Krachend kraxelt der Baustellenaufzug am Gerippe des ehemaligen Bürogebäudes in die Höhe. Im zwölften Stock hält er an, zwischen den nackten Wänden weitet sich der Blick über die Türme des Bankenviertels auf die sanften Hügel des Taunus. „Wer hier wohnt, ist oben angekommen“, verkündet Daniel Korn stolz. Der Mann im dezent blauen Anzug ist Immobilienentwickler und will die kleine Schar gepflegter Damen und Herren bei Häppchen und Hochglanzbroschüren überzeugen, ihr Geld in Frankfurts ambitioniertestes Wohnprojekt zu stecken. Die Vorzüge des fertigen „Onyx“ flimmern neben Korn über einen Fernseher, den der Veranstalter ganz unbescheiden den größten der Welt nennt.
Hundewaschplatz inklusive
Bescheidenheit wäre fehl am Platz. Hier herrscht Luxus am Rand der Realsatire. Die Einfahrt zur Tiefgarage ist beheizt und garantiert breit genug für ausladende Limousinen, Videoüberwachung und Alarmmelder entsprechen den Standards des Bundeskriminalamts und dank Hundewaschplatz hinterlässt Fiffichen keine Schlammspuren auf dem Eichenparkett. Ein Concierge-Service zwischen 6 und 22 Uhr bringt die Wäsche zur Reinigung, besorgt Karten fürs Konzert in der Alten Oper um die Ecke, erfüllt jeden Wunsch. Wohnen heißt hier Leben in der Luxussuite. Onyx aber könnte genau so in jeder anderen Finanzmetropole stehen. Es ist ein global gültiges Wall-Street-Klischee, die Welt drum herum ist zweitrangig, bei Bedarf kann sie komplett draußen bleiben.
Fakten zu Frankfurt
kostet ein Quadratmeter in Spitzenlage.
managen Fonds von Frankfurt aus.
Bankenaufseher stellt die EZB in diesem Jahr ein
Tatsächlich geht es in Frankfurt aufwärts – mehr Gewerbesteuer, mehr Einwohner, mehr Arbeitsplätze, mehr Studenten, mehr Museumsbesucher. Mehr alles. Selbst die „New York Times“ empfahl die Stadt, von der internationale Touristen bisher oft nur den Flughafen kennenlernten, als einen der global angesagten Plätze.
„Die Stadt ist attraktiv und hat sich in den vergangenen 20 Jahren fantastisch entwickelt. Viele bleiben gerne auf Dauer hier, wir wünschen uns, dass es so weitergeht“, sagt Peter Rennpferdt, Vize-Personalchef der Europäischen Zentralbank.
1.000 Experten aus ganz Europa sollen bei der EZB innerhalb eines knappen Jahres aus dem Nichts die Aufsicht über die wichtigsten europäischen Banken aufbauen. Rennpferdts Publikum klatscht artig. Es sind Männer im Anzug, Frauen im Kostüm, die Diskussionsrunde hat die Räume der Anwaltskanzlei in einem Hochhaus mit Blick auf den Main gut gefüllt, viele müssen stehen. Das Motto lautet „Boom bis zum Ruin?“ und trifft das Unbehagen, das viele Frankfurter drückt. Sie fragen, ob es gesund oder schon gestört ist, was mit der Stadt passiert. Die EZB-Leute sind nur ein Teil des Ansturms, der überall nach Platz sucht, in der Schule, auf den Straßen und vor allem auf dem Wohnungsmarkt.
Der Aufbruch verunsichert viele, auch weit jenseits der Aktivisten der Protestbewegung Occupy – und lässt manche zurück. Die Mieten steigen, Edel-Italiener und Tapas-Bars verdrängen die Apfelweinkneipen. Wie keine andere deutsche Stadt prägt eine globale Geldelite Frankfurt, ihre Vertreter sind eigentlich nicht hier, sondern in der Welt zu Hause. Sie bleiben unter sich, in der Frankfurter Innenstadt bilden sie und ihre Dienstleister – Anwälte, Werber, PR-Leute, Wirtschaftsprüfer – eine Blase, eine Parallelwelt, die nach eigenen Regeln funktioniert, wenig vom Außen weiß und wissen will. Das frühere Schmuddelkind Frankfurt ist stolz darauf, dass es sich entwickelt, verdrängt aber die Frage, wo es eigentlich hingehen soll.
„Es ist die spannendste Stadt Deutschlands, strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein, aber es fehlt die verbindende Idee, die Identität. Geld und Internationalität reichen nicht“, sagt Johnny Klinke. Vor gut 50 Jahren ist er hierhergekommen, das graue Strubbelhaar erinnert an die wilde Zeit, in der er mit seinen Kumpels Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit die Revolution vorantreiben wollte. Noch heute bezeichnet er sich als „gelernten Hausbesetzer“, dabei ist er längst ein bekannter Kulturunternehmer, in seinem Varieté „Tigerpalast“ treten seit 25 Jahren Clowns, Zauberer, Artisten aus aller Welt auf, das angeschlossene Restaurant hat zwei Michelin-Sterne.
Frankfurt ist bunt, aber nicht frei von Schatten
Klinke schätzt die Stadt für ihre seit der Nachkriegszeit geübte Toleranz, ihre Freiräume und ihre „Überraschungskultur. Jeder kann machen, was er will, wenn er kreativ und ausdauernd ist“, sagt er. Er sitzt auf einer Bank im Park des Skulpturenmuseums „Liebieghaus“, ein Frankfurter Vorzeigeplatz, die frühere Fabrikantenvilla ist nur wenige Meter vom Main entfernt. Vor 30 Jahren beschlossen die Planer, die damals stinkende Dreckbrühe als natürliche Mitte der Stadt zurückzugewinnen. Das hat geklappt, heute ist der Fluss im Sommer Ausflugsziel für Hunderte Ruderer, Spaziergänger und sogar Schwimmer. „Frankfurt ist nicht mehr kalt und schwarz-weiß, sondern bunt und lebendig“, sagt Klinke.
Aber nicht frei von Schatten. Klinke nervt das Gerede über soziales Auseinanderbrechen, die Netzwerke der Stadt seien stark genug, um das zu verhindern. „Was fehlt, ist eine Debatte, eine Vision, bei der sich alle fragen, wie sie die Zukunft mitten in Europa gestalten wollen“, sagt er. Der Erfolg lulle die Verantwortlichen ein, es fehle der folgenreiche Dialog zwischen Unternehmen und Kultur, Engagement beschränke sich auf das ablassartige Sponsoring einer Ausstellung. „Meine Generation tritt wohlversorgt ab“, sagt Klinke. „Die Jüngeren sind oft sehr schnell erfolgreich geworden, mit ihren internationalen Lebensläufen aber lockerer an die Stadt gebunden. Deshalb spüren sie weniger Verantwortung.“
Notenbank als Katalysator
Der Bauzaun mit bunten Pinocchios und einem Chor düsterer Affen aus der Sprühdose schirmt das Hochhaus weitläufig ab, Hammerschläge hallen herüber, Männer mit Helmen laufen auf und ab. 185 Meter ragt die Glasfassade aus der Brachlandschaft um die ehemalige Großmarkthalle empor, sie wirkt, als wäre sie direkt aus Stanley Kubricks Filmklassiker „2001“ gelandet. Vier Jahre hat der Bau der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank gedauert, 1,2 Milliarden Euro gekostet, selbst eine neue Brücke über den Main hat die Stadt gebaut. 2300 Menschen sollen hier arbeiten, Ende dieses Jahres ziehen die ersten Mitarbeiter ein. Es ist „Viertel vor Entwicklung“, wie das Plakat am Zaun verkündet.
Entwickeln sollen die Neuankömmlinge das Ostend, das bisherige trübe Industriegrau soll weichen. Viel ist davon noch nicht zu sehen. Die Durchfahrtstraßen säumen ein Matratzenlager, Welt der Farben und Eisen Fischer, zwischen den Wohnhäusern flanieren Männer mit offenen Bierflaschen der Lokalmarken Binding und Henninger. Die Lokale heißen Hesse Wirtschaft und Zur Kutscherklause, Mittagsschnitzel gibt es hier für 6,90 Euro. Einsames Zeichen der neuen Zeit ist das Restaurant Oosten, ein großer Glaskasten direkt am Main, vor dem eine Gruppe jüngerer Anzugträger in der Mittagssonne Salat knabbert. Mehr soll folgen: Gerade hat die Stadt große Pläne durchgewinkt für 650 Wohnungen, Büros, bis zu drei Hotels.
Ausreichend ausgestattet, um für Aufschwung zu sorgen, sind die EZB-Leute. Ein Bankenwächter kassiert zwischen 65.000 und 100.000 Euro im Jahr – deutlich mehr, als nationale Behörden zahlen. Richtig attraktiv machen den Job die Vergünstigungen. Es gibt steuerfreie Zulagen, 325 Euro pro Kind, hauseigene Betreuung für kleinere und Plätze in der internationalen Schule für größere Kinder. Ausländer bekommen 16 Prozent Ortszulage, es gibt Hilfe bei der Suche nach einem Job für den Lebenspartner und nach einer Wohnung und auch noch zwei Monatsgehälter extra – für Möbel. Alle zahlen keine deutsche Einkommensteuer, sondern einen deutlich niedrigeren Satz direkt in den EU-Haushalt.
„Wir haben überall in Europa Werbung für Frankfurts Lebensqualität gemacht“, sagt EZB-Personaler Rennpferdt. Tausende Neuankömmlinge machen nun den Realitäts-Check, unbelastet von alten Klischees.
Der Platz wird knapp
Irene Rebollo etwa kennt weder Ebbelwoi-Showmaster Heinz Schenk („Es ist alles nur geliehen“) noch „Fall-für-Zwei“-Detektiv Josef Matula, sie denkt bei Frankfurt nicht an Dreck und Drogen und auch nicht an arrogante Bankbosse, die von ganz weit oben in ihren Türmen der „Peanuts“-Welt da unten „Victory“-Zeichen zeigen. Die zierliche Spanierin verbindet mit der Stadt vor allem die blaue Skulptur vor dem alten EZB-Gebäude in der Innenstadt. Allabendlich bebilderte die zu Hause in Madrid die Nachrichten, als Symbol des Euro und seiner Krise.
Alles auf Anfang
Seit März ist Rebollo selbst ganz nah dran. „Ich wollte etwas Neues“, sagt sie. „In Frankfurt habe ich die Chance.“ Rebollo führt bei der neuen Aufsicht zehn Mitarbeiter aus vier Nationen, darunter nicht ein Deutscher. Ihr Team legt fest, welche Informationen Banken melden müssen, sie fängt bei null an, mehr Neues geht kaum.
Für Frankfurt hat Rebollo ihre Stelle bei der spanischen Zentralbank aufgegeben, Mann und Sohn sind erst mal in Madrid geblieben. Die Aufseherin lebt wie eine Austauschstudentin, teilt sich die Wohnung mit einer spanischen Kollegin. Vorerst, denn ihr Aufenthalt soll kein Provisorium bleiben. „Ich bin glücklich hier, es lässt sich gut leben, es gibt viel Grün und kurze Wege“, sagt Rebollo. Bald zieht sie in eine Wohnung im Westend, im Herbst soll ihr Sohn hier in den Kindergarten.
Das Westend ist immer noch die von Bankern bevorzugte und deshalb teuerste Wohnlage. Hier und in den anderen gefragten Vierteln rund um die Innenstadt marschieren die Immobilienpreise schon länger Richtung München. Im ersten Quartal waren Wohnungen mehr als zehn Prozent teurer als im Vorjahr, der Quadratmeter kostet 6000 Euro und mehr. Kaltmieten liegen zwischen 12 und 14 Euro, in Spitzenlagen können es auch 16 pro Quadratmeter sein. Der Boom hat nicht nur das Westend und das benachbarte Holzhausenviertel, sondern auch das einst alternativ angehauchte Nordend, das frühere Arbeiterviertel Bornheim oder Sachsenhausen auf der anderen Mainseite erfasst.
Wohnen ist teuer, denn der Platz wird knapp. Um 15.000 Einwohner wächst Frankfurt jährlich, in diesem Jahr überschreitet die Stadt die Schwelle von 700.000. Um alle unterzubringen, müssten pro Woche 100 Wohnungen hinzukommen. Das ist nicht zu schaffen, aber die Stadt will es wenigstens versuchen. Neubauten sollen möglichst alle Lücken auf den 250 Quadratkilometer Stadtfläche schließen. Mit dem Riedberg im Nordwesten und dem Europaviertel auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs entstehen zwei komplette Stadtteile vom Reißbrett. Und in Sachsenhausen baut eine Gesellschaft von SAP-Gründer Dietmar Hopp gerade für 300 Millionen Euro 140 Meter in die Höhe. In Wohntürmen können sich Banker dann auch privat ganz oben angekommen fühlen. Und: Sie sparen Platz.
Der Wohnungsboom macht die Stadt nicht überall schöner. Allerorten schießen gesichts- und geschichtslose Wohnblocks in die Höhe. Zum Ausgleich, wie um sich eines Stücks eigener Tradition zu versichern, baut die Stadt fast 70 Jahre nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg jetzt einen Teil der historischen Altstadt wieder auf. Kritiker verspotten die Rekonstruktionen als „Zuckerbäckerhäuschen“. Doch die Nachfrage nach den bis zu 7.250 Euro pro Quadratmeter teuren Wohnungen ist enorm, im November werden sie verlost.
Verteilungskampf im Bauland
Auf der Suche nach neuen Flächen dachten die Stadtplaner sogar mal daran, die Gewächshäuser entlang des Main abzureißen, in denen seit Goethes Zeiten die sieben Kräuter für die Frankfurter Grüne Soße angebaut werden. Nach lokalen Proteststürmen sah die Stadt davon ab. Vorerst. Jetzt sollen vermehrt Bürobauten zu Wohnungen werden. Die Bürostadt Niederrad etwa, ein 150 Hektar großes Areal auf dem Weg zum Flughafen, zum Lyoner Viertel wandeln. Wo heute am Abend gespenstische Ruhe herrscht, Fluglärm einmal ausgenommen, sollen künftig 6.000 Menschen wohnen.
Büroflächen in B-Lagen sind schwer zu vermieten – Banken und Berater drängen ins Zentrum. Aktuell stehen zehn Prozent der Büroflächen im Stadtgebiet leer, rund 1,3 Millionen Quadratmeter. Trotzdem ziehen Investoren immer neue Projekte in die Höhe. So baut der Immobilienentwickler DIC Asset für 750 Millionen Euro das Maintor-Quartier direkt am Flussufer. Von 74.000 Quadratmetern sind 90 Prozent schon vor Abschluss des Baus vermietet.
Die Schattenseite des Booms
„70 Prozent der Neubaufläche sind hier für Büros vorgesehen. Die braucht keiner“, sagt Anette Mönich und schaut empört. „Das ist mal wieder so ein völliger Blödsinn.“ Die Frau mit den langen grauen Haaren und der Lederjacke steht im Innenhof des Universitätsgeländes, die Wände sind vollgesprayt, einzelne Studenten tragen Bücher vorbei, viele sind es nicht mehr. 2017 ist im Stadtteil Bockenheim Schluss, die Hochschule zieht um, und wenn sie weg ist, rollt auf die meisten Gebäude aus den Sechzigerjahren trotz Denkmalschutz der Abrissbagger zu. Wo jetzt noch Fahrräder stehen, wird es nach dem aktuellen Plan eine Straße geben, gesäumt von Neubauten, die Mönich „total leblos, total steril“ findet.
Sie will es anders, lebendig, interessant, will bezahlbare Wohnungen und Kultur für möglichst viele. All das sieht sie bedroht.
Mönich führt einmal quer durch den Stadtteil, in dem sie seit 32 Jahren zu Hause ist, vorbei an Spuren des Wandels, an neuen Eigentumswohnungen, das frühere Verwaltungsgericht nennt sich jetzt Headquarter, aus den Amtsstuben sind kleine Apartments geworden, vermietet vor allem an Studenten und „sehr teuer“, wie Mönich sagt.
Sie beklagt sich nicht aus Passion, ihre Sorgen teilen viele in Bockenheim. Das Viertel war sozial immer munter gemischt, nun droht eine Monokultur der Gutverdiener. Um die zu verhindern, hat die Initiative ein Büro gemietet, an den Wänden hängen Baupläne, Broschüren verkünden „Wir bleiben hier“. Mittwochs trifft sich die Mieterinitiative, es gibt Deutschkurse für Migranten, Beratung, Diskussionen. Als die städtischen Wohnungsgesellschaften die Mieten um 1,30 Euro je Quadratmeter erhöhten, machten die Berater Überstunden. „Das war richtig krass, da kamen Dutzende“, sagt Mönich. „Die Menschen haben Angst, dass sie sich ihr Leben bald nicht mehr leisten können.“ Es sind Menschen wie Veronika Walter (Name von der Redaktion geändert).
An den Rand gedrückt
1975 ist sie in ihre Bockenheimer Altbauwohnung eingezogen, hat dort vier Kinder bekommen und großgezogen, das Wohnen war immer günstig, weil sich der alte Vermieter nur wenig um sein Haus kümmerte. Das änderte sich, als er das Haus 2011 verkaufte. Der neue Eigentümer erhöhte die Miete sofort um 20 Prozent, ein älteres Ehepaar konnte sich das nicht leisten und musste sofort ausziehen. Inzwischen ist von den ursprünglichen Bewohnern nur noch Walter da. Mansarden und Dachboden hat der Investor zu einer Maisonette-Wohnung mit großer Dachterrasse umgebaut. Hier wohnt keine Familie, sondern eine Business-WG – Gutverdiener, die keinen Anhang haben oder am Wochenende nach Hause pendeln. Anfang des Jahres ist Walters Miete noch mal um 20 Prozent gestiegen. Die Rentnerin hat ihr Auto abgeschafft, seit vier Jahren ist sie nicht mehr in den Urlaub gefahren, sie spart, wo sie kann, aber es reicht nicht. Jetzt will sie sich eine neue Bleibe suchen, in eine Wohngemeinschaft mit anderen Älteren ziehen – eine Zwei-Zimmer-Wohnung kann sie sich von ihrer Rente nicht mehr leisten.
Das ist die Schattenseite des Booms. Die sonnige zeigt sich direkt vor der Tür des Bockenheimer Stadtteilbüros. Wo bis vor Kurzem noch Ein-Euro-Resterampen, Internet-Cafés und Spielhallen dominierten, gibt es heute internationale Käsespezialitäten, gehobene Kochausrüstung und Tapas-Bars. In efeuberankten Höfen sitzen Lattemacchiato-Trinker vor Kunstgalerien. Selbst die über Jahre verlassene Kaufhof-Filiale ist wieder vermietet, hier ist gerade eines der ersten Outlet-Stores des InternetHändlers Zalando eingezogen.
Solche Einsprengsel verwandeln Frankfurt selbst da, wo es immer am finstersten war. Die Straßen um den Hauptbahnhof haben das negative Bild der Stadt geprägt, mit Drogen, Nutten und ab und an Schießereien. All das gibt es noch, aber heute ist das Bahnhofsviertel auch das angesagteste Ausgehquartier, an warmen Abenden stehen Hunderte auf den Straßen.
Abgefuckt bis alternativ
Maxie Eisen, Bar Plank und Walon & Rosetti sind keine Kneipen, sondern Locations, sie geben sich abgefuckt bis alternativ – globale Konfektionsware für vollbärtige Hornbrillenwerber, die Mojitos trinken und sich nach Berlin träumen. Sechs S-Bahn-Stationen weiter aber ist nicht Mitte, sondern Offenbach.
Die EZB macht Frankfurt zur globalen Marke
Banker tauchen im Bahnhofsviertel seltener auf, sie bewegen sich lieber rund um den Opernplatz. Ihr Spesenspielraum ist durch diverse Sparrunden nach der Krise zwar geschrumpft, die Boni fallen etwas dürftiger aus, mit der Dresdner Bank ist eine große Adresse verschwunden. Verglichen mit London und New York, ist Frankfurt aber glimpflich davon gekommen. „Es hat keine ganz großen Entlassungswellen gegeben“, sagt Jörg Janke, Partner bei der Personalberatung Egon Zehnder. „Frankfurt hat Stabilität bewiesen und ist nach der Krise attraktiver als vorher.“ Es sei eine Stadt kurzer Wege, Banker mit Familie schätzten das, zumal ihre Arbeitgeber kaum noch nach Standorten differenzierten: Angestellte desselben Hauses verdienen oft überall gleich. Wer Londoner Preise gewohnt ist, findet Frankfurt günstig.
Große Unternehmen, über Jahre ins Umland abgewandert – sogar die Deutsche Börse ging vor fünf Jahren ins benachbarte Eschborn –, ziehen wieder zu: General Electric, Nintendo, Honda, der US-Spielwarenhersteller Mattel.
Peter Feldmann könnte zufrieden sein, darf es aber nicht so wirklich. Der SPD-Mann hat 2012 überraschend die Wahl gewonnen und die CDU-Frau Petra Roth als Oberbürgermeister beerbt. Der frühere Leiter eines Jugendzentrums im sozial schwachen Stadtteil Bonames hat inmitten des „Mehr“ weniger versprochen: weniger Fluglärm, weniger Kinder ohne Frühstück, weniger soziales Auseinanderfallen, weniger Hochkultur für die Elite. Auf dem Sonnenbalkon der Alten Oper fragt er nach einer Suppe. Als der Kellner eine Kaltschalen-Kreation offeriert, winkt Feldmann ab. Das ist ihm zu abgehoben, zu versnobt.
„Die EZB macht Frankfurt zu einer globalen Marke“, sagt der Politiker. Die passe perfekt zur Stadt, in der „jeder Grundschüler früh den Umgang mit Geld lerne“. Feldmann will den Wandel nicht bremsen, aber in für alle verträgliche Bahnen lenken. Über Jahrhunderte habe Frankfurt integriert, das stecke tief in der DNA der Händler- und Finanzstadt. Mit 43 Prozent hat sie den höchsten Migrantenanteil der deutschen Großstädte. Trotzdem könnten Menschen entspannt leben, Kinder sicher in die Schule schicken, selbst einkommensschwache Viertel sind keine Ghettos, in denen nachts die Mülltonnen brennen. „Es gibt keine Vorbehalte gegen irgendwen, die EZB-Mitarbeiter sind willkommen.“
Wenn sie denn ankommen und nicht in ihrer Parallelwelt bleiben. In der Europäischen Schule etwa, die Kinder von Mitarbeitern der EZB bevorzugt aufnimmt. Sie platzt aus allen Nähten, im September werden hier rund 1450 Schüler aus 50 Ländern in vier Sprachen lernen. Viele erwartet kein Klassenraum, sondern ein Not-Container.
Vom Cayenne in den Container
Auch die anderen privaten Schulen boomen, vor der Phorms-Grundschule oder dem Kant-Gymnasium stauen sich morgens die Porsche Cayennes, mittags treffen sich Kinder und Nannys zum Auslauf im nahen Holzhausenpark. Kindergärten wie die Villa Luna versprechen Höchstleistung für Höchstpreise.
So auch das Kids Camp, eine Rundum-Betreuungsstätte für Kinder von zwei Monaten bis zum Grundschulalter. Die Jugendstilvilla im Bankenviertel umgibt ein hoher Zaun, drinnen essen Kinder brav ihr vollwertiges Mittagsmahl, sie tragen Trikots von zehn Nationalmannschaften, Originale, keine billigen Kopien. „In Frankfurt leben so viele zugezogene Familien wie sonst nirgends“, sagt Leiterin Martina Dorner. Da fehlten Großeltern, die beim Betreuen helfen. Und Banken drängen darauf, dass Frauen nach der Geburt schnell in den Job zurückkehren, in Vollzeit.
Damit der Nachwuchs die Eltern nicht bremst, wird er für 750 Euro monatlich im Kids Camp von acht Uhr morgens bis sieben Uhr abends versorgt. Jede Gruppe hat zwei Betreuer, je einer redet nur Englisch – Training für den globalen Wettbewerb.
Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem, ein Drittel der Bewerber wird abgelehnt. Deutsche Bank und Helaba haben Plätze reserviert. Dorner startete 2004 mit 16 Kindern und zwei Mitarbeitern, zehn Jahre später kümmern sich 150 Angestellte um 500 Kinder. Noch eine Geschichte, die der Boom schrieb, ein Erfolg, bei dem aber auch viele draußen bleiben.
Frankfurt eben.