Finanzkrise Warum die Börse nicht für alle Zeiten tot sein wird

Der Bankencrash reißt die Aktienmärkte weit nach unten. Warum die Börse dennoch nicht für alle Zeiten tot sein wird, wie tief der Dax noch fällt.

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Aktienhändler in New York Quelle: reuters

Die Gründerzeitvilla im noblen Westend, in der die Fondsgesellschaft Frankfurt Performance Management (FPM) residiert, ist ein Ort zum Wohlfühlen. 

Altes Parkett knarzt unter den Schuhen der Besucher, wenn diese die weiß lackierten Flügeltüren durchschreiten. Vom Konferenzraum aus schweift der Blick auf den Balkon, auf dem das Team gewöhnlich seine Morgenrunde abhält – des starken Zigarettenkonsums von FPM-Mitgründer Manfred Piontke wegen. Die Bankentürme der City sind von hier nicht auszumachen, stattdessen schauen die Fondsmanager auf einen Hinterhof mit Birke.

Doch für die Großstadtidylle hat derzeit niemand Sinn. Selbst Piontke kann den Dauerstress der vergangenen Tage nicht wegqualmen.

Denn auch FPM, Spezialist für deutsche Aktien, hat die US-Finanzkrise voll erwischt. Der Immobilienfinanzierer Aareal, eine der größten Positionen in den Fonds, verlor vor ein paar Tagen binnen Stunden 43 Prozent – nach unten gezogen vom Dax-Wert Hypo Real Estate, der trotz 35 Milliarden Euro Bürgschaft des Bundes und der privaten Banken um 74 Prozent einbrach.

An diesem 29. September 2008 erlebte die Welt einen Schwarzen Montag: Das US- Börsenbarometer Dow Jones verzeichnete mit minus 778 Punkten den höchsten absoluten Tagesverlust seiner Geschichte, der breite S&P 500 brach um 8,8 Prozent ein, Technologieaktien verloren fast zweistellig.

Ist der Crash nun das vorläufige Ende aller Börsen?

Ist der Crash nun das vorläufige Ende aller Börsen, werden die Kurse jetzt jahrelang fallen, allenfalls gebremst von kleinen Zwischenerholungen?

Oder nimmt der Aktienmarkt jetzt nur gerade vieles von dem vorweg, was noch kommen dürfte – weitere Bankenausfälle, eine globale Rezession – steigen die Kurse womöglich schon wieder an, bevor die reale Wirtschaft die Talsohle in den nächsten Quartalen erst erreicht haben wird?

„Die Konjunkturrisiken sind massiv. Sie werden vom Markt eher noch unter- als überschätzt“, fürchtet jedenfalls Matthias Jörss, Leiter Aktienstrategie bei Sal. Oppenheim, der zwei Kilometer Luftlinie von FPM entfernt im muschelkalkfarbenen Oppenheim-Bau am Mainufer über seinen Tabellen brütet. „Die Aktienmärkte sehen im Vergleich zur Lage am Kreditmarkt immer noch sehr optimistisch aus“, sagt auch Uwe Burkert, der die Kreditmarktstrategie der Landesbank Baden-Württemberg verantwortet. Wahrscheinlich also nimmt die Börse noch längst nicht alle Gefahren vorweg.

Aber: Das gilt längst nicht mehr für jede Aktie. Denn die Kurseinbrüche einzelner Papiere in diesen Tagen stellen alles in den Schatten, was eine ganze Investorengeneration bisher erlebt hat. Selbst Technologieaktien brauchten nach der Jahrtausendwende drei Jahre, um 80, 90 Prozent Kursverlust perfekt zu machen.

Bei Bankaktien dauert das im Herbst 2008 oft nicht mal Stunden. Dabei wird gleich eine ganze Branche in Sippenhaft genommen.

Beispiel Postbank: Die Deutsche Bank wird sie aller Voraussicht nach in den Jahren 2009 bis 2011 zu fest vereinbarten gestaffelten Kursen von 42,80 und 55 Euro kaufen – egal.

Der Kurs der mit reichlich Kundeneinlagen gesegneten und damit von der Finanzkrise eher wenig getroffenen Post-Tochter schnurrt auf 26 Euro zusammen. Auch Industriewerte gehen in den Keller, so als ob morgen schon kein Stahl, kein Öl oder kein Zement mehr verbraucht wird.

Finanzkrisengeplagte Amerikaner stoßen alles ab, was verkäuflich ist

Risiko in Europa steigt Quelle: Bloomberg. Stand: 30.09. 2008

Beispiel ArcelorMittal: Finanzinvestoren würden den Stahlriesen umgehend kaufen – wenn sie denn Kredit bekämen. Einen Aufkauf des weltgrößten Stahlkonzerns könnte ein Private-Equity-Investor binnen nur sechs Jahren aus dem operativen Mittelzufluss des Unternehmens zurückzahlen, alle Schulden wären dann getilgt. Der Stahlriese – ein Schnäppchen.

Nicht anders Salzgitter: Dort tragen Cash und Beteiligungen schon den halben Börsenwert. Ölriesen wie Total oder Royal Dutch bringen sichere Dividenden von fünf Prozent, selbst Goldaktien wie Newmont Mining verlieren dieses Jahr bis dato ein Drittel – trotz nur kurz unterbrochener Dauerhausse des Edelmetalls.

Der Grund für die zum Teil überzogenen Kursabstürze: Finanzkrisengeplagte Amerikaner stoßen alles ab, was verkäuflich ist – Aktien sind am besten geeignet, weil sofort zu Geld zu machen. Wenn es irgendwo brennt, werden diese Umschichtungen beschleunigt. So lange diese US-Investoren ihre Depots nicht geräumt haben, kann es immer wieder Verkaufswellen geben.

Auch für vermeintliche Branchenkenner wie Piontke bricht mit den Börsenkursen die Welt zusammen, die sie zu kennen glaubten. „Ich bin immer wieder heftig erstaunt über die Nachrichten, die über den Ticker kommen“, sagt der FPM-Gründer. Hypo Real Estate (HRE) hatte er noch im Februar als Kaufgelegenheit bezeichnet, weil die Aktie schon damals nur die Hälfte des Buchwerts kostete, also rechnerisch ein Euro Vermögenswert für 50 Cent zu haben war.

Doch von seinerzeit 20 Euro ist der Kurs auf vier Euro eingebrochen. „Aber es muss etwas übrig bleiben, das mehr wert ist als vier Euro“, macht sich Piontke Mut – und schränkt gleich wieder ein: „Jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die Bank überlebt.“

Doch genau diese Gewissheit ist seit einigen Tagen auch in Europa verschwunden. Grund: Seit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers herrscht Weltuntergangsstimmung am Geldmarkt, dort, wo sich die Banken gegenseitig Liquidität zuschustern. Selbst die Depfa, Staatsfinanzierer und Tochter der HRE, findet keine andere Bank, die ihr das dringend benötigte Geld leiht. Absurd, findet Piontke: „Banken können kerngesund sein und bekommen keine Liquidität.

Das gab’s noch nie.“ Absurd ja, aber kein Wunder, wenn doch Chefs, wie derjenige einer großen öffentlichen Bank, damit prahlen „gesund zu sein, aber keinen Cent an andere Banken“ rauszurücken – und wenn dann „nur zu hohen Zinsen und Spitzensicherheiten“.

Die EZB könnte zum Schrottplatz verkommen

Die Bankenmalaise hat sich ob solcher Attitüde und der schieren Angst in den Chefetagen längst gelöst von möglichen weiteren Verlusten aus Abschreibungen auf Schrottpapiere. Kein Banker will Geld an einen Konkurrenten überweisen, der möglicherweise morgen schon pleite ist; niemand will der nächste Dumme sein. Gerade deswegen aber – und darin liegt das Fatale – müssen die Banken nach den Zentralbanken und dem Staat rufen. So auch die Hypo Real Estate, die vermutlich nach wie vor vermögensstark ist, sodass am Ende kaum etwas beim deutschen Steuerzahler hängenbleiben dürfte.

Ausdruck der Bankenängste: Am vergangenen Dienstag parkten ihre Chefs über Nacht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) 44,4 Milliarden Euro – so viel wie noch nie seit Einführung des Euro vor fast zehn Jahren. In ruhigeren Zeiten ruhen hier allenfalls ein paar Hundert Millionen. Denn bei der EZB bekommen Banken nur 3,25 Prozent Zins, während die Deutsche Bank für eine Leihe etwa an die Commerzbank leicht fünf Prozent kassieren würde.

Die EZB könnte dabei zum Schrottplatz verkommen. Um den Geldkreislauf noch einigermaßen in Schwung zu halten, akzeptiert sie zur Besicherung von Krediten auch mutmaßlich auf faulen Krediten beruhende Papiere. Findige Banker schnüren, so ist in Frankfurt zu hören, bereits jetzt Pakete aus unverkäuflichen Schrottpapieren – nur um diese dann bei der EZB abzuladen. Sie wissen: Andere Banken würden ihnen das nie abnehmen. Gegenmaßnahmen plant die EZB erst für Februar 2009.

Bildeten die Banken eine isolierte Welt, würde sich niemand um diese Probleme scheren. Unternehmen und Arbeitnehmer brauchen aber starke Banken, die sich vor allem gegenseitig vertrauen. Die Geschichte zeige, so Bob Doll, Leiter Anlagestrategie des US-Vermögensverwalter-Giganten Blackrock, „dass Störungen im Banken- und Finanzsystem fast immer massiv auf das Wirtschaftswachstum durchschlagen“.

Anleger sollten vor allem stark verschuldete Firmen meiden

Grafik: Absturz trotz günstiger Bewertung (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Vor allem Unternehmen, die ein kapitalintensives Geschäft betreiben und auf Fremdkapital angewiesen sind, leiden unter der Krise.

Zuletzt brachen etwa die Aktien des recht hoch verschuldeten Düsseldorfer Handelskonzerns Metro ein. Auch der Autoverleiher Sixt verlor massiv, obwohl das Unternehmen allenfalls auf den zweiten Blick – über sein starkes Leasinggeschäft – etwas mit der Finanzbranche gemein hat.

Anleger sollten vor allem stark verschuldete Firmen meiden, meint Jörss von Sal. Oppenheim. Wenn die Banken die Kreditzügel weiter anziehen, kommen Unternehmen mit Schulden doppelt unter Druck: Über die demnächst einbrechende Konjunktur und steigende Finanzierungskosten. Im Dax zählen Bayer, Continental, Linde und Telekom zu den Schuldenmeistern. Auch wenn deren Finanzierungen langfristig gesichert sind, leiden sie doch stark unter dem Anleger-Misstrauen.

Um den richtigen Zeitpunkt für einen Wiedereinstieg an der Börse zu identifizieren, beobachten auch Aktienanalysten wie Jörss derzeit vor allem die Kreditmärkte.

Denn die Banken verschärfen ihre Kreditkonditionen, zugleich müssen die Unternehmen im Vergleich zum Staat immer höhere Zins-Aufschläge für ihre Anleihen bieten. „So lange auf den Kreditmärkten keine nachhaltige Entspannung eintritt, dürfte auch die Börse noch keinen Boden finden.

Denn die Kreditverknappung ist der Kern des Problems, sie ist die eigentliche Gefahr" sagt der Anlagestratege. Zurzeit ist hier von Entspannung noch keine Spur. Das demonstrieren etwa die hohen Prämien, die für die Absicherung von Bankschulden fällig werden.

„Historisch gab es meines Wissens seit 1860 in den USA noch nie eine Erholung am Aktienmarkt während die Banken ihre Kreditvergabe noch einschränkten“, sagt Eberhard Weinberger, Vorstand bei Deutschlands größtem Vermögensverwalter DJE in Pullach.

Weinberger würde deshalb „derzeit Erholungsphasen an den Börsen eher zu weiteren Verkäufen nutzen. Der letzte Ausverkauf hat trotz des Schwarzen Montags am 29. September noch nicht stattgefunden“, meint der Anlagestratege. „Es wäre sehr naiv zu glauben, dass die Banken Unternehmen und Bürgern bald wieder mit beiden Händen Geld hinterherwerfen, nur weil sie einen Teil ihrer faulen Kredite beim Staat abladen dürfen.“

Im Durchschnitt rechnen Analysten für 2009 noch mit 14 Prozent steigenden Unternehmenserträgen

Blackrock-Experte Doll warnt deshalb vor allem vor überzogenen Gewinnschätzungen bei konjunkturabhängigen Industrieunternehmen, bei Konsumaktien und auch bei den Finanzwerten. „Bei Banken sind die Analysten anscheinend besonders stark abgelenkt und mit sich selbst beschäftigt“, ätzt Doll, "sie hoffen auf eine viel zu schnelle Erholung schon 2009.“

Im Durchschnitt rechnen Analysten für 2009 noch mit 14 Prozent steigenden Unternehmenserträgen. „Diese Schätzungen sind natürlich viel zu hoch“, sagt Klaus Schlote, Geschäftsführer von Solventis Research in Frankfurt. „Vergangene Rezessionen gingen im Schnitt mit um rund 40 Prozent sinkenden Unternehmensgewinnen einher, ich sehe keinen Grund, weshalb wir diesmal glimpflicher davonkommen sollten als zum Beispiel 1991 oder 1987.“

Doch selbst wenn die Gewinne von ihrem Hoch 2007 so deutlich absacken sollten, müssen die Kurse einzelner Aktie nicht zwangsläufig weiter fallen.

Der Rohstoffkonzern BHP Billiton, die norwegische Stat-oil, Telekomanbieter Vodafone, Handy-Riese Nokia oder auch die Versicherer Axa und Allianz wären selbst bei deutlich zweistelligen Gewinneinbrüchen nicht teuer: Sie haben allein in diesem Jahr 20 bis 50 Prozent an Wert verloren und damit herbe Geschäftseinbrüche schon vorweggenommen.

Zwar schützt eine vermeintlich niedrige Bewertung nicht generell vor weiteren Verlusten. Die Historie des US-Index S&P 500 zeigt das nur allzu deutlich. Doch kommt eine niedrige Bewertung gleichzeitig mit einer soliden Bilanz daher, kann nicht mehr viel anbrennen. Niedrig bewertet und eine krisenfeste Bilanz – dazu zählen zum Beispiel E.On, RWE, Thyssen, Lufthansa, Statoil und Nokia. Bankaktien dagegen bergen noch hohe Risiken – auch Zeitbomben in den Bilanzen, die erst zum Jahresende oder später hochgehen könnten.

Zwar griff Investmentlegende Warren Buffett jetzt sogar bei Banken zu und steckte fünf Milliarden Dollar in Goldman Sachs. Wer es ihm nachtun will, sollte aber nicht übersehen, dass Buffett von Goldman zehn Prozent Garantiedividende aushandelte – für sich, nicht für alle Anleger.

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