Die Bundesregierung hat den Kleinanleger als schützenswerte Spezies entdeckt. Erstmals hat der Bundestag über ein Kleinanlegerschutz-Gesetz beraten. Das Gesetz zielt vor allem auf den grauen Kapitalmarkt, der lange Zeit weitgehend ohne staatliche Regeln auskam. Inzwischen hat der Gesetzgeber den Wildwuchs insbesondere bei geschlossenen Fonds mit mehreren Gesetzesreformen, beispielsweise dem Kapitalanlagengesetzbuch, zurückgeschnitten. Allerdings klaffen nach wie vor Lücken in der Regulierung.
Insofern klingt es gut, wenn der Gesetzgeber jetzt nachlegt. Bei genauerem Hinsehen bleibt jedoch auch das Kleinanlegerschutzgesetz nur Stückwerk. Positiv ist, dass die Finanzaufsicht BaFin künftig nicht nur die Formalien von Anlageprospekten prüfen soll, sondern auch ob das Geschäftsmodell langfristig tragfähig ist. Die Aufseher können Sonderprüfungen anordnen, wenn sie beispielsweise den Verdacht haben, es handelt sich um ein Schneeballsystem. Notfalls können sie Produkte verbieten.
Fragen & Antworten zum Kleinanlegerschutz
Die Bundesregierung will Anbieter und Vermittler von Vermögensanlagen enger an die Kandare nehmen. Das Ziel: Anleger sollen die Erfolgsaussichten einer Vermögensanlage besser einschätzen können. Dazu sollen Anbieter von Finanzprodukten - zum Beispiel Genussscheinen, Nachrangdarlehen oder Namensschuldverschreibungen - in Prospekten besser und aktueller über die Anlage und ihre Risiken informieren. Unzulässige „Schneeballsysteme“ sollen eingedämmt werden. Die Finanzaufsicht Bafin kann die Werbung für bestimmte Geldanlagen einschränken oder ganz verbieten, wenn sie Bedenken wegen des Anlegerschutzes hat.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband plädiert für ein generelles Vertriebsverbot von Finanzprodukten des Grauen Marktes, der nur eingeschränkt von der Bafin kontrolliert wird. Es handele sich um Produkte, „die nicht für die Altersvorsorge und den Vermögensaufbau in Frage kommen“, argumentiert der VZBV. Sie sollten daher nicht öffentlich angeboten werden. Positiv sei aber, dass künftig Anbieter aller Vermögensanlagen Mindestinformationen über Produkte liefern müssten, die an Verbraucher verkauft werden können. Zudem sei keine uneingeschränkte Werbung mehr möglich. „Diese Einschränkung darf im weiteren Gesetzgebungsprozess aber nicht verwässert werden“, fordert VZBV-Finanzexpertin Dorothea Mohn.
Die Deutsche Kreditwirtschaft als Dachorganisation von Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken kritisierte, dass der von Gewerbeämtern beaufsichtigte Graue Kapitalmarkt weiterhin nicht umfassend von der Bafin kontrolliert werden soll. „Nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann ein einheitliches, qualitativ hohes Schutzniveau für alle Verbraucher sicherstellen“. So weit geht der Gesetzesentwurf allerdings nicht. Kritik gibt es auch am Zeitpunkt. Die Regelungen müssten möglicherweise später wegen überarbeiteter EU-Vorschriften (Mifid II) nocheinmal geändert werden.
Berlin plant Sonderregelungen für Start-ups und junge Unternehmen, die bei der Finanzierung ungewöhnliche Wege gehen. Sie beschaffen sich zum Beispiel Geld, indem viele Menschen mit relativ kleinen Einzelbeträgen Projekte, Produkte oder die Umsetzung von Geschäftsideen unterstützen (Crowdfunding). Diese Unternehmen sollen keinen Verkaufsprospekt veröffentlichen müssen, wenn die Gesamtsumme eine Million Euro nicht übersteigt und jeder Anleger nicht mehr als insgesamt 10.000 Euro in das Projekt steckt. Der Branchenverband Bitkom kritisiert die Schwellen als viel zu niedrig. Start-ups und jungen Unternehmen der digitalen Wirtschaft werde ein möglicher Weg der Finanzierung abgeschnitten. Der VZBV argumentiert dagegen: „Für das Gros der Kleinanleger sind 10.000 Euro eine bedeutende Summe und kaum Spielgeld“. Sie plädieren für deutlich niedrigere Schwellen von höchstens 1000 besser noch 500 Euro. So sollten die Interessen der Anleger und kleiner, junger Unternehmen berücksichtigt werden.
Das ist formal ein erheblicher Fortschritt, weil Verbraucherschutz bisher nicht zum Kerngeschäft der BaFin gehörte. Der beste Verbraucherschutz, so das bisherige Credo, sei der Schutz der Anbieter von Finanzanlagen vor einer wirtschaftlichen Schieflage. Dies trifft insbesondere auf die Lebensversicherungen zu.
In der Praxis wird sich die gute Absicht der Bundesregierung nur schwer umsetzen lassen. Es ist ein himmelweiter Unterschied, einen Prospekt auf korrekte Risikohinweise zu prüfen, als zu entscheiden, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, in bestimmte Schiffe, Immobilien oder Ölquellen zu investieren. Für eine genaue kaufmännische Prüfung wird die BaFin weder das Know-how noch das Personal haben. Anleger sollten sich in diesem Punkt nicht allzu viel von dem neuen Gesetz versprechen.
Der allgemeine Zwang, einen rechtlich einwandfreien Prospekt zu veröffentlichen, sollte für die meisten Graumarktanbieter keine allzu hohe Hürde sein. Auch dass die Prospekte jährlich aktualisiert werden müssen, dürfte sie kaum ins Schwitzen bringen. Noch wichtiger wären Vorschriften, wie transparent und nachprüfbar geschlossene Fonds und andere Graumarktanlagen über die laufende Geschäftstätigkeit informieren müssen. Allzu oft lassen die Emittenten solcher Kapitalanlagen die Anleger jahrelang im Dunkeln. Meist wird der finanzielle Schiffbruch erst sichtbar, wenn das Geld schon versenkt ist.
Nicht alles im Reinen
Allenfalls putzig ist der Versuch, öffentliche Werbung für Finanzanlagen in Bussen und Bahnen zu verbieten. Der insolvente Windparkfinanzierer Prokon hatte in der Berliner S-Bahn geworben. Tatsächlich werden die Anleger zumeist persönlich vom Graumarktvertrieb angesprochen. Es ist ja gerade die Masche der Drückerkolonnen mit Emotionen Geld einzusammeln, den Anlegern keine Zeit zum Nachdenken zu geben und sofort auf den Abschluss zu drängen. Nur weil die Graumarktanbieter nicht mehr in der S-Bahn Anzeigen schalten dürfen, wird nicht signifikant weniger Geld in zweifelhafte Investments fließen.
Finger weg von Finanzprodukten, wenn...
Renditen von über acht Prozent pro Jahr versprochen werden, gleichzeitig aber ein Drittel der eingeworbenen Summe für Kosten wie Werbung oder Vertrieb draufgeht
der Initiator bislang noch keine erfolgreichen Finanzprodukte aufgelegt hat
der Initiator nicht nachweisen kann, dass er die versprochenen Renditen im Kerngeschäft erwirtschaftet oder mit Vorgängerprodukten bereits erzielt hat
das Objekt, in das investiert werden soll, noch nicht feststeht oder das Anlegergeld als Kredit an andere Gesellschaften weitergereicht wird, der Anleger sich also nicht direkt an einer Immobilie oder einem Schiff beteiligt
Anleger Geld nachschießen müssen, falls das Unternehmen zum Sanierungsfall wird
Auch wenn das Kleinanlegerschutzgesetz neue Hürden einzieht, der Graumarkt wird Wege finden, diese Hürden zu umgehen. Ein Weg könnte sein, Investments nicht über Fonds oder Wertpapiere zu vertreiben, sondern Direktinvestments anzubieten. Diese Direktinvestments in Container oder Tropenholzplantagen bleiben auch nach dem neuen Gesetz ohne Regulierung.
Eine nächste Runde im Kampf zwischen Anlegerschützern und dem Graumarkt ist schon absehbar. Kaum sind die alten Lücken geschlossen, nutzen die Finanzvertriebe neue Schlupflöcher und es folgt das nächste Gesetz. Wer sich als Anleger darauf verlässt, dass der Staat gegen jedes Anlagerisiko schützt, der scheut die Eigenverantwortung. Niemand ist gezwungen, eine Kapitalanlage zu kaufen, die er nicht versteht und dessen Risiken er nicht durchschaut. Aktien, Anleihen und Gold sind zwar nicht sexy, aber eben vergleich- und handelbar.
Allerdings ist auch bei Aktien nicht alles im Reinen. Umso besser, dass sich die Bundesregierung jetzt darum kümmern will, dass Kleinaktionäre bei einem Rückzug eines Unternehmens von der Börse (Delisting) nicht mehr benachteiligt werden. Der Bundesgerichtshof hatte 2013 entschieden, dass für ein Delisting weder ein Beschluss der Hauptversammlung noch ein Barabfindungsangebot nötig seien. Damit hatten Aktiengesellschaften ein Instrument in der Hand, lästige Kleinaktionäre schnell und kostengünstig loszuwerden. Nach diesem Gerichtsentscheid ist eine Novelle des Aktienrechts zugunsten der Aktionäre längst überfällig.