Wer wissen will, wie es um die Automobilzulieferer steht, braucht nur deren Aktionäre zu fragen: Mitte Oktober brach die Aktie des Nürnberger Kabelspezialisten Leoni an einem Tag um bis zu 30 Prozent ein, Ende September fiel das Papier des Dichtungs- und Leichtbauspezialisten ElringKlinger um 21 Prozent. Ein paar Tage vorher sank der Aktienwert des Licht- und Elektrozulieferers Hella um 16 Prozent. Auslöser für die Kursstürze waren jeweils deutlich gekürzte Gewinnprognosen.
Zweifel an den Zukunftsaussichten von Autozulieferern sind berechtigt. Konjunkturprobleme in China – wichtigster Wachstumsmarkt der meisten Autohersteller – drücken die Stimmung schon seit einigen Monaten. Dieses Jahr werden in China laut den Marktforschern von IHS voraussichtlich nur 1,4 Prozent mehr Autos verkauft als im Vorjahr – weit entfernt von früheren, zweistelligen Wachstumsraten.
Indirekte Folgen des Skandals wiegen schwer
Der VW-Skandal rund um manipulierte Abgastests kommt nun hinzu. Er trifft die Autozulieferer doppelt. Direkt, weil Volkswagen angesichts der sich abzeichnenden Milliardenlasten kräftig sparen muss. Allein drei Milliarden sollen Einsparungen bei den von Zulieferern eingekauften Produkten und Dienstleistungen bringen – zu VWs Zulieferern zählen etwa SHW, Grammer und Leoni. Doch die indirekten Folgen des Skandals sind schwerwiegender. Er könnte der Katalysator für den technologischen Wandel in der Autobranche sein: Immer mehr Autos dürften in Zukunft verstärkt elektrisch – ob als Hybrid oder als reines E-Fahrzeug – angetrieben werden, um Abgase zu reduzieren. Natürlich wird der Verbrennungsmotor nicht über Nacht verschwinden. Aber seine Erfolgsaussichten sind zeitlich begrenzt.
Das Problem: Viele deutsche Autozulieferer können ihr über Jahrzehnte aufgebautes Know-how nur für Benzin- oder Dieselautos einsetzen. Eine technisch ausgefeilte Einspritzpumpe ist beim E-Auto ebenso unnötig wie ein Motorkolben.
Den Trend zum elektrischen Antrieb aber haben die meisten Zulieferer bislang verschlafen. Neue, heranwachsende Konkurrenz aus dem Silicon Valley wurde eher belächelt. Die Unternehmen verließen sich darauf, dass ihnen Jahrzehnte bleiben, bevor ein radikaler technologischer Wandel kommt.
Das könnte sich jetzt rächen. Dabei ist die Antriebsart nur eine, wenn auch wohl die wichtigste Zukunftsfrage der Branche. Der Trend zur zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung des Autos, etwa mit automatischen Einparkhilfen oder Müdigkeitssensoren, läuft sowieso.
Forschungsstrake Zulieferer haben die besseren Kurse
Wenig innovative Zulieferer, die es sich im lange Zeit stabilen Autogeschäft gemütlich gemacht haben, werden noch deutlich größere Probleme bekommen. Die WirtschaftsWoche hat die Aussichten von bekannten und weniger bekannten Zulieferern analysiert: Welche Unternehmen setzen auf die richtigen Trends – und wer droht abgehängt zu werden? Welche Zulieferer verfügen über auch künftig derart wichtiges Know-how, dass sie Autoproduzenten ihre Konditionen diktieren können – und wer droht ohne ein Alleinstellungsmerkmal unterm Preisdruck zusammenzubrechen?
Die weltweit größten Autozulieferer
Faurecia (Frankreich)
Umsatz 2016: 18,711 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 18,770 Milliarden Euro
Veränderung: -0,3 Prozent
Hauptprodukte: Sitze und Innenausstattung
Quelle: Berylls Strategy Advisors, Stand: Juni 2017
Michelin (Frankreich)
Umsatz 2016: 20,907 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 21,199 Milliarden Euro
Veränderung: -1,4 Prozent
Hauptprodukte: Reifen
Bridgestone-Firestone (Japan)
Umsatz 2016: 22,485 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 24,094 Milliarden Euro
Veränderung: -6,7 Prozent
Hauptprodukte: Reifen
Aisin (Japan)
Umsatz 2016: 27,977 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 24,133 Milliarden Euro
Veränderung: +15,9 Prozent
Hauptprodukte: Getriebe, Bremssysteme, Karosserie- und Motorenteile
Hyundai Mobis (Südkorea)
Umsatz 2016: 30,227 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 28,096 Milliarden Euro
Veränderung: +7,6 Prozent
Hauptprodukte: Cockpit-, Frontend- und Chassismodule
ZF Friedrichshafen (Deutschland)
Umsatz 2016: 32,353 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 27,113 Milliarden Euro
Veränderung: +19,3 Prozent
Hauptprodukte: Fahrwerks- und Antriebssysteme, Elektronik/Software
Magna (Kanada)
Umsatz 2016: 34,587 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 29,408 Milliarden Euro
Veränderung: +17,6 Prozent
Hauptprodukte: Karosserie & Fahrwerksysteme, Exterieur-Ausstattungen
Denso (Japan)
Umsatz 2016: 36,301 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 34,299 Milliarden Euro
Veränderung: +5,8 Prozent
Hauptprodukte: Klimasysteme, Motorsteuerung, Human-Machine-Interface
Continental (Deutschland)
Umsatz 2016: 40,550 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 39,232 Milliarden Euro
Veränderung: +3,4 Prozent
Hauptprodukte: Brems-, Fahrwerk- und Sicherheitssysteme, Reifen
Bosch (Deutschland)
Umsatz 2016: 43.936 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 41,657 Milliarden Euro
Veränderung: +5,5 Prozent
Hauptprodukte: Antriebs-, Sicherheits- und Komfortsysteme
Kommen gute Zukunftsaussichten und günstige Aktienprognose zusammen, steht einem Investment nichts im Wege. Bei anderen Werten ist die Empfehlung aber ebenso klar: Finger weg!
Die Unterschiede lassen sich schon in Geld ausdrücken: Während der Aktienkurs der forschungsstarken Continental sich über fünf Jahre mehr als verdreifacht hat (siehe Chart), hat die Aktie der eher rückwärtsgewandten ElringKlinger gut 20 Prozent an Wert verloren.
Von Innovation keine Spur
Das Beispiel ElringKlinger führt das Problem der Branche anschaulich vor Augen. „Pure Process“ – die pure Prozesskompetenz – steht auf dem Deckblatt des Halbjahresberichtes 2015. Hinter dem Slogan steht eine Haltung, die viele Zulieferer prägt: Sie strengen sich an, um bestehende Geschäfts-, Entwicklungs- und Produktionsprozesse immer weiter zu perfektionieren. Von Innovationen hingegen, die im Zweifel auch das bestehende Geschäft ersetzen könnten, fehlt jede Spur. Eine kleine Sparte Elektromobilität hat ElringKlinger aufgebaut. Nicht mehr als ein Feigenblatt: Die Sparte macht gerade mal ein Prozent des Produktportfolios aus.
Dichtungen und Abschirmtechnik bringen den Hauptumsatz bei den Ermstalern – beides Produkte, die ein E-Auto nicht mehr benötigt. Noch laufen die Geschäfte, doch Zukunftsstärke sieht anders aus.
Ein Alleinstellungsmerkmal? Fehlanzeige. Und so hängen Zulieferer wie ElringKlinger komplett davon ab, dass Autohersteller bei ihnen kaufen – und nicht beim Unternehmen nebenan. ElringKlinger muss sein bestehendes Geschäft ständig weiter optimieren, um im harten Preiskampf bestehen zu können.
Nachfrageanstiege lassen Kurse einbrechen
Wie abhängig einige Zulieferer sind, zeigte sich jüngst. Da vermeldeten ElringKlinger und der Autokabelhersteller Leoni einen unerwartet starken Nachfrageanstieg. Eine Topnachricht, die den Aktienkurs treibt? Mitnichten. Die Kurse brachen ein. Die Preismodelle der Zulieferer sind auf Kante genäht. Ein überraschender Nachfrageanstieg, der sich nur zu höheren Kosten erfüllen lässt, verhagelt ihnen das Ergebnis. Belastungen an den Kunden weiterzugeben ist im hart umkämpften Markt nicht drin. Den Auftrag abzulehnen können sich die Zulieferer noch viel weniger erlauben, wollen sie ihr Geschäft nicht dauerhaft gefährden.
Aus dieser misslichen Lage kämen die Zulieferer nur heraus, wenn sie sich zukunftsträchtige Geschäfte erschlössen und ein Alleinstellungsmerkmal aufbauten. Doch dafür muss investiert werden.
Bleibt den Zulieferern heute noch etwas Geld übrig, stecken sie das direkt in die globale Expansion. Die Präsenz des Zulieferers vor Ort erwartet der Kunde schließlich.
Durch den permanenten Preisdruck ist den Führungsriegen das Risiko zu hoch, neue Geschäftsfelder zu erschließen und zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Nur wird ein „Weiter so“ den Zulieferern nicht reichen. Elektromobilität hin oder her: Das Auto wird elektronischer und die Softwaresteuerung wird eine immer größere Rolle spielen. „Es gibt vier große Trends, auf die sich die Autobranche seit Längerem einstellen muss: die aktive Sicherheitstechnik, die Hybridisierung der Motoren, die Vernetzung des Fahrzeugs und Fahrerassistenzsysteme. Somit wird die Elektronik und Steuerungstechnik im Auto zur wichtigsten Komponente“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach.
"Verhandlungsmacht, hat nur wer etwas neues auf den Markt bringt"
Ins Zentrum rückt die Software. Drehen, Fräsen, Härten und Zusammenbauen war gestern. Das können heute Anbieter aus Schwellenländern günstiger.
Nur wer als Zulieferer die Fahrzeuge bereits mit entwickelt, macht sich unabhängig. „Verhandlungsmacht gegenüber den Herstellern haben nur diejenigen Zulieferer, die etwas Neues auf den Markt bringen und dabei technologisch führend sind“, sagt Thomas Schlick, Autozulieferer-Experte bei Roland Berger.
Einige Zulieferer haben die Zeichen der Zeit erkannt, etwa Continental. Der oft nur als Reifenhersteller bekannte Zulieferer aus Hannover hat seine Kompetenz in wichtigen Zukunftsbereichen ausgebaut. Dafür nimmt Conti viel Geld in die Hand: Im vergangenen Jahr flossen sechs Prozent vom Umsatz in Forschung und Entwicklung. Dieses Jahr sollen es schon neun Prozent sein – doppelt so viel wie branchenüblich.
Reifen werden immer gebraucht
Die Strategie geht auf. Der Technologieriese mit 35 Milliarden Umsatz bringt ein Erfolg versprechendes Produkt nach dem anderen auf den Markt. Zum Beispiel die eigene 48-Volt-Technologie für Hybridantriebe. Die Hannoveraner liefern zudem Elektroantriebe an Renault, die bereits auf den Straßen zum Einsatz kommen.
Der Zulieferer hat selbst Ingenieure ins Silicon Valley geschickt, die dort in der Geschäftseinheit Intelligent Transportation Systems neue Ideen für das vernetzte Auto austüfteln. Sie denken darüber nach, wie das Auto zukünftig mit anderen Verkehrsteilnehmern oder Verkehrskontrollsystemen kommuniziert. Mit der Übernahme vom Fahrerassistenz- und Infotainment-Experten Elektrobit Automotive kaufte Conti sich jüngst zusätzliches Know-how mit 1900 Softwareentwicklern ein.
Der Reifenspezialist hat den großen Vorteil, dass er all diese Investitionen aus seinem gut laufenden Alltagsgeschäft stemmen kann. Das Verschleißteil Reifen wird eben immer gebraucht.
Fahrerassistenzsysteme gewinnen bei Conti an Bedeutung
Schon jetzt macht Conti mit seinen Autotechnologien aber mehr Umsatz als mit Reifen. Vor allem die Fahrerassistenzsysteme gewinnen zunehmend an Bedeutung. Conti geht davon aus, dass diese Sparte von heute 500 Millionen jährlich bis 2018 um ein Drittel auf 1,5 Milliarden Euro wächst.
Die Continental-Aktie steht derzeit gut 15 Prozent über ihrem Wert zu Jahresanfang.
Ähnlich positiv sieht es bei den großen Zulieferern Denso aus Japan, Delphi aus den USA und Valeo aus Frankreich aus. Zwar sind die nicht ganz so breit aufgestellt, haben sich aber ein umfangreiches Wissen im Bereich Elektronik, Antriebssteuerung und Sensortechnik aufgebaut. Ihre alten Abhängigkeiten – bei Delphi vom US-Autobauer GM, bei Valeo von den französischen Herstellern – haben sie deutlich reduziert.
Womit die Zulieferer zu kämpfen haben
Immer mehr Innovationen müssen von den Zulieferern selbst kommen. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben steigen dadurch stark an. Die Zulieferer müssen stärker in Vorleistung gehen und tragen damit ein höheres unternehmerisches Risiko.
Die Autokonzerne bauen immer mehr Werke in Asien oder Mexiko. Damit steigt der Druck auf die Zulieferer, ebenfalls in neue Standorte zu investieren.
Global agierende Autokonzerne schreiben ihre Aufträge immer öfter für die weltweite Produktion aus. Viele mittelständische Zulieferer können weder die geforderten Stückzahlen herstellen noch den Konzernen einfach ins Ausland nachfolgen.
Autokonzerne wie PSA und GM bilden immer öfter Einkaufsgemeinschaften, gleichzeitig steigt die Zahl von Modulbaukästen für die identische Teile in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Beides führt dazu, dass der Preisdruck steigt. Die Zahl der Zulieferer, die das leisten kann, sinkt.
Weniger bekannt, aber mit einem Fokus auf Softwarekompetenz durchaus vielversprechend sind die belgische Melexis und der US-Zulieferer Gentex. Melexis investierte im vergangenen Jahr 13,7 Prozent vom Umsatz in Forschung und Entwicklung. Das 20 Jahre junge Unternehmen entwickelt und produziert Halbleiter und Sensortechnik für die Automobilindustrie. Fast alle Automarken setzen Chips von Melexis im Bereich Fahrerassistenz, aktive Sicherheitstechnik und Motorensteuerung ein. Die kommen bei ganz unterschiedlichen Messungen zum Einsatz: Luftdrucküberprüfung im Reifen oder die Vermeidung von Auffahrunfällen durch Abstandsmesser sind nur zwei Beispiele. Anlegern bietet Melexis 3,1 Prozent Dividendenrendite.
An der Börse bringt Melexis es auf 1,6 Milliarden Euro Börsenwert. Es dürfte deutlich mehr werden. Die Belgier haben ihren Umsatz 2014 um über 20 Prozent auf 332 Millionen Euro gesteigert. Und von Melexis’ 25 Prozent Umsatzrendite können andere Zulieferer nur träumen. Die sind über Werte im einstelligen Prozentbereich froh.
Dürr gewinnt mit komplexen Anlagen
Trotz gut vier Milliarden Euro Börsenwert und erwarteten 1,3 Milliarden Euro Umsatz dieses Jahr ist auch Gentex, ein amerikanischer Spezialist für Rückspiegel- und Kameratechnik im Auto, vielen Anlegern kein Begriff – aber sehr erfolgreich. Bei ihm bleiben 21 Prozent vom Umsatz als Nettogewinn hängen. Unter den Kunden finden sich nicht nur viele deutsche und japanische Hersteller, sondern auch Tesla.
Ein paar Sparten gibt es noch, in denen Zulieferer ohne große Innovationssprünge erfolgreich sein können. Der Zulieferer Dürr etwa baut Lackier- und Endmontageanlagen. Dürr steigerte das operative Ergebnis im ersten Halbjahr 2015 um 41 Prozent auf 126,2 Millionen Euro. Ernst zu nehmende Wettbewerber gibt es nicht: Solche Anlagen sind komplex.
Für Anleger war Dürr ein langweiliger, aber konstanter Depotwert. Die Dividendenrendite liegt über zwei Prozent, der Kurs steigt seit Jahren langsam, aber stetig. So wie Autos immer Reifen brauchen, müssen sie eben auch lackiert werden. Und da Dürr zu den Anlagen Pakete für Wartung, Ersatzteile, Modernisierung und Umrüstung mitverkauft, kann er Kunden lange an sich binden.
Auch das kann ein Alleinstellungsmerkmal sein.