Unternehmen arbeiten bei Spruchverfahren mit allen Tricks. Batteriehersteller Varta, der im Sommer die Aktien von der Börse genommen hat und den Aktionären ein Abfindungsangebot gemacht hat, verlegte den Firmensitz von Hannover nach Ellwangen. Aus gutem Grund, wie Christoph Schäfers von der Beteiligungsgesellschaft Sparta befürchtet. Für Ellwangen ist das Oberlandesgericht Stuttgart zuständig. „Das aber gilt als industriefreundlich“, sagt er. Hier sei es sehr schwer, vor Gericht eine höhere Abfindung auszuhandeln.
Georg Issels, Vorstand der Beteiligungsgesellschaft Scherzer, vermutet, dass Siemens bei IBS ebenfalls in die Trickkiste gegriffen hat: „Eine überraschende Gewinnwarnung kurz vor der Hauptversammlung sollte wohl Forderungen nach höheren Abfindungen abwehren.“ Scherzer hielt zuletzt sechs Prozent an IBS.
Anleger sollten sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Oft ist es besser, erst mal abzuwarten, anstatt gleich beim ersten Angebot seine Aktien abzuliefern (siehe Grafik Seite 96).
An der Börse bewegen schon Gerüchte, etwa über Übernahmen oder wichtige Personalien, die Kurse. Je früher Anleger Klarheit haben, desto besser können sie die Chancen eines Investments einschätzen.
In diesem Jahr hat der Europäische Gerichtshof dazu ein anlegerfreundliches Urteil gefällt. Demnach müssen die Unternehmen auch Zwischenschritte melden, die zu einer wichtigen Entscheidung führen (C-19/11). Laut Urteil hätte Daimler den Abgang des damaligen Vorstandschefs Jürgen Schrempp nicht erst bekannt geben dürfen, als der Aufsichtsrat die Personalie beschloss, sondern schon als Schrempp erstmals mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über seinen Abschied gesprochen hatte (siehe Grafik Seite 96). Die Nachricht vom Abgang Schrempps ließ den Aktienkurs um knapp zehn Prozent steigen.
Spektakuläre Urteile gegen Anlagebetrüger
Es ist ein Fall für die Geschichtsbücher: Dem Fondsmanager Bernie Madoff gelang es jahrzehntelang, ein höchst lukratives Schneeballsystem zu betreiben, bei dem die Einzahlungen der neuen Kunden für die Ausschüttungen anderer Kunden verwendet wurden. Mangel an Neukunden kannte Madoff offenbar nicht, denn es gelang im, seine oftmals prominenten und schwer reichen Kunden um insgesamt 65 Milliarden Dollar zu erleichtern. In der Finanzkrise flog der ganze Schwindel auf, weil einige Kunden große Summen abzogen. Im Jahr 2009 wurde Madoff zu 150 Jahren Haft verurteilt.
Im April 2011 sorgte das Urteil gegen den Börsen-Coach, Ex-N24-Moderator, Buchautor und Börsenjournalisten Markus Frick für Aufsehen. Er hatte ebenfalls Aktien öffentlich empfohlen, die er selbst besaß. Dadurch hat er dem Gericht zufolge 20.000 Anleger getäuscht und 42 Millionen Euro erlöst. Das Gericht brummte ihm ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung sowie 420.000 Euro Strafzahlung auf. 80 Millionen Euro wurden sichergestellt.
Er gilt als der deutsche Bernie Madoff: Helmut Kiener hat mit seinen Hedgefonds Anleger und Banken mit einem Schneeballsystem im Laufe der Jahre um mehr als 300 Millionen Euro betrogen. Das Urteil für Kiener im Juli 2011: zehn Jahre und acht Monate Gefängnis. Das Landgericht Würzburg verurteilte den 52-Jährigen wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung. Erst sehr spät im Gerichtsverfahren hatte Kiener ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Es waren die ersten Urteile in der sogenannten SdK-Affäre, bei der vor allem - inzwischen ehemalige - Funktionäre der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger wegen Kursmanipulation angeklagt waren. Der geständige Börsenbrief-Herausgeber Stefan Fiebach ist zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, weil er vor allem die Aktien bejubelt hat, die er selbst besaß. Zuvor hatte er die Anschuldigungen gestanden und Kursmanipulation in Mittäterschaft eingeräumt. Nach dem Geständnis von Fiebach räumte auch der ehemalige Sprecher der (SdK), Christoph Öfele, über seinen Anwalt Insiderhandel in 92 Fällen ein und bestätigte damit die Vorwürfe der Anklage in vollem Umfang. Der geständige Öfele war früher neben seinen Börsengeschäften auch Aufsichtsratschef des Fußballclubs 1860 München. Als seine Verwicklung in den Aktienskandal bekannt wurde, legte er den Posten bei den Löwen nieder. Im Gegenzug für das Geständnis verurteilte das Gericht Öfele zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Neben einer Geldstrafe soll Öfele eine Nebenstrafe von rund 220.000 Euro zahlen - was fast dem kompletten Vermögen entspricht, das der 43-Jährige im Verfahren angegeben hat.
Der US-Hedgefondsmanager wurde im Oktober in einem Strafverfahren zur Zahlung von insgesamt 63,8 Millionen Dollar sowie zu elf Jahren Haft verurteilt. In einem weiteren Verfahren wurde ihm eine Strafzahlung von 92 Millionen Dollar aufgebrummt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft fuhr Rajaratnam bis zu 75 Millionen Dollar an illegalen Profiten durch Insiderhandel ein. Er soll auf Grundlage von geheimen Informationen gehandelt haben, die ihm von im Wertpapiergeschäft tätigen Freunden und Kollegen zugesteckt wurden. Rajaratnam galt bei seiner Verhaftung als Milliardär, sein Galleon-Fonds verwaltete zu Spitzenzeiten sieben Milliarden Dollar.
Dem Geschäftsmann aus Texas wird angelastet, tausende Anleger um ihre Ersparnisse im Gesamtwert von sieben Milliarden Dollar gebracht zu haben. Ein Geschworenengericht hat ihn bereits verurteilt, das Strafmaß wird im Juni verkündet. Stanford drohen bis zu 230 Jahre Haft. Die Geschworenen erklärten Stanford des Betruges, der Verschwörung, der Geldwäsche und der Behinderung der Justiz für schuldig. Auf jeden der Anklagepunkte stehen Höchststrafen von bis zu 20 Jahren Haft. Außerdem soll der US-Investor seinen Opfern 330 Millionen Dollar erstatten. Der Fall flog 2009 auf. Mit seiner auf der Karibikinsel Antigua angesiedelten Firma hat Stanford offenbar mehr als 30.000 Investoren aus über einhundert Ländern um ihr Geld gebracht hat. Vor Gericht plädierte er auf nicht schuldig. Wegen Fluchtgefahr verbrachte Stanford die vergangenen drei Jahre hinter Gittern.
Mehr Sicherheit
Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden, wie die Vorgaben aus Luxemburg umzusetzen sind. Denkbar ist, dass Unternehmen tatsächlich kursrelevante Informationen früher melden. Aktionäre hätten mehr Sicherheit. Möglich ist aber auch, dass Unternehmen in Zukunft zu früh Mitteilungen herausblasen, die am Ende doch noch revidiert werden müssen. Aktionäre könnten so in die Irre geführt werden.
Wichtig für Aktionäre ist, dass ihre Aktie regelmäßig gehandelt wird und in welchem Börsensegment sie notiert wird. Pleiteunternehmen oder solchen mit einem beherrschenden Großaktionär ist die Erfüllung strenger Börsenregeln oft zu aufwendig. Der US-Maschinenbauer Terex etwa verfrachtete den Kranbauer Demag, schrittweise vom hoch regulierten Prime Standard in den unregulierten Entry Standard. Schlecht für Anleger: Dort sind Ad-hoc-Mitteilungen nicht gesetzlich vorgeschrieben und Vorstände müssen sich nicht neutral verhalten, sondern dürfen mit Großaktionären kungeln. Auch Schiffsfondsinitiator HCI Capital oder Puppenhersteller Zapf Creation haben den regulierten Markt verlassen.
Noch schlimmer für Anleger ist es jedoch, wenn die Aktie völlig vom Kurszettel verschwindet (Delisting). Anteile lassen sich dann kaum noch zu Geld machen.
Rückzüge aus einem regulierten Börsensegment (Downgrading) und Delistings könnten sich häufen, seit das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr entschied, dass Aktionäre dann keinen Anspruch auf eine Abfindung haben (1 BvR 1569/08). Die Börsennotierung sei nicht vom Eigentumsschutz des Grundgesetzes umfasst, so die Richter. Wesentlich für das Eigentum an einer Aktie, so die Richter, seien die Beteiligung am Unternehmen sowie die Mitwirkungsrechte in der Hauptversammlung. Beides bleibe auch nach Delisting bestehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bisher anders entschieden: Unternehmen, die die Börse verlassen, müssten Minderheitsaktionären ein Pflichtangebot für eine Abfindung machen.
„Die Verfassungsrichter öffnen die Tür für eine Änderung der BGH-Rechtsprechung“, sagt Kapitalmarktrechtler Dirk Lorenz von Taylor Wessing. Die Folge könnte sein, dass Aktionäre beim Delisting nicht mehr entschädigt werden müssen. Beim Downgrading ist dies heute schon klar.
Bei Hedgefonds droht Gefahr
Anleihebesitzern droht höchste Gefahr, wenn ein Investor oder Hedgefonds systematisch die Schulden ihres notleidenden Unternehmens aufkauft. So geschehen beim Holzverarbeiter Pfleiderer. Der Luxemburger Investor Atlantik hatte von anderen Gläubigern Pfleiderer-Anleihen aufgekauft, um sie später in Aktien umzuwandeln. Atlantik nutzte dann das bereits 2009 geänderte Schuldverschreibungsrecht. Danach darf ein Hauptgläubiger, der über 75 Prozent der Anleihen eines Unternehmens hält, die übrigen Gläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen. Atlantik kontrollierte vor dem Beschluss der Gläubigerversammlung mehr als 75 Prozent und setzte dort den Schuldenschnitt durch.
Anleihebesitzer aber klagten, und das Oberlandesgericht Frankfurt gab ihnen recht (5 AktG 3/11). Weil Pfleiderer die Anleihen vor der deutschen Gesetzesänderung über eine niederländische Tochter in Umlauf gebracht hatte, sei das 2009 geänderte Recht nicht nachträglich anwendbar.
Keine Enteignung
Nach dem Urteil müssen Anleihegläubiger, deren Papiere vor 2009 von deutschen Unternehmen im Ausland aufgelegt wurden, keine Enteignung durch eine 75-Prozent-Mehrheit befürchten. Ganz anders sieht es bei Anleihen nach deutschen Recht aus. Stimmen 75 Prozent der Gläubiger zu, ist ein Schuldenschnitt zulässig, auch bei Zinspapieren, die vor 2009 aufgelegt wurden. Für Besitzer der seit 2010 aufgelegten und bei Privatanleger sehr beliebten Minibonds ist das eine sehr reale Gefahr: Droht ihrem Unternehmen die Insolvenz, wäre ein von Hegdefonds durchgepeitschter Schuldenschnitt einschließlich Übernahme jederzeit möglich.
Atlantik ließ Pfleiderer daraufhin in die Insolvenz gehen. Auch das kriselnde Solarunternehmen Q-Cells gab nach dem Urteil seinen Plan auf, Anleihegläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen.
Die Unternehmen kritisierten die renitenten Anleihebesitzer öffentlich als räuberische Gläubiger – eine Steilvorlage für weitere Lobbyisten. So setzt sich der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak dafür ein, Gerichtsverfahren, bei denen Anleihegläubiger gegen insolvente Unternehmen klagen, künftig zu beschleunigen. Sein Vorstoß hat ein Geschmäckle. Der CDU-Politiker arbeitet für die Kanzlei Hengeler Müller, die Pfleiderer bei der umstrittenen Sanierung beraten hat.