Privatanlegern, die sich gegen Kursrückschläge absichern oder in der Hausse überproportional hohe Gewinne machen wollen, boten die Banken bisher vor allem zwei Arten von schnellen Wertpapieren: Optionsscheine und Hebelzertifikate. Anleger müssen hier nur einen Teil der Anlagesumme aufbringen, den Rest streckt die Bank vor. Wenn Spekulanten mit wenig Geld eine deutlich höhere Summe bewegen, sprechen Börsianer von „hebeln“. Hat ein Dax-Kaufoptionsschein zum Beispiel einen Hebel von zwei, steigt dessen Wert etwa doppelt so stark wie der Dax. Das Verlustrisiko ist aber ebenfalls doppelt so hoch.
Optionsscheine und Hebelzertifikate haben allerdings gravierende Nachteile: Erstere sind Termingeschäfte. Schon beim Kauf tickt die Uhr, die Papiere verlieren deshalb schon automatisch an (Zeit-)Wert. Bei Hebelzertifikaten kann schon eine einzige unerwartet heftige Gegenbewegung zum Totalausfall führen.
Faktorzertifikate für die schnelle Wette
Faktorzertifikate, versprechen die Banken, kennen diese Probleme nicht. „Unbegrenzte Laufzeit und keine Gefahr, bei einer Gegenbewegungen Totalverlust zu erleiden, sind die entscheidenden Vorteile der Faktorzertifikate“, sagt Nicolai Tietze von der Deutschen Bank. Die neuen Papiere bieten einen konstanten Hebel und Notierungen, die nicht von komplizierten Rechengrößen wie etwa der erwarteten Schwankungsbreite der Kurse (Volatilität) abhängen. Sie verlieren auch nicht über die Zeit wie Optionen automatisch an Wert. Damit bieten sie sich an für schnelle Wetten, zunächst auf sinkende Kurse und in einigen Wochen auf eine Zwischenerholung.
Das Grundprinzip der neuen Papiere ist das gleiche wie bei Optionsscheinen oder Hebelzertifikaten: Je nachdem welche Richtung für den Basiswert (zum Beispiel den Dax) erwartet wird, kann man mit Faktorzertifikaten auf steigende (long) oder fallende Kurse (short) setzen. Da sich die Papiere stärker bewegen als der Dax, lässt sich schon mit kleinem Einsatz ein spürbarer Effekt erzielen. Die derzeit am meisten gehandelten Papiere mit Faktor vier bewegen sich viermal so stark wie der Dax. Steigt der Dax zum Beispiel um 1,5 Prozent, legt das Faktorzertifikat genau um sechs Prozent zu; sinkt der Dax um zwei Prozent, gibt das Zertifikat um acht Prozent nach.
Rechnung mit Haken
Die Prozentrechnung startet, anders als bei klassischen Papieren, jeden Tag neu. Hält man die Papiere länger, führt das im Vergleich zu Optionsscheinen und Zertifikaten zu einer abweichenden Kursentwicklung, auch wenn alle Papiere zunächst mit gleichem Hebel gestartet sind. Welche Gewinne und Verluste Faktorzertifikate im Vergleich zu Optionen und herkömmlichen Hebelzertifikaten in einzelnen Börsenphasen einfahren, zeigt die Grafik auf der rechten Seite.
Läuft der Trend (wie von Januar bis März dieses Jahres) stabil nach oben, schneiden Faktorzertifikate besser ab. Der Grund liegt in der täglichen Neuberechnung: Wenn die Kurse nachhaltig steigen, bleibt der Hebel zwar jeden Tag gleich, auf einen längeren Zeitraum betrachtet, wird er aber größer. Ein Beispiel: Steigt der Dax fünf Tage hintereinander jeweils um ein Prozent, verbucht er 5,1 Prozent Gesamtgewinn. Das Faktorzertifikat legt jeden Tag im Vergleich zum Vortag um vier Prozent zu. Das ergibt unterm Strich 21,7 Prozent plus. Über den gesamten Zeitraum von fünf Tagen beträgt der Hebel also nicht 4,0, sondern 4,25 (21,7: 5,1).
Nachteile der Faktorzertifikate
Der Haken daran: Liegt kein stabiler Trend vor, kommt es zu schleichenden Kursverlusten. „In Seitwärtsbewegungen haben Faktorzertifikate einen Nachteil gegenüber anderen Hebelprodukten; je volatiler der Markt ist, desto größer wird der Performance-Unterschied“, warnt Dirk Heß von der US-Großbank Citi. „Das sind keine Papiere zum Kaufen und Liegenlassen.“ Sinkt der Dax an einem Tag zum Beispiel um zwei Prozent (also etwa von 6000 Punkten auf 5880) und holt dann am nächsten Tag diese 120 Punkte gleich 2,04 Prozent wieder auf, erreicht er sein Ausgangsniveau. Beim Faktorzertifikat jedoch entstehen Verluste: Am ersten Tag gibt das Papier um acht Prozent nach und sinkt von 100 auf 92 Euro. Am nächsten Tag gewinnt es genau vier mal 2,04 Prozent, also 8,16 Prozent. Damit steht es nur noch bei 99,51 Euro – also etwa ein halbes Prozent im Verlust, obwohl ein reines Dax-Investment plus/minus null ausgegangen wäre.
Gebühren für die Bank
Dax-Faktorzertifikate basieren in der Regel auf dem LevDax, der von der Deutschen Börse offiziell berechnet wird. In den Index werden auch die Zinsen eingerechnet, die Anleger für einen Wertpapierkredit bezahlen müssten. Begründung: Anleger zahlen für ihre Dax-Investition nur ein Viertel des Werts ein, den sie bewegen, der Rest muss finanziert werden. Zinssatz ist der Eonia, zu dem sich Banken in Europa untereinander über Nacht Geld leihen. Wer über Faktorzertifikate den LevDax mit vierfachem Hebel kauft, muss zu seinem Einsatz noch dreimal den Eonia-Zins drauflegen – aktuell 0,32 Prozent pro Jahr.
Wer auf sinkende Kurse setzt, bekommt dagegen etwas drauf – beim vierfach gehebelten Faktorzertifikat insgesamt fünfmal den Eonia-Zins. Hier gilt: Der Anleger gibt der Bank durch den Kaufpreis des Zertifikats schon einmal Geld und verkauft dazu virtuell viermal die im Dax enthaltenen Aktien. In jedem Fall zieht die Bank zusätzlich und automatisch Gebühren ab, bei Dax-Papieren rund ein Prozent pro Jahr.
Auf null fallen können die täglich neu berechneten Zertifikate kaum. Bei einem vierfachen Hebel müsste der Dax dazu an einem Tag um 25 Prozent abstürzen. Einen solchen Verlust hat es in Deutschland noch nie gegeben. Und selbst wenn: Ab 12,5 Prozent Indexverlust wird die Tagesrechnung vorzeitig beendet und auf der dann erreichten niedrigen Basis neu gestartet. Unter dem Strich würde so an einem Katastrophentag die Hebelwirkung verringert.
Trotzdem können Anleger auch hier ihr Geld komplett verlieren: Rechtlich sind Faktorpapiere Inhaberschuldverschreibungen der ausgebenden Bank. Geht die pleite, verfallen sie wertlos – genauso wie Optionsscheine und Zertifikate.