Anlagebetrug Finanz-Apokalypse aus Russland

In den 90er Jahren zählte der Russe Sergei Mawrodi das Geld zimmerweise. Doch seine Finanzpyramide MMM ruinierte erst Millionen Anleger und dann ihn selbst. Mit einem neuen Schummel-Fonds will er nun das Finanzsystem der Welt zerstören.

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Kreml in Moskau Quelle: AP

Eine riesige Menge jubelt Sergei Mawrodi zu, als er von der Polizei aus seinem Büro abgeführt wird. „Hände weg von Mawrodi", skandieren die Menschen. Die wütenden Bürger sind Anleger, die auf Mawrodis Finanzpyramide MMM reingefallen sind. Den Betrug wahrhaben will jedoch kaum einer. Die Wut richtet sich vielmehr gegen den Staat, der das geniale System kaputt machen wolle. Das Gerücht, die Polizei habe das Geld aus Mawrodis Hauptquartier mit 17 LKW in unbekannter Richtung abtransportiert, heizt die Gemüter noch weiter auf.

Menschen aus der Sklaverei retten

„Die Menschen hätten auf mein Kommando den Kreml gestürmt“, erinnert sich der Finanzjongleur heute an seine Festnahme im Sommer 1994. Aber er habe keinen Bürgerkrieg riskieren wollen. Heute sieht er es ein wenig anders. Nicht weniger als das ganze Finanzsystem der Welt will der studierte Mathematiker in den Ruin stürzen und so die Menschen aus der „Sklaverei befreien!“. Das probate Mittel dazu – eine neue Finanzpyramide. Im Januar 2011 sitzt der 56-jährige mit Hornbrille und ausgewaschenem Polohemd vor seinem Computer und zeichnet eine Videobotschaft auf. Im Zimmer stehen leere Regale, ein Heimtrainer und ein Gymnastikball. Den Rest hätten Gerichtsvollzieher beschlagnahmt. „Mein System kann nicht zusammenbrechen“, sagt er in seine Webcam. Es ist der Startschuss für MMM2011.

Das Pyramidensystem zieht immer noch

Mitmachen kann jeder, der virtuelle Papiere, so genannte Mawro kauft. Deren Wert steigt ständig, so wie es der Ideengeber Mawrodi bestimmt. Jeden Monat mindestens um 20 Prozent. Das System ist eine klassische Pyramide, warnt er unverblümt. Garantien gebe es keine. Und trotzdem zahlen wieder Tausende Anleger in das System ein, genau wie vor 18 Jahren als Mawrodi zum Superstar des neuen Russlands aufstieg.

„Wir zählten das Geld Zimmerweise“

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Damals grassiert im Land der Wildwest-Kapitalismus. Die Inflation liegt bei 800 Prozent, während die Reformer um Boris Jelzin im Volk immer verhasster werden. Mit dem Versprechen vom schnellen Geld stößt der mit Computerhandel reich gewordene Mawrodi auf fruchtbaren Boden. Den wirtschaftlich unbedarften Russen verkauft er Aktien mit seinem Konterfei, deren Kurs jeden Monat um festgelegte 50 Prozent steigt.

Zimmerweise Geld gescheffelt

Mawrodi mietet im ganzen Land Büros und lässt beinahe wöchentlich neue Werbefilme drehen, die als Mini-Seifenoper funktionierten. Zum Beispiel über den Baggerfahrer Ljonja Golubkow, der dank MMM seiner Frau Rita Stiefel und Pelzmantel kaufen konnte, und mit seinem Bruder zur Fußball WM in die USA flog. Für die verarmte Bevölkerung wären bereits de Stiefel ein großer Kauf gewesen. Und so trugen Millionen ihr Erspartes zu Mawrodi. „Wir konnten das Bargeld nur noch zimmerweise zählen“, erinnert er sich. Im Sommer folgte dann der Crash. Der Geldstrom versiegte, als Steuerbehörden gegen Mawrodi zu ermitteln begannen. Im August kam seine Festnahme.

Anleger begingen Selbstmord

Der Staat habe alles kaputt gemacht, glaubt Mawrodi auch heute noch. Um freizukommen, ließ er sich ins im Herbst 94 ins Parlament wählen. Seine Beliebtheit schlug jedoch schnell in Hass um. Etwa 10 Millionen Anleger gingen leer aus, einige verspielten sogar ihre Wohnungen, mehr als 50 Menschen nahmen sich laut Staatsanwaltschaft das Leben. Es hagelte Anzeigen und der Ex-Mogul musste untertauchen. 2003 wurde er erst gefasst und zu 4,5 Jahren Gefängnis verurteilt. Noch heute schuldet Mawrodi seinen Anlegern rund 100 Millionen Euro. Er meint, er habe trotzdem alles richtig gemacht.

Bald muss keiner mehr arbeiten

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Eine Werbung für Evonic Industries Quelle: AP
Energiesparlampen werden bei Osram in Verkaufsverpackungen abgepackt Quelle: dpa
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Chips des Herstellers Lantiq Quelle: Pressebild

Anders als seine neuen Anleger hat er auch dazugelernt. Sein neues System sei nicht so einfach zu zerstören. Es gibt keinen offiziellen Fonds und keine Verantwortlichen. Er selbst habe keinen Zugriff auf das Geld. Ohnehin liege sein Interesse in höheren Sphären. „Irgendwann, wenn alle Menschen der Welt Mitglied bei MMM2011 sind, muss niemand mehr für Geld arbeiten“, schwadroniert der Finanzjongleur. In der Zwischenzeit fluten angebliche Anleger Wirtschaftsblogs und Foren mit Beiträgen über Mawrodis neuste Schöpfung. Als Werbefläche dienen auch Gehsteige auf denen das MMM-Emblem aufgesprüht wurde, Luxuskarossen mit Aufklebern oder ganze Hausfassaden.

Mawrodi ist untergetaucht

Die russische Polizei sieht Sergei Mawrodis angeblichen Altruismus daher eher skeptisch. Ende März wurde er wegen einer nicht gezahlten Strafe von 25 Euro festgenommen. Statt aufs Revier musste der Pyramidenbauer wegen Herzbeschwerden jedoch in eine Klinik, aus der er nachts im Pyjama und Pantoffeln fliehen konnte. Seitdem ist er untergetaucht.

Offenbar war der Aufruhr genug, um das unsinkbare System MMM2011 vor echte Probleme zu stellen, denn die Auszahlungen seien vorerst deutlich reduziert, heißt es in einer der letzten Botschaften Mawrodis. Die Moskauer Staatsanwaltschaft hat derweil Anzeige wegen Betrugs erstattet. Auf loyale Menschenmassen kann Mawrodi bei seiner möglichen Verhaftung nun kaum hoffen. Die Teilnehmerzahl seiner Pyramide von 25 Millionen entspringt eher seiner Phantasie. Entmutigen lässt er sich trotzdem nicht. Auf seiner Internetseite prangt mittlerweile ein neuer Button: Registrieren für MMM2012.

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