Als der Ölpreis Mitte 2014 deutlich absackte, frohlockten die Analysten. Nun müsste die Konjunktur ja anspringen, so der Schluss aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Denn der Ölpreis diente mindestens bis in die Mitte der 1970er Jahre als verlässliche Orientierungshilfe.
Im wahrsten Sinne des Wortes war Öl eine „geerdete“ Assetklasse. Realwirtschaftliche Faktoren wie Produktion, Lagerhaltung und Nachfrage bestimmten die Preisprognosen. Für den Einfluss von Ölpreisänderungen auf die Weltwirtschaft galten gewisse Annahmen. So etwa die allgemein akzeptiere „Faustformel“, wonach ein Ölpreisanstieg um zehn US-Dollar eine Abschwächung der Weltkonjunktur um circa 0,5 Prozent zur Folge hätte.
Ölinvestments waren für institutionelle Investoren, Finanzanalysten und Privatanleger zumindest in ihrer Richtung gut greifbar.
Doch dieser Zusammenhang von Ölpreis und weltwirtschaftlicher Dynamik scheint heute nicht mehr gültig. Trotz rekordniedriger Barrel-Preise ist eine entsprechende Korrelation nicht ersichtlich. Wo liegen die Ursachen? Hat sich alles gar ins Gegenteil gekehrt, wie manche Marktteilnehmer unken? Welche Folgen hat das für die Investoren?
Erklärung Nummer 1: Hohe Bedeutung ölexportierender Schwellenländer
Das durch aufstrebende Volkswirtschaften beschleunigte Weltwirtschaftswachstum seit der Jahrtausendwende trieb die Rohstoffpreise stark nach oben. Für Produzenten und deren kreditgebende Banken begann damit eine goldene Dekade.
Über die Kolumne
In Zeiten negativer Zinsen und quantitativer Lockerung steht so manche vormals gültige Faustregel des Finanzmarkts auf dem Kopf. In dieser Reihe bringen Experten der CFA Society Germany etwas Ordnung in unsere heutige Verkehrte (Finanz)welt. Die CFA ist der mitgliedsstärkste Berufsverband für die Investmentbranche in Deutschland. Gemeinsam mit dem globalen Mutterverband CFA Institute, engagiert sich die CFA Society Germany seit Jahren für professionelle und ethische Standards in der Investmentbranche.
Die globale Konjunkturabkühlung ab 2012 traf einige vom Ölexport abhängige Schwellenländer entsprechend hart. Brasilien hatte beispielsweise versucht, seinen staatlichen Ölriesen Petrobras mit Investitionen in Höhe von 220 Milliarden US-Dollar als globalen Champion in Stellung zu bringen. Heute sind immense Überkapazitäten und ein Schuldenberg von 135 Milliarden US-Dollar übrig.
Fakt ist: Die Entwicklungsländer steuern heute bereits über 50 Prozent des Weltwirtschaftsprodukts bei. Taumeln einige von ihnen, dann spüren dies auch die Industriestaaten.
Erklärung Nummer 2: Ende von „Big Oil“
Die rohstoffimportierenden Industrieländer haben längst damit begonnen, ihren Energiemix zugunsten alternativer Energieträger anzupassen. Große Staatsfonds ordnen den Rückzug aus fossilen Brennstoffen an. Investoren-Bewegungen wie „Divest-Invest“ zählen inzwischen über 400 Institutionelle und 20.000 Privatanleger weltweit, die auf fossile Brennstoffe in ihren Portfolien verzichten.
Klimawandel und zahlreiche Öl-induzierte Umweltkatastrophen haben das Thema nicht nur auf dem Pariser Klimagipfel auf die Agenden gehoben.
Der Kulminationspunkt der Ölnachfrage ist in greifbare Nähe gerückt: Er wird vom World Energy Council auf das Jahr 2030 taxiert. Da China und vermutlich auch Indien das fossile Zeitalter mit Riesenschritten überspringen könnten, vollzieht sich diese Zeitenwende womöglich sogar früher.
Erklärung Nummer 3: Preisdruck bei Rohstoffunternehmen
Der Abnutzungskampf zwischen der fördermengenmaximierenden OPEC und den fördertechnikoptimierenden USA hinterließ eine Spur der Verwüstung: Mehrere Hundert US-Produktionsstätten wurden geschlossen, drei Dutzend US-Ölfirmen mussten Insolvenz anmelden, und aktuell werden bei Shell und BP 17.000 Stellen abgebaut.
Vor diesem Hintergrund kam es jüngst sogar zu einem ungewöhnlichen Schulterschluss zwischen der OPEC und Russland zur Produktionsdrosselung und Preisstabilisierung.
Gleichzeitig klafft in Saudi-Arabien mittlerweile ein Haushaltsloch. Das Land erwägt erstmals, eine milliardenschwere Anleihe zu begeben und einen Teil seines Tafelsilbers, des staatseigenen Ölgiganten ARAMCO, zu verkaufen.
Was Sie über den Ölpreis wissen müssen
Da Öl ursprünglich in Fässern abgefüllt wurde - Barrel im Englischen -, wird diese Maßeinheit in der Branche bis heute verwendet. Ein Barrel sind 159 Liter.
Die steile Talfahrt begann Mitte 2014, bis Anfang 2016 hatte sich der Preis mehr als gedrittelt. Seitdem hat sich der preis wieder erholt, bleibt aber weiter weit hinter früheren Niveaus zurück. Hintergrund ist ein knallharter Wettbewerb zwischen den klassischen Ölförderern wie Saudi-Arabien und neuen Konkurrenten, die Rohöl mit der aufwendigen Fracking-Methode aus Schiefergestein lösen, allen voran in den USA.
Rohöl ist nicht gleich Rohöl. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Sorten – je nach Region. Alleine der Finanzinformationsdienst Bloomberg listet mehr als 100 Stück auf, wovon allerdings nur wenige große Bedeutung haben. Als Richtwert am Finanzmarkt gilt das US-Rohöl West Texas Intermediate (WTI). Eine weitere wichtige Sorte ist das Nordsee-Öl Brent.
Bei den Ölsorten gibt es gravierende Unterschiede bei der Qualität, was auch zu merklichen Preisunterschieden führt. So kann etwa die Sorte North Dakota Sour in der Raffinerie nur schwer verarbeitet werden, weil sie stark schwefelhaltig ist. Das schlägt sich auch im Preis nieder.
Für US-Öl und Brent-Öl werden die Preise über das Spiel von Angebot und Nachfrage gebildet. Aber auch diese Sorten können eine Vielzahl von unterschiedlichen Preisen haben, was daran liegt, dass sie in sogenannten Future-Kontrakten gehandelt werden. Der Käufer erwirbt dabei Rohöl mit unterschiedlichen Lieferdaten. Der am meisten gehandelte und damit für die Anleger wichtigste Future-Kontrakt läuft über einen Monat.
Auch die Ölsorten des Ölkartells Opec (Organisation erdölexportierender Länder) sind für die Weltwirtschaft von hoher Bedeutung. Von der Opec-Zentrale in Wien wird einmal täglich der sogenannte Opec-Korbpreis ermittelt. Hierfür melden alle Mitgliedstaaten des Ölkartells ihre jeweiligen Ölpreise, dann wird der sogenannte Korbpreis aller 13 Opec-Sorten errechnet. Dieser Durchschnittspreis wird allerdings immer mit einem Tag Verzögerung veröffentlicht und spiegelt daher nicht die neueste Entwicklung wider.
Ausblick
Für den Aktieninvestor werden Kursprognosen ölexplorierender, -fördernder und -verarbeitender Unternehmen schwieriger. Wurden Ölaktien früher gemeinhin als „Zykliker“ gewertet, treten heute verstärkt geopolitische und technologische Aspekte in den Vordergrund. Mit Bahrain erhielt unlängst der erste Ölstaat ein Ramsch-Rating für seine Staatsanleihen. Weitere zittern vor Herabstufungen – ebenso wie jene Banken, die über 2.500 Milliarden US-Dollar an Krediten an die Ölindustrie vergeben haben.
„Strategische“ Ölinvestments weichen eher taktischen Positionierungen. Viele Marktteilnehmer sehen ein Ende preiswerten Öls als „Schmiermittel“ der Weltwirtschaft oder interpretieren das andauernde Ölpreistief als Zeichen ausbleibender Nachfrage. Dies könnte selbstverstärkende Negativeffekte nach sich ziehen. Eine verlässliche Lesart des Zusammenhangs von Weltwirtschaftswachstum und Ölpreis dürfte dadurch künftig zusätzlich erschwert werden.