Es gibt Momente, in denen Aktionäre aufatmen. Als die Deutsche Bank am 7. Juni vergangenen Jahres meldete, die Co-Vorstandschefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen müssten gehen, war das so ein Moment. Die Bank war in zahlreiche Skandale verwickelt, Jains und Fitschens Ansehen hatte gelitten, die Aktie war zum Verliererpapier verkommen. Die gute Nachricht könnte die Aktionäre am 7. Juni aber zu spät erreicht haben, meint das Aufsichtsamt BaFin. Es prüft, ob die Bank Informationspflichten gegenüber den Aktionären verletzt hat. Deutschlands größte Bank teilte mit, dass alles korrekt gelaufen sei.
Der Fall Deutsche Bank ist typisch für Konflikte zwischen Aktionären und Unternehmen. Unter den 4,4 Millionen Deutschen, die Aktien direkt halten, sind vor allem Kleinaktionäre. Sie sind der Informationspolitik des Unternehmens ausgeliefert. Insider dagegen könnten inoffizielle Quellen nutzen und Aktien kaufen oder verkaufen, bevor die Öffentlichkeit Bescheid weiß. Auch wenn Kleinaktionäre bei Übernahmen oder einem Börsenrückzug rausgedrängt wurden, konnten sie sich bisher kaum wehren oder wurden unzureichend entschädigt.
Doch von Juli dieses Jahres an stärkt der Gesetzgeber die Rechte von Aktionären und erhöht die Pflichten von Aktiengesellschaften bei kursrelevanten Informationen. Zudem haben sich im Herbst vergangenen Jahres die Spielregeln beim Börsenrückzug zugunsten der Aktionäre geändert.
Nur wer die neuen Spielregeln kennt, kann seine Rechte als Aktionär wahren.
Übernahme: Poker um Abfindung
Wird ein Unternehmen übernommen, steht den Aktionären eine Abfindung zu, wenn:
- dem neuen Eigentümer ein Vertrag die Gewinne und die Kontrolle über das Unternehmen zuspricht;
- Minderheitsaktionäre zwangsweise rausgedrängt werden.
In beiden Fällen ist der Unternehmenswert für die Höhe der Abfindung entscheidend. Wie viel ein Unternehmen wert ist, ermittelt ein Wirtschaftsprüfer. Der wird zwar vom Gericht bestellt, aber meist vom Unternehmen ausgesucht. So fällt die Kalkulation des Wirtschaftsprüfers in der Regel im Sinne des Unternehmens aus. Mehr Geld gibt es für die Aktionäre oft nur vor Gericht.
Hinter den Gerichtsverfahren stehen meist finanzstarke Aktionäre. Sie haben das Geld, sich teure Anwälte und Gutachter zu leisten. Oliver Rothley, Rechtsanwalt der Kanzlei Taylor Wessing, rechnet vor: Ein Verfahren mit 200 000 Euro Streitwert und lediglich einem Gerichtstermin koste inklusive Anwalt etwa 6000 Euro. Nicht eingerechnet sind die Kosten für eigene Gutachten. Die sind nötig, um Unternehmen Fehler nachzuweisen. „Indizien für eine Benachteiligung von Aktionären werden gut versteckt“, sagt Peter Dreier, Rechtsanwalt aus Düsseldorf.
Aktionäre billig loswerden
Bei einer Übernahme will der Hauptaktionär die übrigen Aktionäre möglichst billig loswerden. „Unternehmen versuchen häufig, ihren Wert systematisch herunterzurechnen“, sagt Martin Weimann, Rechtsanwalt aus Berlin. Mal würden zu hohe Zinssätze beim Abzinsen künftiger Erträge verwendet, mal würde die absehbare Marktentwicklung zu pessimistisch dargestellt. Zwischen dem öffentlichen Angebot des Hauptaktionärs und der Abfindung nach dem Herausdrängen der Aktionäre lägen im Schnitt etwa 20 Prozent, hat Weimann errechnet. Über die Höhe einer solchen Abfindung streiten vor dem Landgericht München I derzeit Kabel Deutschland, das von der britischen Vodafone übernommen wurde, und dessen Aktionär Elliott, ein US-Hedgefonds. Grundlage für die Abfindung ist in diesem Fall ein Vertrag zwischen Vodafone und Kabel Deutschland, der den Briten die Gewinne und die Kontrolle über ihre deutsche Tochter zusichert.
Der Aktienfonds Greiff Special Situations setzt auf eine höhere Abfindung. Er hält Aktien von Kabel Deutschland für sieben Millionen Euro. „Den Kursrückgang im Frühjahr haben wir genutzt, um unseren Anteil auszubauen“, sagt Volker Schilling, Vorstand bei Greiff Capital Management. Ein Aufschlag von einem Viertel auf die Abfindung sei drin. Kann ein Aktionär einen Aufschlag durchboxen, bekommen alle übrigen mehr Geld. In 70 Prozent aller Fälle spricht das Gericht den Aktionären eine höhere Abfindung zu.
Im September vergangenen Jahres hat der Gesetzgeber die Regeln beim Börsenrückzug geändert: Aktionäre können nicht mehr über die Höhe der Abfindung pokern. Bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Oktober 2013 war dies noch möglich. Danach gab es gar keine Abfindung mehr. Folge: Die Zahl der Anträge auf einen Börsenrückzug schnellte in die Höhe. 2014 haben 40 Unternehmen ihren Rückzug von der Börse angekündigt. Zwischen 2003 und 2012, vor dem BGH-Urteil, waren es insgesamt nur 30 Unternehmen. Die Regeln beim Börsenrückzug haben sich so geändert:
- Beim Rückzug vom regulierten Markt muss der Hauptaktionär den übrigen Aktionären eine Abfindung zahlen. Diese bemisst sich nach dem Börsenkurs über sechs Monate vor Ankündigung des Börsenrückzugs.
Unternehmen, die den Freiverkehr verlassen, müssen Aktionäre dagegen nicht abfinden. Dies gilt etwa für die Mittelstandsbank IKB, die nur noch im Freiverkehr notiert. Ende Februar beschloss der IKB-Vorstand das Delisting. Nur bis Ende September ist die Aktie noch handelbar.
Das neue Gesetz ermuntert Unternehmen, sich zuerst von der Börse zurückzuziehen und danach Minderheitsaktionäre rauszudrängen. Fonds werden dann schon bei Ankündigung des Delisting aussteigen, weil sie nur börsennotierte Papiere halten. Sind sie draußen, kann das Unternehmen leichter eine unattraktive Abfindung durchsetzen. Darunter leidet die Aktie. Ende Februar führte schon eine unverbindliche Erklärung des Hauptaktionärs Etihad, Air Berlin von der Börse nehmen zu wollen, zu 25 Prozent Kursverlust.
- Eine höhere Abfindung als den Durchschnittskurs gibt es beim Börsenrückzug nur, wenn Unternehmen zuvor gegen Marktmissbrauchsregeln verstoßen haben – etwa wenn kursrelevante Nachrichten verschwiegen wurden.
Zu lang geschwiegen
Ehemalige Aktionäre fordern von Daimler deshalb Schadensersatz. Sie seien geschädigt, weil sie Aktien im Mai oder Juni verkauft hätten. Als Schrempps Abgang publik wurde, stieg der Aktienkurs kräftig: zwischen 26. Juli und 10. August um rund 16 Prozent.
Urteil zum Anlegerschutz
Börsennotierte Unternehmen müssen auch Zwischenschritte melden, die zu einer wichtigen Entscheidung führen, beschloss der Europäische Gerichtshof (C-19/11). Nach diesem Urteil hätte Daimler den Abgang des damaligen Vorstandschefs Jürgen Schrempp nicht erst am 28. Juli 2005 melden müssen, als der Aufsichtsrat die Personalie beschloss. Viel mehr hätte Daimler schon am 17. Mai 2005, als Schrempp erstmals mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über seinen Abschied gesprochen hatte, eine Ad-hoc-Meldung rausschicken müssen. Zu diesem Zeitpunkt sei es absehbar gewesen, dass Schrempp seinen Chefposten aufgeben könnte, so die Richter. Wie wahrscheinlich Schrempps Abgang im Mai tatsächlich war und wie stark sich dies auf den Kurs der Daimler-Aktie ausgewirkt hätte, sei irrelevant. Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden, ob und wie Aktionäre von Daimler entschädigt werden müssen.
Im Mai wollten sich Daimler und die Aktionäre einigen. Noch sei ein Prozessende nicht abzusehen, sagt der Münchner Anwalt Klaus Rotter, der rund 90 Daimler-Aktionäre vertritt.
Während sich Daimler 2005 noch im gesetzlichen Graubereich bewegte, schließt das vom 3. Juli an geltende, neue EU-Recht das Zurückhalten von Informationen aus. Folgende Punkte ändern sich:
- Auch Zwischenschritte bis zu einer kursrelevanten Entscheidung des Unternehmens müssen gemeldet werden.
- Bei Verstößen gegen die Informationspflichten gilt eine Geldstrafe von bis zu einer Million Euro für einzelne Personen, etwa Vorstände. Bei Unternehmen kann die Strafe bis zu 15 Prozent des Umsatzes betragen.
Verschärfte Insiderregeln
Belege für illegale Insidergeschäfte im Fall Daimler hatte das Aufsichtsamt BaFin nicht gefunden. Die BaFin verhängte 2007 nur ein Bußgeld von 200 000 Euro wegen des zu spät gemeldeten Rücktritts von Schrempp.
Um illegale Insidergeschäfte einzudämmen, hat die EU die Regeln für Aktiendeals von Managern verschärft:
- Manager dürfen in den 30 Tagen vor Bekanntgabe von Jahres- oder Quartalszahlen nicht mit Unternehmensaktien handeln.
- Auch Unternehmen, die im Freiverkehr gehandelt werden, müssen künftig Aktiengeschäfte ihrer Manager melden und ein Insiderverzeichnis führen. Zu den Insidern zählen auch Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Steuerberater, die im Auftrag des Unternehmens arbeiten.
- Ein unzulässiges Insidergeschäft besteht schon darin, wenn ein Insider eine Order wegen einer unveröffentlichten Information storniert oder ändert.
- Künftig ist auch der Versuch der Marktmanipulation strafbar. Es ist nicht entscheidend, ob der Kurs durch Manipulation bewegt wurde und ein Schaden entstanden ist.
Das klingt anlegerfreundlich. In der Praxis ist es jedoch schwer, Marktmanipulation nachzuweisen. Erst kürzlich wurden der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein damaliger Finanzvorstand Holger Härter freigesprochen. Aktionäre meinten, die beiden Manager hätten ihre Absicht, Volkswagen zu übernehmen, früher melden müssen. Die Richter schmetterten die Klage jedoch wegen fehlender Beweise ab.
Auch nach neuer Rechtslage müssen Aktionäre Managern nachweisen, dass sie sich oder ihre Vertrauten durch einen Informationsvorsprung bereichert haben.
Im Fall Deutsche Bank geht es bisher um eine Ordnungswidrigkeit. Ob sich daraus Schadensersatz ableiten lässt, bleibt offen.