Emotionen sind nicht Uwe Langs Sache. Ruhig wartet der pensionierte evangelische Pfarrer auf seinem Stuhl bis alle im Saal des Parkhotels Schmid Platz genommen haben. Er verzieht keine Miene, wirkt fast ein bisschen schüchtern. Seine blau-lilafarbene, gebatikte Krawatte – modern in den Neunziger Jahren – sitzt leicht schief, das Nadelstreifen-Sakko auch.
In den Reihen vor dem 67-Jährigen beugen sich seine Jünger gespannt nach vorne auf die Tische: 34 Teilnehmer des Börsenseminars, die Mehrheit mit grauen oder wenigen Haaren, nur drei weiblichen Geschlechts. Langs aktuellster Indikator: „Ist die Teilnehmerzahl gering, geht es an der Börse aufwärts.“ Das Auditorium im Konferenzsaal lacht.
Uwe Lang ist anders. Wer ihn und seine Botschaften hören will, muss nach Adelsried bei Augsburg reisen, nicht in die Finanzzentren Frankfurt, Zürich oder London, dafür nur wenige Autominuten von seinem Wohnort Dinkelscherben entfernt. Der harte Kern seiner Jünger kommt aber ohnehin aus der Nachbarschaft.
Uwe Lang ist einer von uns. Er ist ein Autodidakt, ein leidenschaftlicher Schachspieler, einer dem man vertrauen kann – als Pfarrer schon von Amts wegen. „Lang ist authentisch und bodenständig geblieben“, schätzt eine der drei Teilnehmerinnen an ihm. Das Image passt, die Frisur auch. Einige Spitzen seines Haarkranzes stehen leicht ab – Typus zerstreutes Genie, nicht aalglatter Wall-Street-Banker. Der Börsenpfarrer braucht keinen Projektor, kein Flipchart – nur das Wort Langs.
Der perfekte Einstiegszeitpunkt
Er predigt: „Kaufen Sie jetzt Aktien!“ Eigentlich sei es ganz einfach. „Der faire Wert des Dax liegt aktuell bei 7439 Punkten deutlich über dem derzeitigen Kurs.“ Das hat der Börsenpfarrer ausgerechnet, wie er immer alles ausrechnet. Der nüchterne Zahlenmensch passt wie Faust aufs Auge zu seiner Anlagemethode – einer quantitativen, statischen Vorgehensweise, einer Kombination aus Trendfolge und Fundamentalanalyse.
Die Idee dazu entsprang natürlich nicht irgendeiner Eingebung Langs, sondern stammt von anderen Börsenexperten, die sie bereits vor ihm gehabt und erforscht haben: James O’Shaughnessy, Robert Levy, Michael O’Higgins.
Doch Lang schafft es, die Sprache seiner Gemeinde zu sprechen. Er spricht über seine Erfahrungen als Privatanleger zu anderen Privatanlegern. Er bietet Tipps für die Dame, der die internationale Wertpapierkennnummer ISIN fremd ist, wie auch dem Herrn aus der Schweiz, der nach ganz speziellen Knock-Out-Produkten fragt. Wirklich kritische Nachfragen gibt es beim Heimspiel in Adelsried nicht – dafür Applaus vor jeder Pause. Man verehrt Lang, wahrscheinlich für seine Ehrlichkeit. „Aktien sind im Moment alternativlos“, sagt er.
Schon allein deswegen müssten sie eigentlich höher bewertet sein. „Der Euro ist eine ausgezeichnete Währung. Er war nie gefährdet, doch es klingt besser für Politiker, wenn sie den Euro retten, als die Banken zu retten.“ Bei zwei Billionen Euro Staatsschulden in Deutschland und zehn Billionen Vermögen sei ihm nicht bange. „Solange das Vermögen schneller wächst als die Schulden.“ „Die Apple-Aktie würde ich nicht kaufen“ oder „Machen Sie sich nicht zu viel Arbeit an der Börse, benutzen Sie Freitagsschlusskurse anstelle von täglichen“ - das sind klare Aussagen.
Das System des Börsenpfarrers
Lang ermittelt zunächst einen guten Einstiegspunkt oder Signale zum Ausstieg. Dafür zieht er eine Methode heran, die er die „9-Monats-H-T-Methode“ nennt. Diese habe der Experte selbst erst spät entdeckt, „so vor vier oder fünf Jahren“, erzählt er. Lang beobachtet 700 verschiedene Aktien. Erreicht eine von diesen ein Neun-Monatshoch oder Tief, ist dies für den Pfarrer ein Zeichen.
Das Verhältnis von Hoch- und Tiefstkursen spiegelt die Stimmung an der Börse wieder. Je konstanter es über die vergangenen Wochen war, desto besser ist das Signal. Aktuell liegt es bei 59 Hochs gegen 19 Tiefs.
Weiteres Kriterium ist die Zinsstrukturkurve. „Das ist der Indikator, dem ich am meisten vertraue“, sagt Lang, der die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher hat. Er hat den Indikator eingeführt, nach dem auch sein System bei der Lehman-Pleite durchfiel. Dabei beobachtet er das Verhältnis von kurzfristigen zu langfristigen Zinsen. Werden für kurzfristige Anleihen mehr Zinsen gezahlt, als für welche mit langen Laufzeiten, dann signalisiert dies eine Rezession – und die ist nicht gut für Aktiengesellschaften.
Hat der Pfarrer so die himmlischen Einstiegspunkte gefunden, investiert er in Aktien mit einem Aufwärtstrend, auch Momentum genannt. Dabei zieht er die relative Stärke nach Robert Levy heran, ein Modell bei dem der aktuelle Aktienkurs mit dem 15-Monatsdurchschnitt verglichen wird. Aktien, die 20 Prozent oder mehr über ihrem Durchschnittskurs liegen, sind kaufenswert.
„Weil Siegeraktien oft die Sieger bleiben“, erklärt Lang. Die Letzten werden eben doch nicht die Ersten sein. Wer die Aktien behält, mit denen er im Verlust ist, handele zwar emotional verständlich, aber auch falsch. Gewinn laufen lassen, Verluste begrenzen, heißt eine Börsenregel, an die sich ein Teilnehmer des Seminars erinnert. Warum er nicht auch schwache Aktien leerverkauft, will einer Privatanleger von Uwe Lang in der Pause wissen. Seine Antwort: „Damit habe ich persönlich schlechte Erfahrungen gemacht – wegen starken Schwankungen.“ Es kann schon ein Kreuz mit der Geldanlage sein – auch für den Profi.
Kein System für den Bierdeckel
Damit ist es aber noch nicht getan. Langs System passt schließlich nicht auf einen Bierdeckel – das wäre auch schlecht fürs Geschäft. Lang filtert noch die fundamental günstig bewerteten Titel heraus. Sie sollten ein Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) von unter 1,07 haben – dem langfristigen, weltweiten Mittelwert. „Die SAP-Aktie kaufe ich deshalb seit Jahren nicht“, sagt der Prediger.
Uwe Langs Lieblinge | |||
Kaufempfehlungen der Börsensignale | |||
ISIN | Aktie | Branche | RSL | KUV | KBV |
DE0005565204 | Dürr | Autozulieferer | 178,7 | 0,7 | 2,7 |
HK0992009065 | Lenovo | Computer | 148,4 | 0,4 | 4,8 |
US92826C8394 | VISA | Finanz | 146,0 | k. A. | 3,3 |
NL0000235190 | EADS | Maschinen | 142,6 | 0,6 | 2,2 |
US7960502018 | Samsung | Elektronik | 132,1 | 1,1 | 1,8 |
DE0005103006 | Adva Optical | Telekomm. | 125,1 | 0,9 | 0,3 |
JP3788600009 | Hitachi | Elektronik | 119,8 | 0,3 | 1,6 |
DE0006483001 | Linde | Chemie | 118,5 | 1,8 | 2,1 |
JP3780200006 | Pioneer Group | Elektronik | 118,2 | 0,3 | 1,6 |
DE000GSW1111 | GSW Immobilien | Beteiligungen | 118,0 | k. A. | 1,0 |
DE0006599905 | Merck KGaA | Pharma/Kosm. | 116,0 | 0,6 | 1,7 |
RSL = Relative Stärke nach Levy (Aktueller Kurs/15-Monatsdurchschnitt *100); KUV = Kurs-Umsatz-Verhältnis; KBV = Kurs-Buchwert-Verhältnis; Stand: 2.4.2012; Quelle: Börsensignale |
Ab einem KUV von 4, würde er definitiv keine Ausnahme mehr machen. Dass er alle Entscheidungen dem heimischen Computer im Keller und seinen Excel-Tabellen überlässt, davon ist er allerdings 2008 wieder abgekommen. Die Seminarteilnehmer stimmen ihm zu.
Die Weissagung des Uwe Lang
Bereits ein Jahr vor der Einführung des Dax, 1987, startete Lang seinen Börsenbrief. Damals hatte er lediglich 30 Abonnenten, erzählt er, und damals wollte ihm ein halbes Jahr keiner glauben, dass ein Crash bevorsteht. Jetzt, 25 Jahre später, sein Buch „Aktienberater“ allein ist mittlerweile in der 14. Auflage erschienen, prophezeit er eine Hausse – und wieder sind seine Zuhörer skeptisch.
Der Dax könnte bis Ende des Jahres noch auf 8000 bis 10.000 Punkte steigen – glaubt der Börsenpfarrer. Ob es wirklich so weit kommt, weiß nur Gott, und mit dem spricht Lang nicht über die Geldanlage. Schade eigentlich.