Geldprofi Felix Zulauf "Unendliches Leid über Europa"

Seite 8/11

Abschied vom Projekt Euro

Spaniens Baustellen
Spanien hat wie die anderen südeuropäischen Euro-Länder von den niedrigen Zinsen in der Währungsunion profitiert und einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Ähnlich wie in Irland bildete sich eine Immobilienblase, die mit einem lauten Knall platzte: Der Bausektor fiel in sich zusammen, die Arbeitslosigkeit stieg rasant. Quelle: REUTERS
Seit 2008 stieg die Arbeitslosenquote von knapp über zehn auf fast 25 Prozent. Bei den Jugendlichen ist fast jeder Zweite arbeitslos. Hatten bislang vor allem ungelernte Arbeitskräfte in der Bauwirtschaft und im Servicebereich ihren Job verloren, trifft es jetzt auch qualifizierte Kräfte. Nach einem schwachen Wachstum in der ersten Jahreshälfte 2011 befindet sich Spaniens Wirtschaft jetzt wieder in der Rezession. In diesem Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,7 Prozent schrumpfen. Quelle: dpa
Das Hauptproblem: Fortbildungsprogramme und Arbeitsvermittlung wurden bislang vernachlässigt, Teilzeitverträge existierten bislang fast gar nicht. Auf Seiten der Arbeitnehmer haben sich zu viele Angestellte in komfortablen Bedingungen eingenistet. Flexibilität und Mobilität bei Stellensuchenden sind so gut wie gar nicht ausgeprägt. Quelle: REUTERS
Ausgerechnet die Hochqualifizierten bewegen sich nun – mit fatalen Folgen für Spanien. Weil Jobs und Perspektiven für Akademiker fehlen, schauen sich junge Iberer zunehmend im Ausland nach Jobs um. In Deutschland könnte sie fündig werden. Die Bundesregierung warb im vergangenen Herbst um spanische Ingenieure. Mit Erfolg. Bis zum Jahresende 2011 bewarben sich mehr als 14.000 junge Iberer um einen Job zwischen Hamburg und München. Spanien droht nun der „brain drain“. Quelle: dpa
Ein weiteres Problem: Spaniens Regierungschef legt ein hohes Reformtempo vor – doch die Kommunal- und Regionalregierungen zeigen keinerlei Sparbereitschaft. Während die Zentraladministration seit 2001 ihr Personal um 22 Prozent reduziert habe, sei die Belegschaft der autonomen Gemeinschaften um 44 Prozent und die der Gemeinden um 39 Prozent gestiegen, rechnete Antonio Beteta vor, der Staatssekretär für öffentliche Verwaltungen. Quelle: REUTERS
Höhere Sozialausgaben und sinkende Steuereinnahmen aufgrund der Rezession und der Abwanderung von Hochqualifizierende führen zwangsläufig zu einem Anstieg der Verschuldung. Die Gesamtverschuldung liegt derzeit mit knapp 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zwar unter dem Schnitt der Eurozone, aber diese Zahl dürfte bis 2014 rasant wachsen. Die Ratingagentur Moody’s geht davon aus, dass die Verschuldung bis Jahresende bei rund 80 Prozent des BIPs liegen wird. Quelle: dpa
Auch die Finanzmärkte sind skeptisch. Zwar haben die großzügigen Geldausleihen der Europäischen Zentralbank (EZB), bei der sich vor allem südeuropäische Banken mit Liquidität versorgt haben, auch die Renditen spanischer Staatsanleihen auf ein erträgliches Niveau gedrückt. Doch die Anleger verlangten von Spanien zuletzt wieder höhere Renditen als für Italien – ein deutliches Zeichen des Misstrauens. Quelle: REUTERS

Wo werden die Renditen zuerst nach oben drehen, in Deutschland oder in den USA?

In Deutschland. Ich gehe davon aus, dass sich Europa im Laufe der nächsten Jahre vom Projekt Euro verabschiedet. Dann hört die Kapitalflucht nach Deutschland auf und die nationalen Währungen kommen zurück. Dann kann es sein, dass für eine gewisse Zeit eine neue D-Mark, oder wie die neue Währung auch heißen mag, auch tiefe Zinsen hat. Die heutige Zinssituation ist absolut unnatürlich. In dieser ganzen Phase der europäischen Unsicherheit werden wahrscheinlich die USA der bevorzugte Zufluchtsort sein.

Das findet übrigens schon heute statt, weil ein Teil der Fluchtgelder aus der Peripherie auch in den Dollar drängt. So gesehen wird eigentlich der Dollar die neue Zufluchtswährung. Der Dollar wird fester und die Zinsen in Amerika fallen. Erst mit etwas Verzögerung wird man feststellen, dass auch die USA auf Dauer kein geeigneter Zufluchtsort sind. Dann fließt das Geld in Häfen, die längerfristig bessere Renditen und mehr Stabilität versprechen. Das könnten dann einige Schwellenländer sein. Aber es ist noch zu früh, diese heute schon zu definieren.

Werden die Renditen in den USA im Verlauf des Jahres in Richtung ein Prozent fallen?

Davon gehe ich weiter aus. Als ich das beim Roundtable des US-Anlegermagazins „Barron‘s“ im Januar gesagt habe und zehnjährige US-Treasuries bei 2,2 Prozent Rendite zum Kauf empfohlen habe, haben meine Kollegen mit dem Kopf geschüttelt und mich ungläubig angeschaut. Inzwischen ist die Rendite auf 1,7 Prozent gesunken...

...und die Kurse der Staatsanleihen sind entsprechend gestiegen.

Neben der Kapitalflucht wirkt noch ein anderer Effekt. Im Kreditsystem wird heute nur noch gegen Sicherheiten Geld ausgeliehen. Doch es gibt immer weniger Wertpapiere auf der Welt, die als Sicherheiten akzeptiert werden. Solange das System noch hält, gibt es eine künstliche Verknappung vermeintlich erstklassiger Papiere. Dazu zählen US-Treasuries und deutsche Bundesanleihen. Relativ gesehen zur weltweiten Kreditpyramide gibt es immer weniger solcher Papiere.

Viele Ökonomen haben nicht vor der Krise gewarnt, aber alle produzieren jetzt Lösungsvorschläge. Willem Buiter, der Chefökonom der Citigroup, spürt offenbar so starken deflationären Druck, dass er von den Notenbanken fordert, das Geld notfalls mit Hubschraubern abwerfen zu lassen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Was halten Sie von der Idee?

Sie ist unsinnig und verantwortungslos. Wir haben gesehen, was diese großen Geldschöpfungen bringen, nämlich nichts. Auch der konjunkturelle Aufschwung, den wir hatten, war kein Resultat geldpolitischer Übungen, sondern von fiskalpolitischen. Mit neuen Schulden wurde kurzfristig Wachstum erkauft. Dafür hat man jetzt noch mehr Schulden. Sie können die Schuldenproblematik nicht mit noch mehr Schulden bekämpfen. Das ist Unsinn. Man will die Medizin, also die Restrukturierung von verschuldeten Wirtschaftssubjekten nicht, weil damit zu viele Schmerzen verbunden sind. Wenn ein Kranker aber eine Therapie verweigert, muss er zu einem späteren Zeitpunkt eine möglicherweise tödliche Operation ertragen.

Warum lehnen viele Ökonomen die Vergabe der richtigen Medizin ab?

Das sind schon alles intelligente Leute, aber die vertreten irgendwelche Interessen, wenn es auch nur der eigene Stuhl ist, den man retten will.

Wer Geld anzulegen hat, hat heutzutage ein Problem.

Das ist so. Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte hat jeder natürlich den Ehrgeiz, eine gute Rendite zu erarbeiten. Aber heute geht es nicht mehr um Rendite. Es geht darum, das Kapital zu erhalten und über die Runden zu bringen. Auf uns kommt eine völlig neue Welt zu. Es wird eine sehr dirigistische Welt sein. Die Regierungen werden totalitärer werden. Der freie Kapitalverkehr wird wahrscheinlich zu Ende gehen oder zumindest massiv eingeschränkt werden. Anleger sollten sich daher einige elementare Fragen stellen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%