Interview Robert Halver "Anleihekäufer verdienen einen Orden"

Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, spricht mit der WirtschaftsWoche über Euro-Sorgen, die aktuelle Lage an den Märkten und die Möglichkeiten, in Niedrigzinsphasen sein Geld anzulegen.

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Robert Halver

WirtschaftsWoche: Herr Halver, der Dax hat jüngst erstmals seit dem Frühling wieder einen Satz über 7.000 Punkte gemacht – und das, obwohl viele Experten das im Vorfeld für unwahrscheinlich gehalten hatten. Wie erklären Sie sich die Zuversicht der Investoren?

Robert Halver: Zunächst haben die Anleger verstanden, dass EZB-Chef Mario Draghi eine Lebensversicherung für die Eurozone abgegeben hat: Man wird die Eurozone nicht kollabieren lassen. Noch nie hat ein EZB-Präsident diese Bereitschaft so klar gemacht. Wir haben es schon lange nicht mehr mit einer bundesbank-orientierten Geldpolitik der EZB zu tun. Es mag zwar offiziell Bundesbank auf der Verpackung der EZB stehen, de facto steckt aber US-Notenbankpolitik drin. Ich würde sogar von einem Blankoscheck der EZB sprechen. Von der Fed lernen, heißt siegen lernen könnte man formulieren. Daran ändern auch die verbal-erotischen Bekenntnisses der EZB-Banker zur Stabilitätspolitik nichts. Man muss zwischen den Zeilen lesen. Die italienisierte EZB wirkt inflations- und liquiditätstreibend wie eine Streicheleinheit für Aktien. Und wenn es Brei regnet, muss der Anleger eben einen Löffel dabei haben.

Draghi äußert sich pro, Politiker aus Ländern wie den Niederlanden und Finnland aber contra Griechenland. Was kann überhaupt noch verhindern, dass diese ständig wechselnden Standpunkte aus der Unsicherheit an der Börse eine unendliche Geschichte machen?

Die griechische Frage stellt den emotionalen Fokus dar. Die Finanzmärkte fragen sich, wie die Euro-Politik mit Problemen großer Schlachtschiffe wie Spanien und Italien fertig werden will, wenn man schon für das vergleichsweise kleine Griechenland keine vernünftige Lösung findet. Diese Kakophonie der politischen Meinungen, dieses Rein-in-die-Kartoffeln-raus-den-Kartoffeln hat zu einem internationalen Vertrauensschaden hinsichtlich Euroland und seiner Lösungsfähigkeit geführt. In Amerika und Großbritannien hat man zu Beginn des Jahrtausends richtig Respekt vor der Eurozone gehabt – heute kursieren Witze über Politiker, die ich hier nicht nennen möchte.

Was sollte also passieren?

Man sollte Nägel mit Köpfen machen. Es bringt keine substanzielle Verbesserung der politischen Situation, wenn man wie verliebte Teenager fragt: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht – bleiben die Griechen drin oder gehen sie raus. Sie sollten auch im eigenen Interesse die Eurozone verlassen können, um über Abwertung wieder wirtschaftlichen Wind unter die Flügel zu bekommen. Wir werden ohnehin weiterhin für Griechenland zahlen. Das Land braucht eine Startfinanzierung, nachdem es die Drachme wieder einführt, und es braucht Investitionen, um als Produktionsstandort wieder interessanter zu werden. Zunächst gibt es also keine finanzielle Entlastung für uns, aber unsere Mittel fallen dann auf wirtschaftlich fruchtbareren Boden. Und mit einer schwächeren Währung – der neuen Drachme – hat Griechenland zumindest die Chance, seine Hausaufgaben zu machen.

Die Politik hat allerdings in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, dass sie einen Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro für wesentlich teurer hält als eine Rettung.

Ich bin nicht naiv und weiß natürlich, dass ein Grexit, ein Austritt Griechenlands, kein Kindergeburtstag wird. Dann werden neben den privaten auch die öffentlichen Gläubiger zur Kasse gebeten. Aber man kann argumentieren: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

"Die schönsten Kursrallys sind liquiditätsgetrieben"

Entwicklung der Staatanleihen in der Schuldenkrise
Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe seit Januar 2010 Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen USA Quelle: Bloomberg
Staatsanleihen Griechenland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Portugal Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Irland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Italien Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Spanien Quelle: Bloomberg

Was ist dem vielzitierten Domino-Effekt, dass dann bald andere Länder Griechenland folgen müssten?

Das wird die EZB verhindern. Sie überlegt ja schon als Präventivmaßnahme Zinsobergrenzen für die Krisen-Staaten festzulegen. Erstmals liefe man den Finanzmärkten nicht mehr politisch hinterher. Und der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.

Nochmal zu Mario Draghi: Wie bewerten Sie seine Rolle in der Euro-Krise?

Draghi ist die personifizierte Lebensversicherung von Euroland, ihr heimlicher Präsident. Was soll der Mann auch alternativ machen – darauf warten, dass ein mutloser, unkontrollierter euro-politischer Polit-Zirkus die Probleme löst, nachdem zweieinhalb Jahre keine nachhaltigen Lösungsschritte umgesetzt wurden? Er hat keine andere Wahl; seine geldpolitischen Künste sind gefragt, um die Eurozone vor ihrem Kollaps zu bewahren. Das sollten sich übrigens auch die vielen selbsternannten Stabilitätsapostel vor Augen führen. Auch ich habe nichts gegen eine Stabilitätspolitik gemäß der Deutschen Bundesbank. Mit dieser Politik hat Deutschland beste Erfahrungen gemacht. Aber Tatsache ist auch, dass eine EZB-Politik nach striktem Stabilitätsmuster der Deutschen Bundesbank die Eurozone in zwei Wochen zerlegen würde. Zwar denkt so mancher Politiker eher an die Sicherung seines nicht mehr so sicheren Wahlkreises. Ich nenne so etwas aber Stabilitätsheuchelei.
Machen wir uns nichts vor – Herr Draghi füllt das Lösungs-Vakuum, das die Euro-Politik hinterlässt.

Heißt das, man darf von der EZB noch mehr Aktivitäten erwarten?

Wir werden von der EZB noch Dinge sehen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Ich erwarte zur Lösung der Euroland-Krise die totale Liquidität. Angesichts der real existierenden Krise in Euroland kann ich alle gut verstehen, die sich eine Rückkehr zu der guten, alten Stabilität deutscher Machart wünschen. Leider hat man jedoch durch eine seit mindestens zweieinhalb Jahren völlig unzulängliche Krisenbewältigungspolitik in der Eurozone den Karren so sehr in den Dreck gefahren, dass genau diese Politik nicht mehr möglich ist, wenn man die Eurozone erhalten will.

Unter den Fachleuten sind viele, die an der aktuellen starken Verfassung des DAX gerade das bemängeln, nämlich dass diese ausschließlich liquiditätsgetrieben sei und ihr fundamental die Basis fehle. Was kann man ihnen entgegnen?

Die schönsten Kursrallys waren im Wesentlichen immer liquiditätsgetrieben. Das zeigten die US-Aktienmärkte in der Vergangenheit mehr als deutlich. Diese Entwicklung wird sich auch in Euroland bzw. Deutschland mit einer zunehmend geläuterten EZB-Politik einstellen.

"Staatsanleihen sind völlig überteuert"

Wohin steuert Mario Draghi die EZB?
Eines kann man Mario Draghi sicher nicht vorwerfen: Tatenlosigkeit. Seit der Italiener vor bald 100 Tagen an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) aufrückte, kramt er tief im Instrumentenschrank. Schließlich brennt es im Euroraum lichterloh - und nicht wenige sehen in der EZB den einzigen potenten Retter im Kampf gegen Schuldenkrise, drohenden Bankenkollaps und Rezession. „Realistisch gesehen verfügt gegenwärtig nur noch die Geldpolitik über die Mittel, die Wirtschaft zu beleben“, sagt etwa Ansgar Belke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Quelle: dpa
Draghi wurde fündig. Gleich zum Amtsantritt nahm der Bank- und Finanzexperte die Zinserhöhungen von Jean-Claude Trichet (rechts) zurück. „Dies war ein Einstand mit Pauken und Trompeten, denn Draghi korrigierte die viel zu restriktive Geldpolitik seines Vorgängers“, lobt Thomas Steinemann, Chefstratege der Bank Vontobel. Quelle: dapd
Dass der renommierte Ökonom Draghi, der seit seiner Zeit bei den Analysten von Goldman Sachs den Beinamen „Super-Mario“ trägt, mit der Lockerung der Zinsschraube typisch südländisch handelte und vor allem seinem angeschlagenen Heimatland diente, glaubt in Notenbankkreisen niemand. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann soll sogar überrascht sein, in Draghi einen engen Verbündeten zu haben, für den Geldwertstabilität auch bei Konjunkturflauten das Oberziel der Notenbank bleibt. Quelle: Reuters
Während er den Leitzins bisher „nur“ auf das frühere Rekordtief senkte, betrat der Italiener mit einer anderen Maßnahme Neuland: Um einen Bankenkollaps samt Kreditklemme zu verhindern, flutete die EZB die Banken mit billigem Geld für die Rekordlaufzeit von drei Jahren. Die Draghi-„Bazooka“ wirkte: Seither können sich klamme Staaten günstiger finanzieren, Aktienkurse starteten zum Höhenflug. „Wir haben eine schwere Kreditkrise verhindert“, ist Draghi überzeugt. Quelle: dpa
Ohne Zweifel: Der Schritt hat die hypernervösen Märkte nicht nur beruhigt, sondern beflügelt. Für Ende Februar ist ein zweites Dreijahresgeschäft geplant, bei dem sich Europas Banken womöglich bis zu einer Billion Euro bei der Zentralbank leihen. „Sollte sich die Lage verschärfen, dann wäre die EZB bereit, auch einen dritten und vierten Tender mit einer Laufzeit von drei Jahren durchzuführen“, ist Jürgen Michels, Europa-Chefvolkswirt der Citigroup, überzeugt. Quelle: dpa
Der Präsident des Privatbankenverbandes BdB, Andreas Schmitz, lobt den „Schuss Pragmatismus“, mit dem die EZB in den vergangenen Monaten für Entschärfung der Krise gesorgt habe. „Aber Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder getrennte Wege gehen“, betont Schmitz. Er habe „nicht den leisesten Zweifel“, dass Draghi das auch so sehe. Quelle: dpa
Das gigantische Verleihgeschäft birgt Gefahren. Während das Inflationsrisiko nicht unmittelbar steigt, rückte die Notenbank näher an die Politik. Denn obwohl dies nach Draghis Bekunden nicht das Ziel war, lädt das Dreijahresgeld quasi zum Nulltarif die Banken förmlich dazu ein, staatliche Bonds zu kaufen. Damit werde die EZB durch die Hintertür zum Staatsfinanzierer, moniert DIW-Experte Ansgar Belke. Quelle: PR

Stichwort Inflation – mit welcher Entwicklung rechnen Sie in den kommenden Jahren? Und welche Auswirkungen wird das Ihrer Meinung nach auf die Märkte haben?

Offiziell wird die Inflationsrate die tatsächliche Entwicklung nicht widerspiegeln. Aber wenn man sich die Verteuerungen bei lebensnotwendigen und damit häufig gekauften Produkten wie Benzin, Warmkosten bei Mieten, Lebensmittel über Agrarrohstoffe, Versicherungen, Strom etc. ansieht, liegt die tatsächliche Preissteigerung schon heute bei über vier Prozent. Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung auch in der Höhe fortsetzen wird. Wie will man auch alternativ die Staatsschulden beherrschbar machen? Das geht nicht mehr über Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen, die die Wirtschaft ruinieren würden. Das geht wie in den USA seit vielen Jahrzehnten über die Preiskeule, wobei der Staat sich konkret entschuldet, indem er die Zinsen für seine Wertpapiere unter der tatsächlichen Inflationsrate hält.
Diese Entschuldung bedeutet für den Anleger bei seinen Zinspapieren Entreicherung. Die Staatsschuldenkrise ist also für die Privaten eine Guthabenkrise bei Staatstiteln.

In den vergangenen Wochen ging in diesem Zusammenhang der Begriff der finanziellen Repression durch die Presse. Ein Experte hält ihn sogar für den wichtigsten Anlagetrend der kommenden zwanzig Jahre. Wie sehen Sie das?

Finanzielle Repression wird zunehmend wichtiger, um den Staat finanziell handlungsfähig zu halten. Wie soll auch sonst die europäische Haftungsunion bezahlt werden. Die teilweise nach folgenden Motto abläuft: Sie sähen nicht, sie ernten nicht und dennoch hat der europäische Rettungsschirm sie lieb.
Ich bezeichne die finanzielle Repression als 3-Phasen-Reiniger. In der ersten Phase werden die Zinsen künstlich niedrig gehalten, in der zweiten Phase wird die Inflation geschürt und in der dritten Phase – wenn sich keine Entspannung der Staatsschuldenkrise eingestellt hat – werden die institutionellen Anleger durch regulatorische Auflagen angehalten, Staatspapiere zu kaufen. Schauen Sie sich doch heute schon Pensionskassen und Rentenversicherungen an. Sie sind gefüllt mit Staatsanleihen, Staatsanleihen und Staatsanleihen.

Was haben Sie gegen Staatsanleihen?

Staatsanleihen sind völlig überteuert, sie bieten schon lange keine inflations- bzw. risikogerechte Verzinsung. Bereits bei Berücksichtigung der offiziell – also geschönten – Inflation zahlen die Anleger drauf. Wir haben negative Realzinsen. Das gilt umso mehr, wenn ich an die tatsächliche, höhere Preissteigerungsrate denke. Und mit Blick auf die immer weiter steigenden Bürgschaften Deutschlands für unsere euroländischen Brüder und Schwestern fehlt eindeutig ein Risikozuschlag in Form einer deutlich höheren Rendite. Als Dankeschön zahlen wir auch noch Abgeltungssteuer. Eigentlich hätten Anleihenkäufer einen Orden für Verdienste für das Vaterland verdient.
Um es deutlich zu sagen: Wer heute einseitig auf Zinspapiere statt auf Sachkapital auch in Form von Aktien setzt, ist ein Spekulant.

Gibt es denn gar keine Staatsanleihen, die Sie für kaufenswert halten?

Es ist gegen Kurzläufer von deutschen Staatspapieren in überschaubarem Maße, etwa als Liquiditätsreserve, nichts einzuwenden. Ich empfehle aber stärker auf Staatsanleihen aus Ländern zu setzen, die über umfängliche Rohstoffe verfügen. Sie haben sozusagen gedeckte Währungen, ihre Staatschulden sind also abgesichert. Ich denke da an Kanada, Norwegen, Australien, Brasilien. Teilweise ist es aber nicht so einfach an diese Papiere zu kommen, da die Länder nicht aufwerten wollen.

"Anleger haben Angst vor Aktien"

Wo das Geld jetzt sicher ist
Bargeld Quelle: Sebastian_Wolf
Goldbarren und -münzenDas Edelmetall ist die Notfallreserve außerhalb des Finanzsystems schlechthin. Wer mit dem Schlimmsten rechnet, hofft, dass er kleinere Goldmünzen gegen Lebensmittel oder Medikamente tauschen kann, wenn Banken ihn nicht mehr mit Bargeld versorgen. Verwahren Anleger ihr Gold allerdings im Bankschließfach, kann es nach einer Bankpleite dauern, bis sie Zugriff bekommen. In Krisenzeiten fällt der Goldpreis mitunter. Großanleger wie Hedgefonds müssen ihren Goldbestand verkaufen, um flüchtende Anleger auszuzahlen. Da in Panikphasen andere Anlagen wie Aktien oder Anleihen stark an Wert verlieren oder illiquide werden, ist Gold dann eine der wenigen Anlagen, die sie noch zu Geld machen können. Quelle: dpa
Spareinlagen: Sparkassen/VolksbankenIhren Kunden versprechen Sparkassen, Landesbanken sowie Genossenschaftsbanken, dass sie Pleiten der zu ihrer jeweiligen Gruppe gehörenden Institute im Vorfeld verhindern. Meist geschieht das über Fusionen von schwachen mit stärkeren Mitgliedern. Kommt es zu keiner Pleite, muss auch kein Geld gerettet werden. Dadurch sollen auch Zertifikate und Anleihen vor einem Totalverlust sicher sein. Das ist ein Unterschied zu anderen Einlagensicherungssystemen. Die Solidarität funktionierte bislang, könnte aber bei der Schieflage großer Institute überstrapaziert werden. Quelle: dpa
Fresenius Quelle: Pressebild
Deutsche Börse Quelle: dapd
Investmentfonds Quelle: Wolfgang - S - Fotolia
Sparschwein Quelle: Edel Rodriguez

Wo kann der konservative Privatanleger, der das Risiko bei Aktien scheut, zurzeit überhaupt noch sein Geld anlegen, um damit zumindest die Inflation auszugleichen?

Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Er kann es nicht. Man muss sich aber als Anleger fragen, ob man wirklich konservativ ist, wenn man noch auf die Stabilität von Staatspapieren setzt. Wenn 80 Prozent der Deutschen ihr Geld zu 80 Prozent in Zinspapieren anlegen, ist dies ein unkontrollierbares Klumpenrisiko, das nicht mit einer ordentlichen Rendite abgegolten wird. Es gibt aber eine Reihe von Substanzaktien, die mit ihrer Dividendenrendite mühelos die Renditen von Staatspapieren schlagen. Dividendentitel sind die besseren Staatsanleihen. Hier lassen sich heute die früher über Staatspapiere erzielten laufenden Einkünfte alternativ einheimsen. Außerdem werden diese Unternehmen finanziell besser geführt als öffentliche Haushalte.
Viele Anleger haben Angst vor Aktien. Sie haben Angst vor einem Euro-Kollaps. Aber selbst wenn in diesem theoretischen Worst-case-Szenario Aktien dann auf einen Cent fielen, verkörperten sie immer noch den gleichen Anteil am Gesamtunternehmen. Relativ verliert man also nichts. Bei einer wirtschaftlichen Wiedergenesung - wie nach der Währungsreform 1948 – werden sie wieder auferstehen. Wissen Sie aber, was damals mit Zinsvermögen passierte? Wie jemand, der nur mal schnell Zigaretten holen wollte, war es weg und kam nie wieder. Angesichts dieser Geldentwertung, dieses nationalen Finanz-Traumas frage ich mich, warum eigentlich 80 Prozent der Deutschen ihr Vermögen zu 80 Prozent in Zinspapieren ansparen.
Mein Opa sprach immer davon, dass Vermögen das ist, was man entweder essen oder anfassen kann. Das ist Sachkapital. Auch Aktien sind Sachkapital in verbriefter Form. Historisch hat Sachkapital die eindeutig höchsten Überlebenschancen schon x-mal gezeigt. Es wird dies auch zukünftig tun.

Aber auch am Aktienmarkt stehen sich Chancen und Risiken gegenüber. Welche sind dabei die wichtigsten Faktoren?

Fangen wir mit den Risiken an. Die Gefahr, dass die Eurozone an ihren inneren Widersprüchen, Mutlosigkeiten, Streitigkeiten, Anschauungsdifferenzen und Reformenrenitenzen scheitert, ist theoretisch gegeben. Ich würde es die Politik der verbrannten Erde nennen. Ich denke aber, dass sich auch Deutschland letztendlich der euroländischen Haftungs- und Transferunion nicht widersetzt, obwohl diese noch zu Beginn der Eurozone als so unwahrscheinlich wie eine Hungersnot in Bayern bezeichnet wurde. Eine inflationierte, geldpolitisch stärker dirigierte Wirtschaftsauffassung zeichnet sich bereits ab.
Aber darin liegt natürlich auch die Chance für die Aktienmärkte, die Inflation gut wegstecken können, ja im Sinne einer auch mit mehr Liquidität befeuerten Vermögenspreisinflation davon sogar sehr profitieren werden. Es gibt einen massiven Anlagenotstand. Der wird sich immer stärker auch in sachkapitalistischen Anlageformen niederschlagen, um Vermögensverlusten durch Geldentwertung zu entgehen. Hier sollten wir von den Amerikanern lernen, die Geld nur als Mittel zum Zweck betrachten. Es muss Geld ausgegeben werden für Sachkapital, weil man weiß, dass Inflation allgegenwärtig ist. Und wir Deutsche betrachten Geld als Zweck und bunkern es. Ich denke aber, diese Haltung wird sich auch zugunsten der Aktienquote verändern.

"Ich bin ein Freund von Edelmetallen"

Rohstoffkonzerne an der Börse
Mine von Vale Quelle: Presse
Mine von Rio Tinto Quelle: rtr
Mine von BHP Billiton Quelle: Presse
Mine von Anglo American Quelle: rtr
Silberbarren von Glemncore Quelle: rtr
Chinesischer Minenarbeiter Quelle: rtr

Auch wenn es zuletzt einige Rückschläge aus fundamentaler Sicht gab?

Das wirtschaftliche Umfeld ist zwar nicht mehr so prickelnd wie 2010 oder 2011. Jedoch ist nicht mit einer Wiederholung des konjunkturellen annus horribilis 2009 zu rechnen. Amerika zeigt wieder Wirtschaftsstärke und die Schwellenländer bauen erfolgreich ihre Binnenkonjunkturen als weitere Standbeine neben ihrer Exporttätigkeit auf. Hiervon profitieren nicht zuletzt deutsche Industriewerte. Für deutsche Exportwerte wirkt zudem der schwache Euro wie Backhefe. Attraktiv ist eine Mischung aus Konjunkturwerten sowie Defensivtiteln aus Bereichen wie Konsum oder Energie, die auch von hohen Dividendenrenditen profitieren.
Man muss den deutschen Unternehmen ein Kompliment machen. Sie haben sich angesichts der Euroland-Krise stark auf die Schwellenländer ausgerichtet, die im Zuge des Ausbaus ihrer Inlandsnachfrage an deutschen Produkten gar nicht vorbeikommen. Auch wenn der globale Konjunkturkuchen kleiner wird, können sich im Industriebereich die deutsche Exportwerte immer noch die besten Stücke sichern. So etwas nennt man Steherqualitäten. Und genau diese Werte werden nachhaltig erfolgreich sein: Sie sind global aufgestellt, wettbewerbsstark, produzieren kosteneffizient und weisen eine finanzielle Stabilität auf.

Sind Rohstoffe eine weitere Alternative?

Ich bin anhaltend ein großer Freund von Edelmetallen. Gold und Silber liebe ich sehr. Solange uns die Euro-Krise beschäftigen wird, solange die Alternativrenditen bei Zinspapieren so schwach bleiben und solange Inflation bewusst betrieben wird, ist mir um beide Metalle nicht bange. Durch die anhaltend massive Liquiditätsausstattung, die zu Investitionen in Rohstoffen geradezu einladen, halte ich auch Öl-Investment längerfristig für interessant. Die Verknappung spricht ohnehin dafür.

Abschließend die entscheidende Frage: Wo erwarten Sie den Dax am Ende des Jahres?

Unter Abwägung aller fundamentalen und insbesondere geldpolitischen Faktoren komme ich auf 7500 Punkte.

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