Versicherungskonzern Finanzkrisen-Auslöser AIG mit neuem Lebensgeist

Der US-Versicherer AIG gilt als einer der Hauptauslöser für weltweite Finanzkrise und musste von der US-Regierung mit 182 Milliarden Dollar gerettet werden. Jetzt verdient die einstige Nummer eins der Versicherungsbranche wieder Milliarden und will Staatsschulden zurückzahlen.

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AIG-Bürogebäude in New York Quelle: dapd

Als die Immobilien- und Finanzkrise in den USA um sich griff, schockierte nicht nur die Pleite von Lehman Brothers die Kapitalmärkte weltweit. Es war auch der Kollaps eines Versicherungsriesen in bislang ungekannten Ausmaß: Die American International Group, kurz AIG genannt – ein Versicherungskonzern mit Prämieneinnahmen von 80 Milliarden Dollar jährlich – meldete für das Jahr 2008 einen Verlust von 100 Milliarden Dollar.

AIG hatte sich am Markt für Immobiliendarlehen und mit Kreditausfallderivaten (Credit Default Swaps, CDS) sowie gebündelten Krediten fragwürdiger Qualität, so genannten Collateralized Debt Obligations (CDOs) verspekuliert und musste erstmals im September 2008 von der Regierung vor der Pleite bewahrt werden. In drei großen Rettungsrunden pumpte die US-Regierung insgesamt 182 Milliarden Dollar in das Unternehmen, um einen Flächenbrand zu verhindern. Der Staat wurde zum Haupteigentümer von AIG, das Unternehmen galt als einer der Hauptauslöser der weltweiten Finanzkrise.

Einst war AIG der größte und mächtigste Versicherer der Welt. Doch kaum ein Absturz in Amerikas Wirtschaftsgeschichte ging schneller und dramatischer vonstatten. Binnen eines Jahres sank der Börsenwert von AIG von 190 Milliarden auf weniger als eine Milliarde Dollar. Im Februar 2009 kostete eine Aktie nur noch 0,37 Dollar.

Eine kleine interne Abteilung mit rund 400 Mitarbeitern hatte den Konzern mit weltweit 116.000 Mitarbeitern fast im Alleingang zu Fall gebracht. Eine AIG-Truppe in London hatte Milliarden schwere Wetten darauf abgeschlossen, dass Kredite nicht ausfallen. Es hatten sich riesige Berge von Risiken mit Derivaten aufgehäuft, hauptsächlich mit CDS-Papieren.

Bei diesen Absicherungen zahlten AIG- Kunden – allen voran Banken – Versicherungsprämien dafür, dass die Versicherung bei Kreditausfällen den Schaden begleicht. AIG versicherte seinerzeit enorme undurchsichtige Kreditbündel – die kaum oder nur schwach mit Sicherheiten unterlegt waren.

Zocken mit 500 Milliarden Dollar

Im Herbst 2008 hatte die Finanztochter von AIG fast 500 Milliarden Dollar in Kreditderivaten stecken. Dann platzte die Blase, Lehman ging pleite. Bis zum Jahresende musste AIG mehr als 100 Milliarden Dollar auf seine Kreditderivate abschreiben. Auch andere Sparten von AIG wie Lebensversicherung, Sachversicherung und Vermögensverwaltung hatten Milliarden auf die Kreditwetten gesetzt – und sich damit gründlich verzockt. AIG hat dabei offenbar nicht nur Kreditbündel abgesichert, sondern selbst mit diesen Ramschhypothekenpapieren gehandelt.

Nach und nach kamen damals immer mehr Details der AIG-Geschäftspraktiken ans Tageslicht, ein Skandal folgte auf den anderen. Für große Wut sorgten seinerzeit auch üppige Bonuszahlungen an AIG-Mitarbeiter, nachdem der Konzern schon den Großteil der staatlichen Rettungsmilliarden erhalten hatte. Lange schwebte das Damoklesschwert einer Pleite über dem Unternehmen.

Jahrelang sah es nach immer neuen Milliardenverlusten so aus, als würde der Versicherungsriese nie wieder richtig auf die Beine kommen. Allein im dritten Quartal 2011 machte AIG mehr als vier Milliarden Verlust, und noch immer kontrolliert das US-Finanzministerium 77 Prozent der AIG-Anteile.

Tafelsilber für Milliarden verkauft

AIA-Gebäude in Hong Kong Quelle: REUTERS

AIG musste folglich zu Geld machen, was entbehrlich war. Auch die Asien-Tochter AIA stand schon 2009 zum Verkauf. Doch die Übernahme durch einen Wettbewerber – insbesondere Prudential war mehrfach im Gespräch – scheiterte. AIA galt von Anfang an als der lukrativste Teil und wurde daher letztlich an die Börse gebracht.

Der Börsengang in Hongkong hatte ein Volumen von mehr als 20 Milliarden Dollar. AIG behielt allerdings ein Drittel der Aktien an AIA. Dieses Paket ist heute rund 15 Milliarden Dollar wert. Nun will AIG davon Aktien im Wert von sechs Milliarden Dollar verkaufen, um damit Staatsschulden abzutragen. Analysten sprechen von einem günstigen Zeitpunkt für den Deal.

„Wenn man sich das AIA-Wachstum im Neugeschäft im vergangenen Jahr anschaut, ist es 40 Prozent nach oben gegangen“, sagt Analyst Kenneth Yue von CCB International Securities. AIA-Aktien sind seit Anfang Oktober um 47 Prozent gestiegen. 

Neue Lebensgeister

Allmählich geht es dem Versicherungskonzern wieder etwas besser. Zuletzt verdiente AIG wieder Geld. So meldete das Unternehmen erst Ende Februar knapp 20 Milliarden Dollar Gewinn im vorangegangenen Quartal. Allerdings verdankt AIG seine Gewinne zum großen Teil einem Sondereffekt: Milliardenschwere Steuervergünstigungen retten die Bilanz.

Wegen der gigantischen Verluste, die der Allianz -Rivale in der Finanzkrise an den Rand des Ruins brachten, profitiert AIG nun von einem erheblichen Steuervorteil. Der Löwenanteil des AIG-Gewinns ging also nicht auf operative Stärke zurück, sondern auf den steuerlichen Sondereffekt, der im Schlussquartal 2011 mit 17,7 Milliarden Dollar zu Buche schlug.

Ein Teil der Steuergutschrift - er steht im Zusammenhang mit dem Lebensversicherungsgeschäft - wurde noch nicht genutzt. Auch im Vorjahresquartal hatte es große Sondereffekte gegeben: Beteiligungsverkäufe hatten zu einem Überschuss von gut elf Milliarden Dollar beigetragen. Dieses Mal sorgte außerdem der steigende Aktienkurs von AIA für einen Gewinn von einer Milliarde Dollar.

Von einem Comeback des einst größten Versicherers der Welt an die Spitze des Marktes ist AIG noch Lichtjahre entfernt. Aber es geht aufwärts. Heute notiert die AIG-Aktie in New York wieder nahe der 30-Dollar-Marke. Aber noch ist unklar, wann und in welchem Umfang AIG die Fesseln des Staates abstreifen kann und wieder fest in Händen privater Investoren sein wird. Aber die Fortschritte stimmen positiv.

Die Investoren an der Wall Street sind jedenfalls erst einmal zufrieden: Der Kurs der AIG-Aktien stieg deutlich. Denn angesichts von Naturkatastrophen wie den Überschwemmungen in Thailand , der anhaltenden Schuldenkrise und des dementsprechend schlechten Umfelds an den Kapitalmärkten geht es AIG schon deutlich besser.

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