Verkehrte Finanzwelt

Die verwirrende Inflation der Börsenindizes

In den USA gibt es mittlerweile mehr Börsenindizes als einzelne Aktien, auch in Deutschland gibt es tausende Indizes. Abstrakte Namen, neue Funktionen - für Anleger ist es schwer, den Überblick zu wahren.

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Eine Anzeigetafel mit Indizes der Deutschen Börse. Quelle: dpa

In den USA gibt es bereits mehr Indizes als Aktien. Den gut 4.000 an US-Börsen gelisteten Unternehmen stehen laut Bloomberg-Daten mehr als 5.000 verschiedene Indizes gegenüber. In Europa ist dieser Trend ähnlich, und täglich kommen neue Indizes hinzu. Zu den alten Bekannten wie DAX®, ATX, EURO STOXX 50® und Dow Jones Industrial Average haben sich mittlerweile unzählige weitere gesellt. Sie haben oft spannende Namen wie „Low Carbon“, „Smart Alpha“, „Strategic Beta“. Und ihre Zahl nimmt rasant zu. Alleine der Anbieter STOXX Ltd., der Index-Arm der Deutschen Börse, berechnet nach eigenen Angaben täglich tausende von Indizes.

„Mehr Indizes als Wertpapiere?“, wird so mancher Betrachter fragen, „kann das denn überhaupt sein?“. Um das zu beantworten machen wir einen kleinen Ausflug zurück in den Mathematikunterricht unserer Schulzeit. Kombinatorik nennt sich das Feld. Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Sie haben fünf Farben: rot, grün, gelb, blau und orange. Wie viele Kombinationsmöglichkeiten haben Sie, um Bündel aus jeweils drei Farben zu machen? Die Reihenfolge spielt dabei keine Rolle, bloß Wiederholungen dürfen nicht sein. Die mathematische Formel dafür (in Grafik 1 dargestellt) ist auf jedem Schultaschenrechner sowie in Excel als Funktion hinterlegt. Für unser Farben-Beispiel ergibt sie: Sie haben zehn Möglichkeiten. Das ist im Übrigen dieselbe Formel wie sie die Lottogesellschaft benutzt, um Ihnen Ihre Verlustwahrscheinlichkeit vor Augen zu halten.

Mathematische Formel aus der Kombinatorik Quelle: BahlConsult GmbH

Bei Aktien und daraus gebildeten Indizes funktioniert die Sache genauso. Nehmen wir an, an einer bestimmten Börse gibt es zehn gelistete Unternehmen. Wenn wir einen Index schaffen wollen, in dem jeweils fünf Unternehmen zusammengefasst sind, wie viele Möglichkeiten haben wir? Antwort: 252. An den 56 weltweiten Börsen, die Mitglied in der „World Federation of Exchanges“ sind, gab es im Jahr 2016 übrigens 46.170 gelistete Unternehmen (Quelle: WFE Jahresstatistik 2016).

Warum plötzlich diese Index-Schwemme?

Tatsächlich ist es heute sehr einfach, einen Index zu erstellen. Früher war das anders. Lange Zeit waren die Konzeption und die laufende Berechnung und Pflege von Indizes die exklusive Domäne von Börsen, spezialisierten Anbietern wie STOXX, Dow Jones, Reuters oder Bloomberg, sowie einiger großer Investmentbanken. Denn früher mussten viele Daten mühsam und händisch zusammengetragen und die Indexdaten mit einem nicht unwesentlichen, manuellen Aufwand verarbeitet und berechnet werden. Die Berechnung erfolgte dabei selten in Echtzeit („real-time“), sondern häufig nur einmal täglich oder gar nur wöchentlich oder monatlich zu einem bestimmten Stichtag. Inzwischen hat die Revolution der Technologie auch in die Indexwelt Einzug gehalten. Mit den heutigen Rechenleistungen ist es möglich, voll automatisiert tausende von Indizes in Echtzeit mühelos zu berechnen.

Martina-Bahl Quelle: BahlConsult GmbH

Zudem hat sich die Funktion von Indizes gewandelt. Früher diente ein Index als Vergleichswert. Er hatte dabei einzig die Aufgabe, die Wertentwicklung des Gesamtmarktes abzubilden. Mit dieser Vergleichszahl, der sogenannten „Benchmark“, musste sich jeder Fondsmanager messen.

Seither hat sich viel verändert. In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren wurden mit Zertifikaten und ETFs (Exchange Traded Funds) Produkte entwickelt, die ein passives Investment in einen Index möglich machen. Die heute weit verbreitete Meinung, dass kein Fondsmanager auf Dauer „den Markt“ schlagen kann, hat passiven Indexinvestments zusätzlich Auftrieb verliehen.

Der Trend zum maßgeschneiderten Index

Früher hatten Anleger lediglich die Wahl zwischen Indizes verschiedener Börsen. Der größte Unterschied lag zum einen in der Wahl zwischen Preisindex und Performanceindex, zum anderen in deren Gewichtung.

Inzwischen schießen Indizes auf Aktien und Anlagestrategien wie Pilze aus dem Boden. Sie werden nach Anlagestrategien, wie etwa der Streuung nach Wachstums- und Wertunternehmen, Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen oder nach geografischen Aspekten eingeteilt oder bilden Spezialthemen, wie Wasser, Forstwirtschaft oder seit Neuestem auch die Robotik ab.

Immer häufiger sind neue Indizes speziell auf Kundenbedürfnisse hin maßgeschneidert oder nehmen gänzlich neue Assetklassen in den Fokus: Anleihen, Derivate, Rohstoffe, Alternative Investments. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Fachleute wie Georg Bisztray, ehemaliger Indexmanager an der Wiener Börse AG, als auch bei Dow Jones Indexes und STOXX Ltd., und heute Spezialist in der hybriden, teilautomatisierten Vermögensverwaltung, sehen zudem eine zunehmende Annäherung von Indizes an Hedgefondsstrategien und ihre Bedeutung im Risikomanagement. Die neuen Index-Kreationen spielen eine wichtige Rolle für verbriefte Produkte.

Sie können beispielsweise Derivate- und Hedgefonds Strategien nachbilden, die als Index-Zertifikat an Anleger verkauft werden, oder als Währungsabsicherung dienen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Die Namen der Indizes machen das deutlich. Sie haben unter anderem Zusätze wie „Optimized“, „Leveraged Short“, „Risk Control“, „Strong Balance Sheet“, „Multi-Asset“ aber auch „Europe Football“ oder „Global Grand Prix“.

Der Anleger hat die Qual der Wahl

Für Anleger bietet die neue, bunte Indexwelt sicherlich Vorteile und eröffnet vielen Privatkunden die Möglichkeit, an Assetklassen und Strategien teilzuhaben, die für sie in der Vergangenheit nicht zugänglich waren. Allerdings ist die Sache damit auch wieder ein gutes Stück komplexer und auch intransparenter geworden. Anleger stehen nun häufig vor der Herausforderung, nicht nur das Zertifikat oder den ETF verstehen zu müssen, sondern auch noch den dahinter stehenden Index zu analysieren. Das dürfte nicht jedem gelingen.

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