Bei einer Übernahme will der Hauptaktionär die übrigen Aktionäre möglichst billig loswerden. „Unternehmen versuchen häufig, ihren Wert systematisch herunterzurechnen“, sagt Martin Weimann, Rechtsanwalt aus Berlin. Mal würden zu hohe Zinssätze beim Abzinsen künftiger Erträge verwendet, mal würde die absehbare Marktentwicklung zu pessimistisch dargestellt. Zwischen dem öffentlichen Angebot des Hauptaktionärs und der Abfindung nach dem Herausdrängen der Aktionäre lägen im Schnitt etwa 20 Prozent, hat Weimann errechnet. Über die Höhe einer solchen Abfindung streiten vor dem Landgericht München I derzeit Kabel Deutschland, das von der britischen Vodafone übernommen wurde, und dessen Aktionär Elliott, ein US-Hedgefonds. Grundlage für die Abfindung ist in diesem Fall ein Vertrag zwischen Vodafone und Kabel Deutschland, der den Briten die Gewinne und die Kontrolle über ihre deutsche Tochter zusichert.
Der Aktienfonds Greiff Special Situations setzt auf eine höhere Abfindung. Er hält Aktien von Kabel Deutschland für sieben Millionen Euro. „Den Kursrückgang im Frühjahr haben wir genutzt, um unseren Anteil auszubauen“, sagt Volker Schilling, Vorstand bei Greiff Capital Management. Ein Aufschlag von einem Viertel auf die Abfindung sei drin. Kann ein Aktionär einen Aufschlag durchboxen, bekommen alle übrigen mehr Geld. In 70 Prozent aller Fälle spricht das Gericht den Aktionären eine höhere Abfindung zu.
Im September vergangenen Jahres hat der Gesetzgeber die Regeln beim Börsenrückzug geändert: Aktionäre können nicht mehr über die Höhe der Abfindung pokern. Bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Oktober 2013 war dies noch möglich. Danach gab es gar keine Abfindung mehr. Folge: Die Zahl der Anträge auf einen Börsenrückzug schnellte in die Höhe. 2014 haben 40 Unternehmen ihren Rückzug von der Börse angekündigt. Zwischen 2003 und 2012, vor dem BGH-Urteil, waren es insgesamt nur 30 Unternehmen. Die Regeln beim Börsenrückzug haben sich so geändert:
- Beim Rückzug vom regulierten Markt muss der Hauptaktionär den übrigen Aktionären eine Abfindung zahlen. Diese bemisst sich nach dem Börsenkurs über sechs Monate vor Ankündigung des Börsenrückzugs.
Unternehmen, die den Freiverkehr verlassen, müssen Aktionäre dagegen nicht abfinden. Dies gilt etwa für die Mittelstandsbank IKB, die nur noch im Freiverkehr notiert. Ende Februar beschloss der IKB-Vorstand das Delisting. Nur bis Ende September ist die Aktie noch handelbar.
Das neue Gesetz ermuntert Unternehmen, sich zuerst von der Börse zurückzuziehen und danach Minderheitsaktionäre rauszudrängen. Fonds werden dann schon bei Ankündigung des Delisting aussteigen, weil sie nur börsennotierte Papiere halten. Sind sie draußen, kann das Unternehmen leichter eine unattraktive Abfindung durchsetzen. Darunter leidet die Aktie. Ende Februar führte schon eine unverbindliche Erklärung des Hauptaktionärs Etihad, Air Berlin von der Börse nehmen zu wollen, zu 25 Prozent Kursverlust.
- Eine höhere Abfindung als den Durchschnittskurs gibt es beim Börsenrückzug nur, wenn Unternehmen zuvor gegen Marktmissbrauchsregeln verstoßen haben – etwa wenn kursrelevante Nachrichten verschwiegen wurden.