HSBC-Experte "Die Schuldenkrise wird nie wieder so heftig"

Der Chefanleihestratege der britischen Großbank HSBC Xavier Baraton glaubt, dass Europa keine neue Eskalation der Staatsschuldenkrise droht. Abhilfe von den niedrigen Zinsen könnten Schwellenländer-Anleihen bringen.

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Die USA heben nach und nach den Leitzins wieder an. In Europa wird er wahrscheinlich noch lange bei Null liegen Quelle: REUTERS

Herr Baraton, derzeit rätseln Experten, ob die amerikanische Notenbank endlich den zweiten Zinsschritt nach oben geht. Seit Dezember ziert sie sich nun schon. Wann kommt die nächste Erhöhung?

Die amerikanische Notenbank hat alle Gründe, die Zinsen zu erhöhen: Die Kerninflation wird anziehen, wenn der Ölpreis mitspielt, und die Arbeitslosigkeit ist gering. Wir erwarten daher, dass die Fed noch in diesem Jahr die Zinsen erhöhen wird.

Aktuell liegen die Leitzinsen in den USA bei 0,25 bis 0,5 Prozent, in Europa glatt bei null. Wie lange werden wir uns noch mit so niedrigen Zinsen herumschlagen müssen?

Xavier Baraton ist Chefanleihestratege der britischen Bank HSBC Quelle: PR

Vieles spricht dafür, dass die Niedrigzinsphase noch lange dauern wird: Nehmen Sie etwa die demografische Entwicklung in den meisten Industrieländern, aber zum Beispiel auch in China. Ohne Bevölkerungswachstum ist Wirtschaftswachstum schwerer zu erreichen als mit. Hinzu kommt, dass Banken durch die hohe Regulierung restriktiver werden, Kredite zu vergeben und so die Wirtschaft anzukurbeln. Auch die hohe Schuldenlast wirkt eher deflationär. Wir erwarten, dass uns diese Grundtendenz in den nächsten Jahren weiter begleiten wird.

Zur Person

Für Anleiheinvestoren bedeutet das immer weniger Rendite fürs gleiche Risiko. Wieso sollten sie überhaupt noch auf Anleihen setzen und nicht auf dividendenstarke Aktien?

Es stimmt, fürs gleiche Risiko bekommen sie bei Anleihen heute deutlich weniger Rendite als vor zehn Jahren. Trotzdem haben sich die Grundregeln der Geldanlage nicht verändert. Es ist immer noch sinnvoll, Risiko zu streuen. Dafür brauchen Sie ein diversifiziertes Depot, das nicht nur aus Aktien, sondern auch aus Anleihen besteht. Anleger haben hier zwei Möglichkeiten: Entweder sie akzeptieren niedrigere Renditen bei gleichem Risiko. Oder sie versuchen, in Anleihen zu investieren, die noch etwas mehr Rendite bringen.

Welche sind das?

Das können zum Beispiel andere Anleihe-Typen sein: Wandelanleihen oder Anleihen für Infrastrukturprojekte. Ich halte inzwischen auch Anleihen aus Schwellenländern wieder für attraktiv. Mein Rat für Anleger ist, weiterhin ein Portfolio mit verschiedenen Anlageklassen zu halten und bei den Bonds über die klassischen Instrumente wie deutsche Staatsanleihen oder Euro-Unternehmensanleihen hinaus zu denken.

"Eine konkrete Gefahr kann ich derzeit nicht erkennen"

Warum finden Sie Schwellenländer jetzt wieder interessant?

Die Währungen von Schwellenländern haben in letzter Zeit erheblich abgewertet. Das hat diese Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger gemacht. Außerdem waren viele Schwellenländer in den vergangenen Jahren gezwungen, Reformen einzuleiten. Denn zum einen litten sie unter dem niedrigen Rohstoffpreisen, etwa beim Öl. Zum anderen ging der von der amerikanischen Zentralbank ausgelöste Kreditboom zu Ende. Die deshalb eingeleiteten Reformen tragen nun Früchte.

Schauen wir nach Europa: Die Briten haben vor zwei Monaten für den Austritt aus der EU gestimmt. Hat das für Anleiheinvestoren auch Chancen gebracht?

Da ist es ein bisschen früh, um es abschließend zu beurteilen. Kurzfristig war die Brexit-Entscheidung sicher eine gute Möglichkeit, um einige Anleihen günstig einzusammeln. Die starken Kursschwankungen waren aber nach nicht mal einer Woche wieder vorbei und mit ihnen auch die guten Kaufgelegenheiten. Langfristig erwarten wir keine fundamentalen Veränderungen durch den Brexit, die Auswirkungen auf das weltweite Wachstum werden nicht groß sein. Und auch die Briten selbst werden den Brexit verdauen können.

Ein Thema, das in Europa weiterhin schwelt, ist die Staatsschuldenkrise. Wird sie wieder entflammen?

Ich denke, die europäische Staatsschuldenkrise wird nie wieder so heftig sein wie sie in der Vergangenheit gelegentlich war. Denn die großen Unterschiede etwa bei der Leistungsbilanz der nord- und südeuropäischen Staaten haben sich angeglichen. Die Euro-Zone ist wesentlich einheitlicher als noch vor einigen Jahren. Außerdem hat auch die EU erkannt, dass ein Staatsbudgetdefizit nicht von heute auf morgen durch Einsparungen ausgeglichen werden kann. Sparen die Staaten ein Prozent ihres Budgets ein, verlieren sie ein Prozent plus x Wirtschaftswachstum. Von der strikten Austeritätspolitik sind wir deswegen abgekommen. Das hilft den überschuldeten Staaten ebenfalls und beugt einer Verschärfung der Krise vor.

In Italien wackelt der Bankensektor, eine Pleite könnte die Krise schnell zurückbringen…

Wenn Sie sich den Stresstest der europäischen Banken anschauen, waren die Ergebnisse über die gesamte Euro-Zone sehr zufriedenstellend. Sie haben heute dickere Kapitalpolster als auf dem Höhepunkt des letzten Booms 2007. Natürlich gibt es, etwa in Italien, auch Risiken. Aber eine konkrete Gefahr kann ich derzeit nicht erkennen.

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