Interview „Die Markteinschätzungen waren total daneben“

Analysten haben keinen guten Ruf: Entweder stehen sie Firmenchefs zu nah oder sie sind zu weit weg und verpassen damit die Trends. Ein Gespräch mit den Vermögensverwaltern Holger Benke, Matthias Born und Thomas Brehmer.

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Holger Benke, Thomas Brehmer und Matthias Born (von links) beim Gespräch mit dem Handelsblatt. Quelle: Bert Bostelmann für Handelsblatt

Handelsblatt: Kann man den Prognosen von Analysten noch trauen oder sind sie nur noch für den Papierkorb geeignet? Dieses Gefühl kommt jetzt in der Krise auf.

Holger Benke: Das ist mir zu allgemein. Es ist immer die Frage, für welche Bereiche die Analysen und Prognosen erstellt werden. Wird etwa versucht, gesamtwirtschaftliche Vorhersagen in konkrete Börsenprognosen umzusetzen, dann kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen: Das gelingt meist nicht. Hier gibt es zu viele Einflussfaktoren, die nicht zu beherrschen sind. Aktienkurse steigen nun einmal, wenn gekauft wird, und sie fallen, wenn die Anleger verkaufen. Die Gründe dafür können vielfältig sein, oft unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Thomas Brehmer: Wir haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht und gehen kritisch mit Analysen um. Die Markteinschätzungen, ob zum Dax, zu Gold oder dem Euro-/Dollar-Verhältnis waren regelmäßig total daneben. Alle großen Namen aus der Bankenszene sahen den Dax im Juli über 7 000 Punkten und Gold unter 1 600 Dollar. Dabei war jedem die Eurokrise bewusst. Häufig herrscht zu hoher Optimismus. Hinzu kommen häufig und verständlicherweise Interessenkonflikte.

Herr Born, Sie verwalten mit dem Concentra einen der ältesten deutschen Fonds. Wie gehen Analystenempfehlungen in die Auswahl geeigneter Aktien ein?

Matthias Born: In meinen Fonds kommen nur Aktien, die ich mir selbst angeschaut habe. Analystenmeinungen sind ein wichtiger Teil im Puzzle, auf dem die Investmententscheidung beruht, aber oft sind sie zu nah an den Aussagen der Unternehmenslenker. Drehen die Frühindikatoren, behalten sie noch zu lange deren Meinung bei. Das war beispielsweise im Januar 2009 in der Auto- oder Chemiebranche so, als wie so oft in der Historie die letzten Bullen viel zu spät zu Bären wurden. Gerade stehen wir vor der gleichen Frage. Beim Einbeziehen von Analysen kommt es deswegen vor allem auf deren Autor an. Gute Analysten erkennt man an jahrelanger Erfahrung. Dann weiß man auch, wer seine Branche gut kennt und langfristig richtig gelegen hat. Der Erfolg in der Vergangenheit ist ein wichtiger Indikator für die Zukunft. Die Erfolgreichen bleiben in der Regel auch erfolgreich. Bei Dax-Unternehmen trifft das auf ein halbes bis ein knappes Dutzend zu. Gewöhnlich sind das die Unternehmen mit einem soliden Geschäftsmodell, die sich durch Wettbewerbsvorteile in ihrer Branche abheben können. Der Rest hat seine Phasen mit Höhen und Tiefen. Letztlich geht es immer nur um die einfache Frage: Gibt es ein Gewinnwachstum und zeigt sich das in einem Kurswachstum?

Welchen Stellenwert haben in Ihrer täglichen Arbeit die Analystenrankings von Instituten wie Starmine?

Born: Ich schaue sie mir nicht genau an, obwohl eine gewisse Relevanz durchaus da ist. Wir verfügen aber über eigene Analysten im Haus und da ist mir vor allem die Branchenkenntnis wichtig. Vorteilhaft ist, dass immer mehr Analysten direkt aus ihrer Branche kommen, die sie bewerten. Das verbessert deren Arbeit und bringt für ihre Kunden einen größeren Wert.

Benke: Die Erfahrung zeigt, dass die Gewinner von heute oft die Verlierer von morgen sind. Aus den allgemein bekannten Daten zusätzliche Informationen über die Blue Chips herauszusaugen, das funktioniert einfach nicht auf Dauer.


„Bei vielen Banken betreut ein Berater bis zu 400 Kunden.“

Viele Banken leisten sich große Analyseabteilungen, trotzdem finden sich deren Empfehlungen nicht in den Depots der Kunden. Wie geht das?

Brehmer: Bei vielen Banken und Sparkassen betreut ein Berater 200 bis 400 Kunden. Da kommt es allein deswegen häufig beim Kunden gar nicht an, dass sich die Markteinschätzung verändert hat. Zudem scheuen viele Banken und Sparkassen deutliche Prognosen und bewegen sich stattdessen eher im neutraleren Mittelfeld.

Und was haben Privatanleger dann von Analystenempfehlungen?

Born: Ganz ohne geht es nicht. Aber für Privatanleger ist es schwierig, auf Einzelempfehlungen zu reagieren, weil sie doch erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung davon erfahren. Langfristig fällt ohnehin auf, dass fast alle Banken durchweg mit ihren kurzfristigen Prognosen falsch liegen. Das ist bei dem volatilen Umfeld nicht verwunderlich.

Benke: Aus meiner Sicht ist das passive Management der richtige Weg, etwa über börsennotierte Indexfonds. Doch wenn es schon Analysten sein sollen, dann bitte eher auf die vertrauen, die sich mit kleinen oder mittelgroßen Aktien beschäftigen. Hier gibt es eindeutig bessere Chancen, dass gute Analysten auch Dinge herausfinden, die nicht so auf den ersten Blick ersichtlich sind. Anders bei den Blue Chips, den großen Standardaktien etwa im Deutschen Aktienindex: Ich sehe nicht, wie hier ein Analyst besser abschneiden soll als ein anderer. In unserer Zeit verbreiten sich Informationen in Sekundenschnelle, Tausende von Analysten beschäftigen sich weltweit mit großen Aktien..

Zur Ehrenrettung der Analysten muss man aber auch sagen, dass sich die Zeiten an den Börsen rapide verändert haben in den vergangenen zehn Jahren.

Born: Das ist richtig. Auch hat die Korrelation in den einzelnen Branchen in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Fällt Eon, dann fällt auch RWE, gleiches gilt zum Beispiel bei der Deutschen Telekom und France Telecom. Langfristig trennt sich allerdings die Spreu vom Weizen.

Brehmer: Kursausschläge, wie wir sie heute sehen, waren früher sicherlich undenkbar. Man konzentriert sich aber noch immer zu sehr auf Einzelprognosen und sieht nicht, wenn sich die grundsätzlichen Rahmenbedingungen verändern. Die Probleme in der Eurozone waren bekannt - trotzdem riss es wie bei einem Dominoeffekt im Sommer die Aktien nach unten. Ich halte es hier mit der Markowitz-Theorie: Langfristig sind nicht die Auswahl der Aktientitel, Timing oder Kosten entscheidend, sondern ob ich zu einem gewissen Zeitpunkt überhaupt Aktien habe oder nicht. Die richtige und regelmäßige Anpassung der Asset-Allokation ist von hoher Relevanz für den Anleger.

Also müssten die Analysten Wahrsager sein?

Benke: Müssten sie sein, sind sie aber nicht.

Viele Analysten bewerten Aktien rein anhand von Zahlen aus ihrem Büro heraus. Andere betreiben Feldstudien, gehen durch Produktionshallen und Lagerstätten. Welchen Stil bevorzugen Sie?

Born: Das kommt auf die Branche an. Aber ein guter Analyst geht auch raus. Und rein in die Unternehmen. Bei uns ist es so, dass wir uns einen Eindruck vor Ort verschaffen und dort nicht nur mit dem Top-Management sprechen.

Benke: Es wird sicher nicht schaden, wenn man genau reinschaut in ein Unternehmen. Ob das aber unser Problem löst, wage ich zu bezweifeln. Soll ein Analyst bei einem global agierenden Unternehmen alle Lagerhallen und Fabrikationsanlagen in Amerika, Asien und Europa anschauen? Im Zweifel wird er in die am besten geführten Lagerhallen geschickt.

Ist Ihrer Meinung nach ein von den Unternehmen gekauftes Research besser?

Benke: Wie denn? Hier sind doch Interessenkonflikte programmiert. Werbebroschüren im Analystenkostüm - davon halte ich nun wirklich nichts.


„Inhaber sind fairer und gewissenhafter.“

Was sind aus Ihrer Sicht gute Indikatoren zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage?

Brehmer: In inhabergeführten Unternehmen ist man näher an den Entwicklungen dran. Inhaber sind fairer, gewissenhafter und realistischer. Das gilt auch für die Investmentbranche. Bei den gut 2000 vermögensverwaltenden Mischfonds, die in Deutschland angeboten werden, zeigt sich, dass diese meist unterdurchschnittlich gemanagt werden, obwohl hier das gesamte Know-how der großen Häuser einfließt. Inhabergeführte Vermögensverwalter zeigen oft die besseren Ergebnisse.

Und was erzählen Ihnen bei Ihren zahlreichen Gesprächen die Chefs der inhabergeführten Unternehmen?

Brehmer: Noch sind sie positiv gestimmt. Aber sie sind sehr verunsichert über die Eurokrise. Ich höre oft den Satz: Das geht nicht gut. Wir haben große Probleme und keine Lösungen. Noch haben alle volle Auftragsbücher, aber sie investieren sachwertorientiert und behalten die Risiken im Auge. Sie investieren in Immobilien, Gold und Edelmetalle, globale Aktien und Unternehmensanleihen, manche haben gar keine Depotanlagen mehr im Euro.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben wir bereits viel über die Qualität und die Probleme der Analysten gesprochen. Wo würden Sie persönlich Ihr Geld anlegen? Bieten Sie doch einfach besseren Rat als die Analysten.

Benke: Ich rate, in Sachwerte zu investieren. Dazu gehört für den Privatanleger natürlich das vielzitierte Eigenheim. Geht es nur um die Geldanlage, dann Finger weg von den völlig überteuerten Toplagen etwa in München, Hamburg oder Frankfurt. Mittlere Lagen bieten ebenfalls gute Chancen - allerdings zu einem vernünftigen Preis. Außerdem zähle ich Aktien zu Sachwerten. Aber, sie sind schwankungsanfällig, wie sich auch zuletzt zeigte. Der Anleger muss in der Lage sein, eine längere Durststrecke auszuhalten, und das erfordert ein ausreichend großes Vermögen. Bei institutionellen Investoren hat sich ein Engagement in Private Equity bewährt, also in außerbörsliche Beteiligungen. Zudem halte ich alternative Anlagen in Wald, Agrar und Infrastruktur für attraktiv. Aber: Diese Investition setzt Know-how voraus. Die Gefahr, falsch beraten zu werden, ist groß.

Born: Wenn man davon ausgeht, dass der langfristige Zyklus an den Anleihemärkten 30 Jahre beträgt und bei Aktien bei circa 15 Jahren liegt, dann dürften beide bald zu Ende gehen. Außerdem ist die Stimmung so schlecht, dass die langfristigen Auswirkungen positiv für Aktien sein dürften.

Brehmer: Ich gebe keine Prognose, aber ich rate deutlich zur Vorsicht. Die Probleme überwiegen, deswegen bin ich für die nächsten zwölf Monate für die Aktienmärkte eher skeptisch.

Herr Benke, Herr Born, Herr Brehmer, wie danken Ihnen für das Gespräch.


Die Teilnehmer beim Frankfurter Gespräch

Holger Benke ist seit dem Jahr 2000 bei der gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Frankfurt Geschäftsführer für die Bereiche Administration und Vermögensmanagement. Seine berufliche Karriere startet Benke, Jahrgang 1953, mit einer Banklehre bei der Sparkasse in Bremen. Es folgte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Uni Bremen und der Wirtschaftswissenschaften in Hannover. Von 1979 bis 1992 war er bei NordLB in Hannover beschäftigt, zuletzt als stellvertretender Leiter der Zentraldisposition. Von 1992 bis 1999 war er für Volkswagen Stiftung in Hannover als Leiter der Vermögensverwaltung tätig. Von 1999 bis 2000 war er anschließend bei der Karg'sche Familienstiftung (vormals Hertie-Stiftung) in Frankfurt als Geschäftsführer Vermögensmanagement.

Matthias Born ist Senior Portfolio Manager bei Allianz Global Investors in Frankfurt. Er managt den Fonds Concentra, den es bereits seit dem Jahr 1956 gibt und der damit eine der ältesten deutschen Fonds für deutsche Standardwerte. Nach seinem Abschluss an der Universität Würzburg stieg der heute 37-Jährige bei der Dresdner Bank ein. Im Jahr 2002 wechselte er zu Allianz RCM und managte dort unter anderem den Fonds Nebenwerte Deutschland. Ebenso war er seitdem für den RCM Wachstum Deutschland Fund verantwortlich sowie für institutionelle Mandate im europäischen Nebenwertebereich. Im europäischen und deutschen Small- und Midcap-Team gilt er als Spezialist für deutsche und österreichische Aktien. Seit dem Jahr 2007 managt Born erfolgreich eines der Flagschiffe von AGI, den Concentra.

Thomas Brehmer ist Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter bei der unabhängigen Vermögensverwaltung Brehmer & Cie in Bad Nauheim. Der gelernte 42-jährige Bankkaufmann und Diplom-Betriebswirt begann seinen beruflichen Werdegang bei de Sparkasse Wetterau im Jahr 1992 1993. Bis ins Jahr 2005 arbeitete er dort, zuletzt als Bereichsleiter Vermögensmanagement. Dort war er für die Betreuung der Premium- und Vorstandskunden verantwortlich. In den Jahren 2006 und 2007 war er Director des Wealth Management bei UBS Deutschland in Frankfurt, anschließend wechselte er als Direktor ins PrivateBanking Deutschland der Schweizer Privatbank Sarasin. Seit knapp drei Jahren ist Brehmer selbständig. Zu seinen Kunden zählen vor allem große familiengeführte Unternehmen mit einem verwalteten Vermögen ab einer Millionen Euro aufwärts.


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