In drei bis fünf Jahren dürften wir die ersten Blockchain-Anwendungen auf dem Markt sehen. Das erwarten Experten der Unternehmensberatung Roland Berger in einer neuen Studie zu Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain in der Finanzindustrie.
In der Blockchain, dem digitalen Register, das ursprünglich für die Abwicklung der Kryptowährung Bitcoin erdacht wurde, erhalten Teilnehmer über eine Software Zugang zu einem Netzwerk, in dem sie Informationen austauschen. Das Besondere: Statt einer zentralen Stelle hält jeder Teilnehmer eine Kopie des Registers, in dem Informationen und Transaktionen gespeichert werden. Weil alle neuen Eintragungen in das Register gemeinsam verifiziert werden müssen, ist die Blockchain besonders sicher vor Fälschungen. Versucht ein Teilnehmer etwa Einträge in seinem Register zu manipulieren, fällt dies beim Abgleich mit den Kopien anderer Teilnehmer auf.
Ein Blockchain-Netzwerk kann weltweit für alle Interessenten offen sein (wie beim Bitcoin) oder nur bestimmten Teilnehmern Zugang gewähren.
"Blockchain wird die Art, wie weltweit Geschäfte gemacht werden, verändern", sagt Wolfgang Hach, Partner von Roland Berger. "Die Technologie und ihre breiten Einsatzmöglichkeiten erlauben es, etwa bei Handelstransaktionen oder Vertragsabschlüssen auf vermittelnde Institutionen oder Treuhänder zu verzichten.“
Laut einer Studie des World Economic Forum aus dem Jahr 2015 könnten in zehn Jahren schon zehn Prozent der weltweiten Wertschöpfung (Bruttoinlandsprodukt) über eine Blockchain laufen.
Und neben der Finanzbranche könnten auch alle anderen Wertschöpfungsketten von der neuen Technologie profitieren.
Wo bereits Anwendungen über eine Blockchain gestetet werden
Dank Blockchain könnte das Laden von Elektroautos für die Fahrer viel einfacher werden. Um den verbrauchten Strom abzurechen, schließen E-Auto und Ladesäule einen eigenen Vertrag – und zahlen automatisiert. RWE testet das bereits mit dem Start-up Slock.it.
Schwedens Liegenschaftsverwaltung Lantmäteriet testet die Blockchain, um Grundbucheinträge zu digitalisieren. Der Kommunikationskonzern Telia ist mit zwei Start-ups an dem Projekt beteiligt. Klassische Notardienstleistungen, die zur Abwicklung der Verträge benötigt wurden, fallen in der Blockchain weg.
Statt überschüssigen Strom ihrer Solaranlage ins öffentliche Netz einzuspeisen, verkaufen einige New Yorker ihn an ihre Nachbarn. Sie sind Teil des Brooklyn Microgrid, in dem Teilnehmer über sogenannte Smart Contracts ihren Energieverbrauch mit dem Nachbarn abrechnen und direkt digital bezahlen.
Durch die Blockchain ließen sich nicht nur bestehende Geschäftsmodelle schneller und günstiger umsetzen. Die neue Technologie könnte dazu führen, dass sich ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln, schreiben die Analysten von Roland Berger.
Unternehmen sollten deshalb möglichst schnell Versuche mit der Blockchain starten, um ihr Geschäft auf die neue Technologie vorzubereiten und Anwendungsbeispiele zu finden.
Für einige Unternehmen dürfte das ein Weckruf sein. Doch die Deutschen verschlafen die Blockchain keineswegs: In einer Umfrage des Internetverbands Eco und dem Forschungsinstitut Yougov Anfang 2017 sagten bereits 15 Prozent der befragten deutschen Mittelständler, dass sie sich in ihrem Unternehmen mit der Blockchain beschäftigen.
Die größten Anstrengungen sind aber in der Tat in der Finanzbranche zu erkennen, möglichst bald Prozesse über die Blockchain abzuwickeln.
Die Finanzbranche testet Konzepte
Nasdaq und die Deutsche Börse testen Konzepte, die es Aktionären ermöglichen, ihre Stimmen während der Hauptversammlung digital in Echtzeit abzugeben.
Und der US-Versandhändler Overstock hat erste Anleihen und Aktien über seine digitale Handelsplattform T0 ausgegeben. Im digitalen Register werden die Besitzverhältnisse festgehalten, ohne dass Banken und Verwahrdienstleister als Mittler eingespannt werden müssen.
"Gerade in der Finanzbranche mit ihren großen Datenmengen, zahlreichen Intermediären und Dienstleistungen, die abgesichert und verifiziert werden müssen, ergeben sich für Blockchain viele Anwendungsmöglichkeiten", erklärt Roland Berger-Partner Sebastian Steger.
Die Autoren der Studie sehen noch weitere Anwendungsfelder, etwa zur Absicherung von Transportrisiken beim Schiffstransport im Fernhandel: Statt Unterlagen zum Wert der Waren und jeden Verladeschritt mit Papierdokumenten festzuhalten, könnten die Unterlagen in der Blockchain mit Zeitstempel digital erfasst werden. Jeder Logistikpartner hätte damit immer Zugriff auf die Unterlagen. Die Lieferung könnte beschleunigt werden, und Handelspartner ihre Zahlungen schneller erhalten, so die Analysten von Roland Berger.
Bei allem Optimismus müssen noch einige Hürden überwunden werden, um die Chancen der Blockchain weltweit nutzen zu können. Insbesondere in solchen Fällen, wo Industrien nicht auf private Blockchains setzen, die nur innerhalb eines geschlossenen Teilnehmerkreises zugänglich sind, etwa für Kunden oder andere Finanzinstitute zur Abwicklung von Transaktionen. Diese ließen sich wohl ohne große regulatorische Änderungen schon heute einführen.
Digital Handeln per Blockchain
Die Blockchain könnte ein weltweites Netzwerk zwischen Privatanlegern, Banken und Börsen spannen. Kauft ein Privatanleger eine Aktie, würde die Übertragung des Besitzrechtes sofort in einem digitalen Register erfasst und verifiziert. Bisher brauchen Anleger dafür eine Bank, die den Kauf noch von einer Abwicklungsstelle bestätigen lässt.
20 Milliarden Euro könnten Anleger mit der Blockchain-Technik jährlich sparen. Das Einsparpotenzial bei Lagerung und Abwicklung von Wertpapieren und dem Handel damit wird auf 90 Prozent geschätzt.
Die großen Investmentbanken zeigen bereits großes Interesse an der neuen Technik. Das New Yorker Start-up R3 CEV konnte bereits 25 internationale Großbanken für das Vorhaben interessieren, darunter JP Morgan, HSBC, Goldman Sachs, UBS, Deutsche Bank und Commerzbank. Gemeinsam arbeiten sie an Standards für den digitalen Wertpapierhandel.
Wenn aber eine öffentlich zugängliche Blockchain implementiert werden soll, die wie bei der Kryptowährung Bitcoin jedem Interessierten zugänglich ist, müssen kritische Fragen geklärt werden. Die Autoren von Roland Berger haben insbesondere mit Fokus auf die Finanzindustrie sechs Herausforderungen identifiziert:
- Eine neue Infrastruktur, die auf der Blockchain basiert, muss mit den enormen Datenmengen umgehen können, die heute in Sekundenbruchteilen verarbeitet werden müssen.
- Weltweit müssten Aufsichtsbehörden einheitliche Richtlinien für Blockchain-Lösungen aufstellen. Das dürfte noch vor der technischen Umsetzung die größte Herausforderung der nächsten Jahre darstellen.
- Verschiedene Anwendungen in der Blockchain müssen miteinander kommunizieren können. Deshalb haben sich in mehreren Forschungsgruppen schon die größten Banken und IT-Unternehmen zusammengeschlossen, um an einheitlichen Standards für die Verwendung von Blockchain-Lösungen zu arbeiten.
- Wenn bestehende IT-Infrastruktur mit einer völlig neuen Technologie ersetzt wird, bedeutet das für Unternehmen vor allem Kosten und auch die Suche nach neuen Mitarbeitern, die eine Blockchain-Infrastruktur verwalten können. Die Roland Berger-Analysten sehen hier einen Mangel an qualifizierten Fachkräften auf die Unternehmen zukommen.
- Damit die Blockchain ihr Potenzial ausspielen kann, müssen insbesondere Finanzkonzerne ihre Kultur verändern. Statt kurzfristig und profitorientiert zu denken, sollten sie für die Umsetzung neuer Blockchain-Lösungen mehr Risiken eingehen und langfristig planen.
- Investitionen zur Digitalisierung der Geschäftsmodelle müssen mit Blick auf die Blockchain gestemmt werden. Wer jetzt in neue Systeme investiert, ohne dass sie in den kommenden Jahren mit neuen Blockchain-Lösungen kompatibel sind, verschwendet Ressourcen.
Denn bei allem Eifer in der Industrie kann die Blockchain ihr revolutionäres Potenzial erst dann ausschöpfen, wenn sie dezentral und weitreichend implementiert wird. Setzen Unternehmen lediglich private, geschlossene Register im eigenen Unternehmen um, verkommt die neue Technologie zu nichts anderem als einem simplen IT-Update.