WirtschaftsWoche: Sparer und Lebensversicherte verfluchen die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der niedrigen Zinsen. Wie kommen Sie als Profianleger damit zurecht?
Eve Tournier: Da wir weltweit und über alle Segmente der Kreditmärkte anlegen können, gibt es immer irgendwo Chancen. Die sind derzeit in Euroland wegen der EZB-Maßnahmen sehr gut. Mit dem Pimco Diversified Income Fund investieren wir beispielsweise in Staats- und Unternehmensanleihen, die von den niedrigen Zinsen der EZB, der erhöhten Liquidität sowie den verbesserten Wachstumsaussichten profitieren. In der Vergangenheit erbrachte der Fonds eine Rendite von 8,5% vor Gebühren und konnte in diesem Jahr bereits knapp 6,5% vor Gebühren erzielen.
Was bleibt denn noch übrig? Die EZB ist in ihren jüngsten Schritten schon sehr weit gegangen.
Das stimmt. Am 5. Juni verkündete die EZB ein sehr umfassendes Paket an Lockerungsmaßnahmen, das ihre Entschlossenheit im Kampf gegen das Deflationsrisiko demonstriert. Des Weiteren erläuterte Mario Draghi in der anschließenden Pressekonferenz: "Sollte es im Rahmen unseres Mandats erforderlich sein, war das noch nicht alles." Wenn die Inflationszahlen weiterhin enttäuschen, könnten die Währungshüter noch weiter gehen und ein Anleihenkaufprogramm initiieren. Die EZB bleibt engagiert. Indem sich die Notenbank verpflichtet, die Zinssätze über einen längeren Zeitraum niedrig zu halten, reduziert sie die Volatilität und unterstützt die fortlaufende Heilung der Wirtschaft. Dies schafft ein Umfeld, das Banken, Peripherietitel sowie zahlreiche risikoreiche Anlagen deutlich unterstützt.
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
Fühlen Sie sich hier also besser aufgehoben als in den USA und Großbritannien, wo die Notenbanken Maßnahmen zur Liquiditätsversorgung vorsichtig zurückfahren?
Teilweise ja. Die EZB ist anders als die zwei Notenbanken noch im Zinssenkungs-Modus. Die für die Zukunft erwarteten Zinssätze in der Eurozone sind niedriger als die in den USA und Großbritannien. Zudem ist das Vertrauen in eine Wachstumserholung dort stärker ausgeprägt. In Euroland ist die Krisenerfahrung noch frischer und das Vertrauen der Marktteilnehmer noch nicht so hoch, was das Risiko einer Neuverschuldung begrenzt.
Welche Chancen nutzen Sie in Europa?
Uns gefallen Anleihen, die durch Finanzinstitute begeben wurden. Die Überprüfung der Aktivaqualität durch die EZB zwingt die Geldhäuser, ihre Bilanzen zu sanieren – in den vergangenen sechs Monaten wurden die EU-Banken durch 90 Milliarden Euro an neuem Kapital oder zusätzlichen Rückstellungen gestärkt. Das Umfeld ist für die Aktionäre der Banken nicht gut, aber für die Anleiheinvestoren schon.
Da sich die Fundamentaldaten zunehmend verbessern, zahlt es sich aus, von vorrangigen, ungesicherten Anleihen, die sehr niedrig bewertet sind, auf den nachrangigen Bereich der Kapitalstruktur auszuweichen, wo die Anleihen mit vier bis sechs Prozent rentieren.
Liegen die Gefahren jetzt statt bei Bankanleihen eher bei den Hochzinsanleihen der ausfallgefährdeten Unternehmen? Viele sprechen dort von einer Blasenbildung.
Unternehmen mit niedrigen Ratings müssen traditionell hohe Zinsen zahlen. Derzeit können sie jedoch das Niedrigzinsumfeld nutzen und schulden manche bestehende Anleihe vorzeitig günstig um. Auf diese Weise haben sie ihre kurzfristigen Schulden weitgehend refinanziert. Ohne fällige Schuldverschreibungen und in Anbetracht des allmählichen Wirtschaftsaufschwungs rechnen wir mit anhaltend niedrigen Ausfallraten und ausreichend gestützten Kreditprämien.
Welche Bereiche bei Hochzinsanleihen sind für Sie interessant?
Wir suchen derzeit nach High-Yield-Unternehmen, die Übernahmekandidaten sein können für größere bonitätsstarke Unternehmen. Das war jüngst beim Zementhersteller Lafarge der Fall, der von Holcim übernommen wurde. Lafarge profitiert von dem besseren Holcim-Rating und die Lafarge-Anleihen stiegen im Kurs. Ähnlich wird es sein, wenn Alstom von Siemens oder General Electric übernommen wird.
Anleger müssen mir Verlusten rechnen
Sie versammeln in dem Fonds einiges an riskanten Anleihen, Anleger müssen also auch mit Verlusten rechnen.
Wir nutzen nicht auf Teufel komm raus die höchsten Renditen, sondern behalten die Risiken im Blick. Nach vielen Jahren mit zweistelligen Renditen hatte der Fonds 2013 ein Minus von 0,3 Prozent vor Gebühren, weil die Schwellenländeranleihen in Lokalwährung teilweise vorübergehend ein Drittel an Wert eingebüßt hatten. Durch die Mischung in dem Fonds war das Minus aber moderat.
Wie halten Sie es klein?
Ich weiche auf Papiere aus, bei denen ich ein besseres Chance-Risiko-Profil erkenne als bei den normalen Hochzinsanleihen. Zum Beispiel habe ich die Hochzinsanleihen von US-Unternehmen teilweise durch verbriefte Wohnimmobilien-Hypotheken aus den USA ersetzt. Sie bringen Renditen um die sechs Prozent, ähnlich wie High-Yield-Papiere, bieten jedoch einen besseren Schutz gegen Verluste, da die Ausfallquoten bereits in ihren Bewertungen eingepreist sind. Wenn sich die US-Wirtschaft weiter erholen sollte, steigt auch die Zahlungsfähigkeit der US-Hausbesitzer und die Eigenheimpreise ziehen an.
Was haben Sie gemacht, als die Kursverluste in den Schwellenländer-Anleihen 2013 das Portfolio durchgeschüttelt haben?
Ich habe die Volatilität des Portfolios reduziert, indem ich die Engagements in Währungen und Zinsen aus Schwellenländern im zweiten Quartal verringert habe. Bis zum Jahresende entwickelten sich die Staatsanleihen aus Schwellenländern deutlich schlechter als der Hochzinsbereich, also beschloss ich im Dezember, meine Anlagen in Unternehmensanleihen aus Schwellenländern erneut aufzustocken. Seit Beginn des Jahres haben wir bereits knapp 6,5% vor Gebühren erwirtschaftet, was zum Teil auf die Kursgewinne in den Schwellenländern zurückzuführen ist. Ich habe im Februar brasilianische Anleihen gekauft um im April russische, als die Kurse am Boden waren. Der Ukraine-Konflikt hat sich zunehmend entschärft und die russische Bilanz bleibt stark, mit einer geringen Verschuldung und hohen Reserven. Russische Bank- und Unternehmensanleihen bleiben attraktiv.
Keine Fondsgesellschaft ist stärker im Anleihenmarkt investiert als Pimco, wo bringt das für Sie Vorteile?
Wir haben ein sehr starkes Research und eine profunde Trading-Expertise in allen Bereichen des Marktes. Unsere mehr als 50 Kreditanalysten ermöglichen eine direkte und persönliche Beurteilung eines stetig wachsenden Chancenspektrums. Unsere Größe und Infrastruktur versetzen uns außerdem in die Lage, an Reverse Inquiries mit Unternehmen und sogar Ländern teilzunehmen. In meinem Bereich der Unternehmensanleihen ist es zudem von Vorteil, dass die Unternehmen ein immer größeres Emissionsvolumen anstreben. Derzeit gibt es viele Übernahmen und die Unternehmen müssen Aufschläge auf die normalen Unternehmensanleihen zahlen, um sehr umfangreiche Transaktionen zu finanzieren.
Nach dem Abgang des prominenten Pimco-Investmentchefs Mohamed El-Erian geriet Pimco in die Kritik. Es entstand das Bild eines Unternehmens, in dem ein cholerischer und allmächtiger Bill Gross den Ton angibt und das durch abfließende Anlegergelder geschwächt ist. Erkennen Sie darin Ihren Arbeitgeber wieder?
Klare Ansagen und deutliche Worte gibt es doch in jedem Unternehmen mal. Mittelabflüsse entstanden mitunter auch bei einzelnen Fonds durch Umschichtungen in andere Fonds. Ich habe selten eine so ausgeprägte Diskussionskultur erlebt wie bei Pimco. Jeder kann bei uns seine Ideen mit harten Fakten vortragen und wird dazu sogar ermutigt. Das ist schon etwas ganz Besonderes.