Intelligent investieren

Aktien werden noch teurer

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Aktien sind schon recht hoch bewertet. Aber es besteht ein Zusammenhang zwischen Aktien, Dividenden, Anleihen und Zinsen, der es wahrscheinlich macht, dass Aktien noch teurer werden. Was Anleger wissen sollten.

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Investieren, nicht spekulieren. Quelle: Fotolia

Der Wirtschaftshistoriker und Investor Peter L. Bernstein (1919 – 2009) berichtet in seinem Buch “Against The Gods. The Remarkable Story of Risk” (1996), dass bis zum Jahr 1959 die Dividendenrendite für Aktien (definiert als Dividendenzahlung pro Aktie dividiert durch den Marktpreise der Aktie) im Regelfall oberhalb des Kapitalmarktzinses lag. Der Grund: Anleihen galten als sicher, Aktien als unsicher: Aktionäre wissen nicht, ob ein Unternehmen Gewinne macht oder nicht, ob sie mit einer Dividende rechnen können oder nicht.

Aktien mussten also eine höhere Rendite erzielen als Anleihen, und daher pendelte sich die Dividendenrendite über dem Kapitalmarktzins ein. Immer dann, wenn die Dividendenrendite sich der Anleiherendite annäherte, fielen die Aktienkurse, und zwar so weit, bis die Dividendenrendite die Anleiherendite wieder überstieg. Für Anleger war es eine überschaubare Welt: Sie kauften Aktien, wenn deren Dividendenrendite höher war als die Anleiherendite. Doch dann, im Jahr 1959, ändert sich das. 

Die Dividendenrendite begann unter die Anleiherenditen zu fallen – und stieg nachfolgend auch nicht mehr an. Was war geschehen? Anfang der 1960er Jahre begann die Inflation merklich anzuziehen. Die Ära der stabilen Preise war zu Ende. Zuvor folgten Phasen fallender Preise auf Phasen steigender Preise. Fortan nicht mehr. Die Inflation wurde chronisch. Die nominalen Renditen auf den Anleihemärkten zogen an. Vorbei war es mit dem Glauben, Anleihen seien eine sichere Investition.

Änderung der relativen Bewertung von Anleihen und Aktien. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Zudem hatten die Investoren begonnen, die Bewertung Aktien nicht mehr an vergangenheitsorientierten Größen wie Bilanzen oder Gewinn- und Verlustrechnungen festzumachen. Für sie waren fortan die zu erwarteten Gewinne beziehungsweise die zu erwartenden Dividendenpotenziale der Unternehmen das Wichtigste. Die tatsächliche, im laufenden Geschäftsjahr gezahlte Dividende, auf der bisher die Kauf- und Verkaufsentscheidungen für Aktien fußten, verlor ihre Bedeutung.

Sorge vor Überbewertung

Bernstein berichtet, dass in dieser Zeit einige seiner Partner, die die „Große Depression“ der 1930er Jahr als Investoren durchlebt und durchlitten hatten, die Verschiebung im Preisgefüge zwischen Anleihen und Aktien als Fehlbewertung werteten und meinten, die Lage werde sich früher oder später wieder normalisieren. Doch das geschah nicht. Wer sein Geld darauf gesetzt hatte, erlitt Verluste.

Die Lehre daraus? Gehe nicht davon aus, dass das, was sich bisher beobachten lies, sich ohne weiteres fortschreiben lässt.

Zur Person

Es kann zu erheblichen (Verlust-)Risiken führen, wenn man Trends naiv extrapoliert. Heute stellt sich für viele Investoren ein ähnlich gelagertes Problem wie für die Investoren Ende der 1950er Jahre: Das Bewertungsniveau der Aktienmärkte – gemessen am Verhältnis der Aktienkurse zum Gewinn pro Aktie – ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und liegt nun deutlich über dem langfristigen Durchschnittswert. Das deute auf Überbewertung hin, so befürchtet vermutlich so mancher Investor.

Zumal sich mittlerweile auch noch die Zinsen auf einem extrem niedrigen Niveau befinden. Das, so ist vielfach zu hören, mache es doch recht wahrscheinlich, dass die Zinsen früher oder später wieder auf ein „normales Niveaus“ steigen müssen. Kurzum: Das im historischen Vergleich hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Aktienmarktes, verbunden mit der Aussicht auf wieder steigende Zinsen mache den Aktienmarkt zu einem recht gefährlichen Investitionsfeld. Was ist davon zu halten?

Der Trend fallender Zinsen und des seigenden KGV. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Kampf gegen den Zins

Betrachtet man den Verlauf des KGVs des US-amerikanischen Aktienmarktes seit den frühen 1970er Jahren bis heute, so erkennt man einen Aufwärtstrend: Das KGV ist – wenn auch unter erheblichen Schwankungen – im Zeitablauf immer weiter in die Höhe geklettert. Es hat keine Tendenz gezeigt, um einen konstanten Wert zu pendeln. Dafür gibt es vor allem einen Grund, und der liegt bei den Zinsen, die sich seit den frühen 1980er Jahren in einem wahren Sinkflug befinden.

Für Letzteres gibt es Gründe. Die Volkswirtschaften sind reicher geworden. Die Bereitschaft der Menschen, ihr Einkommen zu sparen und zu investieren, ist gestiegen. Das hat dazu beigetragen, den realen Zins abzusenken. Gleichzeitig hat sich auch die Inflationserwartung zurückgebildet und hat ebenfalls dafür gesorgt, dass sie nominalen Zinsen gefallen sind. Neben diesen „natürlichen“ Gründen spielt allerdings auch die Geldpolitik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nicht nur in Amerika, sondern weltweit.

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