Europäische Zentralbank Wie das Drehbuch für die Zinswende aussehen könnte

Volkswirte erwarten einen baldigen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik. Wie könnte die EZB das schwierige Manöver der Zinswende einleiten – und was haben die in Deutschland so populären Pauschalreisen damit zu tun?

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Blick auf die Europäische Zentralbank in Frankfurt. Quelle: imago images

Die Unternehmen in der Eurozone blicken sehr zuversichtlich in die Zukunft. Ihre Beschaffungschefs und Einkaufsmanager erwarten in den Umfragen steigende Nachfrage. Nach Einschätzung der Volkswirte Reinhard Cluse und Felix Hüfner von der Schweizer Großbank UBS dürften angesichts dieser Zuversicht bald auch die harten ökonomischen Daten anziehen. Dazu zählen die Verkäufe im Einzelhandel oder die Produktion und Beschäftigung in den Industriebetrieben.

Die Ökonomen sehen die Eurozone hier einigermaßen breit aufgestellt, die Entwicklung sei nicht nur im relativ stabilen Deutschland positiv, sondern ebenfalls in Frankreich. Die günstigeren Aussichten für die Gesamtwirtschaft machen es für die Europäische Zentralbank (EZB) immer schwieriger, ihre expansive Geldpolitik mit den massenhaften Anleihekäufen und den extrem niedrigen Leitzinsen weiter zu rechtfertigen. Die UBS-Volkswirte erwarten daher schon bald eine geldpolitische Verschärfung: "Wir glauben, dass die Zeit der Normalisierung kommen wird."

Dabei werde die EZB aber um jeden Preis vermeiden, den Märkten einen Schrecken einzujagen. So könnte der Ausstieg aus den Anleihekäufen im Januar 2018 beginnen und sich etwa sechs bis neun Monate hinziehen. Zinserhöhungen kommen erst nach einem Ende des Anleihekaufprogramms in Frage, auch wenn viele EZB-Kritiker einen Anstieg der Leitzinsen schon jetzt kaum abwarten können.

Wie Europas Währungen ohne Euro auf- oder abwerten müssten
Das SzenarioDer US-Finanzriese Bank of America Merrill Lynch (BoA) wollte es genauer wissen: Analyst Athanasios Vamvakidis hat den Euro-Währungsraum unter der Maßgabe genauer unter die Lupe genommen, dass die Euro-Zone auseinanderbricht und der Euro abgeschafft wird. Hintergrund sind neben den hohen Staatsschulden einzelner Peripheriestaaten vor allem das absehbare Ende der massiven Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank (EZB), das sogenannte OMT-Programm, und in der Folge wieder steigende Zinsen. Nur die Geldpolitik der EZB hat 2012 eine Eskalation der Staatsschuldenkrise verhindert, in dem die Kreditkosten für die Peripheriestaaten auf ein historisches Tief gedrückt wurden. Was also passiert, wenn das OMT-Programm endet? Quelle: dpa
Schatten-WechselkurseDie BoA-Experten erwarten, dass die EZB das OMT-Programm im kommenden Jahr reduziert und schrittweise auslaufen lässt. Dadurch würden auch die Finanzierungskosten der Staaten wieder ansteigen, obwohl es länger dauern dürfte, die Leitzinsen wieder anzuheben. Insgesamt rechnet die BoA dann mit höheren Schuldenquoten in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland als 2012 auf den Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise. Ohne einschneidende Reformen steigt somit das Risiko, dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Dies vor Augen hat BoA-Analyst Vamvakidis Schattenwechselkurse für die nationalen Nachfolgewährungen gegenüber dem heutigen Euro berechnet. Diese legen Währungsunterschiede zwischen den Euro-Staaten offen, die derzeit durch die Gemeinschaftswährung verborgen sind. Quelle: dpa
GriechenlandGriechenland bleibt das Sorgenkind der Euro-Zone. Trotz spürbarer Fortschritte liegt die Überbewertung Griechenlands zusammen mit der Spaniens an der Spitze. Die griechische Drachme müsste deshalb nach heutigem Stand um 7,5 Prozent abwerten. Immerhin: Vor der Krise lag der Abwertungsbedarf eher bei 30 Prozent, insofern war die Verbesserung deutlich. Nur ein Land der Euro-Zone ist aktuell so stark überbewertet wie Griechenland. Quelle: dpa
SpanienMüsste Spanien zur Peseta zurückkehren, wäre laut BoA eine Abwertung der spanischen Währung um 7,5 Prozent erforderlich. Gegenüber dem Abwertungsbedarf vor der Krise von rund 14 Prozent ist das schon eine Stabilisierung. Allerdings haben sich Spaniens Staatsschulden seit 2008 nahezu verdreifacht. Dank der Geldpolitik der EZB hat sich die Zinsbelastung des Staates jedoch nur um 80 Prozent erhöht. Quelle: Fotolia
FrankreichBräche der Euro heute auseinander, müsste der Franc um fünf Prozent abwerten – und damit deutlich mehr als zu Vorkrisenzeiten. Damals lag die Überbewertung bei nur zwei Prozent. Insgesamt, so Studienautor Vamvakidis, sei die Überbewertung jedoch zu gering, um die Forderungen der Rechtspopulistin Marine Le Pen nach einem Frexit und einer anschließenden Abwertung des Franc zu rechtfertigen. Quelle: dpa
ItalienItalien bleibt etwas überbewertet, so dass die italienische Lire nur um drei Prozent abwerten müsste, um einen angemessenen Wechselkurs zu erreichen. Vor der Krise betrug die Überbewertung noch 7,5 Prozent. Seit 2012 ist die Zinsbelastung des Staates deutlich gesunken. Quelle: dpa
PortugalAuch in Portugal hat sich die wirtschaftliche Lage deutlich gebessert, so dass der Escudo nach heutigen Maßstäben nur noch leicht, nämlich um ein Prozent abwerten müsste, um im Gleichgewicht mit den übrigen Euro-Staaten zu notieren. Quelle: dpa

Drehbuch für die Zinswende

Das mögliche Drehbuch der Zentralbank für ihren Rückzug aus der expansiven Geldpolitik und die Vorbereitung einer Zinswende könnte nach Erwartung der UBS-Volkswirte Cluse und Hüfer wie folgt aussehen:

Bei der nächsten Sitzung des EZB-Rats am 27. April wird es wohl noch keinen geldpolitischen Paukenschlag geben. Denn dieser Termin liegt unmittelbar nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Frankreich, bei denen populistische und anti-europäische Kräfte Auftrieb erhalten könnten. Die Notenbank wird den Finanzmärkten in einer solchen Situation bestimmt keine Schocks zumuten wollen.

Doch schon in der Pressekonferenz nach der Ratssitzung am 8. Juni dürften die Formulierungen in den Stellungnahmen von EZB-Präsident Mario Draghi in die Richtung einer baldigen geldpolitischen Straffung gehen, allerdings ohne konkrete Ankündigungen.

Die Zeit des sehr billigen Geldes geht langsam zu Ende. Noch im Laufe dieses Jahres wird die Europäische Zentralbank (EZB) voraussichtlich damit beginnen, an der Zinsschraube zu drehen.
von Stefan Bielmeier

Eine Verkündung des Endes der Anleihekäufe ab Januar 2018 wird erst nach der Ratssitzung am 7. September erfolgen, wenn sie von der vorangegangenen Kommunikation sorgfältig vorbereitet wurde. Zwischen dem Ende der Anleihekäufe und dem Beginn der Zinswende dürfte die EZB dann noch eine geldpolitische Verschnaufpause einlegen, denn sie hat klargestellt, dass erste Zinsschritte nicht sofort nach dem Exit aus dem Kaufprogramm kommen, sondern mit einem gewissen Abstand.

Die Einschätzungen der UBS-Volkswirte sind nicht aus der Luft gegriffen. Schon im April wird die EZB wie bereits angekündigt ihre Anleihekäufe von 80 Milliarden Euro im Monat auf 60 Milliarden Euro reduzieren. Die günstigeren Konjunkturaussichten dürften der Inflation weiter Vortrieb geben, sodass der Spielraum für eine geldpolitische Straffung immer größer wird.

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