Intelligent investieren

Der Zins wird zu einem Faktor für den Crash

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

WirtschaftsWoche-Kolumnist Thorsten Polleit sieht die Zentralbanken als Verursacher von Inflation und Konjunktureinbrüchen. Anlegern und Investoren empfiehlt er drei Leitlinien, mit denen sie sich schützen könnten.

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Das Wort

Der große Philosoph aus Königsberg, Immanuel Kant (1724 – 1804), schrieb: „Herzhaftigkeit ist bloß eine Temperamentseigenschaft. Der Mut dagegen beruht auf Grundsätzen und ist eine Tugend.“ Erhellende Worte, wie gemacht für jeden umsichtigen Investor. Denn studiert man das Vorgehen der nachweislich erfolgreichen Investoren, so zeigt sich, dass nicht etwa Gefühlswallungen ihre Entscheidungen bestimmen, sondern erprobte Handlungsprinzipien, die es ihnen erlauben, mit mentaler Stärke zur richtigen Zeit das Richtige zu tun. Dazu gehört vor allem auch der Grundsatz, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind.

Der umsichtige Investor ist sich daher stets bewusst, dass die Zentralbanken nicht Inflation bekämpfen, sondern sie verursachen; dass die Zentralbanken die Ursache von Konjunkturumschwüngen und Rezessionen sind, nicht deren Heilmittel; und insbesondere dass die Zentralbanken den Kompass, den eine Volkswirtschaft dringend braucht, schwer beschädigen: den Zins. Die Zentralbanken verzerren und verfälschen nämlich den Zins. Die Volkswirtschaften geraten dadurch in einen Blindflug: Die Menschen können kaum mehr sinnvolle, produktive Kapitalanlageentscheidungen treffen.

Geldwertschwund, das Entstehen und Platzen von Spekulationsblasen, das heftige Auf und Ab des Wirtschaftsgangs – die gefürchteten „Boom-und-Bust“-Zyklen – sind unmittelbarer Ausdruck der verzerrten monetären Verhältnisse, die die Zentralbanken verursachen. Die Leidtragenden: Die breite Bevölkerung, die sich nicht intensiv mit dem Zentralbankenunwesen auseinandersetzen und auch nicht dessen Folgen ausweichen kann. Wenn aber auf das Geld kein Verlass mehr ist, wird für viele Menschen das traditionelle Sparen für das Alter zum Vabanquespiel, wird – im de facto Null- und Negativzinsumfeld – verunmöglicht.

Zinsallmacht der Zentralbanken

Als Monopolisten der Geldproduktion bestimmen die Zentralbanken nicht nur die Höhe der umlaufenden Geldmenge, sondern sie kontrollieren auch die Zinsen. Zum einen diktieren sie den Kurzfristzins, zu dem sich Banken bei der Zentralbank verschulden. Der Kurzfristzins wiederum beeinflusst (über die sogenannte „Zinsarbitrage“) maßgeblich alle anderen Zinsen. Zum anderen kontrollieren die Zentralbanken auch die Langfristzinsen, indem sie Schuldpapiere am Kapitalmarkt kaufen. Kurzum: Die Zentralbankräte haben mittlerweile volle Kontrolle über das Zinsuniversum erlangt.

Auf den Finanzmärkten weiß man um die Zinsallmacht der Zentralbanken. Letztere müssen eigentlich nicht einmal mehr Wertpapiere kaufen, um den erwünschten Zinseffekt zu erzielen. Es genügt schon, dass sie in Aussicht stellen, sie könnten jederzeit kaufen, wenn sie es für nötig halten, um die Marktzinsen auf politisch gedrückten Niveaus zu halten. Für den Anleger bedeutet das vor allem eines: Die Marktzinsen kommen nicht auf „natürlichem Wege“ zustande, sondern sind das Ergebnis geldpolitischer Manipulation. Die Konsequenzen sollte der umsichtige Investor fest im Blick haben.

Fehlentwicklungen  

Die künstlich niedrigen Zinsen, für die die Zentralbanken im Zuge der Krise 2008/2009 gesorgt haben, treiben derzeit einen weltweiten Aufschwung an. Produktion und Beschäftigung nehmen zu. Insbesondere die Kreditmärkte haben die Zentralbanken beruhigt. Schuldner können fällige Kredite wieder problemlos in neue, mit niedrigen Zinsen ausgestatte Kredite umschulden – und auch problemlos neue Kredite aufnehmen. Das Schuldenkarussell dreht sich munter weiter. Ende 2007 lag die weltweite Verschuldung von privaten und öffentlichen Stellen bei 212 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Ende 2016 lag sie schon bei 265 Prozent.

Die extrem niedrigen Zinsen ermutigen nicht nur Konsum und Investitionen (wie zum Beispiel einen „Gründerboom“) auf Pump. Sie treiben insbesondere auch die Vermögenspreise – wie Häuser, Grundstücke und Aktien – in die Höhe – und der Geldwert schwindet. Künftige Gewinne werden mit niedrige(re)n Zinsen abdiskontiert. Das erhöht die Barwerte und damit auch die Marktpreise der Vermögensgüter. Steigende Aktienkurse verringern die Kosten der Eigenkapitalbeschaffung und verleitet Unternehmen zu risikoreichen Investitionen, die ohne das künstliche Herunterdrücken der Zinsen nicht angegangen würden.

Die Sache mit der Zinskurve

Was aber passiert, wenn die Zinsen steigen? Die Wahrscheinlichkeit, dass der „Boom“ in einen „Bust“ umschlägt, ist groß. Bei höheren Zinsen heben Schuldner die Hand, können ihren Schuldendienst nicht mehr leisten. Investitionen erweisen sich als „Flop“. Arbeitsplätze und Einkommen gehen verloren. Banken treten auf die Bremse bei der Kreditvergabe. Die Preise auf den Häuser- und Aktienmärkten beginnen dem Gesetz der Schwerkraft zu folgen. Vor allem wenn die Zinsen lange Zeit unnatürlich niedrig waren, ist damit zu rechnen, dass wieder steigende Zinsen wirtschaftliche Erschütterungen verursachen.

Zinsunterschied und S&P 500. Quelle: Polleit & Riechert Investment Management LLP; Quelle der Daten: Thomson Financial

Ein besonders Problem ist dabei die sogenannte „Steilheit der Zinskurve“. Gemeint ist der Abstand zwischen Lang- und Kurzfristzins. Eine steile Kurve macht die Kreditvergabe für Banken attraktiv, eine flache Kurve entmutigt sie. Zieht die Zentralbank die Kurzfristzinsen an, und bleiben die Langfristzinsen jedoch unverändert oder fallen gar, flacht sich die Zinskurve ab. Das ist meist folgenreich. Zum Beispiel begann die Fed Mitte 1999, die Zinsen bis auf 6,5 Prozent im Mai 2000 zu erhöhen. Die Zinskurve wurde flach, und der „New Economy Boom“ platzte.

Im Sommer 2000 begannen dann die Aktienmärkte zu kollabieren. Bis Oktober 2002 verlor der S&P-500-Aktienmarktindex 50 Prozent – obwohl die Fed bereits im Januar 2001 begonnen hatte, den Zins zu senken, so dass er im Oktober 2002 ein Tief von 1,25 Prozent erreichte. Dann setzte eine Kurserholung ein, und bis Oktober 2007 stiegen die US-Aktienkurse um mehr als 100 Prozent. Ab Mitte 2004 begann die Fed, den Leitzins bis Juni 2006 auf 5,25 Prozent anzuheben. Die Zinskurve flachte sich wieder ab, und die Aktienkurse gingen in die Knie: Sie fielen um 56 Prozent bis März 2009.  

Diesmal ist es anders, oder?

Was man daraus lernen kann, ist das: Im Zinsanhebungszyklus steigt die Wahrscheinlichkeit eines neuen Crashs: Der steigende Zins wird zum „Crash Faktor“. Gleichwohl gibt es mittlerweile einen gewichtigen Grund, warum es diesmal anders kommen könnte: Die Fed hat vermutlich spätestens seit der Krise 2008/2009 ihre Zielsetzung verändert: Die Zentralbankräte wollen nunmehr das Banken- und Finanzsystem funktionsfähig und die Konjunkturen in Gang halten, koste es, was es wolle. Sie wissen, dass die Schuldenpyramide, für die das ungedeckte Geld gesorgt hat, vor dem Einbruch nur dann bewahrt werden kann, wenn der Zustrom von neuem Kredit und neuem Geld anhält. 

Für den Investor verbleibt das Risiko, dass die Zentralbankräte ungewollt Fehler machen, mit ihrer Zinspolitik den Boom „versehentlich“ zum Platzen bringt und einen Bust auslösen. Aber auch in solch einem Szenario wäre es wahrscheinlich, dass die Zentralbanken rasch umsteuern und zurückkehren würden zu einer Geldpolitik, die wieder die Zinsen auf oder unter die Nulllinie drückt und strauchelnde Schuldner durch das Anwerfen der elektronischen Notenpresse finanziert. Der politische Rückhalt wäre ihnen sicher: In Zeiten der Not werden niedrige Zinsen und Geldmengenvermehrung als die Politik des kleinsten Übels angesehen.

Unter diesen Bedingungen wird vermutlich der Zinshebungsdrang der Zentralbanken früher oder später wieder erlahmen – und sich sehr wahrscheinlich die Aufwärtsbewegung der Konjunkturen und vor allem die Inflationierung der Vermögensgüterpreise fortsetzen. Die Manipulationsmöglichkeiten, die das ungedeckte Papiergeldsystem bietet, sind schließlich noch nicht ausgeschöpft, und daher spricht einiges für ein „Schrecken ohne Ende“ und nicht für ein baldiges „Ende mit Schrecken“. Für den umsichtigen Investor stellt sich nun die Frage: Wie geht man mit einem solchen Szenario um?

Drei Empfehlungen

Was macht man, wenn man sein Kapital nicht nur erhalten, sondern im Zeitablauf mehren will? Den Kopf in den Sand stecken ist keine zielführende Strategie, aber auch nicht unkritisch den gängigen Empfehlungen der Banken- und Finanzindustrie Glauben schenken. Im Folgenden werden drei grundsätzliche Empfehlungen herausgestellt, die der umsichtige Investor berücksichtigen sollte – und die er entweder in Eigenarbeit oder in Zusammenarbeit mit einem passenden Investor umsetzen kann.

1) Investieren in Aktien lohnt sich. – Das Investieren in Aktien, in Produktivkapital, ist langfristig gesehen eine der besten, wenn nicht die beste Anlageform, die Privatanlegern zugänglich ist. Viel spricht dafür, dass das auch künftig so sein wird. Allerdings sollte der umsichtige Anleger – vor allem angesichts der Probleme in der internationalen Kredit- und Geldarchitektur – beim Investieren in Aktien sehr wählerisch sein. In einem „Regime von Boom-und-Bust“ werden nicht alle Unternehmen erfolgreich sein. Besser daher in Unternehmen investieren, die auch in widrigem Umfeld ihr Geschäft noch erfolgreich betreiben können.

Das können Unternehmen, die etwas produzieren, was die Konkurrenz nicht so ohne weiteres nachahmen kann – weil sie beispielsweise Kostenvorteile oder technologische Vorsprünge haben. Diese „großartigen Unternehmen“ sind in der Lage, Kostensteigerungen auf der Produktionsseite auf die Absatzpreise überzuwälzen. Für den Investor bedeutet das einen effektiven Inflationsschutz, den nicht alle Unternehmen bieten. Und mit Geldwertschwund, mit Inflation, sollte der umsichtige Investor weiterhin rechnen – sie ist die unweigerliche Folge des ungedeckten Geldsystems.

Welche Dax-Titel noch attraktiv sind

2) Befolge das „Preis versus Wert“-Prinzip. – Nicht jedes großartige Unternehmen ist auch eine großartige Investition. Es kommt vielmehr darauf an, nicht zu teuer zu kaufen. Das „Preis versus Wert“-Prinzip hilft dabei. Der Preis ist das, was man an der Börse für die Aktie zahlt. Der Wert der Aktie ist die abgezinste Summe aller künftig zu erwartenden Gewinne eines Unternehmens. Es zahlt sich für den Anleger aus, wenn der Preis, den man zahlt, deutlich unter dem Wert liegt der Aktie liegt. Eine ausreichend hohe „Sicherheitsmarge“ arbeitet sprichwörtlich für den umsichtigen Investor.

Zum einen vermindert sie sein Risiko, dass er den Wert des Unternehmens zu positiv einschätzt. Beträgt der Wert der Aktie beispielsweise 100 Euro, und steht der Marktpreis – beispielsweise aufgrund eines Panikverkaufs an der Börse – bei 60 Euro, kann der Wert um 40 Prozent fallen, ohne dass der Investor sein Kapital verliert. Zum anderen erhöht die Sicherheitsmarge die Investitionsrendite: Wer etwas für 60 Euro kauft, was 100 Euro wert ist, erzielt nur durch den Einkauf 66,7 Prozent – und die kommen zur Wertsteigerung hinzu, die ein großartiges Unternehmen über die Zeit erzielt.

Die Märkte für Geduldige
Wo lässt es sich am besten nach Rendite fischen?Zwischen 1900 und Ende 2016 gewannen die Aktienmärkte weltweit im Schnitt 5,1 Prozent pro Jahr, die Inflation herausgerechnet. Zu diesem Ergebnis kommt die Credit Suisse in ihrem „Global Investment Returns Yearbook“ 2017, das im Februar veröffentlicht wurde. Für die Berechnung stützt sich die Schweizer Bank auf die Daten der Professoren Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton von der London Business School. Der Datensatz erfasst die Performance von 70.000 Börsentagen und vergleicht die Aktienmärkte aus 21 Ländern. Wer trotzte den Krisen der vergangenen Jahrzehnte besonders gut? Ein Überblick. Quelle: dpa
Österreich Quelle: Wiener Börse
Italien Quelle: REUTERS
Belgien Quelle: Fotolia
Frankreich Quelle: REUTERS
Deutschland Quelle: dpa
Portugal Quelle: dpa

3) Denke und handele langfristig. – Unverzichtbar für den umsichtigen Investor ist Geduld und langer Atem. Wann der Boom in einen Bust umschlägt, lässt sich nicht mit Gewissheit voraussagen. Es gibt dafür keine verlässliche Prognoseformel. Der umsichtige Investor sollte daher kein „Markt-Timing“ betreiben nach dem Motto: Ich verkaufe jetzt, weil ich das Gefühl habe, der Markt wird einbrechen, und steige wieder ein, wenn die Lage sich gebessert hat. Auf diese Weise erfolgreich zu sein, ist den wenigsten von uns vergönnt. Die meisten verkaufen zu früh, kaufen dann zu spät, verursachen hohe Kosten, und die Investitionsrendite leidet. Das heißt, dass man auch die mentalen Fähigkeiten braucht, durch die Börsenzyklen hindurch an seinen großartigen Unternehmen festzuhalten.

Der umsichtige Investor ist gut beraten, die Augen nicht vor den Problemen des weltweiten ungedeckten Papiergeldsystems zu verschließen – und angesichts dieser Probleme sollte er bei seinen Investitionsentscheidungen diszipliniert erprobten Handlungsprinzipien folgen. Sie helfen ihm Kurs zu halten in einem Umfeld, in dem die Kapriolen und Exzesse der Zentralbankpolitiken drohen, immer wilder zu werden. Und sie verringern die Irrtumsanfälligkeit beim Investieren. Immanuel Kant soll dazu das letzte Wort haben: „Irrtümer entspringen nicht allein daher, weil man gewisse Dinge nicht weiß, sondern weil man sich zu urteilen unternimmt, ob man gleich noch nicht alles weiß, was dazu erfordert wird.“

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