WirtschaftsWoche: Meine Herren, platzt gerade die globale Anleihenblase?
Felix Zulauf: Sie müssen das, was gerade passiert, in ein Großwetterszenario einordnen. Wir hatten 30 Jahre fallende Renditen und vor wenigen Jahren eine große Finanzkrise. Weltweit haben Notenbanken ihren Banken Geld nahezu gratis zur Verfügung gestellt. Die Banken haben damit unter anderem Anleihen gekauft. Sie haben dabei immer weniger auf die Kreditqualität geachtet, weil die Notenbanken ihnen ja gesagt haben: Ihr habt ein bescheidenes Risiko, weil wir da sind und das alles aufkaufen. EZB-Präsident Mario Draghi hat vor einem Jahr gesagt, dass er den Euro verteidigen werde, koste es was es wolle. Das war unverantwortlich, weil er die Banken damit geradezu ermutigt hat, weiter viele Schrottanleihen von bankrotten Staaten auf ihre Bücher zu nehmen. Seither sind die Staatsanleihebestände der europäischen Banken von 2500 auf 2900 Milliarden Euro gewachsen. Jetzt sind Banken, Schattenbanken und andere Anleger vollgestopft mit solchen Zinspapieren, und zwar in einem Umfang, wie noch nie zuvor in der Geschichte. Und in dieser Situation setzt sich plötzlich die Meinung durch, dass es der amerikanischen Wirtschaft besser geht, und die US-Notenbank sagt: Weil die Wirtschaftslage sich bessert, werden wir das Gelddrucken schrittweise zurückfahren. Es ist doch ganz klar, dass Anleihebesitzer dann verkaufen.
Wird die Fed das Gelddrucken denn tatsächlich zurückfahren? Oder haben die heftigen Reaktionen der Börsen Bernanke vorsichtiger gemacht?
Felix Zulauf: Bernanke hat den Ausstieg ja an Bedingungen geknüpft...
...eine Arbeitslosenquote unter 6,5 Prozent und eine erwartete Inflationsrate von 2,5 Prozent...
Felix Zulauf: Die erste Bedingung wird schlichtweg nicht erfüllt werden. Deshalb wird er immer sagen können: Wir sind noch nicht so weit und drucken weiter. Ich gehe davon aus, dass die strukturellen Rahmenfaktoren in den Industrieländern mit Blick auf Verschuldung, Demografie und Bankensysteme in der Zukunft kaum mehr Wirtschaftswachstum zulassen werden. Entsprechend gehe ich davon aus, dass die Notenbanken aus ihrer Rolle als Finanziers für Staatsanleihen nicht herauskommen. Wir werden weiter in großem Stil Defizitwirtschaft betreiben, um das System einigermaßen über Wasser zu halten. Weil diese Defizite vom Kapitalmarkt allein nicht mehr finanziert werden können, wird neues Geld gebraucht. Dieses Geld werden die Zentralbanken schöpfen müssen.
Obwohl die Zentralbanken kaufen, fallen aber die Anleihekurse, und die Renditen steigen.
Felix Zulauf: In den Banken und Schattenbanken mit großen Anleiheportfolios, die zudem hochgradig auf Kredit finanziert wurden, kommen jetzt die Risikomanager und sagen: Wir haben das 1994 schon einmal erlebt. Da ist auch der Zins raufgegangen und plötzlich wurde daraus der größte Bondmarkt-Crash der neueren Geschichte. Aus dieser Angst hat sich jetzt eine Eigendynamik entwickelt. Es ist also vorerst gar nicht entscheidend, ob sich die Konjunktur nun besser entwickelt oder nicht. Es geht darum, die Risiken in den Bilanzen des Banken- und Schattenbankensystems weltweit zu beschränken. Und wenn das Risiko runter muss, wird verkauft. Dann fallen die Kurse und der Zins geht nach oben. Das läuft gerade.
Stehen die Aussagen Bernankes im Zusammenhang mit dem Ende seiner Amtszeit im Januar 2014?
Felix Zulauf: Er will natürlich nicht mit voll durchgetretenem Gaspedal aufhören, sondern einen Ausstiegsweg vorzeichnen, damit seine Legende nicht gefährdet ist. Ich glaube gar, er ist ehrlich davon überzeugt, dass sich die Konjunktur erholt. Er mag ein guter Geldtheoretiker sein, aber er ist kein guter Volkswirt. Das trifft heute leider für die meisten Zentralbanker zu. Die sind so verschroben in ihren Ansichten und verdorben durch den Monetarismus. Und sie werden von ihren eigenen Regierungen immerzu genötigt, die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Die US-Regierung muss in den nächsten drei Jahren die Hälfte ihrer Schulden refinanzieren. Ist es vor diesem Hintergrund ein Zufall, dass US-Präsident Barack Obama ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem über ein Zurückfahren der Anleihekäufe durch die Fed spekuliert wird, die Nachfolge von Bernanke öffentlich diskutiert? Oder will Obama damit nur einen noch aggressiveren Gelddrucker als Bernanke installieren?
Felix Zulauf: Das glaube ich nicht. Bernanke wirkt tatsächlich amtsmüde. Aber seine dauernden und aus meiner Sicht richtigen Mahnungen an den Präsidenten und den Kongress, endlich den Finanzhaushalt ins Lot zu bringen, ärgern Obama. Entsprechend entlässt ihn Obama schon frühzeitig aus der Verantwortung.
US-Staatsanleihen
Inflationsgeschützte US-Staatsanleihen, kurz TIPS, sind noch stärker eingebrochen als normale Anleihen. Ist das nicht eher ein Indiz für steigende Deflationsgefahr und weniger für wirtschaftliche Erholung?
Felix Zulauf: So deute ich das auch. Aber das spielt im Moment nicht die Hauptrolle an den Bondmärkten. Dort gilt derzeit nur das Motto: Rette sich, wer kann. Es geht um Verlustbegrenzung. Die jüngsten Verluste waren ja kein Pappenstiel. In den vergangenen fünf bis sechs Wochen ist die Rendite einer zehnjährigen US-Staatsanleihe – und das ist noch einer der Bonds, der am wenigsten gelitten hat – um 100 Basispunkte angestiegen. Anleger haben binnen weniger als zwei Monaten mehr als drei Jahreskupons verloren. Das ist brutal. Immer, wenn es kracht, wenn die Märkte gegen sie laufen, dann müssen Anleger ihre Risiken reduzieren und Positionen runterfahren. In den Bondmärkten stecken gewaltige Summen und es gibt kaum noch Gegenparteien, die kaufen wollen oder können. Das können die Notenbanken zusammen gar nicht alles aufnehmen. Also drückt das die Rendite nach oben.
Wann endet der Renditeanstieg?
Felix Zulauf: Wenn die Konjunktur wirklich so gut laufen sollte in den USA, wie es die Finanzmärkte glauben, wenn die Lage in Europa sich stabilisiert und wenn es auch in Japan fantastisch aufwärts ginge, dann müsste der Zins solange steigen, bis er die Konjunktur wieder abwürgt. Vermutlich wird die Weltkonjunktur aber nicht annähernd so gut sein wie erwartet. Eher das Gegenteil wird eintreten. Der Renditeanstieg wird sich irgendwann erschöpfen, wahrscheinlich im Lauf des Sommers.
Auf welchem Renditeniveau?
Felix Zulauf: Genau weiß ich das nicht. Ich kann mir vorstellen, dass das bei zehnjährigen US-Treasuries so bei etwa drei Prozent sein wird. Viel schlimmer trifft es jetzt jene Länder, deren Finanzierung stark vom Ausland abhängig ist, also vor allem Schwellenländer mit hohen strukturellen Leistungsbilanzdefiziten.
Warum?
Felix Zulauf: Wenn die Gelder, die ins Land geflossen sind, um das Defizit zu finanzieren, wieder rausfließen, dann wird die Währung schwächer. In einer ersten Phase wollen die Länder ihre Währung stützen, weil sie alle noch Inflation haben. Denn wenn die Währung noch schwächer wird, werden Importe teurer, die Inflation geht noch weiter nach oben und hat man noch größere soziale Konflikte. Also stützen sie...
...indem sie die Zinsen anheben.
Felix Zulauf: Dann bekommen sie aber eine schwächere Konjunktur. Mit der Zeit können sie die Zinsen nicht mehr oben halten und die Währung fällt weiter. Solche Länder kommen in eine furchtbare Situation. Diese Volkswirtschaften gehen alle in die Rezession.
Welche Schwellenländer sind besonders gefährdet?
Roman Zulauf: Besonders gefährdet sind Länder wie die Türkei, Brasilien oder Polen. Die haben in den vergangenen Jahren viel Kapital aus dem Ausland angezogen. Ihre Währungen haben aufgewertet. Die Notenbanken mussten dort dagegenhalten. Sie haben versucht, die Zinsen zu drücken, um die Anlage in ihren Ländern und die Währungen weniger attraktiv zu machen. Damit hat sich ein binnenwirtschaftlicher, aber fremdfinanzierter Boom entwickelt. Dieser Boom geht nun zu Ende, weil der Film jetzt plötzlich rückwärts läuft. Die Gelder fließen ab, entsprechend gehen die Zinsen hoch. Im Ergebnis platzt der Kreditboom, und das drückt die Konjunktur.
Wurde der Boom nicht maßgeblich befeuert durch die Geldpolitik in den USA?
Roman Zulauf: Ja, sie war der Ausgangspunkt der Entwicklung. Weil die klassischen festverzinslichen Anlagen in Ländern mit Leitungsbilanzüberschüssen wie Deutschland fast keine Rendite mehr gebracht haben, ging weltweit eine Jagd nach immer attraktiveren Renditen los. Die Anleger wurden dabei immer mutiger und risikofreudiger.
Kapitalflucht aus den Emerging Markets
Wie lange wird die Kapitalflucht aus den Emerging Markets anhalten?
Roman Zulauf: Der Prozess dauert solange an, bis die Zahlungsbilanzdefizite zu Überschüssen werden. Die Binnennachfrage muss so schwach werden, dass die Exporte die Importe überschreiten. Erst dann stabilisiert sich auch die Währung wieder. Das aktuellste Beispiel für den Prozess, den wir gerade sehen, war die Währungskrise in Ungarn zwischen 2008 und 2011. Weitere Beispiele waren 1998 die Krisen in Asien und Russland. Das Drehbuch ist überall immer dasselbe.
Unter Druck stehen nicht nur Schwellenländer. Die Stadt Detroit zum Beispiel steht vor der Pleite. Ist das der Anfang einer Pleiteserie bei Hochzinsanleihen?
Felix Zulauf: Es ist natürlich so, dass die schwächsten Glieder im System, also die ganz außen an der Peripherie, zuerst getroffen werden. Dort wird es Bankrotte geben, das ist völlig normal. Die Ausfallquote bei Hochzinsanleihen wird steigen. Wenn die Zinsen so in die Höhe schießen wie jetzt beispielsweise in Brasilien oder der Türkei, dann werden bei dem einen oder anderen Unternehmen die Lichter ausgehen. Es waren ja primär die privaten Unternehmen, die dort in den letzten Jahren große Schulden angehäuft haben. Was jetzt passiert, wird die Weltkonjunktur scharf einbremsen.
Die Volatilität, die Schwankungsintensität an den Märkten, ist stark gestiegen. Fürchten Sie, dass da auch der eine oder andere größere Hedgefonds unter die Räder kommt?
Roman Zulauf: Obwohl man es nicht ausschließen kann, wäre ich überrascht, wenn es bei diesen Turbulenzen einen großen Hedgefonds zerreiben würde. Seit 2008 hat die Hedgefonds-Branche ihr Risikomanagement stark professionalisiert. Mit einem allzu großen Kredithebel wird heute nicht mehr gearbeitet. So schnell wie früher wird nicht mehr aus der Hüfte geschossen. Es sind heute eher private und institutionelle Anleger, die ein größeres Risiko fahren. Oder denken sie an den berühmten internationalen Investmentfonds aus den USA, der zehn bis 15 Prozent des irischen Bondmarktes hält.
Sie meinen Franklin Templeton.
Roman Zulauf: Das ist kein Hedgefonds, das ist ein Anlagefonds. Diese Fonds haben andere Schwierigkeiten zu bewältigen als Hedgefonds, die mit konsequentem Risikomanagement versuchen, solchen Klumpenrisiken aus dem Weg zu gehen. Mit Blick auf die Volatilität sind wir ja noch auf vergleichsweise bescheidenem Niveau. Die tiefe Volatilität, die wir noch vor einigen Wochen hatten, war ja eigentlich das beunruhigende Zeichen. Je tiefer die Volatilität ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich irgendetwas passiert. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 hatten wir auch eine extrem niedrige Volatilität.
Liegen die größeren Risiken also nicht im Schattenbankensystem, sondern bei den Banken?
Felix Zulauf: So sehe ich das. Das Risikomanagement der Hedgefonds ist wesentlich besser als das der Banken. Allein im europäischen Bankensystem schätze ich den Abschreibungsbedarf auf über eine Billion Euro. Die haben ihre Hausaufgaben immer noch nicht gemacht. All die Rettungsschirme, die da sind, sind dafür viel zu klein. Da kommt möglicherweise bald eine neue Krise auf uns zu.
Und in Japan?
Roman Zulauf: Die Banken dort halten 900 Prozent ihres haftenden Eigenkapitals in heimischen Staatsanleihen. Da muss man die Risikosysteme geradezu manipulieren, um sich mit solchen Beständen überhaupt noch wohlfühlen zu können.
Anleihebestände der Notenbanken
Auch die Notenbanken sitzen jetzt mit ihren Anleihebeständen auf Verlusten.
Felix Zulauf: Rein von der Rechnungslegung her ist das kein Problem für eine Zentralbank. Die Fed hat ja nie gesagt, dass sie Anleihen verkaufen will, sondern nur, dass sie vielleicht etwas weniger kauft. In der Bilanz werden die Anleihen zu Einstandspreisen oder zu 100 Prozent geführt, weil sie bis zur Fälligkeit gehalten werden.
Trotzdem könnte der scharfe Renditeanstieg als Kontrollverlust der Notenbanken gewertet werden, besonders in Japan.
Felix Zulauf: Das wird erst ein Thema, wenn das Vertrauen in eine Währung abnimmt, weil die Währung nach unten weg bricht.
Welcher großen Reservewährung könnte das zuerst passieren?
Felix Zulauf: Der Dollar wird tendenziell die festeste Währung werden. Große Probleme bekommt – und da erhalten wir jetzt Anschauungsunterricht – der japanische Yen. Das Budgetdefizit in Japan liegt bei zehn Prozent und die Staatsverschuldung bei etwa 240 Prozent der Wirtschaftsleistung. Etwa 40 Prozent der Steuereinnahmen gehen drauf für den Zinsdienst. Wenn die Zinsen sich verdoppeln, wären es 80 Prozent der Einnahmen.
Das wäre faktisch der Staatsbankrott.
Felix Zulauf: Genau. Wenn in einer solchen Lage eine Notenbank weiter Geld druckt, dann geht die Währung in eine Abwärtsspirale. Dann ist das Vertrauen in die Währung von einem Tag auf den anderen weg und die Notenbank verliert die Kontrolle, sowohl über den heimischen Bondmarkt als auch über die heimische Währung. Die Wahrscheinlichkeit, dass Japan in den nächsten zwei bis drei Jahren in diese Situation gerät und die Kontrolle über seine Währung und die Finanzmärkte verliert, ist sehr hoch, deutlich über 50 Prozent. Dann gibt es einen Yen-Crash.
Yen-Verfall: Wie tief sinkt Japans Währung noch?
Für die Aktienmärkte ist der Yen-Kurs gegenüber dem Dollar ein Gradmesser für die Abwertung der Landeswährung. 2012 fiel der Yen 15 Prozent gegenüber zehn großen Weltwährungen - so viel wie seit 1979 nicht mehr. Dies ergibt sich aus einem Bloomberg-Index.
Die Notierung erfolgt in Yen pro Dollar, etwa: 85 Yen. Wenn dieser Wert steigt, etwa auf 90 Yen, steigt der Wert der US-Währung, und es sinkt der Wert der japanischen Währung.
Die neue japanische Regierung will die Konjunktur ankurbeln. Dafür nutzt sie alle Hebel. Einer davon ist auch die Schwächung der Währung. 2012 fiel der Yen um 11 Prozent gegenüber dem Dollar - so stark wie seit sieben Jahren nicht mehr.
Die japanische Regierung hat ein enormes Konjunkturpaket im Volumen von 20,2 Billionen Yen (173 Milliarden Euro) abgesegnet. Damit sollen unter anderem große öffentliche Bauprojekte im Nordosten des Landes finanziert werden. Rund 600.000 Arbeitsplätze verspricht sich Regierungschef Shinzo Abe davon.
Ministerpräsidenten Shinzo Abe drängt die Notenbank, ihre Geldpolitik weiter zu lockern und so die Fiskalpolitik zu flankieren. Die Zeitung Nikkei zitierte Abe mit den Worten, Japan habe wegen des starken Yen seine Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Er wolle, dass die Notenbank sich auch für ein Maximum an Beschäftigung in Japan verantwortlich fühle.
Das Bruttoinlandsprodukt in Japan ist auf Jahresbasis im dritten Quartal um 3,5 Prozent geschrumpft. Ökonomen erwarten, dass es im vierten Quartal 2012 um 0,6 Prozent zurückgegangen ist.
Für das erste Quartal 2013 erwarten Ökonomen wieder ein Wachstum von 1,6 Prozent in Japan.
Die Konjunkturschwäche geht mit einem Wertverfall der Währung einher. Anfang 2013 liegt der Dollar gegenüber mit fast 90 Yen auf dem höchsten Niveau seit Juni 2010, also seit mehr als zweieinhalb Jahren. Gegenüber dem Euro markiert der Yen die niedrigsten Kurse seit Mai 2011, also seit mehr als anderthalb Jahren.
Die Banken rechnen mit einer weiteren Abschwächung des Yen. Damit liegen sie auf einer Linie mit der Regierung, die genau dies fördern will durch ihre Fiskalpolitik.
Morgan Stanley erklärte in einer Analyse, der Dollar könne gegenüber der japanischen Währung noch auf 100 Yen steigen in diesem Jahr. Societe Generale nennt ein Kursziel von 97 Yen bis Jahresende. Bisher ging die Bank von 87 Yen aus. Citibank glaubt, dass der Dollar bis Ende März auf 90 Yen steigt. Zuvor war die Bank von 87 Yen ausgegangen.
Die Exportwirtschaft verweist darauf, dass die japanische Währung noch immer 13 Prozent über seinem Zehnjahres-Durchschnitt liegt. Dieser liegt gegenüber dem Dollar bei 101 Yen. Die Industrie in Japan wünscht sich einen Dollarkurs zwischen 90 and 100 Yen. Das sagt, Hiroshi Tomono, Präsident von Nippon Steel & Sumitomo Metal Corp.
Die fortgesetzte Yen-Abwertung gegenüber den großen Währungen der Welt hilft vor allem den japanischen Exporteuren. Deren Aktien profitieren daher regelmäßig besonders stark, wenn der Yen an Wert verliert.
Das Börsenbarometer Nikkei-Index marschiert im Januar von Rekord zu Rekord. Inzwischen liegen die Aktienkurse auf dem höchsten Niveau seit zwei Jahren.
Von welchem Wechselkursniveau an geht der Yen in den Sturzflug über?
Felix Zulauf: Ich hatte im Herbst 2012 den Yen zum Verkauf empfohlen, bei unter 80 Yen pro Dollar und mit der Erwartung, dass er binnen zwei Jahren zum Dollar bei 120 Yen steht. Wenn wir nächstes Jahr diese Marke erreichen und durchbrechen, dann ist das wohl der Punkt, an dem die Bank of Japan die Hoheit über ihre Währung und die Finanzmärkte verliert. Anschließend kann es schnell auf 200 Yen pro Dollar gehen. Fluchtartig werden Gelder das Land verlassen. Wenn das passiert, muss die Notenbank den Kapitalabfluss stoppen.
Wie?
Felix Zulauf: Das wird nur mit Kapitalverkehrskontrollen möglich sein. Dann beginnt eine neue Epoche. Wie die dann aussehen wird, wissen wir heute nicht.
Japanische Staatsanleihen
Welche Adressen trennen sich gerade von japanischen Staatsanleihen?
Roman Zulauf: Bisher waren das primär japanische Banken, aber auch ausländischen Banken und Investoren. Aber die größten Eigentümer sind japanische Pensionskassen und Sozialversicherungen.
Allein der Government Pension Investment Fund, der größte Pensionsfonds der Welt, hält Bestände von umgerechnet 700 Milliarden Dollar.
Roman Zulauf: Genau. Und die haben bisher nicht mal mit Verkäufen angefangen. Wenn die beginnen sollten, zehn Prozent ihres Portfolios zu veräußern, um aus dem Yen in eine andere Währung zu gehen, dann erreichen wir die nächste Dimension in dieser Yen-Krise.
Kann die Bank of Japan überhaupt so schnell Geld drucken, um diese Anleihebestände aufzufangen?
Felix Zulauf: Sie kann das schon, aber dann geht der Yen in die Binsen. Und wenn der Yen einbricht, dann kommen mit etwas Zeitverzug die anderen asiatischen Währungen unter Druck. Das war schon immer so. Ein sehr viel tieferer Yen wird die Preisgestaltung der Exportprodukte anderer asiatischer Volkswirtschaften über den Haufen werfen.
Also exportiert Japan über den schwachen Yen sinkende Preise und sinkende Wachstumsraten in die Region?
Roman Zulauf: Das ist so. Aber nicht nur nach Asien. Japan exportiert Deflation in die ganze Welt. Wenn man sich die Korrelation der japanischen Exportprodukte anschaut, dann ist die größte Korrelation gegeben mit Deutschland, die zweitgrößte mit Südkorea und die drittgrößte mit Taiwan.
Noch halten diese Länder still.
Roman Zulauf: Aber die Währungen Koreas und Taiwans sind bereits unter Druck, weil sich ihre Außenbilanzen deutlich verschlechtern.
Sind das Parallelen zur Asienkrise 1998?
Roman Zulauf: Absolut. Das erste Land, das unter Druck kam, war Indonesien, so gesehen das schwächste Land in Asien. Jetzt, mit der Yen-Abwertung, kommen aber auch Länder unter Druck, die bisher starke Zahlungsbilanzen hatten, etwa Thailand, Malaysia und auch Singapur.
Singapur und China
Singapur gilt als eines der fundamental stärksten Länder der Welt.
Roman Zulauf: Das ist es im Prinzip auch. Aber dort kommt die Zahlungsbilanz gleich von zwei Seiten unter Druck. Erstens lässt der Großteil der asiatischen Unternehmen ihre Exportgeschäfte dort abwickeln. Sie exportieren zu tiefen Preisen nach Singapur und von dort aus zu höheren Preisen in den Rest der Welt. Die Gewinne lassen sie in Singapur liegen und versteuern. Jetzt aber, durch den Konjunkturabschwung, gerät der Export der asiatischen Länder unter Druck und entsprechend auch die Leistungsbilanzüberschüsse Singapurs. Das Land war auch sehr gefragt bei Investoren, die ihr Geld in Sicherheit bringen und eine sichere Währung suchten. Die haben viel Kapital nach Singapur getragen, könnten es aber schnell wieder abziehen. Singapur wird also sowohl über die Leistungsbilanz als auch über die Kapitalbilanz belastet. Der Singapur-Dollar bewegt sich bereits nach unten, aber die großen Bewegungen stehen noch bevor.
Bleiben wir in Asien und gehen nach China. Dort droht der Geldaustausch zwischen den Banken, der Interbankenmarkt, einzufrieren. Droht in China eine Bankenkrise wie in den 1990er Jahren in Japan?
Felix Zulauf: Es gibt tatsächlich viele Parallelen. Der Unterschied ist, dass die chinesische Währung gemanagt wird. Das war damals in Japan nicht so. In China gab es in den vergangenen zehn bis 15 Jahren den größten Investitions- und den größten Kreditboom der Geschichte. Bei den Daten aus China muss man zwar immer vorsichtig sein. Vielleicht gibt es bei den Kreditdaten Doppelzählungen. Aber das chinesische Kreditsystem hat in den vergangenen fünf Jahren etwa Kredite in der Höhe des gesamten Kreditbestands im US-Bankensystem neu geschöpft. Das ist gigantisch. Und die Immobilienpreise in den Zentren, etwa in Peking und Shanghai, gehen immer noch nach oben.
Die Regierung hat Maßnahmen eingeleitet, die das verhindern sollten. Warum greifen die nicht?
Felix Zulauf: Weil es in China keinen funktionierenden Finanzmarkt gibt. Die wohlhabenden Chinesen dürfen ohne Sondergenehmigung kein Geld ins Ausland abführen. Und weil im Inland die Aktienmärkte nicht laufen, weil die Gewinne der Aktiengesellschaften unter Druck sind, bleibt den Chinesen fast nur noch der Immobilienmarkt. Jetzt, da das Bankensystem einen Liquiditätsengpass hat, steht die Regierung vor der Frage, ob sie das Bankensystem alimentieren soll. Damit würde sie aber den einseitigen Kredit- und Immobilienboom noch weiter befeuern.
Also noch mehr teure, leer stehende Immobilien für die Reichen, die sich kein Wanderarbeiter leisten kann.
Felix Zulauf: Ja. Diese Politik würde weitere soziale Konflikte im Land auslösen. Auch die chinesische Regierung sieht die Bilder aus Rio. Deshalb versucht sie, schrittweise die Luft aus der Blase zu lassen. Die letzten Tage haben gezeigt, dass die Notenbank People’s Bank of China in Stresssituationen mit Liquidität beispringt, aber doch das Ziel verfolgt, das Bankensystem und das Schattenbankensystem zu stutzen.
Woraus besteht das chinesische Schattenbankensystem, und wie wurde es so aufgeblasen?
Roman Zulauf: Die großen Exzesse in China gab es in der ersten Phase dieses Kreditbooms, gleich nach der Finanzkrise. Da waren es vor allem die außerbilanziellen Vehikel der Lokalregierungen, die unendlich viel Kredit schöpfen konnten, indem sie zum Beispiel Land verpachteten. In der zweiten Phase steckt das Problem in so genannten Wealth-Management-Produkten. Die sind seit zwei Jahren bei Anlegern der große Renner, weil sie vordergründig eine ordentliche Rendite zwischen fünf und zehn Prozent versprechen.
Was verbirgt sich dahinter?
Roman Zulauf: Angeboten werden diese Produkte von privaten Anbietern im Schattenbankensystem. Diese finanzieren sich am kurzen Ende der Zinskurve, investieren das Geld aber langfristig. Die People’s Bank of China ist sehr besorgt über die Exzesse in diesem Bereich. Deshalb überlässt sie den Interbankenmarkt jetzt mehr den Marktkräften. Und dadurch werden gewisse Anbieter dieser Produkte jetzt automatisch über den Bankrott eliminiert.
China und Hongkong
Da bewegen sich Regierung und Notenbank auf einem schmalen Grat.
Felix Zulauf: Absolut, das ist nicht ungefährlich. Ich gehe davon aus, dass die Behörden in der ersten Phase hart bleiben. Sie wollen die Kopplung ihrer Währung an den Dollar einigermaßen halten. Dann müssen sie aber zulassen, dass die Zinsen steigen. Man kann nicht beides haben, also die Währung einfrieren und gleichzeitig die Zinsen drücken. Steigende Zinsen aber werden die chinesische Konjunktur in den nächsten Quartalen massiv schwächen.
Welche Konsequenz wird das haben?
Felix Zulauf: Ich erwarte, dass die Notenbank die Bandbreite, innerhalb derer der Renminbi gegenüber dem Dollar fluktuieren darf, verbreitern wird. Damit wird sie den Renminbi mit der Zeit etwas abschwächen.
In China sind die langfristigen Zinsen niedriger als die kurzfristigen. Kündigt die inverse Zinskurve in China eine Rezession an?
Roman Zulauf: Wenn es im Interbankenmarkt nicht mehr funktioniert und das kurze Ende so nach oben drückt, ist das der Stressindikator schlechthin. Das große Problem für China ist eigentlich der Yen. Die Japaner haben ihre Währung gegenüber dem Dollar in den letzten Monaten um 30 Prozent abgewertet, während die Chinesen ihre Währung gegenüber dem Dollar um zwei Prozent aufgewertet haben. Die Stückkosten haben in China in den vergangenen fünf Jahren um etwa 80 Prozent zugelegt. China hat sich mit den Lohnsteigerungen und dem festen Renminbi in verschieden Branchen preislich aus dem Markt geschossen. Der chinesische Unternehmenssektor hat massive Rentabilitätsprobleme. Das sieht man jetzt auch an den Kapitalbilanzen.
Wie?
Roman Zulauf: Die chinesischen Unternehmen beginnen damit, ihre Einlagen, die in Renminbi in Hongkong liegen, zurück aufs Festland zu bringen. Sie haben massive Cashflow-Probleme und brauchen das Geld.
Kommt so auch Hongkong unter Druck?
Roman Zulauf: Ja, und zwar gleich von zwei Seiten. Die Kapitalbilanz leidet zum einen unter den Kapitalabflüssen nach China. Zum anderen kommt die Kapitalbilanz und damit die Bindung des Hongkong-Dollar an den US-Dollar jetzt durch den Renditeanstieg in den USA und den Emerging Markets unter Druck. In der Konsequenz müssten dann auch in Hongkong die Zinsen steigen.
Wie wird das der dortige Immobilienmarkt verkraften?
Felix Zulauf: Der wird leiden. Und weil Hongkong primär eine Immobilienwirtschaft ist, bleibt das nicht ohne Folgen für die gesamte Region. Das ist eine fatale Geschichte.
Deflationsgefahr
Deutsche Firmen haben in den vergangenen Jahren das große Geschäft in Asien, vor allem in China gemacht. Wie lange hält sich Deutschland als vermeintliche Insel der ökonomischen Glückseligkeit noch?
Felix Zulauf: Nun, der Konsum ist jetzt wahrscheinlich noch das beste Segment in China, dank der kräftigen Lohnsteigerungen. Der chinesische Konsument hat schon noch Geld und kauft solange weiter bis Entlassungen kommen und Unternehmen schließen. Im chinesischen Konsum wird die Abschwächung erst in etwa sechs bis neun Monaten ankommen.
Also deutsche Autos werden sie noch kaufen.
Felix Zulauf: In Deutschland haben wir ein anderes Problem, ein japanisches. Das gilt vor allem für die deutsche Autoindustrie. Wenn ein Japaner plötzlich 20 Prozent günstiger wird, muss der deutsche Wettbewerber reagieren. Dessen Gewinnmarge fällt. Außerdem bleibt Europa in der Rezession. Europa aber ist nach wie vor der größte Absatzmarkt für deutsche Produkte.
Also wird es nichts mit der allmählichen Erholung, die viele Ökonomen für das zweite Halbjahr in Aussicht stellen?
Felix Zulauf: Als ich Anfang des Jahres für die Eurozone ein Minuswachstum von etwa zwei Prozent in Aussicht gestellt habe, wurde ich sehr komisch angeschaut. Aber ich glaube, wir kommen dorthin. Und auch Deutschland wird sich entsprechend abkühlen. Die ganzen Erholungsfantasien sind eine Fata Morgana.
Was macht Sie da so sicher?
Felix Zulauf: Schauen sie auf die Kreditentwicklung in der Eurozone. Die Kreditvergabe schrumpft mit etwa vier Prozent. In kreditbasierten Volkswirtschaften lässt sich damit kein Wachstum erzielen. Das ist unmöglich.
Ökonomen sehen im den verbesserten Leistungsbilanzen einzelner Peripherieländern das Licht am Ende des Tunnels.
Felix Zulauf: Das ist absoluter Unsinn. Die Leistungsbilanzen verbessern sich nur, weil wegen der schrumpfenden Binnennachfrage die Importe einbrechen. So aber kann man nicht gesunden. Man kann nicht gesund werden, wenn man hungert.
Dann wird der deflationäre Druck in der Peripherie anhalten?
Felix Zulauf: Davon gehe ich aus. Man hat zwar gewisse Zugeständnisse gemacht mit Blick auf das Tempo bei den Austeritäts- und Reformbemühungen, aber per saldo gilt unverändert: Die Peripherie ist nicht wettbewerbsfähig. Das gilt auch für Frankreich, ganz besonders sogar. Wenn man wettbewerbsunfähig ist, dann kann man nichts auf dem Weltmarkt verkaufen. Dann bleiben die Außenbilanzen defizitär oder werden noch defizitärer. Entsprechend nimmt der Abschreibungsbedarf in den Bankbilanzen zu. Wir sind eigentlich zurück an dem Punkt, an dem wir vor ein paar Jahren schon mal waren. Nur ist die Größenordnung jetzt noch schlimmer als damals.
Warum?
Roman Zulauf: Weil die Banken heute noch viel mehr Problembestände besitzen als damals. Das europäische Bankensystem hat eine Bilanzsumme von etwa 27 Billionen Euro. Gehen wir mal vorsichtig davon aus, dass der Abschreibungsbedarf bei fünf Prozent liegt, wobei es in einigen Ländern eher zehn Prozent sein dürften, dann rechnen wir mit einen Abschreibungsbedarf von deutlich über einer Billion Euro, also mehr als 1000 Milliarden.
Da werden 60 Milliarden Euro, die im Euro-Rettungsfonds ESM für die Rekapitalisierung der Banken vorgesehen sind, kaum reichen.
Felix Zulauf: So ist es. Das ist bestenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Politik ist meilenweit von der Realität entfernt mit dem, was sie unternimmt.
Also kehrt die Eurokrise wieder zurück?
Felix Zulauf: Es müssen ja praktisch wieder Krisen aufbrechen, die Finanzmärkte in den Krisenmodus versetzt werden, damit wieder der eine oder andere Schritt vorwärts gemacht wird. Sicher ist nur, dass die Steuerzahler in Europa massiv bluten müssen.
Eine verlorene Generation
Wäre eine Rückabwicklung des Euro noch ein gangbarer Weg?
Felix Zulauf: Vernünftig wäre es, wenn Länder, die nicht wettbewerbsfähig sind, Reformen beschließen, aber gleichzeitig austreten, um dann über eine Währungsabwertung gesunden zu können. Ursprünglich hatte ich angenommen, dass die Bürger in der Peripherie nach einer gewissen Leidenszeit den Austritt ihres Landes aus dem Euro fordern werden. Das ist vielleicht immer noch eine Möglichkeit. Aber rein technisch ist eine Rückabwicklung wohl kaum noch möglich. So haben mir das zumindest Notenbank-Experten berichtet, mit denen ich gesprochen habe. Eine Rückabwicklung wäre nur dann machbar, wenn man in der gesamten Eurozone gleichzeitig Kapitalverkehrskontrollen einführte. Dann könnten einzelne Länder ihren Austritt beschließen. Wenn man das nicht macht, dann gäbe es sofort einen Run auf die Banken und das System würde zusammenbrechen. Man kann das eigentlich nur abwickeln unter einer Wirtschaftsordnung, die fast einer Kriegswirtschaft ähnelt. Vielleicht kommt die Politik zu einem späteren Zeitpunkt, wenn wir noch tiefer in der Krise stecken, zu diesem Schluss und sagt: Es geht einfach nicht mehr. Aber die Politik ist noch lange nicht so weit. Man wird weiter versuchen, die Probleme zuzukleistern, während die Probleme unter dem Kleister tatsächlich immer größer werden. Wir werden weiter Minuswachstum haben, hier und da wird vielleicht mal wieder ein kleines Konjunkturprogramm aufgelegt. Diese müssten dann schlussendlich via EZB finanziert werden. Aber weil die EZB keine freie nationale Notenbank ist, gibt es selbst da gewisse Beschränkungen.
Wären die Kosten einer Rückabwicklung des Euro nicht ebenso astronomisch?
Roman Zulauf: Es ist schon erstaunlich, dass immer über die hohen Kosten einer Rückabwicklung des Euro gesprochen wird, nicht aber über die Opportunitätskosten, die die Peripherie zu tragen hat, um im Euro zu bleiben.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Sprechen Sie darüber!
Roman Zulauf: Die verbesserten Leistungsbilanzen werden erkauft mit einem Einbruch der Binnennachfrage. Die Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, steigt auf Rekordniveau. Immer mehr junge Menschen bleiben zu Hause bei ihren Familien wohnen, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Sie können selbst keine Familien gründen. Das hat strukturell verheerende Folgen, auch mit Blick auf die Demografie. Es ist eine verlorene Generation.
Gefährdet der Euro auch die gesamte Europäische Union?
Felix Zulauf: Diese Gefahr trägt der Euro in der Tat in sich. Man kann über die EU sagen, was man will. Sie ist sicher zu technokratisch und zu zentralistisch. Doch ihr Grundgedanke, die Schaffung eines freien europäischen Wirtschaftsraums ohne Hürden mit einer Bündelung der Kräfte gegenüber anderen Kontinenten, ist unbedingt bewahrenswert. Mit dem Euro aber werden EU-Mitgliedsländer in eine erste und in eine zweite Klasse eingeteilt, die gegeneinander hetzen. Mir erscheint es so, als treibt das Schiff Europa ohne Steuermann im Sturm herum. Das ist brandgefährlich.
Werden die Briten in fünf Jahren noch in der EU sein?
Felix Zulauf: Wenn einer austritt, dann die Briten. Aber Großbritannien muss natürlich auch aufpassen. Allein wäre das Land auch eine Randregion. Ein Austritt wäre nur denkbar, wenn ein Freihandelsabkommen mit der EU vereinbart werden könnte. Doch auch dann bliebe die Frage offen, ob London dann noch das europäische Finanzzentrum bleiben könnte.
Hat das zentralistische Frankreich inzwischen verstanden, worum es geht?
Felix Zulauf: Nein, aber etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. François Hollande war Anfang der Achtzigerjahre Wirtschaftsberater des damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand. Er war damals der Kopf hinter der Idee, die Banken zu verstaatlichen. Mitterrand musste das nach einem Jahr dann wieder rückgängig machen. Hollande hat nichts gelernt und ich staune immer wieder, wie solche Verlierer an die Spitze von ganzen Völkern gewählt werden können.
Funktioniert die Achse Paris-Berlin noch?
Felix Zulauf: Nein, die Positionen sind viel zu weit voneinander entfernt. In Paris regiert hochsozialistisches Gedankengut, in Berlin halbsozialistisches. Wenn diese Allianz nicht mehr funktioniert, dann bedeutet das eine Schwächung Europas. Dann gibt es keine Führung mehr in Europa, weil Deutschland allein aus historischen Gründen nicht die Führung übernehmen kann, die es kraft seiner Volkswirtschaft eigentlich übernehmen müsste.
Währungsunionen endeten nicht gut
Wird sich die bedingungslose Haltung einer deutschen Regierung zum Euro ändern, wenn die Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland in den Bundestag einziehen sollte?
Felix Zulauf: Wenn die AfD in den Bundestag einziehen sollte, dann wird das vermutlich mit weniger als zehn Prozent der Stimmen sein. Sie wird vielleicht die FDP ersetzen, aber insgesamt nichts ausrichten können gegen eine große Koalition. Die Sozialdemokraten sind mit Blick auf die Eurokrise derart naiv, dass Deutschland nach der Wahl den Forderungen der anderen Länder eher noch etwas mehr nachgeben wird. Die Köpfe der heutigen Regierung haben eingesehen, dass der Euro eine Fehlkonstruktion ist. Ich glaube, Wolfgang Schäuble ist sich dessen bewusst, und Angela Merkel auch. Aber sie können das nicht sagen, und sie können nicht zurück.
Macht die Bundesregierung Politik gegen ihre eigene Überzeugung?
Felix Zulauf: Sie macht eine Politik der kleinen Zugeständnisse, wenn der Druck zu hoch wird. Aber diese Zugeständnisse sind immer zu gering, kommen zu spät und werden das Projekt Euro nie gesunden lassen. Die Bundesregierung zieht zwar Deutschland in seinen Verpflichtungen immer tiefer rein, aber der große Wurf kommt nicht.
Roman Zulauf: Ich glaube, wir fahren einfach mit offenen Augen auf eine Wand zu und können nicht aussteigen – bis es crasht. Dann muss alles neu organisiert werden, unter furchtbaren Schmerzen.
Geben Sie den Vereinigten Staaten von Europa nach dem Vorbild der USA keine Chance mehr?
Roman Zulauf: Die Geschichte kennt vor allem Währungsunionen, die ungut endeten.
Zum Beispiel?
Roman Zulauf: In Jugoslawien gab es auch eine Währungsunion von verschiedenen Völkern, die in dieser Form nicht zusammengepasst haben. Die Konsequenzen waren verheerend. Oder nehmen Sie die Sowjetunion nach der Wende. Die Situation war damals ähnlich wie jetzt in der Eurozone. Moskau hatte nicht mehr die politische Hoheit über die abtrünnigen Republiken. Die hatten aber alle noch den Rubel als Währung und konnten mit den dezentralen Notenbanken in der Peripherie der ehemaligen Sowjetunion beliebig Rubel schöpfen, so wie jetzt die nationalen Notenbanken in der Eurozone über die Notfallkreditlinien ELA und Target-2. Das haben Sie in der WirtschaftsWoche ja immer wieder prominent gebracht, etwa mit den Beiträgen von Professor Hans-Werner Sinn. Die Eurozone macht also eine ähnliche Rubelisierung durch wie damals die ehemalige Sowjetunion nach der Wende.
Und die Bundesbank schaut nur zu?
Felix Zulauf: Die Bundesbank erkennt dieses Risiko und sperrt sich deshalb gegen diese Eingriffe der EZB, die den nationalen Notenbanken die Erlaubnis zum Gelddrucken gibt. Innerhalb der EZB tobt ein großer Kampf zwischen dem Lager der Bundesbank und ihrem Präsidenten Jens Weidmann auf der einen Seite und dem Lager um Mario Draghi. Und Draghi ist in seiner Philosophie bei den Angelsachsen, die ein Problem stets mit der Notenpresse lösen wollen.
Wird die Bundesbank Rückendeckung vom Bundesverfassungsgericht bekommen?
Felix Zulauf: Das glaube ich nicht. Das Verfassungsgericht wurde von der Politik und der EZB eingeseift. Karlsruhe wird die Gelddruckerei absegnen und sein Urteil bestenfalls mit ein paar Fußnoten versehen, damit das Drucken vielleicht etwas langsamer abläuft als es sonst ablaufen würde.
Schützendes Gold
Warum kann sich Gold im aktuellen Umfeld nicht behaupten?
Felix Zulauf: Sie haben es anfangs anhand der an die Inflationsrate gekoppelten US-Bonds angesprochen. Die Inflationsraten sind tief und werden weiter fallen, die Realzinsen steigen und die Konjunktur wird schwächer werden. Es hat sich deflationärer Druck aufgebaut. Dagegen ist auch der Goldpreis nicht immun. Gold ist ein guter Schutz vor Inflation und gegen Systemrisiken. Letztere nehmen jetzt wieder deutlich zu. Gold wird dann wieder steigen, wenn die Politik und die Zentralbanken auf all die Probleme reagieren, die wir diskutiert haben. Die Reaktion wird kommen.
Welche?
Felix Zulauf: Die gleiche Gelddruck-Politik wie immer, nur in noch viel größerer Dimension. Ich gehe davon aus, dass wir im Lauf des Sommers wieder klare Töne dazu aus den Zentralbanken hören werden. Dann wird in der US-Notenbank Fed nicht mehr viel gesprochen werden von Tapering off...
...also dem Zurückfahren der Anleihekäufe.
Felix Zulauf: Man wird den Märkten signalisieren, dass man weiterhin da ist. Entsprechend wird sich der Goldpreis erholen. Ob das dann schon der Startschuss für die Wiederaufnahme der strukturellen Hausse von Gold ist, ist noch nicht sicher und hängt auch vom Ausmaß der kommenden Verwerfungen an den Märkten ab. Der Startschuss kommt aber spätestens dann, wenn die Notenbanken massiv handeln müssen, also wieder größere Systemrisiken auftreten.
Könnte der Startschuss auch durch eine Bankenkrise in China ausgelöst werden?
Roman Zulauf: China hat eine Kreditklemme. Das bedeutet, dass es im System zu wenig Liquidität gibt. In einer solchen Klemme wird alles verkauft, das Gute wie das Schlechte. Neue Käufe werden dann nicht getätigt. Die kämen erst, wenn eine Bank Pleite ginge oder Gerüchte darüber die Runde machten.
Felix Zulauf: Technisch ist der Goldmarkt eigentlich sauber. Die Stimmung ist inzwischen schlechter als beim Einbruch 2008. Die Positionen an den Terminmärkten sind massiv auf einen fallenden Goldpreis ausgelegt. Das sind eigentlich gute Voraussetzungen für ein Tief. Ich denke, der Goldpreis ist diesem Tief ziemlich nahe. Zwischen 1150 und 1250 je Unze sollte das Tief erreicht werden. Es ist jetzt sicher nicht der geeignete Zeitpunkt, Gold zu verkaufen.
Und wer Gold kaufen will?
Felix Zulauf: Der kann portioniert kaufen, aber zunächst piano.
Wer Geld anzulegen hat und nicht Zulauf heißt, hat heutzutage ein Problem.
Felix Zulauf: Auch jene, die Zulauf heißen, haben dieses Problem. Wir kommen aus einem risikolosen Zinsumfeld in ein Umfeld mit zinslosem Risiko. Es gibt keine sicheren Anlagen und keine Renditen mehr, sondern nur noch Risiken. Wenn sie mit Anleihen vermeintlich höchster Bonität binnen sechs Wochen drei Jahreskupons verlieren können, dann zeigt das genau, in welch kaputtem Umfeld wir uns bewegen. Es ist ein Umfeld, das nur noch erlaubt, Positionen kurz zu halten. Kaufen und Liegenlassen funktioniert nicht mehr.
Wie müssen Investoren in diesem Marktumfeld agieren?
Felix Zulauf: Man muss zunächst einen stabilen Anker bieten, nämlich die Charakteristik von Rentenpapieren. Für eine moderate Rendite, dafür aber relativ geringe Schwankungen mit möglichst wenigen scharfen Kursrückgängen müsste gesorgt werden. Das kann man wiederum nur erreichen, wenn man sich außerordentlich opportunistisch verhält mit aktiver Long- und Short-Positionierung...
...also auf steigende und auf fallende Kurse setzen...
Felix Zulauf: ...und das in Festverzinslichen, Währungen, Aktien und Rohstoffen, aber ohne Kredithebel und mit klar zugeteilten Risikobudgets. Wenn Sie nämlich in einem Niedrigrenditeumfeld große Kursverluste erleiden, bekommen sie das später kaum wieder geradegebogen.
Wie würden Sie sich aktuell positionieren?
Felix Zulauf: Wir würden Shortpositionen in Anleihen der Peripherie halten, also in den Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten, insbesondere in den Emerging Markets und auch deren Währungen shorten, also etwa türkische Lira, brasilianischer Real, polnische Zloty oder indonesische Rupiah. Ich glaube, alle diese Währungen bleiben unter Druck gegenüber dem Dollar. Der Dollar wird die stärkste Währung sein in dieser Krisenphase. Selbst der Euro kommt etwas zurück, aber der Euro ist eben, dank Deutschland, noch relativ stabil. Deutlich schwächer würde er in einer Krise, in der Geld aus der Eurozone abfließt.
Also eine Zahlungsbilanzkrise?
Roman Zulauf: Die letzte Zahlungsbilanzkrise gab es in Spanien. Aber die spielte sich innerhalb der Eurozone ab. Die nächste Zahlungsbilanzkrise, möglicherweise dann ausgelöst durch Frankreich, könnte dann eine Zahlungsbilanzkrise werden mit dem Rest der Welt, weil dann Gelder in den Dollarraum abfließen.
Aktien unter Druck
Und nicht mehr aus der Peripherie oder Frankreich den Weg nach Deutschland ansteuern?
Roman Zulauf: Der Weg nach Deutschland ist zu gefährlich, weil die Regierungen in der Eurozone, einschließlich der deutschen, ja klar gemacht haben, dass sie die Bürger zur Kasse bitten werden. Wer dort Geld hat, muss seine Bank stützen, wie man das in Zypern gemacht hat. Das ist auch vom EU-Parlament so vorgeschlagen und jetzt von den Finanzministern so abgesegnet worden. Vor diesem Risiko haben die Bürger Angst und werden versuchen, ihm zu entkommen. Dann flieht Kapital aus der Eurozone.
Wird dieser Weg schon beschritten? Noch wirken die Sparer recht entspannt und vertrauen auf die Einlagengarantie.
Felix Zulauf: Das stimmt schon. Aber die Märkte laufen sich gerade warm. Und wenn die Besorgnis erst mal da ist, dann ist es schon ziemlich spät.
Dann ist Tagesgeld also auch keine Wahl?
Roman Zulauf: Zumindest nicht in der Eurozone. Aber beispielsweise bei einer angelsächsischen Bank in London oder in New York in Dollar, das wäre eine gute Option.
Wie sieht es mit Aktien aus?
Felix Zulauf: Steigende Anleiherenditen, Kapitalflucht und die ungelösten Verschuldungsfragen bremsen die Weltwirtschaft massiv. In diesem Umfeld werden die Unternehmensgewinne weltweit unter Druck kommen, zumal die großen Kostenreduktionen, also Entlassungen von Arbeitnehmern, weitgehend gelaufen sind. Die kommen schon noch, aber nicht mehr in dem Umfang wie in der Vergangenheit. Auch die große Steueroptimierung der Unternehmen ist vorbei. Da kommt jetzt eher Gegenwind auf die Unternehmen zu. Weil Margen und Gewinne in allen Regionen der Welt unter Druck kommen, werden auch die Aktienkurse fallen. In den vergangenen Jahren hieß es ja immer, man solle Aktien kaufen, weil Bonds zu teuer seien, man die also nicht mehr kaufen könne. Da ist natürlich was dran. Aber jetzt kommt die Frage: Wenn die Gewinne fallen, will ich dann immer noch Aktien haben? Die letzten Wochen zeigen, dass das eigentlich nicht der Fall ist. Aktien bleiben zunächst unter Druck.
Und auf lange Sicht?
Felix Zulauf: Da werden Aktien wahrscheinlich die besten Instrumente sein, mit denen man in den nächsten Jahren operieren kann. Aber man kann nicht einfach kaufen, herumsitzen und glauben, man werde so wohlhabend. Diese Zeiten sind vorbei. Man muss sein Portfolio bewirtschaften.
Das heißt?
Felix Zulauf: Man muss kaufen, um verkaufen zu können und man muss verkaufen, um nachher wieder kaufen zu können. Bei Aktien haben wir derzeit im Zyklus den Zenit überschritten. Wir stecken in einer mittelfristigen und nach unserer Meinung auch in einer zyklischen Abwärtsbewegung, die vermutlich im Spätsommer oder Herbst auf deutlich tieferen Niveaus auslaufen wird. Jetzt wollen wir mal sehen, wie groß die Abschläge dann sind. Sie könnten beträchtlich sein. Falls sie in geordnetem Rahmen ablaufen, würden danach Gegenbewegungen einsetzen. Beim stärksten Aktienmarkt, dem amerikanischen, könnte ich mir unter solchen Konstellation sogar vorstellen, dass dieser die Hochpunkte noch einmal erreicht oder gar noch marginal über diese hinaussteigt. Aber anschließend fällt er wieder zurück. Heute ist aber wichtig, dass die Luft nach oben sehr dünn ist und das Risiko eines großen Einbruchs beträchtlich.
Und deshalb sagen Sie: Wir übernehmen das, weil wir eher wissen, wo unten und oben ist?
Felix Zulauf: Wir gehen natürlich auch an der Wand entlang. Wir analysieren die Welt, stellen eine These auf und investieren entsprechend. Aber wir sind keine Dogmatiker, wir bewirtschaften das Risiko laufend. Für Anleger, seien es private oder institutionelle, die das nicht können, werden die nächsten Jahre sehr enttäuschend verlaufen.
Spaltung der Gesellschaft
Die finanzielle Repression, also die schleichende Enteignung der Sparer über negative Realzinsen wie nach dem Zweiten Weltkrieg, soll nach Meinung von vielen Experten alles wieder ins Lot bringen. Was meinen Sie?
Felix Zulauf: Das wird nicht funktionieren. Damals war die Staatsverschuldung zwar auch hoch. Aber heute ist die Ausgangslage eine völlig andere als damals.
Was ist anders heute?
Felix Zulauf: Erstens ist die demografische Situation anders, wir sind überaltert. Zweitens hatten die privaten Haushalte damals keine Schulden und drittens staute sich während des Kriegs eine große Nachfrage auf, die sich nach dem Ende des Krieges entfaltete. Die hat für ein langjähriges Wirtschaftswachstum gesorgt. Das werden wir heute nicht mehr haben. Die finanzielle Repression war bisher in Amerika am erfolgreichsten. Dort hat sich die Konjunktur tatsächlich etwas erholt. Die Probleme im Bankensystem haben sich etwas reduziert, aber die volkswirtschaftliche Gesamtverschuldung im Vergleich zur Wirtschaftsleistung hat sich nur stabilisiert. In Europa dagegen geht diese Verschuldung selbst in den starken Ländern nach oben, in den Peripherieländern passiert das gar im Eiltempo. Da wird es laufend schlimmer. In Japan sehe ich ebenfalls keinen Erfolg der finanziellen Repression. Dort wird die Konjunktur so lange relativ gut laufen, wie Konjunkturprogramme aufgelegt werden. Aber auch deren Halbwertzeit ist begrenzt.
Es bliebe Enteignung.
Felix Zulauf: Das wird irgendwann die Folge sein, wenn alles andere nichts nutzt. Man wird spezielle Steuern erheben, es wird eine Umverteilung vom privaten auf den öffentlichen Sektor geben. Das kommt alles, leider.
Die Geldpolitik war ein Katalysator für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Ist es nicht gerecht, jene zur Kasse zu bitten, die nahezu leistungslos von der Geldpolitik der letzten Jahre profitiert haben?
Felix Zulauf: Diese Spaltung ist die Konsequenz einer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik, wie wir sie schon seit Jahrzehnten verfolgen können, vor allem im angelsächsischen Raum, aber immer mehr auch in Europa. Das Problem daran ist, dass das von Ihnen zitierte leistungslos erworbene Vermögen dann schon längst über alle Berge ist. Zur Kasse gebeten werden letztlich die Leistungsträger der Gesellschaft, also jene, die unternehmerisches Risiko eingegangen sind, Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen haben. Wollen Sie, dass niemand mehr diesen Weg einschlägt; dass jeder sich lieber als Staatsbeamter durchs Leben schlägt? Ist das die Lösung? Das ist nicht meine Meinung, aber es ist die populistische Antwort. Und da wir in populistischen Zeiten leben, fürchte ich, dass es genau diese Antwort geben wird.