Geldanlage Warum wir das Sparbuch jeder Rendite vorziehen

Hyperinflation 1923, Kriegsenteignung 1948, 2000er-Crash und die Lehman-Pleite haben sich tief in die Anlegerpsyche der Deutschen gegraben. So tief, dass sie selbst vom Aktienboom der vergangenen Jahre nicht profitieren möchten. Finanzieller Wahnsinn? Nein, vermutlich Aufgeklärtheit.

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50.000 Mark für ein Brot Quelle: Getty Images, Montage

Jo Lendle, der Hanser-Verleger, hat einmal in der WirtschaftsWoche bekannt, dass er zu Aufbau und zur Pflege seines Privatvermögens ein ironisch-distanziertes Verhältnis hat. Auf die Frage „Aktien oder Gold?“ erwiderte er mit sanfter Koketterie: „Müder Blick meines Bankberaters: Anlegen ist nicht so Ihr Ding, oder?“ Das ist herrlich gekontert und trefflich ausgedrückt. Denn es führt weg von den Kategorien „Risikoscheu“, „Verlustaversion“ und „Finanz-Analphabetismus“, mit denen Ökonomen, Unternehmer und Banker die Deutschen seit Jahren traktieren, auch weg von den küchenpsychologischen Befunden der Vulgärliberalen, in Deutschland gediehen „Reichtumsneid“ und „antikapitalistische Reflexe“ besonders gut.

„Anlegen ist nicht so Ihr Ding“ – das ist eine profane Alltagsbeobachtung und zugleich eine Tiefenbohrung in die Kollektivseele: Die meisten Deutschen finden den Erwerb und die Vermehrung von Geld, überhaupt alles, was nach Finanzwelt riecht, nicht wirklich spannend. Mehr noch: Gelddinge sind ihnen so lästig wie eine Stubenfliege. Sie sortieren den Finanzteil der Zeitung als Erstes aus, reichen die Steuererklärung an ihren Steuerberater weiter, wechseln weder Krankenkasse noch Stromanbieter, überfliegen widerwillig ihre Kontoauszüge und entsorgen die monatlich ins Haus flatternden Anlagetipps der Sparkasse mit den Werbeprospekten. Vier von zehn Deutschen halten Geldanlage für ein notwendiges Übel, so eine Studie der großen deutschen Direktbanken. Aber warum?

Niedrige Zinsen verderben jede Geldanlage. Doch es geht auch anders. Die Strategien unterscheiden sich jedoch je nach Anlagebetrag deutlich. Wie Sie mehr aus Ihrem Vermögen machen, lesen Sie hier.

Nicht, dass die Deutschen Wohlstand und Prosperität verachten würden. Im Gegenteil, sie wissen sehr genau, dass materielle Sicherheit und stabile Finanzen die Grundbedingungen für die Kultivierung eines guten, schönen Lebens sind. Eben drum kalkulieren sie mit dem, was sie haben, statt auf das zu spekulieren, was sie haben könnten.

Der Deutsche lebt gern im Indikativ. Er will lieber keine Überraschungen erleben, als zwei gute und eine böse. Er freut sich auf die nächste Gehaltsüberweisung. Sie beschert ihm, Monat für Monat, das unendliche Glück, Wochenende für Wochenende mit seinen Kindern im Schlosspark spazieren gehen, auf dem Markt einkaufen oder im Manufactum-Katalog blättern zu können – das unendliche Glück, sich in seiner Freizeit nicht mit fallenden Ölpreisen und Deflationsängsten belasten, sein Privatleben nicht mit Stop-Loss-Ordern und Schulter-Kopf-Schulter-Formationen behelligen zu müssen.

Aktienkultur in Deutschland

Es ist den Deutschen so unverständlich wie egal, dass Finanzverwalter, Spekulanten (und Börsenjournalisten) ihr ausgeprägtes Desinteresse wie eine narzisstische Kränkung empfinden: Aber der Dax-Index hat seinen Wert seit dem jüngsten Tief vor sechs Jahren verdreifacht! Die Unternehmen schütten reiche Dividenden aus! Warum aber ist hierzulande nur jeder neunte Arbeitnehmer im Besitz von Unternehmensanteilen, während es in Schweden, Großbritannien und den USA jeder dritte oder vierte ist? Hätten die Deutschen von 2001 an nur jeden vierten Spar-Euro in Aktien investiert, hätten sie zwei Jahre lang ihre Benzinrechnung bezahlen können! Und?

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