Elsässers Auslese

Dimensionen des Weltgeschäfts in der Börsenbewertung

Markus Elsässer Value Investor

Die tonangebenden Unternehmen wachsen in ungeahnte Dimensionen. Bei der Börsenbewertung wird das meist übersehen. Für die Geldanleger bedeutet dies ein Umdenken bei der Einschätzung der Chancen.

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Ein Globus Quelle: dpa

Vielen Geldanlegern erscheinen die Börsenbewertungen von Top-Unternehmen auf hohem Niveau. Ein rein rückwärts gerichteter Blick auf die historischen Höchst- und Tiefstkurse ist jedoch irreführend. Die Welt für global agierende Firmen hat sich nachhaltig geöffnet. Mit Ausnahme ganz weniger Länder, wie beispielsweise Zimbabwe oder Nord-Korea, ist der westlich geprägte Konsum und technologische Fortschritt unaufhaltsam, weltweit auf dem Vormarsch.

Zur Person

Seit langem plädiere ich dafür, dass jeder Börseninvestor einen großen Globus in seinem Büro haben sollte. Der fehlende Blick auf die Weltdimensionen ist schon manchem zum Verhängnis geworden. Ich denke da zum Beispiel an Napoleon. Der enge Fokus auf die uns nahestehenden oder uns bekannten Länder bei der Beurteilung von Geschäftsperspektiven kann zu fatalen Fehleinschätzungen führen.

Die Kraft der nackten Zahlen ist beeindruckend. Betrachten wir beispielsweise ein Land wie Bangladesch. Außer Horrormeldungen von Naturkatastrophen und Unglücken ist uns wenig bekannt. Wie viele Menschen leben dort? So groß wie die Bundesrepublik - 80 Millionen? Weit gefehlt. Es sind 160 Millionen Menschen, die in Bangladesch leben.  Beim traditionellen Stiftungsdinner des Ostasien-Vereins in Bremen sagte mir kürzlich der Konsul von Bangladesch, dass dieses riesige Land sich etwa zehn Jahre in der Entwicklung hinter dem Nachbarstaat Indien befindet. Unterstellen wir einmal, dass jährlich nur ein Prozent der Bevölkerung seine Lebensumstände verbessern kann – dann sind das 1.600.000 neue Kunden pro Jahr, welche auf den Markt drängen.

Ein junger Verwandter von mir ist zur Zeit in Malaysia als Kaufman tätig. Er berichtet mir, dass es in Ostmalaysia (Sarawak) über 60 Schiffswerften, meist mittelständischer Größe, gibt. Die Zahl kam mir erstaunlich hoch vor – bis ich mir das Nachbarland Indonesien mit seinen 250 Millionen Einwohnern auf dem besagten Globus angeschaut habe. Indonesien ist ein Reich mit 13.000 Inseln. Wenn nur jede fünfte Insel mit einer modernen Fähre und einem Lastkahn erreicht werden sollen, so sind 2.600 Schiffe notwendig. Diese müssen gebaut, regelmäßig gewartet und repariert werden.

Dies sind Geschäftspotenziale von ungeahnten Ausmaßen auf Jahrzehnte hinaus. Und gleichzeitig erleben wir eine Epoche der Produktivitäts- und Logistik-Rekorde in den führenden Unternehmen in noch nie dagewesenen Proportionen. Die wahren Ausmaße sind den meisten Investoren nicht bekannt. Die TV-Medien werden von den Interessen und der Sichtweise der Politiker dominiert. Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaft, zumal aus „fernen Ländern“ bleiben in den Abendnachrichten unerwähnt.

Der Geldanleger sollte sich nicht von scheinbar hohen Börsenbewertungen schrecken lassen. Denn die einfache Wahrheit lautet: Die Gewinner von heute werden auch die sicheren Gewinner bei der Wirtschaftseroberung der Märkte von Morgen sein. Nicht derjenige, der noch viel aufzuholen hat, ist das attraktive Investment, sondern derjenige, der schon seit 20 Jahren die Nase vorn hat. Gegen die Finanzkraft und das Marketing-Vertriebsvermögen dieser „Power-Häuser“ ist kaum noch anzukommen. Firmen, die sich nicht schon vor langer Zeit auf diese globalen Herausforderungen systematisch vorbereitet haben, werden schneller vom Markt verschwinden, als es den Investoren lieb sein wird.

Zukunft der Wirtschaft besteht aus "Power-Häusern" und innovativen Spezialisten

Zur Veranschaulichung einige Beispiele aus der Welt der großen „Könner“. War Ihnen folgendes bekannt?

Täglich werden 1,9 Milliarden Getränke des Coca Cola Konzerns konsumiert. Das entspricht einer Reichweite, die jeden vierten Erdbewohner am Tag erreicht. Wie will da eine kleinere Firma noch gegen eine solche Weltmaschinerie antreten?

Ob man die Fastfood-Kette McDonalds mag oder nicht, fest steht, dass täglich etwa 62 Millionen Kunden bedient und versorgt werden. Das sind bei Mc Donalds mehr Kunden als die Einwohnerzahl von ganz Großbritannien (60,8 Millionen) – Tag für Tag, Jahr ein, Jahr aus. Stellen Sie sich diese Arbeit hinter den Kulissen einmal vor.

Die performancestärksten Geldmanager über fünf Jahre

Die Cafehaus Kette Starbucks verarbeitet am Tag eine Million Liter Milch. Pro Tag werden 6,4 Millionen Papierbecher verwendet. Das sind über zwei Milliarden Becher im Jahr!

Der Logistiker UPS liefert am Tag 18 Millionen Pakete und Dokumente aus. Beim Internetversender Amazon sind es jährlich 3,3 Milliarden Artikel, die zum Versand kommen. Die Zahlen machen einen ganz schwindelig. Aber hinter den Zahlen steht eine gelebte Realität.

In China wird der meiste Einzelhandelsumsatz am „Tag des Singles“ gemacht. Der chinesische Online-Händler Alibaba hat im Jahr 2015 einen Umsatz in Höhe von 13,3 Milliarden Euro an diesem einen Tag verbucht. Noch einmal wiederholt: An einem einzigen Tag wurden für 13,3 Milliarden Euro Umsätze bearbeitet! Welches Unternehmen kann solch eine Organisations- und Personal-Aufgabe stemmen? Wie viel Umsatz macht Ihre Firma im Jahr? Übrigens: Im Jahr zuvor, in 2014, wurden „nur“ 8,4 Milliarden Euro Umsatz am „Tag des Singles“ bei Alibaba erlöst. Soviel zur „Krise“ in China.

Nach Jahren expansiver Geldpolitik ohne nachhaltige Wirkung scheint den Notenbanken nur eine Option zu bleiben – sie müssten die Staatsschulden selbst übernehmen. Das wäre der Gipfel des geldpolitischen Vodoo-Zaubers.

Nestlé ist seit 1911 in den Philippinen tätig, Unilever hat 1931 in Indien mit seinem Geschäft gestartet und ist seit 1933 in Indonesien vor Ort vertreten. Ein unschätzbarer Vorsprung an Zeit, Standortvorteilen, Erfahrung und Marktbearbeitung.

Auch bei der Finanzkraft sind die Unternehmen in neue Sphären vorgestoßen. Und zwar nicht nur im Internetsektor. Bekannt sind ja die horrenden Erträge von Google und Apple. Nein, auch in ganz traditionellen Branchen. Einer der Finanzmatadoren ist der alte Johnson & Johnson Konzern, in Deutschland unter anderem durch seine Penaten-Baby-Creme bekannt. Johnson hat zuletzt über eine Milliarde US-Dollar im Monat, nach Steuern, verdient. Nach Abzug der Bankschulden stehen in der Bilanz liquide Mittel in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar. Es lohnt sich, sich näher mit den absoluten Beträgen der Jahresgewinne der erfolgreichen Konzerne zu beschäftigen. Mit der schieren Finanzmacht der Kasse, können sich diese Unternehmen jede Art der Forschung und Entwicklung leisten.

Sie sind auch besser in der Lage, über lange Jahre kostspielige Marketingkampagnen zu fahren, um Ihre Marken in neuen Länden aufzubauen. Abhängig von irgendwelchen Banken sind viele von ihnen schon lange nicht mehr. Sie agieren supra-national und sind in der Tat fast wie ein eigener Kosmos in sich. 

Der Geldanleger kann es drehen und wenden wie er will. In der Wirtschaft gehört die Zukunft zwei Gruppierungen: Zum einen, den „Mega-Power-Häusern“ und zum anderen, den innovativen Spezialisten, die schnell und mit fast geniehaften Charakter auf sich aufmerksam machen können. Ehrlich gesagt: An der Börse würde ich auf lange Sicht von allem anderen die Finger lassen. Und vergessen Sie bitte den Globus nicht – ein ideales Geschenk zu Geburtstag. Weihnachten ist ja noch was hin.   

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