FinTech Die jungen Wilden lassen sich domestizieren

Früher wollten digitale Finanzdienstleiter der neuen Generation die Welt der alten Banken zerlegen. Jetzt dienen sich viele von ihnen den Dinosauriern als Partner an.

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Quelle: dpa

FinTech-Gründer haben viele Gemeinsamkeiten. Die hervorstechendste ist vielleicht die demonstrative Hingabe, die sie an den Tag legen, wenn sie mit dem Smartphone im Anschlag das Geschäftsmodell ihres aufstrebenden Unternehmens erklären.

Yoni Assia, Gründer und Chef des israelischen Trading-Netzwerks eToro, ist da keine Ausnahme. Mit ein paar Wischern über den Touchscreen stellt er blitzschnell ein Anlageportfolio zusammen – Aktien, Rohstoffe und Währungen – und das alles ganz nebenbei, ohne seinen eloquenten Vortrag unterbrechen zu müssen. Präsentation geglückt. Die Botschaft: Digitale Technik soll die Geldanlage kinderleicht machen. Wie solide und ertragreich die wunderbar haptisch ins Portfolio gerutschten Werte sind, ist eine andere Frage.

Um diese Frage zu beantworten, können Anfänger auf eToro erfahrenen Händlern folgen und deren Anlageverhalten mit eigenem Geld automatisch kopieren. Auch dafür genügt ein Fingerwisch. Auf einen Blick ist erkennbar, welcher der Leithammel in der Vergangenheit besonders gut abgeschnitten hat. Das lässt sich an seiner Rendite und der Größe seiner Gefolgschaft ablesen. Allerdings können selbst die Finanzprofis auch mal tüchtig daneben greifen. Tolle Renditen in der Vergangenheit sind ein Blick in den Rückspiegel und können keinen Erfolg für die Zukunft garantieren. An der Börse werden die Karten eben jeden Tag neu gemischt.

Neben eToro aus Israel gibt es weitere Plattformen, die – wenn auch mit unterschiedlichen Konzepten – Geldanlage im Stil eines sozialen Netzwerks anbieten, etwa ayondo aus Frankfurt oder wikifolio aus Wien. Die Beispiele zeigen, wie technisch hochgerüstete digitale Finanzdienstleister Prinzipien aus dem Internet auf die Finanzwelt übertragen wollen.

Andere Unternehmen aus dem FinTech-Kosmos etwa versuchen, die aussterbende Bankfiliale auf dem Handy zu installieren, wieder andere wollen den Vermögensverwalter aus Fleisch und Blut durch künstliche Intelligenz ersetzen. Schlaue Algorithmen sollen auch die Bonität von neuen und bestehenden Kreditkunden einschätzen und damit den altgedienten Kreditsachbearbeiter überflüssig machen.

Jede dieser Ideen hat das Zeug, den etablierten Finanzsektor bestehend aus Banken, Sparkassen, Versicherungen und ihren Vertriebsleuten ins Wanken zu bringen. Zumindest auf dem Papier. Kein Wunder, dass sich die Wunderknaben der FinTech-Szene zu Beginn ihres Booms nach der Finanzkrise als Disruptoren feierten, die Banken und Versicherer gehörig auseinander nehmen wollten. Auch die Medien feierten mit. Was früher eine große Bank oder Finanzgruppe allein erledigte, sollten nach der Vorstellung vieler Gründer bald zahllose kleine FinTech-Firmen Firmen übernehmen. Jede würde sich ein kleines Stückchen aus der finanziellen Wertschöpfungskette herausschneiden.

Die Vision der digitalen Auflösung des Bankensektors schien allen willkommen, die sich nach der Finanzkrise und zahlreichen Anlageskandalen verständlicherweise nach einer fundamentalen Neuordnung der Geldwelt sehnten. Doch die Realität sieht heute anders aus.

Kunden sind noch skeptisch

Die jungen Wilden mussten erleben, dass die alten Banken und Versicherungen mit ihren oft seit Jahrzehnten bekannten Markennamen allen Krisen zum Trotz immer noch das Vertrauen der Kunden besitzen und daher den Schlüssel zu den großen Marktanteilen in der Hand halten.

Wer „skalieren“ will, wie die planmäßige Ausweitung des Geschäftsmodells auf immer mehr Kundengruppen im Start-up-Jargon so schön heißt, schafft das wohl am schnellsten in Zusammenarbeit mit einem der Etablierten. Der Traum der FinTech-Branche aus ihren Kindertagen, zum größten Disruptor und schöpferischen Zerstörer aller Zeiten zu werden, ist daher dem Wunsch gewichen, sich einem der Dinosaurier als williger Kooperationspartner anzudienen. Welch ein Paradigmenwandel.

So setzt Yoni Assia mit eToro bei der Eroberung des chinesischen Markts auf die Zusammenarbeit mit dem dortigen Versicherungsriesen Ping An. Der ist nicht nur an eToro beteiligt, sondern hilft dem Neuling mit seiner breiten Bekanntheit bei der Ansprache potenzieller chinesischer Kunden. Auch die Tradingplattform wikifolio hat einen etablierten Kooperationspartner an Land gezogen: Die PostFinance, ein selbst schon digital recht weit entwickeltes Unternehmen aus Bern, das dem Schweizer Bundesbetrieb Die Schweizerische Post gehört. Mehr Tradition und Establishment geht nicht.

Und noch ein wichtiger Aspekt macht die Zusammenarbeit mit einem Großen für die Kleinen unverzichtbar. Die Auflagen für den Finanzsektor werden immer komplizierter und strenger, ein Problem, mit dem nicht nur FinTech-Firmen mit ihrer überschaubaren Belegschaft zu kämpfen haben, sondern auch kleine Banken, insbesondere Sparkassen und Volksbanken. Großinstitute wie die Deutsche Bank, Commerzbank oder Postbank können sich dagegen größere Teams mit Regulierungsexperten schon eher leisten und ihre kleineren Kooperationspartner an deren Wissen teilhaben lassen.

Der Verbreitung der FinTech-Idee tut die Kooperationswelle übrigens keinen Abbruch. Im Gegenteil. Laut dem World FinTech-Report 2017 der Unternehmensberatung Capgemini nutzt bereits jeder zweite Finanzkunde auf der Welt Produkte oder Dienstleistungen mindestens eines FinTech-Unternehmens. In vielen Fällen dürfte dies im Rahmen einer Kooperation geschehen, weil die FinTech-Lösungen über das Kundennetzwerk einer Großbank oder eines Versicherungsriesen angeboten werden.

Besonders hoch sind die FinTech-Quoten in China und Indien. In Deutschland und Europa sind sie deutlich niedriger. Hierzulande bringen immer noch wenige Kunden den Finanzdienstleistern der neuen Generation genug Vertrauen entgegen, um ihnen ihr Geld direkt in die Hand zu legen. In einer Umfrage aus dem Jahr 2015 waren noch 90 Prozent der Deutschen skeptisch gegenüber FinTech-Unternehmen und wollten deshalb bei ihrer alten Hausbank bleiben.

Dazu passt, dass mittlerweile viele FinTech-Innovationen direkt unter der Obhut der Banken entwickelt werden. Die Finanzbranche hat viele der Angreifer domestiziert. Laut einer Untersuchung des Beratungsunternehmens Sopra Steria Consulting hat jedes vierte Kreditinstitut in Deutschland ein eigenes FinTech-Unternehmen gegründet, 60 Prozent der Banken arbeiten mit einem der neuen digitalen Finanzdienstleister zusammen. Beispiele sind die Digitalfabrik der Deutschen Bank oder der FinTech-Brutkasten der Commerzbank namens main incubator.

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