Mikro-Versicherungen Die 39-Cent-Police

Allianz und Münchener Rück wollen mit Mikroversicherungen für die Armen nicht nur Gutes tun, sondern auch Geld verdienen.

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Traditionelle Garküche in Quelle: REUTERS

Wulandari hat ihren Mann verloren. Der Vater ihrer vier Kinder verunglückte mit seiner Rikscha im Straßenverkehr einer Kleinstadt in Indonesien. Den Kleinstkredit, den er erst vor Kurzem aufgenommen hatte, muss seine Witwe nun allein zurückzahlen. Zum Glück hatte ihr Mann zusammen mit dem Kredit eine Kreditlebensversicherung abgeschlossen.

Payung Keluarga, übersetzt Schirm der Familie, nennt sich die Police, die die Allianz in dem asiatischen Land verkauft. Sie zahlt der Bank die ausstehende Kreditsumme zurück und hilft der Familie mit einem zusätzlichen Betrag. Für Wulandari ist das ein Segen, kann sie so doch erst einmal ihre Kühe behalten, die Kinder weiter zur Schule schicken und die Rechnung für die Bestattung ihres Mannes begleichen.

So gibt Matthias Rompel, Mikroversicherungsexperte der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die Geschichte der vierfachen Mutter wieder. Die GTZ hat die Police gemeinsam mit der Allianz entwickelt.

Nicht nur die Allianz, etliche große Erst- und Rückversicherer weltweit gehen mit den Minipolicen neue Wege. In Zusammenarbeit mit regionalen und internationalen Organisationen bieten sie Kleinstversicherungen für die Armen dieser Welt. Allianz und Münchener Rück sind in Asien, Afrika und Lateinamerika aktiv. „Am Anfang haben die Versicherer das eher als soziales Projekt betrachtet“, sagt Rompel. „Doch jetzt sehen sie einen Markt.“ Sie bauen die Mikroversicherungen als Geschäftsfeld auf. Zwar verdienen die meisten Gesellschaften damit noch kein Geld, doch das soll sich in den kommenden Jahren ändern.

Existenzschutz für Geringverdiener

Weniger als ein Euro im Jahr für eine Kreditabsicherung oder den Schutz vor Sturm und Regen: Mikroversicherungen ermöglichen auch Tagelöhnern in Entwicklungs- und Schwellenländern einen Existenzschutz. Einen Boom erlebt das einst rein soziale Engagement, seit Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis gewann. Seine Idee ist so simpel wie erfolgreich: Kleinstkredite gibt seine Grameen-Bank den Armen, damit sie sich eine Existenz aufbauen können.

Das Konzept der Mikroversicherungen setzt darauf auf. 250 Versicherer bieten weltweit etwa 360 verschiedene dieser Minipolicen an. Darunter sind sehr viele nationale Gesellschaften in den Entwicklungsländern, aber auch die großen internationalen Konzerne wie der strauchelnde Riese AIG, Axa, Swiss Re, Zurich, Allianz und Münchener Rück.

Es sind nicht die Ärmsten der Armen, für die Mikroversicherungen ein Ausweg aus dem Elend sind, sondern Tagelöhner, Farmer oder Taxifahrer, die immerhin wenige Dollar am Tag verdienen. Auch wenn die Versicherungsbeiträge für westliche Verhältnisse gering sind: Für die Menschen in Kolumbien, Indien, Indonesien oder Südafrika ist es nicht selten der Lohn für Tage harter Arbeit.

Für diesen Betrag sichern die Menschen ihre Existenz ab, zum Beispiel mit einer Kreditversicherung. „Wenn der Kreditnehmer stirbt, rutscht oft die ganze Familie in eine Armutsspirale“, sagt GTZ-Experte Rompel. Die Allianz verkauft nun schon im dritten Jahr eine Police in Indonesien, wie sie auch Wulandaris Mann hatte. Mindestens 39 Cent bis wenige Euro im Jahr kostet der Schutz. Der Markt in Indonesien mit rund 230 Millionen Einwohnern ist riesig. „Etwa 45 Prozent der Indonesier leben von weniger als zwei Dollar am Tag. Sie sind die Zielgruppe der Mikroversicherungen“, sagt Jens Reisch, Chef von Allianz Life Indonesia.

Frauen als Käufer

Die Mehrzahl der Versicherungen kaufen Frauen, denn sie nehmen auch die meisten Mikrokredite auf, um in kleinen Gruppen eine Garküche oder eine Näherei zu eröffnen. Die Banken schätzen die weibliche Kundschaft, zahlen die Frauen ihre Schulden doch regelmäßig und pünktlich zurück. Der Münchner Versicherer hat nun auch eine Takaful-Police – eine scharia-konforme Variante – im Programm, für viele Menschen in dem muslimischen Land ein wichtiges Kriterium. Nach dem islamischen Recht muss die Allianz die Takaful-Kundengelder separat verwalten. Investments in Unternehmen, die Alkohol anbieten sind tabu und Prämienüberschüsse muss der Versicherer schön transparent an die Versicherten zurückgeben.

Wie wichtig die Versicherer die Minipolicen nehmen, zeige die jährliche Mikroversicherungskonferenz, bei der Versicherer, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler jedes Jahr Erfahrungen mit den Minipolicen austauschen, berichtet Thomas Loster, Geschäftsführer der Münchener Rück Stiftung. Sie ist Mitveranstalter der Konferenz, bei der 2008 schon zwei Drittel der Teilnehmer aus dem Versicherungssektor kamen.

„Der Vertrieb ist das größte Problem für Mikroversicherungen“, sagt Experte Loster. So hat die Allianz in Indonesien 12.000 Versicherungsvertreter, die aber keine einzige Mikroversicherung verkaufen. Stattdessen sind die Vereine und Dorforganisationen, die sogenannten Communities der Weg zu den Kunden. Die Communities gründen oft eigene kleine Institute, über die sie Kredite vergeben. In Indonesien haben sich mehr als 55.000 Mikrobanken etabliert.

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