Der Aktienmarkt in der Türkei hat positiv auf den Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan im Verfassungsreferendum reagiert. Am Montagvormittag legte der BIST-100-Index der 100 größten Werte der Istanbuler Börse zuletzt knapp 0,6 Prozent zu. Nun sei zunächst eine Quelle für politische Unsicherheit verschwunden, meinten Beobachter. Der Index hatte sich seit Anfang April erholt, die Tage vor dem Referendum aber dann eher wieder nachgegeben.
Die türkische Lira hat zum Handelsstart ebenfalls mit einen kräftigen Kurssprung reagiert. Die Währung legte am Montag in den ersten Handelsminuten in Istanbul gut 2,5 Prozent zum Dollar zu, im weiteren Handelsverlauf bröckelten die Gewinne wieder ab. Zuletzt stand der Kurs bei 3,6732 Lira je US-Dollar, ein Plus von gut einem Prozent. Im Januar hatte die türkische Währung ihr jüngstes Rekordtief markiert, damals kostete ein US-Dollar noch 3,9415 Lira.
Erdogan hat das Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems, das ihm künftig eine noch größere Machtfülle beschert, knapp gewonnen. Nach dem vorläufigen Ergebnis der Wahlkommission entfielen 51,3 Prozent der Stimmen auf „Ja“, 48,7 Prozent votierten demnach mit „Nein“.
Was bedeutet der Ausgang des Referendums für die EU und die Nato?
Nein, nicht automatisch. Denkbar ist zwar, dass das EU-Parlament mit einer Resolution den Abbruch der Gespräche fordert. Die zuständigen Regierungen der EU-Staaten müssen Forderungen des EU-Parlaments im Bereich der Außenpolitik allerdings nicht nachkommen.
Wenn sich alle 28 Mitgliedstaaten einig wären, wäre ein Abbruch möglich. Die EU-Kommission und auch die Bundesregierung waren bis zuletzt aber der Meinung, dass ein kompletter Wegfall der EU-Beitrittsperspektive dazu führen könnte, dass sich die Türkei noch stärker Russland zuwendet und keinerlei Bestrebungen mehr zeigt, sich bei Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte an europäische Standards zu halten. Derzeit gibt es deswegen für die Beitrittsverhandlungen nur eine einziges K.o.-Kriterium: die von Erdogan erwogene Wiedereinführung der Todesstrafe.
Alternative zum vollständigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen wäre es, die Gespräche offiziell auszusetzen. Dafür bräuchte es keine Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten. Es würde ausreichen, wenn 16 der insgesamt 28 Länder zustimmen, sofern diese Staaten mindestens 65 Prozent aller Bürger in der Union vertreten.
Zumindest am Rande. Die Türkei ist immer noch einer der wichtigsten Partner in dem Bereich - auch wenn nach Meinung vieler Experten vor allem die Grenzschließungen auf der Balkanroute zu dem Ende des großen Flüchtlingszustroms in Richtung Westeuropa geführt hat. Die Türkei beherbergt derzeit rund drei Millionen Menschen aus Ländern wie Syrien oder dem Irak.
Die EU könnte die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen vorgesehene Unterstützung für die Türkei weiter zurückfahren oder verstärkt für Programme zur Verfügung zu stellen, die die Zivilgesellschaft und die Demokratie-Entwicklung stärken. Dabei geht es um rund 4,45 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020.
In Brüssel wird das nicht für unmöglich gehalten. Die wüsten Beschimpfungen Erdogans gegen EU-Staaten könnten als unschönes Wahlkampfgepolter abgehakt werden. Wirklich bessere Beziehungen sind aber nur dann möglich, wenn die Türkei wieder anders mit Oppositionspolitikern und Journalisten umgeht. Das Vorgehen in den vergangenen Monaten wird als absolut inakzeptabel erachtet.
Die letzten Äußerungen waren widersprüchlich. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte Ende der vergangenen Woche an, er wolle nach dem Referendum einen Vorschlag vorlegen, um die festgefahrenen Verhandlungen über die Visa-Liberalisierungen zu beleben. In der EU wird mit Spannung erwartet, ob dies bedeutet, dass die Türkei doch bereit ist, über eine Reform ihrer umstrittenen Anti-Terrorgesetze nachzudenken, die nach Meinung von EU-Juristen zur Verfolgung politischer Gegner missbraucht werden können. Die EU hat eine Änderung der Anti-Terrorgesetze zu einer Bedingung für die Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger gemacht.
Auf der anderen Seite sagte Präsident Erdogan, er wolle die künftigen Beziehungen der Türkei zu Europa nach dem Referendum überprüfen lassen. Unklar ist, ob er damit eine Volksabstimmung nach britischem Vorbild meint, bei der die Bürger der Türkei über eine Fortsetzung der Beitrittsgespräche mit der EU abstimmen könnten.
Für die Verteidigungsallianz ist es enorm wichtig, dass die Türkei ein verlässlicher Bündnispartner bleibt. Das Land an der Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Nahost hat von den Mitgliedstaaten die zweitgrößte Armee, von Incirlik aus fliegen Alliierte Angriffe auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), und im Südosten des Landes steht ein wichtiges Nato-Raketenabwehrradar. Wenn das „Ja“ beim Referendum zu mehr politischer Stabilität führt, kann das der Nato nutzen - aber nur dann, wenn es nicht zu einer dauerhaften Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien kommt. Die jüngsten Entwicklungen wurden mit großer Sorge gesehen. Für Nato-Partner stellt sich die Frage, ob eine Demokratie à la Erdogan auf Dauer stabil sein kann.
Das Ja-Votum werde am Markt auf kurze Sicht wahrscheinlich begrüßt. Aber er rechne nicht mit einem großen Anstieg bei den Aktien, sagte Ozgur Altug, Chefvolkswirt bei BGC Partners in Istanbul, der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Die europäischen Märkte sind wegen des Osterfests am Montag geschlossen.