Die Anleger an den Börsen erinnerten ihn an die Akteure beim „Hasenfuß-Rennen“ im James-Dean-Klassiker „...denn sie wissen nicht, was sie tun“, warnt Analyst Markus Reinwand von der Helaba in Frankfurt. Im Film rasen junge Männer in gestohlenen Autos auf eine Klippe zu. Wer zuerst aus dem Wagen springt, ist der Hasenfuß. Die meisten Akteure glaubten aktuell offenbar daran, rechtzeitig abspringen zu können.
Reinwald macht das an Daten aus der jüngsten Investoren-Umfrage der Investmentbank BoA Merrill Lynch fest: Danach ist der Anteil der überproportional in Aktien engagierten Investoren mit 61 Prozent der zweithöchste der vergangenen 13 Jahre. Und dennoch liegt der Anteil der Anleger, die Aktien für zu teuer halten, auf dem höchsten Wert seit dem Crash-Mai 2000. „Angesichts einer überdurchschnittlich langen Phase ohne nennenswerte Kurskorrekturen unterliegen offenbar immer mehr Marktteilnehmer der sogenannten Kontrollillusion“, schlussfolgert der Analyst in seiner Studie von Mitte Juli.
Vier gegen die Krise | |||
Zertifikate und Verkaufsoptionsscheine für eine Absicherung gegen Kursrückschläge | |||
Derivat (Emittentin) | Funktion | ISIN | Kurs/Stoppkurs* |
Faktor-Shortzertifikat auf Dax (Deutsche Bank) | Wandelt tägliche Verluste im Index mit vierfachem Hebel in Kursgewinne um; kein Knockout, keine Laufzeitgrenze; für kurz- bis mittelfristige Absicherung geeignet | 2,45/1,72 | |
Faktor-Shortzertifikat auf MDax (Commerzbank) | 2,70/1,89 | ||
Put-Optionsschein auf Dax (HSBC Trinkaus) | Wandelt Indexverluste derzeit mit siebenfachem Hebel in Kursgewinne um; Laufzeit bis 17. Juni 2015; für kurzfristige Absicherung und vor allem gegen scharfe Indexrückschläge geeignet | 4,65/2,33 | |
Put-Optionsschein auf MDax (Deutsche Bank) | 0,92/0,46 | ||
* in Euro; Quelle: Banken, Thomson Reuters |
Dax, MDax, TecDax
Verschärft sich die weltpolitische Krisenlage, springen die Investoren ab. Aber danach, so scheint es, geht das Rennen in die nächste Runde. Die Hausse im Dax indes steht auf zunehmend brüchigem Fundament, getragen vor allem von billigem Geld, niedrigen Zinsen und der Alternativlosigkeit von Aktien. Angesichts ausgereizter Bewertungen dominierten inzwischen klar die Kursrisiken, warnt Reinwand. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der Dax-Werte auf Basis der von Analysten für 2014 erwarteten Gewinne liegt mit 12,7 am oberen Rand der in den vergangenen fünf Jahren beobachteten Spanne, die durchschnittliche Dividendenrendite von 3,1 Prozent dagegen am unteren Rand der Fünfjahresspanne.
Die Schwankungsintensität der Kurse ist immer noch, trotz zuletzt zeitweise heftigerer Bewegungen im Zuge der politischen Krisen, sehr niedrig. Das alles signalisiert eine gewisse Sorglosigkeit der Anleger.
Noch gefährlicher als im Dax scheint die Lage bei Nebenwerten aus dem MDax und TecDax. In der Hausse seit März 2009 legte der MDax, in dem 50 mittelgroße Aktien von Aareal Bank bis Wincor Nixdorf vertreten sind, um bis zu 270 Prozent zu, der Dax schaffte nur etwa 170 Prozent. Dem MDax kam zugute, dass er in der Frühphase der Hausse dank zahlreicher Hidden Champions höhere Wachstumsaussichten bei einer ähnlichen Bewertung wie der Dax versprach. In der Tat kletterten die durchschnittlichen Erträge der MDax-Unternehmen von 2009 bis 2013 etwa doppelt so stark wie die der Dax-Unternehmen.
Verschreckte Investoren
Doch nun wächst die Gefahr, dass sich die Schere wieder schließt. Geht es nach den bisherigen Hochrechnungen der Banken, sollen die Unternehmensgewinne beider Indexfamilien in dieser Saison um etwa ein Fünftel zulegen. Schon damit hätte der MDax keinen Vorsprung mehr. Dass seine Unternehmen bei den im vergangenen Jahr real erwirtschafteten Gewinnmargen etwa um ein Drittel schwächer abschnitten als der Dax, ist ein Warnsignal. Noch immer werden MDax-Aktien mit einem KGV von 17 deutlich höher gehandelt als die Dax-Aktien mit ihrem 13er-KGV.
Gerechtfertigt ist das nicht mehr. Das Rückschlagrisiko im M-Dax ist damit noch höher als das im Dax. Besonders schwach gelaufen ist aus dem MDax zuletzt der stark in Russland engagierte Generikahersteller Stada. Auch die Gewinnwarnung des Baukonzerns Bilfinger, der mit mehr Ingenieurdienstleistungen und weniger klassischem Bau eigentlich stabilere Erträge liefern wollte, hat Investoren verschreckt. Im TecDax demonstrierten Medizintechniker Dräger und die Software AG, dass Gelddrucken der Notenbanken und Niedrigzinsen allein sicher nicht Wohlstand und höhere Unternehmensgewinne garantieren.
Rohstoffpreise
Im Gegenteil, meint Eberhardt Unger, Volkswirt von Fairesearch: „Je weiter die Leitzinsen sinken, desto weniger nützen sie zur Stimulierung.“ Wenn ein Unternehmen nicht bei einem Leitzins von zwei Prozent investiere, werde es das auch nicht bei einem Prozent tun, aus Sorge, für neue Produkte keine Abnehmer zu finden. „Bei einer Senkung auf 0,15 Prozent“, so Unger, „schrillen Alarmglocken, die Notenbank scheint ja einen schweren Konjunktureinbruch zu befürchten.“
Der könnte etwa von der Rohstoffseite kommen. Sollte der Westen tatsächlich verschärfte Sanktionen gegen Russland beschließen, dürften nicht nur die Gaspreise in Europa anziehen, sondern auch die Preise für Öl, Nickel, Kupfer, Aluminium, Weizen und Palladium. Damit rechnen die Rohstoffanalysten der Commerzbank.
Gold gilt als Krisenprofiteur
Russland gehöre bei diesen Rohstoffen zu den weltgrößten Produzenten. Steigende Rohstoffpreise aber, vor allem steigende Energiepreise, erzeugen Inflationsdruck. Die Eskalation im Konflikt zwischen Israel und der Hamas und die Lage im Norden Iraks und in Libyen treiben den Ölpreis.
Gold gilt als Krisenprofiteur, und es bietet Anlegern bei Inflation Schutz vor Kaufkraftverlusten ihrer Heimatwährung. So folgten auf die beiden Ölkrisen in den Siebzigerjahren jeweils starke Preisschübe beim Gold. Überschießt der Ölpreis aber nach oben, brechen Konjunktur und Investitionen ein. Nachdem der Ölpreis zum Beispiel 2008 auf 150 Dollar pro Barrel schoss, kollabierte die Weltwirtschaft.
Nachfrage nach Gold
Die Folgen: schwächere Unternehmensgewinne, höhere Arbeitslosigkeit und schrumpfende Steuereinnahmen. Die Vermögenspreise gerieten unter Druck, Zwangsverkäufe klammer Investoren erhöhten diesen. Das könnte vorübergehend auch wieder beim Goldpreis passieren, wenn etwa an den virtuellen Goldmärkten, an denen Gold in Form von Derivaten und börsennotierten Fonds (ETF) gehandelt wird, Investoren Geld brauchen, um an anderer Stelle Verluste zu decken.
Dass die physische Nachfrage nach Gold weltweit einbricht, ist gerade wegen der dann zunehmenden Verunsicherung der Anleger unwahrscheinlich. Zumal auch die Solvenz von Banken wieder hinterfragt würde. Denn im Abschwung drohen bei ihnen noch mehr Kredite faul zu werden.
Europas Banken
Eine zunehmende Konfrontation des Westens mit Russland könnte das Systemrisiko an die Finanzmärkte auch direkt zurückbringen. Um die Märkte in Unruhe zu versetzen, reichte vermutlich schon ein vom Kreml administrierter Zahlungsausfall eines russischen Unternehmens. Europas Banken hängen mit am Fliegenfänger. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Statistik der Bank für internationalen Zahlungsausgleich hatten europäische Banken per Ende April 177 Milliarden Dollar nach Russland vergeben. Französische Banken hatten Forderungen über 50,3 Milliarden, italienische über 27 Milliarden und deutsche über 23 Milliarden Dollar.
Ein Totalausfall ist unwahrscheinlich. Goldanleger aber werden nicht müde zu betonen, dass immer nur ein Bruchteil der sofort abrufbaren Kundeneinlagen bei Banken durch Bargeld und Reserven bei der EZB gedeckt ist. Das System funktioniert nur, solange Kunden ihr Geld auf dem Konto lassen. Der Run auf die bulgarischen Banken im Juni, der nur durch eine EU-Hilfe über 1,7 Milliarden Euro gestoppt werden konnte, erinnert an den flüchtigen Charakter des Bankensystems. Jürgen Stark, Ex-Vizepräsident der Bundesbank, bezeichnete unser Geldsystem unlängst als „pure Fiktion“. Er empfiehlt Anlegern, einen Teil ihrer „fiktionalen Ersparnisse“ gegen einen Zusammenbruch des Systems zu schützen und auch in Gold anzulegen.
Physisches Gold
Tatsächlich bietet physisches Gold eine Reserve außerhalb des Finanzsystems. „Physisch bedeutet, dass ich immer zu meinem Safe gehen, meine Barren und Münzen rausnehmen und am Markt verkaufen kann, wenn ich das muss“, sagt der Schweizer Vermögensverwalter Felix Zulauf.
Sollte die Wirtschaft der geopolitischen Krisen wegen einbrechen, dürften die Zentralbanken die Dosis der Geldschöpfung wieder stark erhöhen. Gold aber ist, anders als Dollar oder Euro, nicht beliebig vermehrbar. „Mich interessiert nicht, wohin der Goldpreis geht. Im Vergleich zu dem Wert, den es besitzt, wenn ich die Versicherung tatsächlich brauchen sollte, ist Gold billig“, bringt es ein Hamburger Kaufmann auf den Punkt. Diese Absicherung kann über Jahre aber auch nur Geld kosten, wie eine Versicherungspolice.
Das gleiche Prinzip hilft bei Aktien. Auf lange Sicht brauchen Anleger diese, weil sichere Zinspapiere nicht mal die Inflation ausgleichen. Verluste im Depot lassen sich über Zertifikate (siehe Tabelle auf der ersten Seite) abfedern, die bei fallenden Börsen profitieren.
Im James-Dean-Film übrigens kommt einer der beiden Helden nicht mehr aus dem Auto raus, er rast über die Klippe. Ein Hasenfuß zu sein kann sich auszahlen.