Vom Drogenloch zur Boomstadt Wie die EZB die Stadt Frankfurt aufpoliert

Seite 3/5

Der Platz wird knapp

Irene Rebollo etwa kennt weder Ebbelwoi-Showmaster Heinz Schenk („Es ist alles nur geliehen“) noch „Fall-für-Zwei“-Detektiv Josef Matula, sie denkt bei Frankfurt nicht an Dreck und Drogen und auch nicht an arrogante Bankbosse, die von ganz weit oben in ihren Türmen der „Peanuts“-Welt da unten „Victory“-Zeichen zeigen. Die zierliche Spanierin verbindet mit der Stadt vor allem die blaue Skulptur vor dem alten EZB-Gebäude in der Innenstadt. Allabendlich bebilderte die zu Hause in Madrid die Nachrichten, als Symbol des Euro und seiner Krise.

Alles auf Anfang

Seit März ist Rebollo selbst ganz nah dran. „Ich wollte etwas Neues“, sagt sie. „In Frankfurt habe ich die Chance.“ Rebollo führt bei der neuen Aufsicht zehn Mitarbeiter aus vier Nationen, darunter nicht ein Deutscher. Ihr Team legt fest, welche Informationen Banken melden müssen, sie fängt bei null an, mehr Neues geht kaum.

In welchen Bereichen Frankfurt boomt Quelle: Stadt Frankfurt, Joes Lang Lasalle, Bundesagentur für Arbeit, Center for Financial Studies

Für Frankfurt hat Rebollo ihre Stelle bei der spanischen Zentralbank aufgegeben, Mann und Sohn sind erst mal in Madrid geblieben. Die Aufseherin lebt wie eine Austauschstudentin, teilt sich die Wohnung mit einer spanischen Kollegin. Vorerst, denn ihr Aufenthalt soll kein Provisorium bleiben. „Ich bin glücklich hier, es lässt sich gut leben, es gibt viel Grün und kurze Wege“, sagt Rebollo. Bald zieht sie in eine Wohnung im Westend, im Herbst soll ihr Sohn hier in den Kindergarten.

Das Westend ist immer noch die von Bankern bevorzugte und deshalb teuerste Wohnlage. Hier und in den anderen gefragten Vierteln rund um die Innenstadt marschieren die Immobilienpreise schon länger Richtung München. Im ersten Quartal waren Wohnungen mehr als zehn Prozent teurer als im Vorjahr, der Quadratmeter kostet 6000 Euro und mehr. Kaltmieten liegen zwischen 12 und 14 Euro, in Spitzenlagen können es auch 16 pro Quadratmeter sein. Der Boom hat nicht nur das Westend und das benachbarte Holzhausenviertel, sondern auch das einst alternativ angehauchte Nordend, das frühere Arbeiterviertel Bornheim oder Sachsenhausen auf der anderen Mainseite erfasst.

Wohnen ist teuer, denn der Platz wird knapp. Um 15.000 Einwohner wächst Frankfurt jährlich, in diesem Jahr überschreitet die Stadt die Schwelle von 700.000. Um alle unterzubringen, müssten pro Woche 100 Wohnungen hinzukommen. Das ist nicht zu schaffen, aber die Stadt will es wenigstens versuchen. Neubauten sollen möglichst alle Lücken auf den 250 Quadratkilometer Stadtfläche schließen. Mit dem Riedberg im Nordwesten und dem Europaviertel auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs entstehen zwei komplette Stadtteile vom Reißbrett. Und in Sachsenhausen baut eine Gesellschaft von SAP-Gründer Dietmar Hopp gerade für 300 Millionen Euro 140 Meter in die Höhe. In Wohntürmen können sich Banker dann auch privat ganz oben angekommen fühlen. Und: Sie sparen Platz.

Die besten Städte Deutschlands
Platz 10: MainzDie Universitätsstadt und Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz punktet mit einem lebendigen Immobilienmarkt. Die Wohnungsmiete bei Bestands-Immobilien beträgt 8,71 Euro pro Quadratmeter (Rang 9). Schlecht für die Mieter, gut für Vermieter und die Stadt – spiegelt eine hohe Miete doch auch eine hohe Nachfrage und das Vorhandensein des nötigen Kleingelds der Bürger wider. Wer eine Wohnung sucht, muss schnell sein. Nach neun Tagen verschwinden Anzeigen in der Regel wieder von den Portalen, da die Anzeige hinfällig ist (Rang 13). Und dass, obwohl die Stadt nicht gerade reich an Grünflächen ist. Nur 13,2 Prozent der Stadtfläche taugen als Erholungsgebiete (Rang 70 von 71). Negativ ins Gewicht fällt auch die geringe Anzahl an Kindern, die die Mainzerinnen bekommen. Auf eine Frau kommen durchschnittlich nur 1,2 Kinder (Platz 66). Aber – Stichwort Studentenstadt – ein Großteil der Frauen ist ja noch jung. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen der Stadt Mainz finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 9: HeidelbergWer in Heidelberg krank wird, der muss sich um mangelnde ärztliche Versorgung keine Sorgen machen. Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner (202, Rang 1), in keiner anderen Stadt gibt es mehr Ärzte pro 100.000 Einwohner (393, Rang 1). Wer Erholung sucht, findet im Stadtgebiet ausreichend Gelegenheit: 45,2 Prozent der Fläche gelten als Erholungsgebiet (Platz 7). Vor allem Hochqualifizierte zieht es nach Heidelberg. 22,9 Prozent aller Beschäftigten haben einen Hochschulabschluss (Rang 7). Negativ fällt auf: Die Beschäftigungsquote der Frauen ist im Deutschlandvergleich dramatisch niedrig. Nur 38 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter hatten 2012 einen sozialversicherungspflichten Job (Platz 70). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Heidelbergs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: AP
Platz 8: DarmstadtIn kaum einer anderen Stadt gibt es so viele Wald- und Erholungsflächen wie in Darmstadt. 45 Prozent des Stadtgebiets sind grün (Rang 3). Dennoch scheinen die Schüler nicht übermäßig den Unterricht zu schwänzen. Sehr viele Jugendliche kommen sehr erfolgreich durchs Schulleben. 54,9 Prozent aller Schulabgänger erreichen das Abitur oder die Fachholschulreife (Rang 5). Nur 3,5 Prozent aller Schüler erreichen keinen Abschluss (Rang 7). Bei den Straftaten (8358 je 1000.Einwohner) liegt Darmstadt gut im Rennen (Rang 17), mit einer Aufklärungsquote von 61,8 Prozent  liegt die örtliche Polizei auf einem noch besseren elften Rang. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Darmstadt finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 7: RegensburgProduktive Bayern: Die Regensburger erwirtschaften im Jahresdurchschnitt ein BIP von 75.434 Euro, das ergibt Platz 5 im Ranking. Hohe Produktivität und ein relatives hohes Einkommen sind auch nötig, sind doch die Immobilienpreise in Regensburg sehr hoch. Für eine Eigentumswohnung werden 2766 Euro pro Quadratmeter aufgerufen (Platz 3). Wer sich eine Wohnung in der Umgebung sucht, kommt dennoch schnell in die Stadt bzw. aus Regensburg wieder heraus. Die durchschnittliche Fahrzeit zur nächsten Autobahn-Anschlussstelle beträgt nur drei Minuten (Rang 6). Auch Auszubildende finden gute Bedingungen vor: Je 100 Nachfragen werden 105,1 betriebliche Ausbildungsplätze angeboten (Rang 4). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Regensburgs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 6: Frankfurt am MainBankenmetropole, Immobilienmekka – und die Stadt mit den meisten Straftaten je 100.000 Einwohner. 16.310 Straftaten (je 100.000 Einwohner) wurden 2012 laut dem Bundeskriminalamt verübt. Das ist – vor Düsseldorf und Köln – einsame Spitze. 59,9 Prozent aller Straftaten werden aufgeklärt (Rang 18). Positiv: Junge Leute haben eine gute Perspektive. Auf 100 Nachfrager kommen 105,6 Ausbildungsplätze (Platz 2). Die Erwerbstätigen sind sehr produktiv und erwirtschaften ein BIP von 80.223 Euro pro Einwohner (Platz 3). Eigentum ist trotzdem nicht einfach zu erwerben, sind doch die Preise recht hoch. In unserem Ranking spricht das für die Attraktivität der Stadt. Mit einem Preis von 2620 Euro pro Quadratmeter für eine Eigentumswohnung (Bestandsimmobilie) kommt Frankfurt auf Rang 6. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Frankfurts finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 5: StuttgartKreative Schwaben: Stuttgart meldet mit weitem Abstand die meisten Patente an. 1376 Patentanmeldungen je 100.000 Erwerbstätige wurden zuletzt im Jahr eingereicht (Rang 1). Zum Vergleich: Ingolstadt folgt mit einem Wert von 679 auf Rang 2. Das schlägt sich auch in der Produktivität wider. Die Stuttgarter erwirtschaften im Schnitt ein BIP von rund 62.000 Euro im Jahr – Rang 8. Außerdem positiv: Wer in Stuttgart geboren wird, kann auf ein langes Leben hoffen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 82,3 Jahren (Rang 2). Ärzte hingegen sind nicht gerade stark in Stuttgart vertreten. Auf 100.000 Einwohner kommen nur 212 Mediziner (Rang 50). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Stuttgarts finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 4: WolfsburgWenig überraschend leben in der VW-Stadt überdurchschnittlich viele Ingenieure. Zehn Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben ein Ingenieursstudium in der Tasche, mit weitem Abstand Rang 1. Auch beim Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an den Erwerbsfähigen liegt Wolfsburg ganz vorne (68,4 Prozent). Die Wolfsburger erwirtschaften ein BIP von 108.165 Euro im Jahresdurchschnitt (Rang 1). Verletzen sollten sich die VW-Angestellten besser nicht: Bei der Ärztedichte hat die Stadt Nachholbedarf. Auf 100.000 Einwohner kommen nur 196 Mediziner (Rang 58). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Wolfsburg finden Sie in unserer Infografik. Quelle: obs

Der Wohnungsboom macht die Stadt nicht überall schöner. Allerorten schießen gesichts- und geschichtslose Wohnblocks in die Höhe. Zum Ausgleich, wie um sich eines Stücks eigener Tradition zu versichern, baut die Stadt fast 70 Jahre nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg jetzt einen Teil der historischen Altstadt wieder auf. Kritiker verspotten die Rekonstruktionen als „Zuckerbäckerhäuschen“. Doch die Nachfrage nach den bis zu 7.250 Euro pro Quadratmeter teuren Wohnungen ist enorm, im November werden sie verlost.

Verteilungskampf im Bauland

Auf der Suche nach neuen Flächen dachten die Stadtplaner sogar mal daran, die Gewächshäuser entlang des Main abzureißen, in denen seit Goethes Zeiten die sieben Kräuter für die Frankfurter Grüne Soße angebaut werden. Nach lokalen Proteststürmen sah die Stadt davon ab. Vorerst. Jetzt sollen vermehrt Bürobauten zu Wohnungen werden. Die Bürostadt Niederrad etwa, ein 150 Hektar großes Areal auf dem Weg zum Flughafen, zum Lyoner Viertel wandeln. Wo heute am Abend gespenstische Ruhe herrscht, Fluglärm einmal ausgenommen, sollen künftig 6.000 Menschen wohnen.

Büroflächen in B-Lagen sind schwer zu vermieten – Banken und Berater drängen ins Zentrum. Aktuell stehen zehn Prozent der Büroflächen im Stadtgebiet leer, rund 1,3 Millionen Quadratmeter. Trotzdem ziehen Investoren immer neue Projekte in die Höhe. So baut der Immobilienentwickler DIC Asset für 750 Millionen Euro das Maintor-Quartier direkt am Flussufer. Von 74.000 Quadratmetern sind 90 Prozent schon vor Abschluss des Baus vermietet.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%