Drei, zwei, eins... nicht mehr meins: Bis Freitag hatten private Gläubiger Griechenlands die Chance, ihre Anleihen auf einer Auktion dem klammen griechischen Staat anzudienen – mit einem Abschlag von 60 bis 70 Prozent. Viele Investoren verzichteten darauf, sie wollen ihr Geld einklagen. Mehrere Hundert Anleger hat die Aktionärsgemeinschaft DSW nach eigenen Angaben für Klägergemeinschaften gewonnen.
„Der von Griechenland beschlossene Zwangsumtausch der Anleihen war rechtswidrig“, sagt DSW-Geschäftsführer Thomas Hechtfischer. Weil im März nicht genügend private Anleger freiwillig ihre Staatsanleihen in neue, länger laufende Papiere umtauschen wollten, hatte die Regierung in Athen sie per Gesetz dazu gezwungen. Hechtfischer schätzt, dass Anleger, die zum Umtausch gezwungen wurden, noch griechische Staatsanleihen für fünf bis sechs Milliarden Euro halten. Hätten sie an der Auktion teilgenommen, wäre dies als nachträgliche Anerkennung des Zwangsumtauschs gewertet worden.
Der Griechen-Streit ist bei Weitem nicht das einzige juristische Nachspiel der Finanz- und Euro-Krise. Seit der Pleite der Lehman Bank 2008 steigt die Zahl der Gerichtsverfahren rasant. Beim Landgericht Frankfurt hat sich die Zahl der Fälle, in denen es um Kapitalanlagen geht, von 2008 bis 2011 auf etwa 2240 verdoppelt. In diesem Jahr rechnet das Gericht mit ähnlich vielen Fällen. Beim Ombudsmann, dem außergerichtlichen Streitschlichter der Banken, hat sich die Zahl der Beschwerden nahezu verdoppelt (siehe Grafik unten).
Am Anfang der Klagewelle standen dramatische Verluste. Im Krisenjahr 2008 büßten die Deutschen laut Bundesbank über 300 Milliarden Euro bei Aktien, Investmentfonds und Anleihen ein.
Pflöcke im Kapitalanlagerecht
Neue Verluste drohen derzeit bei Griechen-Anleihen, Immobilienfonds und durch Pleiten von Aktien- und Anleihe-Emittenten. Der Druck auf die Politik und die Gerichte, zu handeln, wächst. Entsprechend schnell schlagen die Europäische Union und der deutsche Gesetzgeber neue Pflöcke im Kapitalanlagerecht ein.
Derzeit arbeitet die Bundesregierung am Kapitalanlagegesetzbuch, das alle Fondsvehikel regulieren soll. Vor allem bei den kriselnden Immobilienfonds greift der Gesetzgeber ein, nachdem 13 dieser einst als bombensicher verkauften Fonds mit 24 Milliarden Euro Vermögen aufgelöst werden mussten. 2013 sollen zudem das Aktien- und das Pfandbriefrecht geändert werden. Ziel: mehr Durchblick für Anleger bei Risiken.
Anlegerschutz verbessern
Bereits jetzt wirken sich die Änderungen im Insolvenz- und Schuldverschreibungsrecht aus. Eigentlich sollen sie den Anlegerschutz verbessern. Clevere Finanzinvestoren nutzen die neuen Regeln jedoch für sich. Leidtragende sind Privatanleger. So ist es den neuen Eigentümern des Holzverarbeiters Pfleiderer gelungen, Altaktionäre über eine Insolvenz in Eigenregie loszuwerden. Noch 2011 wäre dies so nicht möglich gewesen.
Nicht nur für Aktien-, Anleihe- und Fondskäufer, sondern auch für Millionen Lebensversicherte ist es wichtig, dass sie auf dem neuesten rechtlichen Stand sind. Immer wieder laufen Fristen aus, innerhalb derer es noch möglich ist, sein Geld zu retten oder zumindest Ansprüche geltend zu machen. So erklärte der Bundesgerichtshof gerade einzelne Klauseln von Lebensversicherungen, die zwischen 2002 und 2007 abgeschlossen wurden, für unwirksam, weil sie die Versicherten stark benachteiligten. Sparer, die eine solche Police 2009 gekündigt haben, können nur noch bis Jahresende ihre Ansprüche auf Nachzahlung anmelden. Danach greift die Verjährungsfrist von drei Jahren.
Die WirtschaftsWoche hat die wichtigsten Änderungen in Gesetzen und Rechtsprechung zusammengestellt und bewertet, welche Folgen sie für Anleger haben – und wie sie die neuen Spielregeln nutzen können, um ihr Geld zu schützen.
Wie Aktionäre und Anleihesparer sich gegen Übergriffe wehren
Draußen tanzen die Schneeflocken, Drinnen, im Saal des Wellness-Hotels Heinz, ist die Stimmung aufgeheizt - und von Wellness keine Spur. Die Aktionäre der Softwareunternehmens IBS lassen auf der außerordentlichen Hauptversammlung im Westerwald-Städtchen Höhr-Grenzhausen ordentlich Dampf ab. Siemens hat IBS übernommen und will die Firma jetzt über einen Beherrschungsvertrag integrieren. Das Abfindungsangebot von 6,90 Euro je Aktie sei „Beschiss“, poltert Investor und Vorstandsschreck Karl-Walter Freitag.
In der Mittagspause sagt eine alte Dame resignierend: „Wenn Siemens 81 Prozent an IBS hält, kann ich als Kleinaktionärin nicht viel machen.“ Ihr Tischnachbar, ein Mittvierziger mit Sportsakko und Hornbrille, widerspricht: „Wenn alle so denken, kommen wir nie auf einen grünen Zweig.“ Die alte Dame schiebt ihren Rollator Richtung Buffet, holt sich einen zweiten Nachtisch. „So kann man sich auch schadlos halten“, murmelt ihr Tischnachbar.
Das Geld ist knapper geworden, auch bei Siemens. Die Staatsschuldenkrise drückt auf die Umsätze, bis 2014 will Siemens sechs Milliarden Euro sparen.
Bessere Karten
Im Millionenpoker um Abfindungen, Insolvenzpläne und Schuldenschnitt haben Vorstände und Großinvestoren meist die besseren Karten, sie wissen mehr als der Anleger, können Anwälte und Gutachter in Stellung bringen. Doch Privatanleger sind nicht schutzlos ausgeliefert. Unternehmens müssen sich an Gesetze halten, Gerichte urteilen oft im Sinne der Anleger.
Die Machtbalance zwischen Anlegern und Emittenten wird dabei ständig neu austariert. So wurde gerade das Insolvenzrecht reformiert, was auch Konsequenzen für Anleger hat. Auch beim Aktienrecht stehen Reformen an. Gleichzeitig fällten Richter wegweisende Urteile: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Handelbarkeit von Aktien kein geschütztes Eigentumsrecht sei, das Oberlandesgericht Frankfurt stoppte einen Sanierungsplan, der Anleihesparer enteignet hätte. Anleger sollten ihre Rechte kennen – sonst geht ihnen Geld verloren, das ihnen zusteht.
Gesetzliche Regeln
Es ist ein ungleicher Kampf: Siemens gegen eine Hand voll IBS-Kleinaktionäre. Dennoch muss sich der Weltkonzern an die gesetzlichen Regeln halten. Kein Minderheitsaktionäre ist gezwungen, dass Angebot des Mehrheitsaktionärs anzunehmen. Bei IBS lehnten acht Prozent der Aktionäre 6,90 Euro als zu wenig ab. Ihnen bleibt noch, vor Gericht zu gehen und in einem Spruchverfahren eine höhere Abfindung zu erkämpfen.
Die Chancen auf einen Nachschlag sind gut. Nach einer Studie des Münchner Rechtsanwalts Dirk Lorenz führten 76 Prozent der 2009 bis 2011 abgeschlossenen Spruchverfahren zu einer höheren Abfindung (siehe Grafik).
Wer sich nicht wehrt, schaut zu, wie andere den Schnitt machen. Als sich die EnBW-Tochter Salamander 2004 vom Stuttgarter Parkhausbetreiber Apcoa Parking trennte, zahlte Aufkäufer Investcorp 270 Millionen Euro an die Aktionäre. Den Deal hatte Ex-Karstadt-Chef Thomas Middelhoff, damals noch bei Investcorp, eingefädelt. 2007 konnte Investcorp Apcoa für 850 Millionen Euro an die französische Eurazeo weiterreichen.
Trickreiche Unternehmen
Unternehmen arbeiten bei Spruchverfahren mit allen Tricks. Batteriehersteller Varta, der im Sommer die Aktien von der Börse genommen hat und den Aktionären ein Abfindungsangebot gemacht hat, verlegte den Firmensitz von Hannover nach Ellwangen. Aus gutem Grund, wie Christoph Schäfers von der Beteiligungsgesellschaft Sparta befürchtet. Für Ellwangen ist das Oberlandesgericht Stuttgart zuständig. „Das aber gilt als industriefreundlich“, sagt er. Hier sei es sehr schwer, vor Gericht eine höhere Abfindung auszuhandeln.
Georg Issels, Vorstand der Beteiligungsgesellschaft Scherzer, vermutet, dass Siemens bei IBS ebenfalls in die Trickkiste gegriffen hat: „Eine überraschende Gewinnwarnung kurz vor der Hauptversammlung sollte wohl Forderungen nach höheren Abfindungen abwehren.“ Scherzer hielt zuletzt sechs Prozent an IBS.
Anleger sollten sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Oft ist es besser, erst mal abzuwarten, anstatt gleich beim ersten Angebot seine Aktien abzuliefern (siehe Grafik Seite 96).
An der Börse bewegen schon Gerüchte, etwa über Übernahmen oder wichtige Personalien, die Kurse. Je früher Anleger Klarheit haben, desto besser können sie die Chancen eines Investments einschätzen.
In diesem Jahr hat der Europäische Gerichtshof dazu ein anlegerfreundliches Urteil gefällt. Demnach müssen die Unternehmen auch Zwischenschritte melden, die zu einer wichtigen Entscheidung führen (C-19/11). Laut Urteil hätte Daimler den Abgang des damaligen Vorstandschefs Jürgen Schrempp nicht erst bekannt geben dürfen, als der Aufsichtsrat die Personalie beschloss, sondern schon als Schrempp erstmals mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über seinen Abschied gesprochen hatte (siehe Grafik Seite 96). Die Nachricht vom Abgang Schrempps ließ den Aktienkurs um knapp zehn Prozent steigen.
Spektakuläre Urteile gegen Anlagebetrüger
Es ist ein Fall für die Geschichtsbücher: Dem Fondsmanager Bernie Madoff gelang es jahrzehntelang, ein höchst lukratives Schneeballsystem zu betreiben, bei dem die Einzahlungen der neuen Kunden für die Ausschüttungen anderer Kunden verwendet wurden. Mangel an Neukunden kannte Madoff offenbar nicht, denn es gelang im, seine oftmals prominenten und schwer reichen Kunden um insgesamt 65 Milliarden Dollar zu erleichtern. In der Finanzkrise flog der ganze Schwindel auf, weil einige Kunden große Summen abzogen. Im Jahr 2009 wurde Madoff zu 150 Jahren Haft verurteilt.
Im April 2011 sorgte das Urteil gegen den Börsen-Coach, Ex-N24-Moderator, Buchautor und Börsenjournalisten Markus Frick für Aufsehen. Er hatte ebenfalls Aktien öffentlich empfohlen, die er selbst besaß. Dadurch hat er dem Gericht zufolge 20.000 Anleger getäuscht und 42 Millionen Euro erlöst. Das Gericht brummte ihm ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung sowie 420.000 Euro Strafzahlung auf. 80 Millionen Euro wurden sichergestellt.
Er gilt als der deutsche Bernie Madoff: Helmut Kiener hat mit seinen Hedgefonds Anleger und Banken mit einem Schneeballsystem im Laufe der Jahre um mehr als 300 Millionen Euro betrogen. Das Urteil für Kiener im Juli 2011: zehn Jahre und acht Monate Gefängnis. Das Landgericht Würzburg verurteilte den 52-Jährigen wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung. Erst sehr spät im Gerichtsverfahren hatte Kiener ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Es waren die ersten Urteile in der sogenannten SdK-Affäre, bei der vor allem - inzwischen ehemalige - Funktionäre der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger wegen Kursmanipulation angeklagt waren. Der geständige Börsenbrief-Herausgeber Stefan Fiebach ist zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, weil er vor allem die Aktien bejubelt hat, die er selbst besaß. Zuvor hatte er die Anschuldigungen gestanden und Kursmanipulation in Mittäterschaft eingeräumt. Nach dem Geständnis von Fiebach räumte auch der ehemalige Sprecher der (SdK), Christoph Öfele, über seinen Anwalt Insiderhandel in 92 Fällen ein und bestätigte damit die Vorwürfe der Anklage in vollem Umfang. Der geständige Öfele war früher neben seinen Börsengeschäften auch Aufsichtsratschef des Fußballclubs 1860 München. Als seine Verwicklung in den Aktienskandal bekannt wurde, legte er den Posten bei den Löwen nieder. Im Gegenzug für das Geständnis verurteilte das Gericht Öfele zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Neben einer Geldstrafe soll Öfele eine Nebenstrafe von rund 220.000 Euro zahlen - was fast dem kompletten Vermögen entspricht, das der 43-Jährige im Verfahren angegeben hat.
Der US-Hedgefondsmanager wurde im Oktober in einem Strafverfahren zur Zahlung von insgesamt 63,8 Millionen Dollar sowie zu elf Jahren Haft verurteilt. In einem weiteren Verfahren wurde ihm eine Strafzahlung von 92 Millionen Dollar aufgebrummt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft fuhr Rajaratnam bis zu 75 Millionen Dollar an illegalen Profiten durch Insiderhandel ein. Er soll auf Grundlage von geheimen Informationen gehandelt haben, die ihm von im Wertpapiergeschäft tätigen Freunden und Kollegen zugesteckt wurden. Rajaratnam galt bei seiner Verhaftung als Milliardär, sein Galleon-Fonds verwaltete zu Spitzenzeiten sieben Milliarden Dollar.
Dem Geschäftsmann aus Texas wird angelastet, tausende Anleger um ihre Ersparnisse im Gesamtwert von sieben Milliarden Dollar gebracht zu haben. Ein Geschworenengericht hat ihn bereits verurteilt, das Strafmaß wird im Juni verkündet. Stanford drohen bis zu 230 Jahre Haft. Die Geschworenen erklärten Stanford des Betruges, der Verschwörung, der Geldwäsche und der Behinderung der Justiz für schuldig. Auf jeden der Anklagepunkte stehen Höchststrafen von bis zu 20 Jahren Haft. Außerdem soll der US-Investor seinen Opfern 330 Millionen Dollar erstatten. Der Fall flog 2009 auf. Mit seiner auf der Karibikinsel Antigua angesiedelten Firma hat Stanford offenbar mehr als 30.000 Investoren aus über einhundert Ländern um ihr Geld gebracht hat. Vor Gericht plädierte er auf nicht schuldig. Wegen Fluchtgefahr verbrachte Stanford die vergangenen drei Jahre hinter Gittern.
Mehr Sicherheit
Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden, wie die Vorgaben aus Luxemburg umzusetzen sind. Denkbar ist, dass Unternehmen tatsächlich kursrelevante Informationen früher melden. Aktionäre hätten mehr Sicherheit. Möglich ist aber auch, dass Unternehmen in Zukunft zu früh Mitteilungen herausblasen, die am Ende doch noch revidiert werden müssen. Aktionäre könnten so in die Irre geführt werden.
Wichtig für Aktionäre ist, dass ihre Aktie regelmäßig gehandelt wird und in welchem Börsensegment sie notiert wird. Pleiteunternehmen oder solchen mit einem beherrschenden Großaktionär ist die Erfüllung strenger Börsenregeln oft zu aufwendig. Der US-Maschinenbauer Terex etwa verfrachtete den Kranbauer Demag, schrittweise vom hoch regulierten Prime Standard in den unregulierten Entry Standard. Schlecht für Anleger: Dort sind Ad-hoc-Mitteilungen nicht gesetzlich vorgeschrieben und Vorstände müssen sich nicht neutral verhalten, sondern dürfen mit Großaktionären kungeln. Auch Schiffsfondsinitiator HCI Capital oder Puppenhersteller Zapf Creation haben den regulierten Markt verlassen.
Noch schlimmer für Anleger ist es jedoch, wenn die Aktie völlig vom Kurszettel verschwindet (Delisting). Anteile lassen sich dann kaum noch zu Geld machen.
Rückzüge aus einem regulierten Börsensegment (Downgrading) und Delistings könnten sich häufen, seit das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr entschied, dass Aktionäre dann keinen Anspruch auf eine Abfindung haben (1 BvR 1569/08). Die Börsennotierung sei nicht vom Eigentumsschutz des Grundgesetzes umfasst, so die Richter. Wesentlich für das Eigentum an einer Aktie, so die Richter, seien die Beteiligung am Unternehmen sowie die Mitwirkungsrechte in der Hauptversammlung. Beides bleibe auch nach Delisting bestehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bisher anders entschieden: Unternehmen, die die Börse verlassen, müssten Minderheitsaktionären ein Pflichtangebot für eine Abfindung machen.
„Die Verfassungsrichter öffnen die Tür für eine Änderung der BGH-Rechtsprechung“, sagt Kapitalmarktrechtler Dirk Lorenz von Taylor Wessing. Die Folge könnte sein, dass Aktionäre beim Delisting nicht mehr entschädigt werden müssen. Beim Downgrading ist dies heute schon klar.
Bei Hedgefonds droht Gefahr
Anleihebesitzern droht höchste Gefahr, wenn ein Investor oder Hedgefonds systematisch die Schulden ihres notleidenden Unternehmens aufkauft. So geschehen beim Holzverarbeiter Pfleiderer. Der Luxemburger Investor Atlantik hatte von anderen Gläubigern Pfleiderer-Anleihen aufgekauft, um sie später in Aktien umzuwandeln. Atlantik nutzte dann das bereits 2009 geänderte Schuldverschreibungsrecht. Danach darf ein Hauptgläubiger, der über 75 Prozent der Anleihen eines Unternehmens hält, die übrigen Gläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen. Atlantik kontrollierte vor dem Beschluss der Gläubigerversammlung mehr als 75 Prozent und setzte dort den Schuldenschnitt durch.
Anleihebesitzer aber klagten, und das Oberlandesgericht Frankfurt gab ihnen recht (5 AktG 3/11). Weil Pfleiderer die Anleihen vor der deutschen Gesetzesänderung über eine niederländische Tochter in Umlauf gebracht hatte, sei das 2009 geänderte Recht nicht nachträglich anwendbar.
Keine Enteignung
Nach dem Urteil müssen Anleihegläubiger, deren Papiere vor 2009 von deutschen Unternehmen im Ausland aufgelegt wurden, keine Enteignung durch eine 75-Prozent-Mehrheit befürchten. Ganz anders sieht es bei Anleihen nach deutschen Recht aus. Stimmen 75 Prozent der Gläubiger zu, ist ein Schuldenschnitt zulässig, auch bei Zinspapieren, die vor 2009 aufgelegt wurden. Für Besitzer der seit 2010 aufgelegten und bei Privatanleger sehr beliebten Minibonds ist das eine sehr reale Gefahr: Droht ihrem Unternehmen die Insolvenz, wäre ein von Hegdefonds durchgepeitschter Schuldenschnitt einschließlich Übernahme jederzeit möglich.
Atlantik ließ Pfleiderer daraufhin in die Insolvenz gehen. Auch das kriselnde Solarunternehmen Q-Cells gab nach dem Urteil seinen Plan auf, Anleihegläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen.
Die Unternehmen kritisierten die renitenten Anleihebesitzer öffentlich als räuberische Gläubiger – eine Steilvorlage für weitere Lobbyisten. So setzt sich der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak dafür ein, Gerichtsverfahren, bei denen Anleihegläubiger gegen insolvente Unternehmen klagen, künftig zu beschleunigen. Sein Vorstoß hat ein Geschmäckle. Der CDU-Politiker arbeitet für die Kanzlei Hengeler Müller, die Pfleiderer bei der umstrittenen Sanierung beraten hat.
Auch in der Pleite weitermachen
Atlantik bekam Pfleiderer aber dennoch in die Hände. Der Investor nutzte das zum 1. März geänderte Insolvenzrecht. Es erlaubt Unternehmen, auch in der Pleite weiter zu machen, zum Beispiel durch Tausch von Schulden in Aktien. Juristen sprechen von einer Insolvenz in Eigenverwaltung.
Kaum war das neue Insolvenzrecht in Kraft, stellte Pfleiderer einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Teil des Insolvenzplans war, das Kapital von Pfleiderer zunächst auf Null zu setzen. Anschließend wurde eine Kapitalerhöhung beschlossen, an der die Altaktionäre nicht teilnehmen konnten. Atlantik aber bekam durch Umwandlung seiner Anleihen in Aktien das Unternehmen in die Hand.
Aktionäre können zwar gegen einen Ausschluss vom Insolvenzverfahren klagen, die Erfolgsaussichten sind allerdings mau. „Sie müssen nachweisen, dass sie ohne den Insolvenzplan besser dastünden“, sagt Daniel Vos, Anwalt für Kapitalmarktrecht in der Kanzlei Göddecke. Da Kleinanleger aber vom Informationsfluss im Unternehmen abgeschnitten seien, könnten sie keine Vergleichsrechnungen aufstellen, die vor Gericht standhielten.
Das neue Insolvenzrecht stellt für Aktionäre also eine Gefahr dar. Und durch das gerade vom Bundestag in erster Lesung verabschiedete überarbeitete Aktienrecht, das Mitte 2013 in Kraft treten soll, droht neues Ungemach:
- Unternehmen sollen Vorzugsaktien ausgeben können, bei denen, wenn die Dividende mal ausfällt, in besseren Zeiten kein Nachzahlungsanspruch besteht.
- Künftig sind Wandelanleihen möglich, bei denen auch der Schuldner, nicht nur der Gläubiger, die Wahl hat, ob sie in bar oder in Aktien zurückgezahlt wird.
- Das Recht der Aktionäre auf Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse, beispielsweise bei Übernahmen, soll eingeschränkt werden.
Die Unternehmens-Lobby hat sich hier einmal mehr durchgesetzt. Anleger müssen vor dem Kauf von Wertpapieren häufiger in den Emissionsprospekt schauen. Und für renitente Aktionäre wie Karl-Walter Freitag brechen härtere Zeiten an. Noch schlimmer sieht es allerdings bei den Griechen-Bonds aus.
Griechen-Bonds: Wenig Aussicht auf Erfolg
Bis Freitag konnten Anleger Griechenland-Anleihen dem griechischen Staat andienen – zumindest dann, wenn sie Papiere im geforderten Mindestvolumen besaßen. Wer nicht verkauft hat, könnte seine Bank wegen Falschberatung verklagen. Das setzt allerdings voraus, dass er nicht gezielt Griechen-Bonds verlangt und der Berater ihm die Anleihen als sicher empfohlen hat. „Die große Mehrheit der Käufer hat jedoch gezielt nach griechischen Staatsanleihen gefragt und sich nicht beraten lassen“, sagt Franz Braun von der Kanzlei CLLB in München. Er hat deshalb gegen den griechischen Staat geklagt. Der Zwangsumtausch der Staatsanleihen im Frühjahr sei rechtswidrig gewesen. Kein Emittent habe das Recht, in das Depot seiner Gläubiger einzugreifen.
Ob Anleger Geld sehen, ist völlig offen. Bisher, so Braun, hätten die Klagen die griechischen Behörden noch nicht mal erreicht. Athen ist faktisch pleite, die Sorgen deutscher Kleinanleger stehen an allerletzter Stelle der Prioritätenliste von Justiz und Regierung. Das Beispiel Argentinien, gegen das Anleger zahlreiche Pfändungstitel erstritten haben, die sie aber seit Jahren nicht vollstrecken können, wirkt eher abschreckend.
Wer an der Börse verkaufen will, steht vor dem Problem, dass er beim Zwangsumtausch der Bonds für jedes Papier 20 neue langlaufende Anleihen bekommen hat. Viele Privatanleger haben jetzt Papiere mit einem Nennwert von weniger als 100 Euro im Depot. Die Kurse haben sich zwar gut erholt, zehnjährige Bonds kletterten seit Juni von 15 auf 38 Prozent. Vor dem Verkauf sollten Anleger dennoch ihre Bank nach Gebühren fragen, sonst fressen die Spesen der Mini-Orders den Restwert auf. Einige Banken, zum Beispiel die DAB Bank, bieten den spesenfreien Verkauf an.
Was Fonds-Anleger beachten müssen
Warten auf Berlin: Noch traut sich die Fondsgesellschaft KanAm nicht, einen neuen Immobilienfonds aufzulegen. Zuvor muss die Bundesregierung neue Regeln für offene Immobilienfonds absegnen. Mitte Dezember will das Kabinett ein Gesetz beschließen, das im Juli 2013 in Kraft treten soll. KanAm musste den Fonds Grundinvest auflösen, weil zu viele Anleger ihre Anteile auf einen Schlag zurückgeben wollten.
Aktuell sind 13 Publikumsfonds mit 24 Milliarden Euro Vermögen in Auflösung, bei vier weiteren Fonds können Anleger keine Anteile zurückgeben. Für alle gilt: Anleger müssen auf ihr Geld warten.
Immer wieder haben Gesetzgeber und Fondsbranche versucht, die Krise in den Griff zu kriegen – bisher ohne Erfolg. Ende November meldete die DWS, dass sie ihren Immobilien-Dachfonds Immoflex bis April 2015 abwickeln wird. Auch Aberdeen sieht keine Chance mehr für den Degi German Business. Bis November 2015 sollen alle Immobilien verkauft werden.
Das Kapitalanlagesetzbuch soll Abhilfe schaffen. Damit setzt die Bundesregierung eine EU-Richtlinie um. Es könnte der letzte Versuch sein, die Anlageklasse zu retten.
Die wichtigsten Änderungen:
- Anleger können nur noch einmal jährlich Anteile an die Fondsgesellschaft zurückgeben und vier Mal pro Jahr Anteile kaufen. Die Regel folgt der Logik, dass sich illiquides Vermögen wie Immobilien nicht börsentäglich handeln lässt. Insofern ist sie konsequent.
- Fondsimmobilien müssen nicht mehr von drei unabhängigen Gutachtern bewertet werden. Einer reicht, unabhängig muss der auch nicht mehr sein. Die Fonds müssen den Gutachter auch nicht mehr nach fünf Jahren austauschen. „Künftig können Fondsgesellschaften sich ihren Haus- und Hofgutachter bestellen,“ kritisiert Gernot Archner vom Gutachter-Verbandes BIIS.
Diese veränderten Spielregeln gelten allerdings nur für Anteile an offenen Immobilienfonds, die Anleger nach Inkrafttreten des Gesetzes gekauft haben.
Übergangsweise treten zum 1. Januar 2013 Regeln des bereits 2011 beschlossene Kapitalanlegerschutzgesetzes in Kraft:
- Anleger, die Anteile verkaufen wollen müssen mindestens ein Jahr vorher kündigen – egal, wann sie investiert haben.
- Wer ab 2013 investiert, muss seine Anteile mindestens zwei Jahre lang halten.
- Anleger können allerdings pro Halbjahr bis zu 30.000 Euro aus einem Fonds abziehen – unabhängig von Fristen.
Die zwei Jahre Haltefrist und die 30.000 Euro-Regel gelten nur, bis das Kapitalanlagegesetzbuch in Kraft tritt, also wohl bis zum 22. Juli 2013. Sollten die Immobilienfonds in der ersten Hälfte des kommenden Jahres erneut in die Krise geraten, dann kämen Anleger noch schnell an ihre 30.000 Euro.
Offene Immobilienfonds können in der Not wenigstens noch Bürohäuser verkaufen. Geschlossenen Fonds aber sind unternehmerische Beteiligungen, hier drohen der Verlust des Einsatzes und oft noch Rückzahlung von Steuergutschriften. Das Kapitalanlagesetzbuch, das die Fonds erstmals regulieren sollte, hilft hier wenig:
- Die Mindestinvestitionssumme für geschlossene Fonds wurde auf 20.000 Euro festgelegt, ein Limit von 50.000 Euro wurde von der Fondslobby verhindert. Die Gefahr, dass unerfahrene Kleinanleger angelockt werden, besteht weiter.
- Der Anteil des Fremdkapitals an der Finanzierung ist bei 60 Prozent gedeckelt. Für die Branche kein Problem: Weil der Fiskus Steuersparmodelle gekippt hat, machen hohe Schulden keinen Sinn.
- Geschlossene Fond dürfen ihre Immobilien, Flugzeuge oder Schiffe selbst bewerten – ohne die Hilfe eines externen Prüfers.
Bisher war es für Anleger ein Horror, gegen Banken und Fonds zu klagen. Trotz anlegerfreundlicher Urteile in ähnlichen Fällen musste jeder einen teuren Prozess finanzieren. Auch wer Musterverfahren abwarten wollte, musste Klage erheben, damit seine Ansprüche nicht verjährten.
Innerhalb des zum 1. November reformierten Kapitalanleger-Musterverfahrens können Anleger jetzt bei Gericht Ansprüche mit Hinweis auf das Musterverfahren anmelden. So unterbrechen sie die Verjährung. Zwar ersparen sie sich damit nicht einen eigenen Prozess, aber das Gericht kann die Erkenntnisse aus dem Musterverfahren nutzen, um das Verfahren abkürzen. Das spart Kosten, immerhin.