Zustimmung für May sinkt Anleger verabschieden sich vom Pfund

Der mögliche Verlust der absoluten Mehrheit der von Regierungschefin May bei den Wahlen belastet das Pfund Sterling. Welche Szenarien für die Märkte nach dem Votum in einer Woche wahrscheinlich sind.

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Ein Zurückfallen hinter die bisherigen Mehrheitsverhältnisse würde May auch bei den Brexit-Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten schwächen. Quelle: dpa

Frankfurt Gut eine Woche vor den britischen Unterhauswahlen haben die Anleger am Devisenmarkt am Mittwoch das Pfund Sterling in hohem Bogen aus den Depots geworfen. Auslöser war eine neue Umfrage, der zufolge die Konservativen von Premierministerin Theresa May ihre absolute Mehrheit verfehlen könnten. Die britische Währung wertete um 0,7 Prozent auf 1,2770 Dollar ab und notierte damit so niedrig wie zuletzt am 21. April. Der Euro zog um 0,3 Prozent auf 0,8722 Pfund an.

Nach einer am Dienstagabend veröffentlichten Erhebung des Instituts YouGov für die „Times“ könnten die Konservativen nur noch auf 310 Mandate von bisher 330 kommen. Damit würden sie die bei 326 Sitzen liegende absolute Mehrheit um 16 Mandate verfehlen.

„Wenn uns das Brexit-Votum eins gelehrt hat, dann, dass bei Wahlen alles möglich ist“, sagte Commerzbank-Analystin Antje Praefcke. Die Unsicherheit über den Wahlausgang und die möglichen Folgen für die Verhandlungen über den britischen EU-Austritt dürften noch eine Weile auf dem Pfund lasten, stimmte ein Händler zu.

Die Zustimmung für die Konservativen sinkt seit Mitte Mai. Insgesamt sieben Umfragen innerhalb der vergangenen Woche ermittelten, dass sich der Abstand zu Labour verringert. Einen Verlust der absoluten Mehrheit hat bislang aber kein Institut prognostiziert.

May hatte die vorgezogene Wahl im April völlig überraschend für den 8. Juni angesetzt, um ihre Mehrheit auszubauen und so ihre Position bei den Brexit-Verhandlungen mit der EU zu stärken. Ein Zurückfallen hinter die bisherigen Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus würde May auch bei den Brexit-Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten schwächen.

Für die Analysten der Commerzbank habe die Labour-Partei aber tatsächlich keine realistische Chance auf den Wahlsieg. Die jetzigen Umfragen würden lediglich andeuten, dass die Tories einen relativ knappen Wahlsieg erringen könnten. „Solch ein Ergebnis würde nicht als Freibrief für Mays Brexit-Politik verstanden werden“, heißt es in der Analyse. Die Premierministerin müsste noch mehr Rücksicht auf europapolitische Extremisten und Wirrköpfe nehmen – was das britische Pfund weiter schwächen dürfte.


Die vier Szenarien

Das grundlegende Dilemma der britischen Politik – die Tatsache, dass das Referendum ein Ergebnis gebracht hat, welches der Grundüberzeugung der Mehrheit der britischen Abgeordneten zuwider läuft – würde jedwede britische Regierung vor Probleme stellen. „Es gibt keine intelligente Brexit-Strategie“, meint Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. „Weil der Brexit dumm ist.“

Experten halten für die verschiedenen Ergebnisse der Wahl folgende Szenarien für denkbar:

Knappe Mehrheit für Mays Tories

Bislang gehen viele Meinungsforscher mehrheitlich davon aus, dass die Tories nur einen knappen Wahlsieg erringen werden. "Wenn May die Mehrheit nicht deutlich ausbauen kann, vergrößert sich ihr Verhandlungsspielraum nicht", sagt George Saravelos, Anlagestratege der Deutschen Bank. „Eine starke konservative Mehrheit ist außerdem nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für einen reibungslosen Brexit."

Bereits jetzt sei die Mehrheit der Regierungspartei so gering wie zuletzt Mitte der 1970er-Jahre, betont Investment-Manager Jaisal Pastakia vom Vermögensverwalter Heartwood. „Eine interne Parteirevolte wäre eine unwillkommene Ablenkung, die oft zu Verzögerungen und peinlichen Kehrtwenden führt." Devisenstrategin Kathleen Brooks vom Brokerhaus Gain Capital sieht die Gefahr eines größeren Ausverkaufs und den Sturz des Pfund auf 1,20 Dollar.

Oppositionelle Labour Party gewinnt Parlamentsmehrheit

Eine realistische Chance der Labour-Partei auf einen Wahlsieg gibt es laut Börsianern zwar nicht. Sollte es dennoch so kommen, könnte das Pfund kräftig zulegen. „Hat Labour einen schlaueren Brexit-Plan?“, fragt Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen. „Ich bin nicht sicher, aber es würde zumindest ein sanfterer Brexit.“ Unter einem „Soft Brexit“ verstehen Börsianer einen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, bei dem das Königreich den Zugang zum Binnenmarkt behält.

Ähnlich urteilt auch Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der HSH Nordbank. „Unter Labour könnte es möglicherweise eher in Richtung eines Norwegen-Modells gehen.“ Das skandinavische Land ist kein EU-Mitglied, hat aber freien Zugang zum Binnenmarkt und die Personenfreizügigkeit der EU. Die Experten der Investmentbank Nomura schließen bei einer Labour-geführten Regierung nicht aus, dass Großbritannien doch nicht aus der EU aussteigt.

Keiner geht als Sieger hervor

Sollte keine Partei eine Mehrheit erreichen, wäre das aus Sicht von Experten Gift für die Börsen. „Dieses Restrisiko blenden die Anleger bislang aus, deswegen würde das die größten Verwerfungen nach sich ziehen“, erklärt Gain-Expertin Brooks. Britische Aktien und das Pfund gingen dann wohl auf Talfahrt. „Das wäre das Horrorszenario für May“, sagt Analyst Neil Wilson vom Brokerhaus ETX Capital. Bekomme sie nicht die von ihr angepeilte Mehrheit, würde das als ihr persönliches Scheitern ausgelegt. Brexit-Hardliner wie Boris Johnson bekämen dadurch Oberwasser.

Analyst Paul Meggyesi von der US-Großbank JP Morgan sieht aber auch bei einem Wahlergebnis ohne absolute Mehrheit für eine Partei Chancen für eine Pfund-Rally. „Man kann argumentieren, dass eine Mitte-Links-Koalition einen sanfteren Brexit bringt oder die Aussicht darauf.“

Konservative Partei baut Vorsprung aus

Ein eindeutiger Sieg der Konservativen dürfte der britischen Währung Auftrieb geben. „Je größer die Mehrheit, desto selbstbewusster kann May auftreten und desto besser ist ihre Position bei den Brexit-Verhandlungen“, betont HSH-Experte de la Rubia. Strategin Brooks rechnet dann mit einem Sprung des Pfunds über 1,30 Dollar und Rekordständen beim Londoner Aktienindex FTSE.

Zusätzlich Schub könnte das Pfund bekommen, sollten die Tories in schottischen Wahlkreisen Sitze hinzugewinnen. „Dies würde eine Abspaltung Schottlands unwahrscheinlicher machen“, prognostiziert de la Rubia. Das dortige Regionalparlament stimmte im März für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum. 2014 hatten sich die Schotten mit knapper Mehrheit für einen Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen.

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