Geldanlage Die Jahrhunderttrends der Aktienmärkte

Schwellenländer, Agrar- und Rohstoffe, Gesundheit, Technologie: wie Anleger Jahrhunderttrends intelligent nutzen, welche Fallen sie vermeiden müssen, wenn sie auf Jahrzehnte investieren wollen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Drei Megatrends für die Zukunft: Schwellenländer, Ernährung und Infrastruktur. Quelle: Reuters

DÜSSELDORF/FRANKFURT. Von Megatrends profitieren? Geht doch. Informationstechnik zum Beispiel. "Er sagte, er habe mein Geld in irgendwas mit Obst investiert, wir müssten uns um Geld keine Sorgen mehr machen", sagt Forrest Gump, schlitzt einen Brief auf und starrt auf das bunte Apple-Logo. Gelächter im Kino - Gump (Tom Hanks) ist Millionär.

Das ist Hollywood der Neunziger. Doch auch die Finanzindustrie malt ihn, den Traum vom langsam reifenden Reichtum, der von umwälzenden Anlagetrends gedüngt wird: "Profitieren Sie von Zukunftsmärkten" ist ihre Verheißung. Internet, China, Bio, Nano, Öko, Techno - egal. Die Leute sollen Produkte kaufen, die in Trend-Profiteure investieren. Nach 20 Jahren sind sie reich, wie Forrest Gump.

Die Realität ist weniger bunt. "Keiner, der die Zukunft des Menschen auf einen einzigen Nenner bringen will, behält recht", sagt der Historiker Golo Mann. Selbst wer einen langlebigen Trend ausmacht, wird nicht immer Geld verdienen. Der Anleger muss nicht nur die richtigen Investmentvehikel finden - welche Aktien, Fonds, Zertifikate? Sondern auch das Timing muss stimmen.

"Selbstverständlich existieren Megatrends", sagt Hartmut Webersinke, Dekan der Wirtschaftsfakultät der Hochschule Aschaffenburg. Den zurzeit wichtigsten, das Wachstum der Schwellenländer, "kann man in den Auftragsbüchern deutscher Maschinenbauer, argentinischer Sojabauern und chilenischer Kupferminen ablesen. Ohne den Megatrend China", so Webersinke, "wären die nicht halb so voll".

Weitere Trends lassen sich aus der Schwellenländer-Nachfrage ableiten: Knappheit von Rohstoffen, Agrarflächen und Wasser, auch von Öl und Gas - und damit der Trend zu erneuerbaren Energien und nachhaltiger Produktion. Doch Trends, auch wenn sie über Jahrzehnte anhalten, verlaufen nie geradlinig, sondern mit Schwankungen.

Nicht jedes Geschäftsmodell ist stabil genug, um die Täler zu überleben. Beispiel Internet: Der Trend ist intakt, aber Ex-Gigant AOL, 2001 vor der Fusion mit Time Warner 163 Milliarden Dollar wert, hat seither 98 Prozent an Wert verloren. Und wer Ende 2007 Rohstoffaktien kaufte, erlitt Verluste von bis zu 70 Prozent, selbst, wenn er die besten Branchenvertreter erwischte und obwohl der zugrunde liegende Megatrend noch lange nicht vorbei ist.

Dasselbe Bild in Asien: "Trotz der relativen Stärke der asiatischen Realwirtschaft gegenüber dem Rest der Welt haben wir seit fast zwei Jahren keine relative Stärke der dortigen Börsen mehr", stellt Webersinke fest. China-Aktien schnitten seit der Finanzkrise sogar schlechter ab als die westlicher Länder, obwohl Chinas Wirtschaft vier bis sieben Mal so stark wächst.

"Das Problem für Investoren ist, dass mit der Bewertung der Aktien eine schwer kalkulierbare Variable ins Spiel kommt", sagt der Vermögensverwalter Bert Flossbach. Hat die Masse der Anleger einen Trend erst entdeckt, fließt immer mehr Geld in die relevanten Aktien. Ab einem gewissen Punkt steigt deren Bewertung schneller, als sich der Trend selbst entwickelt, also die beteiligten Unternehmen wachsen und Geld verdienen; Spekulationsblasen entstehen, der Trend wird zeitweise grotesk überschätzt. Die Analysten der Gartner Group fanden heraus, dass sich dieses Muster bei fast allen Trends wiederholt.

Anleger müssen also entweder sehr früh dabei sein - oder warten, bis der Hype sich gelegt hat und die Bewertungen der Aktien wieder realistisch sind. "Der Schwellenländerboom ist schon ein reifer Megatrend, die Bewertungen sind, außer in Indien, nicht mehr zu hoch, die Finanzkrise hat sie bereinigt", erklärt Flossbach.

Eine Aktie, die den Schwellenländerboom fast perfekt abbildet, ist China Mobile: Der steigende Wohlstand der Chinesen schlägt sich in den vertelefonierten Mobilfunkminuten des Marktführers nieder. Leider wachsen Marktanteil und Gewinnmarge aber nicht mehr so schnell wie vor einigen Jahren, als der Chinaboom noch am Anfang stand. Dafür sind auch die Anleger weit entfernt vom früheren Hype: Sie bewerten die Aktie nur noch mit dem Elffachen des geschätzten Gewinns 2010.

Anders sieht es bei Vertretern jüngerer Trends aus, etwa von Batterieherstellern wie China Shoto oder GS Yuasa, die vom noch am Anfang stehenden Boom des Elektroautos profitieren. Das Gewinnwachstum 2009 war mit 141 Prozent (China Shoto) und 42 Prozent (GS Yuasa) zwar enorm - leider waren das aber auch die Erwartungen der Anleger, wie die hohen Kurs-Gewinn-Verhältnisse von bis zu 37 andeuten; hier ist die Gefahr größerer Rückschläge hoch - auch wenn sich die Annahme, dass sich das Elektroauto durchsetzen wird, bestätigen sollte.

Ohnehin: Kaufen und liegen lassen, das Rezept aus Zeiten des bislang letzten Megatrends, IT/Internet, funktioniert nicht mehr. "Das war eine gute Strategie für den IT-Boom der Neunziger, weil der mit einer langen Börsenhausse zusammenfiel", sagt Flossbach. Wer heute eine Aktie für zehn Jahre oder länger halten wolle, erleide aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Verluste: "Die heutigen Megatrends, wie Schwellenländer- und Rohstoffboom, fallen leider nicht in eine langjährige Börsenhausse wie die von 1982 bis 2000."

Sondern in eine schwierige Phase schwachen Wachstums und starker Kursschwankungen, die im Prinzip seit zehn Jahren besteht. Und gut und gerne weitere zehn andauern kann. Die Gründe für die Langzeit-Baisse sind vielfältig, die wichtigsten sind die Überschuldung und Überalterung fast aller Industrieländer und die zunehmende Regulierung der Wirtschaft, die das Wachstum der Weltwirtschaft - trotz China, Indien und Brasilien - in den kommenden Jahren bremsen werden.

Für Anleger heißt das, sie müssen mehr taktieren, "die Bewertung im Auge behalten, in mehreren Schritten einsteigen, mehr Liquidität zurückhalten und nach Rückschlägen immer wieder aufstocken - aber auch öfter Gewinne mitnehmen", so Flossbach.

Fonds kommen oft zu spät

Auch wer sich für lange Zeit an Aktienfonds bindet, fährt zeitweise böse Verluste ein. Mit Trendfonds wie Telekom, Technologie, Internet und Biotech verloren Anleger nach der Jahrtausendwende Milliarden. Fonds kommen meist zu spät, weil die Marketingabteilungen der Anbieter erst loslegen, wenn schon Kursgewinne sichtbar sind.

"Produkte wie Fonds und Zertifikate sind meist eine Reaktion auf schon weit fortgeschrittene Markttrends. Bis ein Fonds nach dem langwierigen Genehmigungsverfahren auf den Markt kommt, ist es oft schon zu spät für die Investition", sagt Christian Lange, Direktor des VZ Vermögenszentrums München.

Im Jahr 2003 etwa wurden mehrere Nanotechfonds aufgelegt. Inzwischen kommen Nanopartikel in vielen Alltagsprodukten zum Einsatz, die Aktien von Nanostart oder Veeco sind dreistellig gestiegen. Zu spät, die Fonds verschwanden in der Finanzkrise vom Markt.

Trotz der bösen Erfahrungen beim Platzen der New-Economy-Blase ist das Muster der Branche noch intakt: Anfang 2008 stiegen die Preise für Weizen und Mais auf Rekordhöhe - und allein bis Mitte 2008 kamen zehn neue Agrar-Aktienfonds. Sie fanden reißenden Absatz: Während deutsche Anleger 2008 rund eine Milliarde Euro aus Aktienfonds abzogen, sammelte der Allianz RCM Global Agricultural Trends in kurzer Zeit 161 Millionen Euro ein.

Anleger machten eine Achterbahnfahrt mit: Der Kurs stieg zunächst bis auf 12,50 Euro, fiel dann 2009 auf 5,00 Euro und liegt jetzt bei 9,50. Auch die Story der Aufsteigerländer Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) ließ sich schön verpacken, in BRIC-Fonds. Anleger, die 2007 einstiegen, als das Thema Fahrt aufnahm, verloren, der Allianz RCM Bric Stars etwa büßte 2008 rund 70 Prozent ein.

Megatrend Schwellenländer

Doch natürlich läuft der Schwellenländer-Trend weiter. Brasilien, China und Indien werden ihre Wirtschaftsleistung bis 2012 um 20 Prozent steigern, doppelt so stark wie die Industrieländer, schätzt Deutsche Bank Research. Ihre Bevölkerung ist jünger und wächst noch; viele Schwellenländer haben Rohstoffe, deren Export die Sanierung der Staatsfinanzen erleichtert.

Andererseits kämpfen Unternehmen in diesen Ländern häufig mit Korruption, politischer Instabilität und staatlicher Willkür. Brasiliens Präsident Lula da Silva schanzte dem Staat jüngst im Zuge einer Kapitalerhöhung beim Ölkonzern Petrobras Anteile des Unternehmens zu. Russlands Ex-Präsident Wladimir Putin zerschlug 2000 den Ölkonzern Yukos und warf dessen Chef Michail Chodorkowski ins Gefängnis .

Einzelne Papiere in Schwellenländern zu kaufen ist riskant - für Privatanleger oft auch gar nicht möglich. Investieren können sie indirekt: "Viele westliche Firmen haben das Potenzial dieser Länder früh erkannt", sagt Peter Lawrence, Aktienanalyst von JP Morgan. So ist Volkswagen mit 20 Prozent Marktanteil Marktführer in China.

Europäische Unternehmen erzielen laut Morgan Stanley bereits 23 Prozent ihrer Umsätze in Schwellenländern, innerhalb von zehn Jahren hat sich der Anteil fast verdoppelt. Anleger, die Aktien etablierter westlicher Unternehmen mit Schwellenländer-Engagements kaufen, "kombinieren hohe hiesige Bilanzierungsstandards mit den Wachstumsraten der Schwellenländer", so Lawrence.

Der deutsche Maschinenbauer Aixtron etwa verkauft 94 Prozent seiner Spezialanlagen in Asien. Dort werden sie vor allem zur Herstellung von LED-Leuchten genutzt. Selbst größere Unternehmen, wie MAN, setzen bereits 50 Prozent in Schwellenländern um. Empfehlenswert sind der Abfüllanlagenhersteller Krones (Schwellenländer-Umsatzanteil 50 Prozent) und Adidas (45 Prozent). Beide dürften vom steigenden Konsum stark profitieren. Auch der Bierbrauer Heineken erzielt knapp die Hälfte seines Umsatzes auf den stark wachsenden Märkten. Zementgigant Holcim hat in mehreren Schwellenländern börsennotierte Töchter.

Rohstoffe und Ackerland

Eng verbunden mit dem Megatrend Schwellenländer ist die steigende Nachfrage nach Rohstoffen und Agrargütern. Privatanleger investieren vor allem über börsengehandelte Zertifikate in Rohstoffe. Die Anbieter dieser meist unendlich lange laufenden Papiere müssen die Kontrakte, mit denen sie sich absichern, regelmäßig an Terminbörsen erneuern.

Doch wenn die Preise der länger laufenden Kontrakte über denen von früh fälligen liegen, handelt man sich Rollverluste ein. Ein Scheffel Weizen zur Lieferung im Dezember 2010 etwa kostet an der Terminbörse in Chicago 7,25 Dollar, der Kontrakt für Dezember 2011 notiert sechs Prozent höher bei 7,67 Dollar. Der Weizenpreis müsste also binnen eines Jahres um sechs Prozent steigen, damit kein Verlust entsteht.

Mögliche Rollverluste ändern aber nichts am fundamentalen Trend: Die Vereinten Nationen rechnen bis 2030 mit einem Anstieg der Weltbevölkerung auf 8,3 Milliarden Menschen. Um zwei Milliarden zusätzlich zu ernähren, muss das Angebot an Agrarrohstoffen um etwa ein Drittel steigen. Höherer Fleischkonsum in den Schwellenländern und Flächenverbrauch für Biokraftstoffe verstärken den Trend.

An der Börse sind Unternehmen mit Landbesitz, wie die argentinische Cresud, rar. Eine Alternative sind Aktien von Unternehmen, deren Geschäfte indirekt vom Agrarboom profitieren, etwa Agrochemiker (Bayer), Düngemittelproduzenten (Potash) und Agrarhändler (Baywa).

Überalterung und Gesundheit

2060 wird jeder dritte Deutsche 65 Jahre oder älter sein. Sind Alten- und Pflegeheime deshalb ein sicheres Geschäft? Nein. Denn zum einen wird der demografische Trend von anderen Entwicklungen konterkariert, so steigt der Anteil häuslicher Pflege. Zum anderen hat es, getrieben von geschlossenen Fonds, zwischen 2006 und 2008 einen Investitionsboom gegeben, durch den die Zahl der Heime massiv gestiegen ist. Viele sind deshalb nicht ausgelastet; die Beratungsgesellschaft Terranus prognostiziert, dass zahlreiche Häuser aufgeben müssen. Großpleiten wie die des Fondsanbieters Dr. Hanne und des Pflegeheim-Betreibers Refugium um die Jahrtausendwende zeigen, was passieren kann, wenn ein Trend erkannt, aber falsch in ihn investiert wurde.

Die bessere Alternative für Anleger sind Pharma-Aktien. Sie profitieren sowohl von der Überalterung in den Industrieländern als auch vom steigenden Wohlstand in Schwellenländern, der für immer mehr Menschen medizinische Versorgung bezahlbar macht. Das Marktforschungsinstitut IMS Health rechnet in den nächsten Jahren mit einem durchschnittlichen Wachstum der weltweiten Pharmabranche von vier bis sieben Prozent.

Langfristige Anleger sind bei großen Adressen wie Novartis am besten aufgehoben. Die Schweizer sind weniger von Patentabläufen betroffen als die meisten Konkurrenten, haben fast 150 neue Präparate in der Pipeline und sind durch Beteiligungen stark im Wachstumsmarkt Augenheilkunde (Alcon), bei Generika (Sandoz) sowie bei Grippemedikamenten (Roche). Etwas spekulativer sind Bayer, die mit dem Thrombosemittel Xarelto einen Blockbuster im Angebot haben. Und mit Bayers Pflanzenschutzsparte sind Investoren eben auch beim Agrarboom dabei.

Aktien oder Anleihen?

Grundsätzlich bleibt die Frage, ob Anleger überhaupt in Aktien gehen müssen. Über 40 Jahre schlugen täglich handelbare Bundesanleihen den Dax deutlich. Doch die hohen Renditen der Bundespapiere sind erst einmal passé. Bundesschatzbriefe bringen heute knapp 1,5 Prozent über sechs Jahre, zehnjährige Bundesanleihen 2,3 Prozent. Sichere Unternehmensanleihen liegen über lange Laufzeiten bei 3,0 bis 3,5 Prozent Rendite und damit exakt auf der derzeitigen Dividendenrendite des Dax. Sollte sich die Inflation beschleunigen, angesichts der Papiergeldschöpfung der Notenbanken eine auf Sicht von mehreren Jahren realistische Option, böten Aktien, die Realwerte verkörpern, besseren Schutz .

Der beste Schutz bleibt Gold. Anleger, die Gold weniger als Spekulationsobjekt denn als Versicherung gegen Wertverfall ihrer Heimatwährung begreifen, können Kursschwankungen ignorieren. Die Goldhausse steht erst vor dem Beginn ihrer finalen Phase.

Wer noch schwärzer sieht als die Gold-Befürworter, kauft Sicherheits-Dienstleister. Sicherheit ist besonders in Schwellenländern gefragt. Mit der an der Londoner Risikobörse AIM gelisteten und in Indien mit 18 000 Wachmännern aktiven Mortice lassen sich beide Trends kombinieren. Aktien der Branche laufen bisher schwach. Die schwedische Securitas verlor in fünf Jahren 40 Prozent, die Aktie des US-Personenschützers Tri-S-Security fiel von fünf Dollar auf 15 Cent.

Die Angst, dass soziale Unruhen und Kriminalität bald die Welt beherrschen, ist an der Börse noch nicht angekommen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%