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Emotionen sind ein schlechter Ratgeber an der Börse. Quelle: Getty Images

So schlagen Sie Verlustängsten ein Schnippchen

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Emotionen sind ein schlechter Ratgeber an der Börse. Aber wer einfache Prinzipien befolgt, kann Fehler aufgrund emotionaler Entscheidungen vermeiden – und das kommt der Rendite der Investments zugute.

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Gehören Sie zu den Menschen, die sich über Verluste stärker ärgern als über einen Gewinn in gleicher Höhe freuen? Wenn ja, dann haben sie eine mehr oder weniger ausgeprägte Verlustaversion, die sie mit vielen ihrer Mitmenschen teilen. Verlustängste sind allzu menschlich. Doch sie sind nicht förderlich, wenn man Geld im Kapitalmarkt angelegt. Verlustängste provozieren Investitionsentscheidungen, die die Investitionsrendite mitunter stark beeinträchtigen. 

Denken wir an eine Situation, in der die Börsenkurse einbrechen, sagen wir um 15 oder 25 Prozent. Man will auch „raus“, will retten, was zu retten ist, und nicht untätig zusehen, wie der Wert des Aktiendepots dahinschmilzt. Lieber Verluste begrenzen und Kasse halten, auch wenn man dann vielleicht nicht zu den ersten gehört, die wieder einsteigen, wenn sich die Marktstimmung dreht. Können Sie das nachvollziehen? Wenn ja, dann sollten Sie wissen: Das ist eine Situation, in der die Emotion die Vernunft zu übertrumpfen sucht.

Die Frage nach dem Verlust

Stellen wir uns folgende Frage: Was ist ein Verlust? Fällt der Börsenkurs der Aktie unter den Kurs, zu dem Sie gekauft haben, machen Sie einen Buchverlust. Müssten Sie daraufhin verkaufen, realisieren Sie den Verlust, und das verringert das Kapital, das Ihnen für weitere Investitionen zur Verfügung steht. Für den umsichtigen Investor, der langfristig investiert – der einen Zeithorizont von fünf Jahren oder mehr hat–, sind allerdings Buchverluste nebensächlich. Ihn haben ökonomische Verlust zu interessieren.

Zur Person

Die Börsenkurse schwanken. In der Regel ist das gut und richtig, denn so kommen die richtigen Preise für Aktien zustande. Manchmal jedoch werden die Kurse auch von Euphorie, Gier, Furcht und Panik getrieben und reflektieren nicht notwendigerweise die Veränderung des Unternehmenswertes. Letzterer ist – vereinfachend gesprochen – die Summe aller abgezinsten Gewinne, die das Unternehmen in der Zukunft erzielen wird. Es gibt immer wieder Phasen, in denen Wert und Preis einer Aktie auseinanderfallen.

Der umsichtige Investor setzt daher einen Buchverlust nicht reflexartig gleich mit einem ökonomischen Verlust. Vielmehr sieht er eine dauerhafte Wertminderung seines Kapitals als den für ihn relevanten Verlust an.

Was ist damit gemeint? Nehmen wir an, Sie haben ein attraktives Unternehmen identifiziert, und Ihre eingehende Analyse hat ergeben, dass die Unternehmensaktie einen Wert von, sagen wir, 100 Euro hat. Ein Kursrutsch an der Börse lässt den Preis der Aktien auf 70 Euro fallen, und Sie kaufen die Aktie.

Bitcoin bricht ein, Fed verliert die Unabhängigkeit
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Yen Quelle: REUTERS
Yuan Quelle: REUTERS
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Preis versus Wert

Betrachten wir nun zwei Fälle. Im ersten Fall rutscht die Aktie beispielsweise weiter auf 40 Euro ab, weil Panik herrscht und der Ausverkauf weitergeht. Ihr Buchverlust beträgt 30 Euro (40 minus 70 Euro). Als umsichtiger Investor haben Sie jedoch keinen Grund zittrig zu werden: Wenn Sie sicher sein können, dass der Wert des Unternehmens weiterhin 100 Euro beträgt, können Sie nach wie vor mit einer Rendite von 43 Prozent rechnen [(100/70 – 1)*100] Denn früher oder später wird sich der Börsenkurs den Wert der Aktie annähern.

Die Situation ist für Sie als umsichtiger Investor sogar vorteilhaft: Sie können jetzt Aktien zu 40 Euro kaufen, die 100 Euro wert sind – und in unserem Beispiel hätten Sie jetzt die Möglichkeit, eine Rendite von 250 Prozent zu erzielen! (Man erkennt: Der Kursrückgang erhöht hier nicht etwa das Risiko des Investors, er senkt es vielmehr! Etwas zu 40 kaufen zu können, was 100 Euro wert ist, ist weniger risikoreich, als es zu 70 zu kaufen. Höhere Rendite bei geringerem Risiko ist also möglich!)

Erfolgreich investieren, das kann nicht jeder. Wirtschaftspsychologin Katharina Sachse weiß, welche Persönlichkeit hilfreich ist – und wie sich ungünstige Charaktereigenschaften kompensieren lassen.

Keine Angst vor einer Kurskorrektur

Anders verhält es sich im zweiten Fall. Hier stellt sich heraus, dass das Management der Unternehmung nicht so gut ist, wie Sie ursprünglich gedacht haben. Ihnen ist also ein Schätzfehler unterlaufen. Sie müssen erkennen, dass der Wert des Unternehmens nicht 100 ist, sondern nur, sagen wir, 50 Euro. Ihr Buchverlust beträgt folglich 20 Euro (50 minus 70 Euro). Wie sollen Sie jetzt mit dieser Situation umgehen? Vielleicht doch warten, bis die Aktie wieder ihren Kaufpreis erreicht hat und dann verkaufen?

Die Empfehlung ist hier recht klar: aussteigen. Sie haben zu viel bezahlt. Die Investition beschert ihnen einen dauerhaften Kapitalverlust. Damit wird deutlich: Die Auswahl und Bewertung der Aktien ist zentral für Ihren Investitionserfolg. Hier legen Sie fest, welche Rendite Sie auf Ihr Kapital in den kommenden Jahren erzielen. Und wenn Sie das verinnerlicht haben, dann wissen Sie auch genau, welchen Entwicklungen Sie fortan sinnvollerweise Aufmerksamkeit und Energie schenken müssen und welchen nicht.

Das Auf und Ab der Börsenkurse ist für den umsichtigen Investor nur insofern wichtig, als es ihn günstige Gelegenheiten finden lässt: Wenn die Kurse für Unternehmensaktien deutlich unterhalb ihres Wertes handeln – dann sind sie für das Investieren prinzipiell attraktiv. Von allergrößter Bedeutung ist aber die Wertbestimmung, die eingehende Unternehmensanalyse mit dem Ziel, den Aktienwert (innerhalb einer gewissen Bandbreite) hinreichend verlässlich abschätzen zu können.

Finger weg vom Markt-Timing

Viele Investoren stehen jedoch im Bann der Aktienkursschwankungen. Und sie haben Angst vor einer Kurskorrektur. Sie wollen ihre Aktien verkaufen, bevor die Kurse einknicken, und Aktien erst wieder kaufen, wenn die Kurse auf dem Tiefpunkt sind. Das Problem: Man weiß nicht, ob und wann Börsenkurse fallen. Wenn die Kurse gefallen sind, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, ob sie ihren Boden schon gefunden haben. Die meisten Anleger verkaufen zu früh und steigen zu spät wieder ein – und das schmälert ihre Investitionsrendite.

„Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen“
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6. Lassen Sie sich nicht von schlechter Stimmung anstecken Quelle: dpa
Investieren Sie niemals in todsichere Tipps Quelle: obs

Erfolgreiche Investoren haben an dieser Stelle einen Rat parat: Sie empfehlen, ausschließlich in „großartige Unternehmen“ zu investieren. In solche also, die über lange Zeit überdurchschnittlich hohe Renditen auf das eingesetzte Kapital erzielen und den Gewinn pro Aktie merklich steigern können. Das gelingt nicht allen. Großartigen Unternehmen aber schon, weil sie über „Markteintrittsbarrieren“ verfügen: Sie können etwas, was andere nicht oder nicht so ohne weiteres nachahmen können.

US-Investor Philip A. Fisher (1907 – 2004) weist darauf hin, dass es im Grunde kaum eine Situation gibt, in der es sich empfiehlt, großartige Unternehmen, die man gut ausgewählt hat und deren Wert man kennt, zu verkaufen. Wenn die Börsenkurse in der Baisse purzeln, sei der umsichtige Investor vielmehr gut beraten, an ihnen festzuhalten, sie nicht zu verkaufen. Großartige Unternehmen überstehen auch schwierige Wirtschaftsphasen, ihr Aktienkursrückgang ist nur vorübergehend.

Auch in Kurs-Übertreibungsphasen, wenn die Börsenkurse der Aktie stark steigen und teuer werden, sollte der umsichtige Investor an seinen großartigen Unternehmen festhalten und kein Markt-Timing betreiben. Denn er sieht sich hier schließlich den gleichen Problemen gegenüber wie in der Börsen-Baisse: Man weiß nicht, wo der beste Verkaufskurs liegt, und man weiß nicht, wie tief die Kurse noch fallen werden, so dass man – wenn man nicht ad hoc aus dem Bauch reagieren will – auch nicht weiß, wann man wieder einsteigen soll.

Nicht zuletzt spricht die Besteuerung gegen eine „Rein-Raus“-Strategie. Sie ist mit erheblichen Kosten verbunden und schmälert die Investitionsrendite. Allerdings gilt auch hier: Sollten Sie tatsächlich einmal die Erfolgspotenziale eines Unternehmens falsch, das heißt zu optimistisch eingeschätzt haben, ist es trotz Besteuerung der zwischenzeitlich aufgelaufenen Kursgewinne meist doch lohnend, auszusteigen und in Unternehmensaktien zu investieren, die tatsächlich großartig sind. (Siehe hierzu das angehängte Beispiel.)

Achtung: Opportunitätsverluste

Es gibt eine Verlustangst, die begründet ist, die jedoch häufig unterentwickelt bleibt. Und das ist die Sorge, dass attraktive Renditen an einem ungenutzt vorbeiziehen. Im Tagesgeschäft wird versucht, diese Opportunitätsverluste durch einen Vergleich zwischen der eigenen Portfolio-Rendite und der Rendite eines Vergleichsindex (wie zum Beispiel Dax, S&P 500 oder MSCI World) sichtbar zu machen: Liegt die eigene Rendite über (unter) der des Aktienmarkt-Indexes, hat man „outperformed“ („underperformed“). 

Solch ein Vorgehen ist allerdings problematisch. In den Aktienindizes sind stets Unternehmen enthalten, die alles andere als großartig sind, die vielleicht sogar ihre besten Zeiten schon hinter sich haben. Der umsichtige Investor ist daher gut beraten, Aktienmarkt-Indizes beiseite zu schieben und sich an den Investitionsergebnissen herausragender Investoren zu messen. Schließlich ist es das Ziel des Investierens, die größtmögliche Rendite zu erzielen mit den Aktien, deren Wert man mit großer Sicherheit bestimmen kann.

Vorsicht ist daher geboten, wenn die Vorteilhaftigkeit von handelsüblichen Aktienfonds beurteilt wird. Recht eindeutig liegt der Fall, wenn ein Fonds eine Rendite hat, die – etwa gemessen über einen Durchschnitt von fünf Jahren – geringer ist als der Vergleichsindex. Hier sind Opportunitätsverluste für den Investor unübersehbar. Weniger klar ist es jedoch, wenn ein Fonds die gängigen Aktienmarktindizes übertrifft. Denn auch hier kann der Investor erhebliche Opportunitätsverluste erlitten haben.

Wo Kapitalmarktexperten 2018 den Dax und die Wirtschaft sehen
Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin HelabaPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,4 Prozent Deutsche Wirtschaft +2,0 Prozent Dax 10.500 bis 13.500 Goldpreis 1.400 US-Dollar je Unze Quelle: dpa
Ulrich Stefan, Chef-Anlagestratege Deutsche BankPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,8 Prozent Deutsche Wirtschaft +1,8 Prozent Dax 14.100 Quelle: dpa
Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt DZ BankPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,8 Prozent Deutsche Wirtschaft +2,2 Prozent Dax 14.000 Quelle: Presse
Ulrich Kater, Chefvolkswirt Deka-BankPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,7 Prozent Deutsche Wirtschaft 2,2 Prozent Quelle: dpa
Uwe Burkert, Chefvolkswirt LBBWPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,6 Prozent Deutschland +2,3 Prozent Dax 13.700 Quelle: dpa
Erik F. Nielsen, Chefökonom UniCreditPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,9 Prozent Wirtschaft der Eurozone +2,3 Prozent Quelle: Presse
Stefan Krenzkamp, Chef-Anlagestratege Deutsche Asset ManagementPrognose für 2018: Weltwirtschaft +3,7 Prozent Wirtschaft der Europäischen Union +2,0 Prozent Dax 14.100 Quelle: Presse

Der umsichtige Investor sollte sich an den Ergebnissen der erfolgreichen Investoren orientieren: den Investoren, die über lange Zeiträume hohe Renditen erzielt haben. Gegenüber ihnen sollte er die Rendite, die er selbst erwirtschaftet beziehungsweise die sein Fondsmanager erzielt, vergleichen – nach dem Motto „von den Besten lernen“. Ein absoluter Renditevergleich ist dabei durchaus sinnvoll, weil für Langfristinvestoren das kurzatmige Auf und Ab der Börsenkurse keine Bedeutung hat.

Emotionen im Griff, Verlustängste raus

Der Weg, seine kontraproduktiven Verlustängste beim Investieren auszuschalten, besteht darin, die Emotionen in den Griff zu bekommen. Das gelingt, wenn man den Wert der Aktien, in die man investieren will, hinreichend genau in Erfahrung gebracht hat. Zum einen kann man dann sinnvolle Investitionsentscheidungen treffen: Das Investieren ist gut begründet, wenn der Wert der Aktie über ihrem Preis liegt, den man an der Börse zu zahlen hat; und daher kann man auch mit solchen Entscheidungen gut schlafen.

Zum anderen weiß man auch, wie man sich bei Kursschwankungen zu verhalten hat. Das Auf und Ab der Börsenkurse lässt einen kalt, solange der Wert der Aktie über dem Preis liegt, den man bezahlt hat. Und in dem Fall, in dem der Börsenkurs unter den Wert der Aktie fällt, ist der Kauf der Aktie noch attraktiver geworden. Erst dann, wenn eine Wertminderung der Aktie eintritt – und sie ist unabhängig vom Börsenkurs –, gibt es eine Notwendigkeit zu handeln: Dann muss man sich nach besseren Alternativen umsehen.

Der umsichtige Investor, der auf diese Weise seine Emotionen kontrolliert und seine Investitionsentscheidungen trifft, vermeidet die Fehler, die die meisten seiner Mitwettbewerber am Kapitalmarkt machen. Und hier wie in anderen Lebensbereichen gilt: Nicht selten reicht es aus, die Fehler, die andere machen, zu vermeiden, um besser abzuschneiden als der Rest. Kurzum: Wer den Wert kennt, schlägt Verlustängsten ein Schnippchen und kann erfolgreich investieren.

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