Als im Oktober 1843 die Gesamtstrecke der “Rheinische Eisenbahn” eröffnete, feierte vor allem ein Konsortium aus verschiedenen Bankhäusern das Ereignis. Verständlich, denn die Banken hatten ungefähr zehn Millionen Taler in das neue Verkehrsmittel investiert. Sie waren nicht Kreditgeber, sondern Eigenkapitalgeber mit vollem Risiko. Die hinter den Banken stehenden zumeist adeligen Familien und die übrigen Aktionäre der Banken trugen somit maßgeblich zur Finanzierung eines komplett neuen Wirtschaftszweiges bei.
Ähnliche Entwicklungen und ähnliches Investitionsverhalten sind aus der Schifffahrt, dem Handel und dem Versicherungswesen bekannt. Banken, früher mehrheitlich noch in Familienhand, traten als Risiko- und Eigenkapitalgeber auf.
Auch aus den Achtziger und Neunziger Jahren ist die Rolle der großen Banken und Versicherungen als Aktionäre der „Deutschland AG“ noch gut in Erinnerung. Auch wenn dieses Engagement nicht mehr vorrangig mit Finanzierung innovativer Wirtschaftszweige und Technologien zu tun hatte, sondern auf die Beteiligungen an etablierten Industrieunternehmen wie Linde oder Daimler fokussiert war, so waren dies doch Eigenkapitalanlagen und somit auch volle Beteiligungen am wirtschaftlichen Risiko.
Verknappung des Risikokapitals
Um die Jahrtausendwende bauten deutsche Finanzinstitute ihre verschachtelten Beteiligungen aus eigenem Antrieb nach und nach ab. Die Zeichen standen auf Sicherheit, Diversifikation und eine Entlastung der Bilanzen zur Vergrößerung des Kreditportfolios. Durch den Rückzug der, oft dominanten, Aktionäre aus dem Finanzwesen wurde als Nebeneffekt auch die Umstrukturierung und Modernisierung der deutschen Wirtschaft ermöglicht. Banken begleiteten diese Transaktionen oft mit Finanzierungen, waren aber nicht mehr mit Eigenmitteln beteiligt.
Die beiden Finanzkrisen 2001 und 2008 zeigten einerseits, dass die vorgenannten Bemühungen um Absicherung und Diversifikation nicht ausreichend waren. Sie setzten in ihrer Folge aber auch zukünftigen Eigenkapitalbeteiligungen seitens Banken und Versicherungen engere Grenzen als zuvor. Zwar waren Eigenkapitalbeteiligungen an Industrieunternehmen oder an Startups damals nicht für die Schwierigkeiten deutscher Banken verantwortlich, sondern vielmehr komplexe, schwer einzuschätzende und zu bewertende Finanzprodukte wie etwa Asset Backed Securities (ABS). Dennoch trugen die den Krisen folgenden Regulierungsbemühungen zu einer Verknappung des von Banken zur Verfügung gestellten Risikokapitals bei.
Deutsche Banken im Strudel der Finanzkrise
Die Landesbank hatte sich im Zuge der US-Hypothekenkrise verspekuliert und musste mit Notkrediten von zehn Milliarden Euro gestützt werden. Die EU-Kommission verordnete eine radikale Schrumpfkur mit Halbierung der Bilanzsumme. Für das vergangene Jahr konnte die BayernLB wieder einen Nettogewinn von 545 Millionen Euro vermelden – zehn Prozent mehr als im Vorjahr.
Die zweitgrößte deutsche Privatbank geriet nach der riskanten Übernahme der Dresdner Bank mitten in der Finanzkrise in Turbulenzen. Der Staat sprang ein. Die direkten Staatshilfen haben die Frankfurter vor einigen Jahren zurückgezahlt. Der Bund ist mit rund 15 Prozent aber weiterhin größter Einzelaktionär der Commerzbank.
Der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate war im Jahr 2008 fast kollabiert und musste mit staatlichen Milliardenhilfen aufgefangen werden, um den Finanzplatz Deutschland nicht zu gefährden. Ein Jahr später wurde die Bank notverstaatlicht. Die Altlasten wurden 2010 in eine Abwicklungsanstalt ausgelagert, die weiter im Staatsbesitz ist. Die profitable Kernbank Deutsche Pfandbriefbank kam 2015 an die Börse, doch blieb der Bund Großaktionär.
Die Landesbank geriet 2008 in den Strudel der Finanzkrise und musste von den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gerettet werden. Im Gegenzug für die Genehmigung milliardenschwerer Ländergarantien setzte die EU-Kommission den Verkauf des Instituts bis 2018 durch.
Die IKB Deutsche Industriebank war eines der ersten Opfer der Krise. Sie verspekulierte sich mit US-Hypotheken und wurde 2007 von der staatlichen Förderbank KfW, dem Bund und anderen Banken mit Milliarden gerettet. 2008 übernahm der US-Finanzinvestor Lone Star die Mehrheit an der IKB.
Die Eigner – das Land Baden-Württemberg, die Sparkassen im Südwesten und die Stadt Stuttgart – stützten das Institut 2009 mit einer milliardenschweren Kapitalspritze und Bürgschaften. Als Auflage für die Hilfen verordnete die EU der Bank eine Schrumpfkur und einen strengen Sparkurs. Inzwischen ist das Institut wieder auf Kurs.
Das Institut stand im Sommer 2007 wegen fragwürdiger Kreditgeschäfte in Milliardenhöhe am Rand des Abgrunds. Die Bank wurde an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) notverkauft.
Die einst größte deutsche Landesbank ist mittlerweile Geschichte. Das Institut war durch Fehlspekulationen tief in die roten Zahlen gerutscht und musste von ihren Eigentümern – dem Land NRW und den Sparkassen – mit Milliarden gestützt werden. Im Gegenzug verlangten die EU-Wettbewerbshüter eine Zerschlagung. Mitte 2012 wurde der Düsseldorfer Konzern aufgespalten. Das Sparkassengeschäft übernahm die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).
Denn Banken können eigene Verluste natürlich nicht durch die Einlagen ihrer Kunden abdecken, sondern müssen ihr eigenes Kapital verwenden. Eigenkapitalbeteiligungen sind unbesichert und müssen daher komplett aus den Eigenmitteln der Bank finanziert werden. Wie bei anderen Unternehmen auch, frisst sich jeder Nettoverlust dabei in die Eigenkapitaldecke. Bei Finanzinstituten kommen nun noch regulatorische Eigenkapitalanforderungen hinzu. Die Regelungen sind kompliziert und es gibt durchaus Erleichterungen, die wiederum dem Mittelstand zugutekommen, aber im Grunde gilt: je höher die Sicherheiten und je besser das Rating des Kreditkunden, desto weniger Eigenkapital muss hinterlegt werden.
Startup-Finanzierung: Für Banken kaum möglich
Auch Kredite an junge Unternehmen sind durch die regulatorischen Auflagen limitiert. Meist haben Startups kein Rating und auch kaum Sicherheiten vorzuweisen. Die Eigenkapitalhinterlegung eines Kredits wird somit ähnlich wie die eines direkten Investments bewertet, d.h. mit nahezu 100 Prozent. Diese Schwierigkeiten sind für Banken kaum zu überwinden. Sie müssen die Finanzierung riskanter neuer Entwicklungen aus zwei Gründen begrenzen: Erstens weil sie selbst noch damit befasst sind, die Lasten aus den Krisen zu verarbeiten und zweitens, weil sie nicht genug Eigenkapital einwerben können, um das damit verbundene Risiko zu finanzieren.
Im Ergebnis kommt direktes Risikokapital immer seltener von Banken. Junge Unternehmen finanzieren sich stattdessen vorwiegend über alternative Quellen wie etwa Beteiligungs- oder Venture Capital Fonds. Diese werben Geld ein und investieren dies über eine bestimmte Zeit als Eigenkapital in ausgesuchte Unternehmen. Der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften gibt die 2016 investierte Summe mit 5,6 Milliarden Euro an. Seit 2010 fließen so jedes Jahr zwischen vier und acht Milliarden Euro an verschiedene Unternehmen. Hinzu kommt die Option, Finanzierung von Privatanlegern und Investoren via Crowdfunding einzuwerben. Das Prinzip steht zwar sinnbildlich für den Spirit des Web 2.0 und erhielt entsprechend viel mediale Aufmerksamkeit, volkswirtschaftlich hat es allerdings in Deutschland mit einem Volumen von etwa 64 Millionen Euro im Jahr 2016 bisher noch keine signifikante Größe erreicht.
Volkswirtschaftlich wichtig
Auch wenn Finanzinstitute also als Kreditgeber in den Hintergrund getreten sind, steht dennoch Wachstumsfinanzierung zur Verfügung. Allerdings stehen den jährlich circa sechs Milliarden Euro Kreditflow der Venture Capital-Fonds rund 3.000 Milliarden Euro an ausstehenden Privat- und Unternehmenskrediten der in Deutschland aktiven Banken gegenüber. 2016 sind laut Bundesbank 79 Milliarden Euro an neuen Bankenkrediten hinzugekommen.
Der Vergleich macht deutlich, wie wichtig es wäre, dass Banken sich wieder stärker an der Finanzierung wachsender und neuer Wirtschaftszweige beteiligen, anstatt mehrheitlich auf die Sicherheiten von Hypotheken und kleinteiligen Konsumentenkrediten zu setzen. Allein der politische Wunsch, selbst wenn er auf höchster politischer Ebene wie der EU-Kommission vorgetragen wird, vermag an der oben geschilderten regulatorischen Ausgangslage nichts zu ändern.
Zur Kolumne
Jahrhundertelang haben sich Finanzgeschäfte kaum verändert. Heute scheinen fast täglich neue Innovationen und Trends die Märkte umzuwälzen. Experten der CFA Society Germany geben hier alle zwei Wochen Einblick in den Wandel der Finanzwelt.
Will man Verluste zur Stabilisierung des Bankensystems systematisch klein halten, dann wird Risikofinanzierung schwierig. Doch selbst wenn Banken nur rund zehn Prozent des jährlichen Kreditflows in dieselbe Richtung investierten wie Beteiligungsfonds, wäre das bereits eine Verdoppelung des aktuellen Investitionsaufkommens. Um dies zu erreichen, sollte bei der zukünftigen Gestaltung des Regulierungsrahmens über eine begrenzte Erleichterung der Eigenkapitalanforderungen für bestimmte Risikofinanzierungen und Beteiligungen nachgedacht werden. Auch die Anleger, könnten unter Wahrung von Transparenz und Risikoeinschätzung an solchen Finanzierungen beteiligt werden. Ob sich durch eine begrenzte Risikofinanzierung von Startups und aufstrebenden Unternehmen durch Banken das Risiko einer Bankenkrise erhöhen wird, ist schwer vorherzusagen, aber jedenfalls nicht erwiesen. Gefahr droht eher aus denkbaren Lawineneffekten, ausgelöst durch zu große Gewichtung einzelner Branchen und Staaten in der Kreditvergabe. Denn dort liegen aufgrund vorhandener Ratings und Sicherheiten die Schwerpunkte in der Kreditvergabe der Banken.
Und noch ein Gedanke ist wichtig. Finanzinstitute sind in unserem Geldsystem die einzigen, die durch ihre Kreditvergabe „neues Geld” schaffen also die Geldmenge vergrößern. Kommen neue Buchkredite hinzu, dann steigen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Nachfrage nach neuen Gütern und Dienstleistungen. Venture Capital Fonds können nur bereits gespartes Vermögen einsetzen, nicht aber neues Geld schaffen. Unter diesen Bedingungen ist der Einsatz von Banken zur Wachstumsfinanzierung volkswirtschaftlich deutlich expansiver. Diesen Nachteil können Nichtbanken, und dazu gehören sowohl der Staat als auch Fonds, nur dadurch wettmachen, dass sie sich wiederum selbst bei den Banken refinanzieren. Sofern das geschieht, wären die Banken dann doch wieder mit im Boot, wenn auch unter geänderten Vorzeichen und mit Fremd- statt mit Eigenkapital. Will man jedoch eine signifikante Erhöhung des Finanzierungsvolumens für Risikokaptal erreichen, dann ist eine direkte Beteiligung der Banken der indirekten über Fonds vorzuziehen.