Europa nimmt die Vorreiterrolle an: Erstmals wollen elf Eurostaaten Banken- und Börsengeschäfte einheitlich besteuern. Die neue Steuer soll Zocker und Spekulanten bremsen und vor allem die Finanzwirtschaft an den Kosten der Finanzkrise beteiligen. 2014 könnte es losgehen. Die deutsche Wirtschaft und Banken laufen Sturm gegen die umstrittene Börsensteuer.
Die EU-Kommission hat nun ihren Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer für die elf teilnehmenden Euro-Länder vorgelegt. Die Staaten wollen im Alleingang die Abgabe erheben, da eine EU-weite Lösung am Widerstand von Großbritannien und Schweden gescheitert war. Die EU-Verträge erlauben dies im Rahmen der sogenannten „verstärkten Zusammenarbeit“ ausdrücklich. Europa wäre die erste Region der Welt mit einer Finanztransaktionssteuer.
Der Entwurf sieht vor, dass die Steuer auch dann fällig wird, wenn heimische Wertpapiere im Ausland gehandelt werden. Genauer gesagt wird die Steuer nicht nur fällig, wenn einer der beteiligten Handelspartner seinen Sitz einem der elf Euro-Länder hat, sondern auch auf Geschäfte mit Wertpapieren, die in der Steuerzone ausgegeben wurden. Dahinter steckt der Versuch, Ausweichstrategien der Finanzmarktakteure zu verhindern. Der am Donnerstag in Brüssel vorgelegte Gesetzentwurf zielt darauf ab, eine Abwanderung von Finanzgeschäften in die steuerfreien Regionen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union zu vermeiden. Ein Vermeiden der Steuer durch eine Verlagerung des Handels sei damit kaum möglich, erklärte die EU-Kommission. Kritiker hatten wiederholt davor gewarnt, dass Finanzgeschäfte in Länder ohne diese Steuer abwandern könnten.
"Auf dem Tisch liegt eine fraglos faire und technisch solide Steuer, die unseren Binnenmarkt stärken und unverantwortlichen Handel zügeln wird", sagte Steuerkommissar Algirdas Semeta in Brüssel. Mit der Steuer sollen Banken und andere Finanzinstitute ihren Beitrag leisten zu den Kosten der Finanzkrise, die bisher überwiegend vom Steuerzahler getragen wurden. Sie bringt nach Schätzungen der Kommission 30 bis 35 Milliarden Euro jährlich ein.
Ein Zehntel vom Aktienhandel
Seit Jahren streitet die EU um diese Abgabe. „Nun steht der Umsetzung nichts mehr im Wege“, sagte EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta. Im nächsten Schritt müssen die elf Länder nun Details wie etwa die Höhe der Steuer festlegen. Die EU-Kommission schlägt vor, Geschäfte mit Aktien und Anleihen, Geldmarktgeschäfte und Investmentfondsanteile mit 0,1 Prozent und solche mit spekulativen Finanzprodukten (etwa Derivate) mit 0,01 Prozent zu besteuern. Steuerpflichtig wären fast nur Finanzinstitute. Gewöhnliche Bankgeschäfte wie Kredite und Sparanlagen oder Versicherungen werden nicht erfasst.
Die Abgabe würde wie eine Mehrwertsteuer auf Wertpapiergeschäfte zwischen Finanzinstituten erhoben. Banken, Versicherungen und Investmentfonds müssten sie auf jede Transaktion zahlen. Produkte für Kleinanleger wie Hypotheken, Kredite und Versicherungsbeiträge wären nicht betroffen. Allerdings fiele die Steuer beim Handel mit Aktien an. Ausgenommen ist auch die Ausgabe neuer Staatsanleihen sowie krisenbedingte Aufkäufe solcher Papiere durch eine Notenbank oder den Euro-Rettungsfonds ESM.
Die Steuer soll zunächst nur in elf EU-Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, eingeführt werden. Die beteiligten Euro-Länder müssen das Gesetz einstimmig beschließen, damit es wie geplant zum 1. Januar 2014 inkraft treten kann. Das Europäische Parlament hat kein Mitentscheidungsrecht.
Während SPD und Grüne die Pläne begrüßten, stoßen sie auf Widerstand von Banken und Industrie. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten führende Wirtschaftsverbände - darunter der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Bundesverband deutscher Banken -, dies werde die gesamte deutsche Wirtschaft belasten. „Betroffen sind insbesondere der deutsche Mittelstand und die deutsche Exportwirtschaft, da sich sinnvolle und notwendige Finanztransaktionen verteuern“, heißt es. Dies gelte etwa für Börsengeschäfte, mit denen Firmen sich gegen Zins-, Währungs- und Rohstoffrisiken aus Liefergeschäften absicherten.
Im Januar hatten die EU-Finanzminister den Weg für den Alleingang der elf Länder zur Einführung der Steuer frei gemacht. Zu den Teilnehmern zählen neben Deutschland und Frankreich auch Österreich, Belgien, Estland, Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Slowakei und Slowenien.