Finanzaufsicht BaFin Anlegerschutz ohne Samthandschuhe

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Schießen die Aufseher übers Ziel hinaus?

Lange waren die BaFin-Beamten alles andere als bissig. Zum Wohl der Anleger wurden sie nur in eindeutigen Fällen aktiv – etwa bei Aktienkursmanipulationen oder Sparofferten dubioser Anbieter ohne Banklizenz. Vielfach schauten sie jedoch zu, wie der Fall der Dresdner Infinus zeigt, die bis 2013 bei rund 41.000 Anlegern mehr als eine Milliarde Euro einsammelte.

Obwohl die Aufseher bereits 2010 Hinweise auf Unregelmäßigkeiten erhalten hatten, wie sich im Zuge der Insolvenz herausstellte, konnten Infinus-Firmen ihre riskanten „Genussrechte“ und „Orderschuldverschreibungen“ unbehelligt weiter verkaufen. Sie hätten eben alle formalen Vorgaben eingehalten, rechtfertigte sich die BaFin. Und da das Gesetz keine „inhaltliche Prüfung der Produkte und der Seriosität“ vorsehe, habe sie gar nicht eingreifen dürfen.

Jetzt aber darf sie: Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz hat die schwarz-rote Koalition das juristische Korsett der BaFin gesprengt. Die Aufseher sind nun neben der Stabilität des Finanzsystems ausdrücklich auch für „kollektiven Verbraucherschutz“ zuständig – und dürfen deshalb früher und härter eingreifen, wie bei den Bonitätsanleihen.

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EZB Quelle: dpa
frankreich, negativzins Quelle: REUTERS
dänemark, negativzins Quelle: dpa
Italien, negativzins Quelle: dpa
Großbritannien, Negativzins Quelle: dpa
Schweiz, Negativzins Quelle: dpa
Spanien, Negativzinsen Quelle: REUTERS

Schießen die Kontrolleure dabei über das Ziel hinaus? Die Zertifikatebranche selbst sieht das so. „Die Entscheidung ist für uns nur schwer nachvollziehbar, denn die Aufsichtsbehörde nimmt eine lange etablierte Anlageklasse ins Visier“, sagt Lars Brandau, Geschäftsführer des Deutschen Derivate Verbands (DDV). „Selbst wenn es in einigen Fällen Missverständnisse in der Beratung gegeben haben sollte, ist es überzogen, deshalb gleich den gesamten Vertrieb eines Produkts zu verbieten.“

Zudem verweist er darauf, dass Anleger „Produktinformationsblätter“ erhalten, die „die spezifischen Risiken verständlich beschreiben“. Schwieriger sei das allerdings bei Bonitätsanleihen, die sich nicht nur auf ein, sondern auf mehrere Unternehmen beziehen. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit eines „Kreditereignisses“, das Anlegern Verluste beschert. Statt eines Verbotes „sollte zunächst darüber diskutiert werden, in welcher Weise Produkte und Beratung verbessert werden können“, fordert Brandau – und signalisiert Gesprächsbereitschaft.

Zertifikate, mit denen Anleger auf die Bonität von Unternehmen setzen können, sind der Aufsichtsbehörde ein Dorn im Auge. Ihre Vermarktung an Privatanleger soll verboten werden. Aber das ist übertrieben.

Dafür gibt es wohl gute Gründe. Branchenvertreter treibt die Sorge um, dass die BaFin weitere Zertifikate ins Visier nimmt. Schließlich haben die Anbieter mit großer Kreativität immer neue, teils sehr komplexe Spielarten konstruiert – und Direktorin Roegele weiß sehr genau, wo Anbieter hohe Margen erzielen und welche Risiken schwer erkennbar oder gar verschleiert sind.

Denn die heute 48-Jährige ist eine Insiderin: Zwischen 2000 und 2004 saß sie im Vorstand der Börse Stuttgart und war dort für den Handel mit Derivaten, also auch Zertifikaten, zuständig. Diese Nähe zur Branche scheint sie jedoch nicht zur Nachsicht zu verleiten. Gerade weil „Ruf und Glaubwürdigkeit“ des Zertifikatemarktes „von zentraler Bedeutung“ seien, müsse man „bei einzelnen Produkten intervenieren“, sagt Roegele.

Die Finanzbranche kritisiert Verbotspläne der Aufsicht BaFin für sogenannte Bonitätsanleihen.

Von Aktienanleihen bis Zitronen

Besonders aufmerksam dürften Emittenten die Kritik am Begriff „Bonitätsanleihen“ registriert haben. Denn sie lässt sich auf die noch beliebteren „Aktienanleihen“ übertragen, die laut DDV-Marktstatistik 14 Prozent des Zertifikatevolumens ausmachen – was rund neun Milliarden Euro entspricht. Sie sind ebenfalls weitaus riskanter als klassische Anleihen, weil Emittenten am Laufzeitende statt des Nominalbetrags eine festgelegte Anzahl Aktien auszahlen dürfen. Das sorgt für hohe Kursrisiken.

Zertifikate sind aber keineswegs der einzige Bereich, den die BaFin unter die Lupe nimmt. Ein Rückblick auf die letzten Monate zeigt: Die frisch gekürten Anlegerschützer nehmen auch den grauen Kapitalmarkt ins Visier, also jenen Bereich schillernder Investments von Ölbohrungen bis hin zu Schiffscontainern, der von kleinen Anbietern geprägt wird und lange weitgehend unbeaufsichtigt vor sich hin brodelte.

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