Anlagestrategie Das Ende aller Zinserträge

Fondsmanager-Legende Bill Gross warnt vor den Folgen der Negativzinsen. Scheitern die Notenbanken, sieht er die Finanzmärkte abstürzen.

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Investment Legende Bill Gross. Quelle: Bloomberg

Im Mathematik-Unterricht an der High School hörte ich zum ersten Mal von Zenons Paradoxon: Man stelle sich einen Fußgänger vor, der auf eine zehn Meter entfernte Ziellinie zugeht, dabei aber immer kleinere Schritte macht: Jeder Schritt ist halb so lang wie der vorige. Somit nähert er sich zwar mit jedem Schritt der Ziellinie, kann sie aber nie erreichen, selbst wenn er unendlich viele Schritte tut.

Das ist nur ein Gedankenspiel. In der Realität würde jeder Fußgänger irgendwann sein Ziel erreichen oder aufgeben, jedenfalls nicht unendlich lange gehen.

Doch nicht jedes theoretische Problem löst sich in der Realität von alleine. Die aktuellen Negativzinsen etwa sind Realität. Doch viele Anleger tun so, als ob es sich um ein rein virtuelles Problem handele – ähnlich dem Zenon-Paradox –, bei dem sie trotzdem Erträge einstreichen könnten. In Deutschland liegt die Rendite für fünfjährige Bundesanleihen bei minus 0,3 Prozent. Ein Anleger, der 101,50 Euro investiert, wird in fünf Jahren nur 100 Euro zurückbekommen.

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Warum haben die Zentralbanken den Zins so weit gesenkt? Wollen sie den Anlegern Verluste einbrocken? Eher nein. Sie wollen Investoren in positiv verzinste Anlagen mit längerer Laufzeit oder höherem Kreditrisiko treiben und damit Inflation und Konjunktur ankurbeln.

Auf den ersten Blick wirkt das logisch. Es funktioniert aber nicht. Die Investoren kaufen weiterhin die ihrer Meinung nach sicheren Anlagen, selbst solche, die derzeit negativ rentieren. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Damit ist das Experiment gescheitert, denn dauerhafte Negativzinsen bringen das Geschäftsmodell von Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und die Anlagestrategie von Sparern zum Zusammenbruch.

Umstrittene Rezeptur

Warum gehen Anleger ein sicheres Verlustgeschäft ein? Viele, die noch immer Bundesanleihen mit fünf Jahren Restlaufzeit besitzen, halten es offenbar mit Zenon: Sie reden sich ein, dass sie die Ziellinie – das Fälligkeitsdatum und damit den sicheren Verlust – nie erreichen werden. Weil die Renditen für vierjährige Bundesanleihen noch stärker im Minus seien, werde der Kurs für die Fünfjährigen schon noch anziehen. Schließlich müssen deren Kurse steigen, damit ihre Renditen noch weiter sinken. Dann, so das Kalkül, lasse sich damit sogar noch ein bisschen Geld verdienen, und man kann sich auf die Schulter klopfen, denn man ist ja der Negativzinsfalle der EZB entgangen.

Teure Trugschlüsse

Das könnte sich als teurer Trugschluss erweisen. Denn das Paradoxon von Zenon, Mario Draghi und Janet Yellen ist eben leider nur das – ein Paradoxon. Selbst wenn die Renditen auf ewig gedrückt würden, müssten Anleger am Ende doch über die Ziellinie, sprich: das Laufzeitende erreichen. Und dann macht „der Markt“ Verlust. Und dieser Markt besteht aus vielen, vielen Möchtegern-Notenbank-Austricksern, aus Investoren, die, ob nun direkt oder über Fonds und Versicherungen, in sichere Verlustgeschäfte investiert sind. Bis zu 40 Prozent aller aktuell ausstehenden Bonds aus Industrieländern weisen bereits negative Renditen auf. Aber wen kümmert’s: Man kann ja noch rechtzeitig raus und Hochzinsanleihen oder Aktien kaufen.

So kreditwürdig sind die Eurostaaten
Das Centrum für europäische Politik (CEP) hat die Kreditfähigkeit der Euro-Staaten analysiert. Einen besonders intensiven Blick haben die Wissenschaftler auf Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien geworfen. Das Resultat: die Probleme, die zur Euro-Krise geführt haben, bestehen weiterhin - und haben sich sogar auf weitere Länder ausgeweitet. Quelle: dpa
Die Kreditfähigkeit von Spanien nimmt erstmals seit Einführung des Euros zu. Die Ampel für Spaniens Kreditwürdigkeit steht auf grün, das CEP vergibt beim Schuldenindex eine Wertung von 2,3. Ein positiver Wert des CEP-Default-Indexes bei gleichzeitigem gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsüberschuss bedeutet: Das Land benötigt in der betrachteten Periode keine Auslandskredite, es steigert daher seine Kreditfähigkeit. Diese positive Entwicklung dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land noch weitere Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen umsetzen muss, um die in den Krisenjahren drastisch angestiegene Staatsverschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Quelle: dpa
Auch für Irland steht die Ampel auf grün. Der ehemalige Krisenstaat hat, wie die kontinuierliche Zunahme der Kreditfähigkeit seit 2010 zeigt, die Krise überwunden. Der Schuldenindex beträgt 6,7, ist also deutlich positiv. Aufgabe muss es nun sein, die Investitionen, die auf fast Null gesunken sind, zu steigern, um die Wirtschaft wieder voran zu treiben. Quelle: dpa
Für Portugal zeigt die Ampel dagegen rotes Licht: Zwar erodiert die portugiesische Kreditfähigkeit noch immer. Der ununterbrochene Anstieg des Schuldenindexes seit 2011 zeigt jedoch, dass Portugal erhebliche Anstrengungen unternommen und Anpassungen bewältigt hat. Derzeit beträgt der Index -2. Unbeschadet dieser positiven Entwicklungen ist es allerdings fraglich, ob Portugal bereits ohne weitere Finanzhilfen auskommen wird, wenn das Anpassungsprogramm Mitte 2014 ausläuft. Quelle: dpa
Auch Italien gehört zu den Ländern mit einer "verfestigten abnehmenden Kreditfähigkeit", wie es beim CEP heißt. Die seit 2009 zu beobachtende Erosion der Kreditfähigkeit von Italien dauere an. Gegenüber 2012 habe sich der Verfall beschleunigt. Es sei fraglich, ob sich dies auf absehbare Zeit ändere. Denn die hierfür notwendigen Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen seien von der italienischen Regierung bisher nicht ergriffen worden. Quelle: dpa
Ganz mies ist die Lage in Griechenland: Mit einem Wert von -9,8 hat Griechenland die schlechteste Kreditwürdigkeit aller 31 untersuchten Staaten. Die Kreditfähigkeit des Landes verfällt weiter und zwar deutlich schneller als die aller anderen Euro-Länder. Die Wiedererlangung der griechischen Kreditfähigkeit ist nicht absehbar, die Ampel steht auf dunkelrot. Quelle: dpa
Eine negative Überraschung kam in diesem Jahr aus dem Norden Europas: Belgien und Finnland weisen im ersten Halbjahr 2013 erstmals eine abnehmende Kreditfähigkeit auf. Da beide Länder noch über Auslandsvermögen verfügen, ist die Schuldentragfähigkeit allerdings noch nicht unmittelbar bedroht, die Ampel zeigt gelb-rot. Der CEP-Default-Index liegt im Falle Belgiens bei -0,5, bei Finnland beträgt er -0,1. Ein negativer Wert kann auf zwei Arten entstehen: 1. Die Nettokapitalimporte übersteigen die kapazitätssteigernden Investitionen. Das Land konsumiert über das im Inland erwirtschafteten Einkommen auch einen Teil des Nettokapitalimports. Die Volkswirtschaft verschuldet sich folglich im Ausland, um Konsumausgaben finanzieren zu können. 2. Kapital verlässt das Land, so dass der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo positiv ist. Gleichzeitig jedoch schrumpft der Kapitalstock. Das Land verarmt. Quelle: dpa

Wer so denkt, glaubt auch an die gute Zinsfee. Außerdem hängen längst nicht nur Anleihen, sondern auch andere Anlagen vom Zinsniveau ab. Wenn die Renditen von Bundesanleihen und anderen Anleihen also immer weiter gedrückt werden, belastet das zum Beispiel auch die Erträge aus Aktienbesitz. Denn Investoren wollen laut Finanztheorie für ihren Aktienkauf mit einer Rendite belohnt werden, die der Summe aus einer mit sicheren Geldanlagen erzielbaren Rendite (risikoloser Zins) und einer Risikoprämie entspricht.

Sinkt also der allgemeine Zins, bleiben auch die Erträge aus Aktienbesitz weit unter dem aus historischer Erfahrung erwarteten Niveau. Nur, weil der risikolose Zins entweder nicht mehr risikolos ist oder unter die Nulllinie gedrückt wird, heißt das nicht, dass dieser Zusammenhang außer Kraft ist.

Zu wenig Wachstum

Die Wirklichkeit sieht so aus: Die Zentralbanken wollen durch eine lockere Geldpolitik und künstlich niedrige Zinsen um jeden Preis Deflation verhindern, also einen Preisrückgang auf breiter Front. Mit dieser Strategie stehen sie aber unter Erfolgszwang – und es läuft ihnen die Zeit davon. In den USA müsste bis 2017 vier bis fünf Prozent nominales Wirtschaftswachstum erreicht werden, damit man der aktuellen Geldpolitik einen Erfolg gutschreiben kann. Schließlich ist es ihr erklärtes Ziel, aus den Schuldenbergen heraus zu wachsen.

Derzeit liegt das Wachstum der US-Wirtschaft bei drei Prozent, was zu wenig ist, um das Verhältnis der Wirtschaftsleistung zum ebenfalls wachsenden Schuldenberg zu verbessern. In Europa und Japan ist die Situation noch schlechter. Scheitert die Zentralbankpolitik, werden die Märkte abstürzen und mit ihnen die kapitalistischen Geschäftsmodelle, die auf diesen Märkten aufbauen.

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