag zu Tag zuspitzende Krise in der Ukraine juckt an den Finanzmärkten niemanden – noch nicht.

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Auf die Finanzmärkte hatte die Eskalation in der Ukraine bislang kaum Auswirkungen. Quelle: REUTERS

An den Finanzmärkten geht es bemerkenswert ruhig zu. Die extremen Risiken aus dem Streit der USA und der Europäischen Union (EU) mit Russland um die Ukraine wurden rasch abgehakt oder gar ganz ignoriert. Gerade einmal einen Tag hat es gedauert, bis die Märkte die Krim-Krise verdaut hatten. Die Entwicklung in der Ost-Ukraine ist überhaupt nicht auf den Radarschirmen. Niemand rechnet offenbar mit größeren Problem für die Weltwirtschaft, die aus dem Konflikt in der Ukraine entstehen könnten. So erwarten alle 67 Volkswirte, die monatlich vom Börsendienst Bloomberg befragt werden, in den nächsten sechs Monaten steigende Zinsen. Das ist eine erstaunlich einseitige Konsensmeinung. Auch Fondsmanager machen sich anscheinend keine größeren Sorgen um die Konjunktur. Sie sind laut einer Umfrage von JP Morgan so stark untergewichtet in US-Staatsanleihen wie nur ein Mal in den vergangenen sieben Jahren.

Sollten die USA und die EU aber weiter auf Konfrontationskurs bleiben gegenüber Russland und ähnliche Handelssanktionen beschließen wie etwa gegen den Iran, dann wäre zumindest für Europa der Rückfall in die Rezession ein durchaus realistisches Szenario. Immerhin ist Russland hinter den USA und China der drittgrößte Handelspartner der EU. Der Warenaustausch erreichte 2012 einen Gesamtwert von 462 Milliarden Dollar, während er zwischen den USA und Russland nur 40 Milliarden Dollar betrug.

IWF spielt ein falsches Spiel

Das 17 Milliarden Dollar schwere Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Ukraine soll angeblich die Zahlungsfähigkeit des Landes gewährleisten. Tatsächlich aber dürfte es vor allem darum gehen, den internationalen Banken den Ausstieg aus den ukrainischen Staatsanleihen zu finanzieren – wie in Griechenland. Laut Informationen von Bloomberg basiert das Hilfsprogramm auf der Annahme einer fünfprozentigen Kontraktion der ukrainischen Wirtschaft in diesem Jahr.

Doch das ist Augenwischerei. Ein Wert zwischen 15 und 20 Prozent dürfte realistischer sein. Aber darum geht es nicht. Das Hilfspaket des IWF macht nämlich den Weg frei für zusätzliche Hilfsprogramme, etwa der EU. Die neue ukrainische Regierung hatte zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit und der Bezahlung lebenswichtiger Importe ein Hilfspaket von 35 Milliarden Euro angefordert. Doch das wird nicht reichen. Ohne den russischen Absatzmarkt wird die Ukraine dauerhaft auf die Hilfe des Westens angewiesen sein.

Der Kredit an die Ukraine wird auch den IWF verändern. Die großen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) drängen schon seit mehr als drei Jahren auf ein stärkeres Stimmengewicht im IWF. Das wurde aber im Januar im US-Kongress abgelehnt. Als größter Beitragszahler des IWF mit einem Stimmenanteil von 16,5 Prozent können die USA jede Reform blockieren. Offensichtlich ist die Geduld der BRIC jetzt am Ende. Vadim Lukov, Sonderbotschafter des russischen Außenministeriums, kündigte bereits an, dass die BRIC-Staaten bis 2016 als Ersatz für IWF und Weltbank eigene funktionsfähige Institutionen installiert haben werden.

Deutschland wird verlieren

Was die Russen in der Ostukraine wollen
Greift das russische Militär ein?Das russische Militär positioniert sich in der Ostukraine. Die Spezialeinheiten der russischen Armee stehen den pro-russischen Separatisten bei, die einen Anschluss an Russland wollen. Die Regierung in Moskau kann sich unterdessen überlegen, wie man ein weiteres Krim-Szenario erreichen könnte. 45.000 Soldaten sind bereits an der Grenze stationiert. „Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef. Quelle: AP
Rund 45.000 russische Soldaten - „Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen“, sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. Nach Nato-Angaben sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. „Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind“, sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht - etwa zu Manöverzwecken - bewegt: „Es ist sehr ungewöhnlich, eine so große Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.“ Quelle: REUTERS
Kämpfen russische Soldaten bereits mit?Viele sehen die russischen Soldaten als eine erneute Provokation aus Moskau. Auch US-Außenminister Kerry beschuldigt Putin. Er spricht von "russischen Provokateuren und Agenten". Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet. Innenminister Awakow spricht von einer "Aggression der Russischen Föderation". Spiegel Online berichtet von Internet-Videos, in denen Truppen zu sehen sind, die über eine militärische Ausbildung verfügen. Diese Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen bei dem Sturm der Polizei-Einheit in Slawjansk sehr geplant vor. Quelle: AP
Moskau dementiert Kiew wirft Russland offen „Aggression“ in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er sagte, das russische Militärs sei nicht aktiv. Während der Krim-Krise hatte Putin allerdings genau das auch behauptet. Dennoch hat Moskau offiziell offenbar noch keine regulären Einheiten in die Ostukraine verlegt. Quelle: REUTERS
Was will Russland?Moskau macht sich in der Ostukraine für die Rechte der russischsprachigen Bürger stark. Der Anteil in Donezk liegt bei etwa 70 Prozent. Spiegel Online berichtet, dass dort 33 Prozent aller Bewohner einen Anschluss an Russland befürworten. Die Regierung in Kiew hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt. Das wiederum könnte Moskau zu weiteren Schritten provozieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Quelle: REUTERS
Folgen für Russland Wenn das russische Militär eingreift, könnte das zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland führen. Das macht eine Intervention Moskaus unwahrscheinlich. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum, zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, gegenüber Spiegel Online. Quelle: REUTERS

„Eine großer Teil der IWF-Gelder geht in die Rettung des Euros und die Währungen der entwickelten Länder. Bedenkt man, dass die Führung des IWF in den Händen des Westens ist, gibt es im Notfall wenig Anlass zur Hoffnung auf Hilfe durch den IWF“ so Lukov. In der Kritik steht der IWF auch, weil er am Beginn eines Hilfsprogramms das Wirtschaftswachstum systematisch zu hoch ausweist – wie in Griechenland und jetzt in der Ukraine. Um seinen Einfluss zu sichern und mehr Kredite vergeben zu können, prognostiziert sich der IWF die Welt zurecht. Früher gab es hohe Kredite nur an Länder, deren Schuldentragfähigkeit garantiert war. Für Griechenland wurden in einer Nacht- und Nebel-Aktion die Regeln geändert. Jetzt reichen schon Ansteckungsrisiken für andere Länder. Griechenland, Portugal und Zypern absorbieren aktuell rund 80 Prozent der Krisenkredite.

Die Krise in der Ukraine wird auch zu einer energiepolitischen Neuausrichtung Russland führen – zum Nachteil von Europa. Der Staatskonzern Gazprom wird in den nächsten Jahren die Beziehungen zu China stark ausbauen und seine Lieferungen in Yuan abrechen. Auch eine erste symbolische Gazprom-Anleihe in Yuan ist geplant. So wird der Dollar als Reservewährung unterminiert. Zwar will die chinesische Regierung die heimische Erdgasproduktion bis 2020 auf 420 Milliarden Kubikmeter ausweiten. Doch das bedeutete eine Steigerung von mehr als 150 Prozent gegenüber 2013 und ist kaum zu realisieren. Russlands Präsident Wladimir Putin wird das den Chinesen bei seinem Besuch im Mai klar machen. Gazprom wird mit am Tisch sitzen.

Der große Verlierer einer weiter eskalierenden Ukraine-Krise wäre Deutschland. Der deutsche Versuch, Russland durch politische und wirtschaftliche Verflechtungen in Europa einzubinden, droht zu scheitern. Die EU und die USA haben dazu maßgeblich beigetragen mit ihrer völlig überzogenen Sanktionspolitik. Anfang März hatte die EU auf einem Sondergipfel in Brüssel erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges einen mehrstufigen Sanktionsplan gegen Moskau beschlossen, falls sich die Krim Russland anschließen sollte. Das war eine politische Bankrotterklärung und kein Krisenmanagement. Die USA haben die politische Krise in der Ukraine durch die Unterstützung pro-westlicher und nationalistischer Gruppierungen beim Sturz einer immerhin demokratisch gewählten Regierung herbeigeführt und diese für einen orchestrierten Konflikt mit Moskau instrumentalisiert. Das beweist der Besuch von CIA-Direktor John O. Brennan und US-Vizepräsident Joe Biden in Kiew. Biden kündigte gar militärische Unterstützung der Ukraine an.

Europa darf den USA in der Ukraine-Krise nicht das Feld überlassen. Washington hat seit dem 11. September 2001 das Vertrauen in seine Urteilsfähigkeit und seine Integrität so schwer beschädigt, dass der Rest der Welt kein Vertrauen mehr hat in die Führungsrolle der USA. Für Europa steht zu viel auf dem Spiel. Dialog und konkrete Vorschläge an Russland zur strategischen Partnerschaft mit dem Westen sind das Gebot der Stunde. Schon mit einem neutralen Status oder einer föderalen Struktur der Ukraine ließe sich die Krise entschärfen.

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