US-Immobilienmarkt Die Geier kommen

Demolierte Häuser, verzweifelte Menschen: Das widersinnige US-Hypothekensystem treibt Hausbesitzer und Banken in die Pleite. Die Krise wütet weiter, Rettung ist nicht in Sicht.

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Verlassenes Haus in Washington D.C. Quelle: Laif

So sieht sie aus, die traurige Wirklichkeit auf dem amerikanischen Immobilienmarkt. Verlassene Häuser, keine zwei Jahre alt, mit demolierten Wänden und Türen. In denen es erbärmlich stinkt, weil die Teppichböden mit Fäkalien beschmiert sind. Wo die ehemaligen Besitzer oder marodierende Jugendgangs herausgerissen haben, was nicht niet- und nagelfest war, von der Mikrowelle über Wasserhähne bis hin zu Granitplatten aus den Küchen.

Als „Legende über Zwangsversteigerungs-Vandalismus“ bezeichnete ein Immobilien-Branchendienst jüngst solche Horrorgeschichten. Und löste mit dieser Verharmlosung heftigen Widerspruch aus: „Hey, die Geschichten stimmen, es ist alles sogar noch viel schlimmer“, sagt Rick Thomas. Der 38-jährige nennt sich Property Preservation-Specialist – ein Fachmann für die Werterhaltung von Immobilien. Er wird von Banken geheuert und soll sich um verlassene Häuser kümmern, die unter den Hammer kommen, weil ihre ehemaligen Bewohner die Zinsen für die Hypothek nicht mehr bezahlen konnten. Rick kann aus eigener Erfahrung unappetitliche und unglaubliche Anekdoten zur vermeintlichen Legende beitragen: „In einem Haus habe ich einen Hundekopf gefunden, den Rest des Kadavers draußen in einer Plastiktüte. Woanders hat jemand über 100 Liter Farbe in den Swimmingpool geschüttet. Mit einem Vorschlaghammer haben sie jede Toilette im Haus zerschlagen. Das ist kriminell. Warum verklagt niemand diese Leute?“

Gute Frage, Rick. Die Antwort ist simpel: Es bringt nichts. Die Bank, der das Haus wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bereits – oder bald – gehört, weiß, dass mit einer Klage nichts zu holen wäre. Sie würde nur noch mehr Geld verschlingen.

Viele Amerikaner verstehen die Wut der Schuldner auf die Banken. Denn die waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, unerfahrene Familienoberhäupter zum Kauf von Häusern zu animieren, die diese sich eigentlich nicht leisten konnten. Die Exzesse einer in den USA weitgehend unregulierten Kreditvergabepraxis rächen sich jetzt. Millionen Schuldner stehen vor dem finanziellen Ruin. Und die immer noch steigende Zahl von Zwangsversteigerungen wird jahrelang die Bilanzen aller Finanzinstitute belasten, die direkt oder indirekt über Finanzkonstrukte in US-Immobilien engagiert sind. Einiges spricht dafür, dass der Effekt sogar heute noch unterschätzt wird.

Viele kleinere US-Banken werden das Desaster nicht überleben. Ein weiterer Preisverfall bei Immobilien und die damit einher gehenden Verluste durch Zwangsversteigerungen dürften ihnen das Genick brechen.

252 Immobilienfinanzierer sind seit Ende 2006 schon pleite gegangen – und auch die Großbanken sind noch längst nicht aus der Krise heraus. Die Bank of America, nach dem durch die Subprime-Krise ausgelösten Kurssturz der Citigroup die nach Börsenwert größte US-Bank, meldete in der vergangenen Woche einen Gewinneinbruch. Hauptgrund: Deutlich erhöhte Abschreibungen und Rückstellungen wegen der Krise auf dem Immobilienmarkt.

Erst im vergangenen Herbst hatte die Bank aus Charlotte in North Carolina den ums Überleben kämpfenden Hausfinanzierer Countrywide durch eine vier Milliarden Dollar teure Übernahme gerettet. Eine Entscheidung, die Vorstandschef Ken Lewis mittlerweile bereuen dürfte. Auch Ken Thompson, Chef der US-Bank Wachovia, plagen Reue-Gefühle. Er kaufte 2006 für 24 Milliarden Dollar die kalifornische Bank Golden West Financial, die Wachovia nun wie ein Stein im Magen liegt. Denn in Kalifornien ist längst nicht mehr allein die Subprime-Klientel von Zahlungsschwierigkeiten und Zwangsversteigerungen betroffen. Wachovia hat bereits die Dividende gekürzt.

Im jüngsten kleinen Börsen-Aufschwung gekeimte Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Finanzkrise dürften sich als verfrüht erweisen. So warnen die Analysten der Investmentbank Morgan Stanley in ihrer Studie „Die Bärenmarkt-Rally ist vorbei“ vor negativen „makroökonomischen Impulsen“, die in den kommenden Monaten die Börsen bewegen dürften: „Die Zahl der US-Zwangsversteigerungen nimmt zu, in Großbritannien verschlechtert sich die Lage auf den Hypotheken- und Häusermärkten und die Kreditklemme wird das Wachstum in Kontinentaleuropa drücken.“

In den USA leiden Kreditgeber nach Zwangsversteigerungen deutlich stärker als in Deutschland. Wer verstehen will, warum die Banken so bluten, warum die Probleme auf dem amerikanischen Immobilienmarkt voraussichtlich viel länger dauern werden als von den meisten Experten erwartet, muss sich ansehen, wie Häuser dort finanziert wurden.

Kredit für jeden. In Deutschland steht bei der Aufnahme eines Immobilienkredits die Besicherung im Vordergrund. Beleihungsrichtlinien legen fest, wie viel Geld die Bank geben darf, in der Regel deutlich weniger als den Verkehrswert, den theoretisch erzielbaren Verkaufspreis. Ohne Eigenkapital geht nichts, es sei denn der Käufer kann ein solides und ausreichendes Einkommen nachweisen oder andere Sicherheiten wie Bürgschaften einbringen. Willkürliche und überraschende Zinssprünge während der Tilgungsphase sind selbst bei vereinbarter variabler Verzinsung kaum möglich. Der Bundesgerichtshof hat die Banken bereits vor Jahren dazu gezwungen, Zinsen nur analog zu einem bereits bei Vertragsabschluss festgelegten Referenzzins anzuheben. Obendrein wird die gesamte Transaktion über einen Notar abgewickelt und das Darlehen im Grundbuch eingetragen – eine weitere Hürde gegen Methoden, mit denen eine Partei über den Tisch gezogen werden könnte. Der staatlich bestellte Notar hat eine Aufklärungspflicht und haftet bei Fehlern. Die Bank kann auch nach Ablauf der Zinsbindungsfrist nicht einfach eine Verlängerung verweigern, denn sie steht mit der Gesamtschuld amtlich im Grundbuch. In der Regel bleibt ein deutscher Schuldner deshalb seiner Bank verbunden – bis der gesamte Kredit getilgt ist, oft 30 Jahre lang.

Ganz anders in Amerika. Kein Notar, kein vorgeschriebenes Gerüst für die Zinsen, keine festen Regeln fürs Eigenkapital. Im Glauben an ewig steigende Immobilienpreise kauften Leute, die es sich eigentlich nicht leisten konnten, viel zu große und überteuerte Häuser. Oder sie ließen sich durch Lockangebote zur Unterschrift verführen. Null Eigenkapital? Kein Problem. Die Monatsrate? Flexibel, so niedrig, wie Sie wollen. Das Einkommen zu niedrig? Schreiben wir einfach ein höheres in den Antrag, kontrollieren wird das niemand.

Bei sogenannten Optionshypotheken – Option Adjustable Rate Mortgages – konnte der Kreditnehmer sogar jeden Monat selbst entscheiden, ob er etwas tilgen, nur die Zinsen oder gar noch weniger zahlen wollte. Rund drei Viertel der Schuldner entschieden sich dabei nach einer Untersuchung von Standard & Poor’s für die Minimumrate, die die Kreditsumme weiter wachsen ließ. Selbst seriöse Kreditgeber wie die drittgrößte US-Bank Wells Fargo warben lange mit Sprüchen wie: „Trotz schlechter Bonität können Sie bis zu 110 Prozent des geschätzten Werts Ihrer Immobilie leihen.“

Ein Hauptgrund für die Exzesse: Die Vermittler der Kredite gehörten oft nicht zu den Instituten, die letztendlich das Risiko trugen. Deshalb fand eine fundierte Bewertung der finanziellen Möglichkeiten des Antragstellers faktisch nicht mehr statt. In Deutschland prüft dagegen der Kreditsachbearbeiter der Bank oder Sparkasse die Bonität des Antragstellers, schickt oft sogar einen Gutachter raus, der den Wert der Immobilie prüft. Dass Kunden mit Konsumentenkrediten überfordert sind, kommt auch in Deutschland häufig vor. Bei Immobilienkrediten ist dies dagegen selten: 2007 wurden in Deutschland gut 90.000 Grundstücke, Wohnungen und Gewerbeimmobilien zwangsversteigert. In den USA erwartet eine Studie des Instituts Global Insight rund 1,4 Millionen Zwangsversteigerungen in diesem Jahr – gegenüber Deutschland mehr als 15-mal so viel, bei einer weniger als viermal so hohen Einwohnerzahl.

In den USA verbargen die Vermittler vor den Käufern oft geschickt, dass sich nach ein oder zwei Jahren mit einem Lockangebot der Zinssatz des Darlehens und damit die monatliche Rate drastisch erhöhen würden. Die Welle der danach notwendigen Umschuldungen, insbesondere bei sogenannten Subprime-Schuldnern mit schlechter Bonität, schwoll bereits im vergangenen Jahr an und wird 2008 und 2009 zum Tsunami. Schlimmer noch: Viele Hausbesitzer bekommen heute nicht einmal mehr einen Anschlusskredit, die Banken, die ihnen gegenüber vor zwei Jahren noch so großzügig und nachsichtig waren, stellen die Kredite jetzt fällig. Und kein anderer Geldgeber springt ein.

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