Die Ölscheichs sind reich und mächtig. Immer noch. Aber so mächtig, dass sie die Richtung auf dem Weltmarkt für Erdöl vorgeben könnten, sind sie nicht mehr. Und so reich, dass sie ihre Fördermengen willkürlich drosseln könnten, sind sie auch nicht mehr.
Darum endete jetzt der Ölproduzenten-Gipfel in Doha ergebnislos. Dass die Mitgliedsstaaten des Produzenten-Kartells Opec untereinander zerstritten sind, war bekannt. Die Erwartung, es gäbe mehr Einigkeit, wenn neben den Opec-Staaten auch noch Russen, Aserbaidschaner und Mexikaner mit am Tisch säßen, war abenteuerlich.
Was die Händler an den Ölmärkten in London und New York nicht hinderte, in den Tagen vor dem Gipfeltreffen den Preis hochzutreiben, in Erwartung von Produktionskürzungen. Daraus wird jetzt nichts, und entsprechend plumpst der Ölpreis wieder nach unten. Bis zum nächsten relevanten Gerücht, und das wird kommen, noch bevor der erste relevante Fracking-Ölproduzent in den USA wegen der Preissituation aufgibt. Das kann aber noch dauern.
Für viele der Konferenzteilnehmer ist das natürlich schlimm. In Venezuela und Mexiko, Angola, Nigeria und Mexiko drohen die auf Rohstoff-Einnahmen und sonst nichts gestützten Wirtschaftssysteme zusammenzubrechen. Anders sieht es aber für die wirklich entscheidende Erdöl-Macht Saudi-Arabien. Die Saudis klammern sich an ihre Marktanteile im weltweiten Ölgeschäft und nehmen dafür die schlimmen Preiseinbußen in Kauf. Macht ja auch Sinn, solange die gewaltigen Finanzreserven des Königshauses das Haushaltsdefizit ausgleichen. Das wird noch ungefähr fünf Jahre möglich sein, und bis dahin – so offenbar das saudische Kalkül – haben die amerikanischen Fracking-Konzerne kapituliert und das Erdöl ist wieder fast so teuer wie vor der Krise.
Und dann gibt es ein zweites Argument, mit dem die Saudis nicht hausieren gehen - außer vielleicht bei ihren engen Verbündeten in der Nachbarschaft, den annähernd so rohstoffreichen Monarchen in Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Wenn die Industriestaaten auch nur halbwegs ernst machen mit ihrem Ziel, in wenigen Jahrzehnten den Gebrauch fossiler Brennstoffe aufzugeben, droht der gesamten arabischen Halbinsel der wirtschaftliche Kollaps, Ölreichtum hin oder her. Da ist es eben besser, jetzt ganz viel Erdöl billig zu verkaufen, statt auf hohe Preise zu warten, die es nie mehr geben wird, jedenfalls nicht bei einer Nachfrage wie heute.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
So etwas sagt der kluge Ölscheich natürlich nicht, schon weil es die unangenehme Entwicklung beschleunigt. Er handelt nur danach, ohne es zuzugeben. Anders lässt sich auch nicht erklären, warum die offizielle Statistik der Opec – ein Instrument in saudischer Hand – mit schöner Regelmäßigkeit für Saudi-Arabien Produktionszahlen veröffentlicht, die um die zehn Prozent niedriger sind als die Zahlen aus westlichen Quellen.
Verwirrung gehört im internationalen Ölgeschäft eben dazu. So wie die Mitteilung der Saudis und der katarischen Gastgeber des Treffens, man habe keine Produktionsdrosselung beschließen können, weil die Iraner als einziges Opec-Mitgliedsland in Doha nicht aufgetaucht waren und ihre Ölhähne auf jeden Fall voll aufgedreht haben wollen. Dass mit dem Iran derzeit keine Produktionsreduzierung zu vereinbaren war, wussten die Saudis natürlich von Anfang an. Und die Russen, im Gegensatz zu Saudi-Arabien mit dem iranischen Regime nicht verfeindet, wussten das natürlich auch. Aber ohne politische Schuldzuweisung geht es eben nicht.