Von Stefan Hajek, Matthias Hohensee, Niklas Hoyer und Sebastian Kirsch
Frederik Fischer ist der Mann, der Twitter zähmen will. Mit Anfang 30 hat er „Tame“ (englisch für „zähmen“) gegründet. Kernstück ist eine von Fischer und Studienkollegen entwickelte Suchmaschine. Die bündelt die von Twitter-Nutzern geschriebenen 140-Zeichen-Kurznachrichten (Tweets) nach Themen und sortiert sie nach Relevanz. Die ARD, die britische BBC oder die „New York Times“ nutzen den Dienst, um aus täglich einer halben Milliarde Tweets weltweit Trends zu filtern.
Redaktionen wollen wissen, welche Themen und Nutzer die Diskussionen auf der Plattform gerade dominieren. Tame-Gründer Fischer sieht „Riesenpotenzial“ für Twitter, „obwohl und gerade weil das Geschäftsmodell noch nicht so klar ist“. Twitter biete Inhalte für alle offen zugänglich. Facebook sei dagegen schon in der Defensive, müsse um seine Vormachtstellung kämpfen und versuchen, die Masse der Nutzer zu halten.
185 Milliarden Börsenweisheiten
1,2 Milliarden Menschen nutzen jeden Monat Facebook, 232 Millionen lesen oder schreiben auf Twitter. Die Nutzerzahlen sprechen für sich: Beide Netzwerke erleichtern den Austausch zwischen Menschen, sie lösen in vielen Bereichen traditionelle Kommunikationsmittel ab – oder übernehmen neue Funktionen. Früher hätte man die alte Schulbekanntschaft aus den Augen verloren. Heute schaut man ihre Urlaubsfotos auf Facebook an und kommentiert direkt.
Doch aus Anlegersicht reichen die Allgemeinplätze nicht, dass die Netzwerke „unseren Umgang mit dem Internet revolutionieren“. Investoren wollen keine Revolutionen, sondern Zahlen. Facebook und Twitter müssen ihren Erfolg in Umsatz und Gewinn ummünzen. Marktführer Facebook ist bereits profitabel. Twitter dürfte das erst 2016 schaffen – wenn alles gut geht. Anleger glauben daran und haben die Kurse beider Netzwerke kräftig getrieben. Facebook kostet an der Börse fast 150 Milliarden Dollar, Twitter 35 Milliarden. Selbst Twitter halten Anleger für wertvoller als gut verdienende Dax-Werte wie Fresenius und Beiersdorf, die Wirtschaftskrisen und Weltkriege überstanden haben.
Facebook und Twitter im Faktencheck
Gegründet
Facebook: Februar 2004
Twitter: März 2006
Mitarbeiter
Facebook: 5300
Twitter: 1300
Börsengang
Facebook: Mai 2012
Twitter: November 2013
Aktive Nutzer pro Tag (in Millionen)
Facebook: 728
Twitter: 100
Aktive Nutzer pro Monat (in Millionen)
Facebook: 1189
Twitter: 232
Nutzerwachstum vergangene 2 Jahre
Facebook: 49 %
Twitter: 130 %
Marktanteil mobile Werbung in den USA 2013, geschätzt
Facebook: 16 %
Twitter: 3,2 %
Marktanteil mobile Werbung global 2013, geschätzt
Facebook: 16,9 %
Twitter: 2,4 %
Durchschnittlicher Umsatz pro Nutzer
Facebook: 1,7 $
Twitter: 0,7 $
Wachstum des Umsatzes pro Nutzer über 2 Jahre
Facebook: 39 %
Twitter: 177 %
Umsatz 2013, geschätzt
Facebook: 7630 Mio.$
Twitter: 639 Mio.$
Umsatz 2014, geschätzt
Facebook: 10.383 Mio.$
Twitter: 1120 Mio.$
Kassenbestand aktuell2
Facebook: 7270 Mio.$
Twitter: 310 Mio.$
freier Cash-Flow 2013, geschätzt¹
Facebook: 377 Mio.$
Twitter: -79 Mio.$
Ausgaben für Unternehmenskäufe, geschätzt
Facebook: 1523 Mio.$
Twitter: 641 Mio.$
1 freie Mittel, zum Beispiel zur Dividendenzahlung, negative Werte können durch hohe Investitionen entstehen
Börsenwert
Facebook: 146.090 Mio.$
Twitter: 35.407 Mio.$
Kurs-Umsatz-Verhältnis 2013, geschätzt
Facebook: 19
Twitter: 55
Gewinn pro Aktie 2013, geschätzt
Facebook: 0,59 $
Twitter: -0,99 $
Gewinn pro Aktie 2014, geschätzt
Facebook: 0,85 $
Twitter: -0,54 $
Einnahmen aus dem Börsengang
Facebook: 18.420 Mio.$
Twitter: 2090 Mio.$
Anteil bereits handelbarer Aktien⁶
Facebook: 98,1
Twitter: 14,5
6 in Prozent des Aktienkapitals, ohne Optionen
Klar, an der Börse wird die Zukunft gehandelt. Und die könnte Twitter und Facebook gehören. „Die Plattformen funktionieren weltweit“, sagt der auf Technologiewerte spezialisierte Fondsmanager Peter Dreide von TBF Global Asset Management, „beide hätten daher eigentlich alles, was es braucht, um das nächste Amazon oder Google zu werden, außer das Wichtigste: ein Produkt, für das die Kunden auf jeden Fall Geld bezahlen“, so Dreide.
Das muss zunächst kein Problem sein. Im Internet ist es eher die Regel, dass Nutzer nicht direkt zahlen. Viele Angebote finanzieren sich über Werbung. Die Unternehmen sind damit sowohl von der Gunst der Nutzer als auch vom Interesse der Werbekunden abhängig. Wie die Unternehmen hier dastehen, wie stark ausbaufähig die Geschäftsmodelle und wie die Ertragschancen von Twitter und Facebook sind, hat die WirtschaftsWoche auf den folgenden Seiten analysiert. Eine Kristallkugel, die sagt, wann Aktien steigen oder fallen, haben auch wir nicht. Aber wir können herausarbeiten, welche Trends die Aktien demnächst bewegen könnten und wie Anleger daran verdienen – mit den Aktien selbst oder mit alternativen Instrumenten, die etwa von kurzfristig fallenden Kursen profitieren.
1. Die Basis: Wie arbeiten die Netzwerke?
Facebook ist 2004 als digitales Jahrbuch für Studenten der Universität Harvard gestartet. Heute nutzen weltweit 728 Millionen Menschen das soziale Netzwerk täglich, gut 60 Prozent der aktiven Nutzern. User melden sich, anders als im Internet üblich, meist mit ihrem richtigen Namen, Geburtsdatum und E-Mail-Adresse an. Wohnort, Angaben zu Hobbys, Marken- und Musikgeschmack kommen oft dazu. So generiert Facebook wertvolle Daten für alle, die etwas verkaufen möchten. Nutzer erstellen ein persönliches Profil und können sich mit anderen Personen vernetzen und etwa Urlaubsfotos oder Videos teilen, natürlich auch Nachrichten versenden.
Wichtig sind die „Likes“. Wem etwas gefällt, der klickt auf „Daumen hoch“; da dies auch bei Produkten passiert, sind Likes für die Werbung besonders interessant. Auf Twitter, erst 2006 gegründet, melden sich Nutzer – anders als bei Facebook – meist an, ohne viele persönliche Daten preiszugeben.