Darüber hinaus leitet sich aus dem Zinsverbot auch das Gebot ab, dass jedem Geldgeschäft ein realwirtschaftlicher Wert – also ein Sachwert oder eine Dienstleistung – zugrunde liegen muss. Nach all den schlechten Erfahrungen mit verbrieften Ramschhypotheken, wertlosen Lehman-Zertifikaten und riskanten Kreditderivaten ist das ein Grundsatz, der wie Musik in den Ohren von nachhaltig orientierten Anlegern klingen muss. Die Regeln des Islamic Finance treffen durchaus einen Nerv, auch bei Nicht-Muslimen und insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Finanz- und Schuldenkrise während der vergangenen fünf Jahre.
Islam-Banken und spezialisierte Finanzdienstleister haben Wege gefunden, eine Vielzahl von Produkten anzubieten, die zwar Scharia-konform sind, aber im Ergebnis den gängigen Anlageprodukten nahekommen. Der Markt steckt allerdings noch in den Kinderschuhen: Erst seit etwa 20 Jahren wächst der Bereich der Islamic Finance um ein größeres Dienstleistungs- und Produktspektrum, das beispielsweise auch die Hypothekenfinanzierung, Liquiditätsmanagement und so etwas wie festverzinsliche Instrumente umfasst.
In Deutschland fehlt bislang eine islamisch geprägte Bank, die all dies anbietet. Deshalb behelfen sich interessierte Anleger und Sparer mit den Angeboten wie myislamicbanking.de oder dem von Taoufik Bouhmidi, Chef des spezialisierten Finanzdienstleisters FMF aus Frankfurt und Betreiber von zinsfrei.de. Bouhmidi vermittelt Muslimen wie Nicht-Muslimen scharia-konforme Finanzierungs-, Spar- und Anlageinstrumente und betreut eine vierstellige Kundenzahl. „Wir verzeichnen eine hohe Nachfrage vor allem nach Immobilienfinanzierungen, Altersvorsorgelösungen und Sparinstrumenten. Das ist grundsätzlich auch mit den konventionellen Banken möglich, aber aufwändiger. Denn die Bank muss dann als Händler und nicht als Geldverleiher agieren“, sagt Bouhmidi.
Immobilienkredit auf islamisch
Immobilienfinanzierungen nach den Regeln der Muslime stellen in Deutschland noch ein besondere Herausforderung dar. Wegen des Zinsverbots sind etwa die üblichen Annuitätendarlehen mit einem festen Kreditzins nicht erlaubt. Statt dem Kunden einen Kredit zu gewähren, kauft die spezialisierte Bank die Immobilie und verkauft sie gegen Ratenzahlung an den Kunden weiter. Die Bank erhält bei dem Weiterverkauf einen höheren Preis. Damit zahlt der Kunde keine Zinsen, sondern eine Prämie an die Bank. Dieser Umweg hat für den Hauskäufer allerdings oftmals den gravierenden Nachteil, dass in Deutschland die Grunderwerbsteuer zweifach anfällt – was die Finanzierung spürbar verteuert. Andere Länder wie Großbritannien und Frankreich haben deshalb für islamkonforme Finanzgeschäfte die Gesetze und Steuerregeln angepasst. Damit wollen sie dem Markt für Islamic Banking auf die Sprünge helfen.
Islam-konforme Finanzinstrumente
Takaful ist ein Konzept für islamische Versicherungen, bei dem das Gemeinwohl betont wird und das an Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit erinnert. Alle Versicherten zahlen in einen Topf, die Versicherung selbst erhält nur eine Bearbeitungsgebühr. Überschüsse werden zu gleichen Teilen an die Versicherungsnehmer ausgezahlt, bei Verlusten muss jeder Versicherte Geld nachschießen. Damit entsprechen Takaful dem islamischen Gebot der Risikoteilung. Takaful dienen der Absicherung von Risiken und der Vorsorge.
Sukuk sind anleiheähnliche Papiere, bei denen anstelle eines Zinscoupons eine Gewinnbeteiligung gezahlt wird. Wer einen Sukuk kauft, erwirbt damit eine Beteiligung - und hält sich so an das Zinsverbot des Islam. Sukuks gibt es in verschiedenen Varianten, häufig richten sie sich primär an Großinvestoren und sind daher nur ab hohen Mindestanlagesummen erhältlich.
Auch Murabaha ist eine islam-konforme Finanzierungsform und steht wörtlich für Gewinnaufschlag. Hierbei agiert die Bank als Zwischenhändler zwischen Käufer und Verkäufer. Sie erwirbt im Auftrag des Käufers das Objekt, zum Beispiel eine Immobilie, und verkauft dieses an den Käufer weiter. Dabei erhebt die Bank einen Preisaufschlag, der Kosten und Bankgewinn beinhaltet. Da es ein Handelsgeschäft und kein Geldgeschäft ist, entspricht diese Variante der Scharia.
Muscharaka bedeutet so viel wie Beteiligung und wird im Islamic Banking oftmals für Unternehmensgründungen, Projektfinanzierungen oder die Immobilienfinanzierung eingesetzt. Für eine größere Investition wird dazu ein Partner benötigt, der sich ebenfalls beteiligt und die Finanzierung so bestreitet. Dann wird der beteiligte Partner per Ratenzahlung ausbezahlt und bekommt darüber hinaus für die Nutzung seines Anteils eine Nutzungsgebühr. Somit können Hauskäufer und Finanzierungpartner das Zinsverbot einhalten.
Eine Art der Beteiligungsfinanzierung, vergleichbar mit der stillen Gesellschaft. Das ist ein Vertrag zwischen dem Kapitalgeber (z. B. Bank) und einem Unternehmen. Das Kapital kann sowohl in Form von Sachwerten als auch als Geld eingebracht werden. Der Unternehmer wird für seine islamkonforme Geschäftsführung erfolgsorientiert entlohnt, der Kapitalgeber erhält seinen Anteil am Gewinn. Der Kapitalgeber darf keinen Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen. Eine detaillierte Bewertung der Investition muss zwingend im Vorfeld erfolgen.
Eine Art Leasing-Finanzierung im Islamic Banking. Dabei wird der finanzierte Gegenstand gegen eine Nutzungsgebühr überlassen, bleibt aber auch im Eigentum des Geldgebers. Der Unterschied zum direkten Kauf ist, dass der Leasingnehmer nicht Eigentümer des Gegenstandes wird, sondern lediglich Nutzer.
Qard bezeichnet die islamkonforme Geldverleihung, ohne dass Gebühren oder Zinsen anfallen. Diese Leihgabe kann auch Basis für ein Girokonto sein, wird aber kaum angeboten. Dann könnte die Bank mit dem Geld Gewinne erzielen und so ihre Kosten erwirtschaften. Qard dient auch in Notlagen, um Zahlungsengpässe zu überbrücken. Dann ist die Leihgabe eher mildtätig.
Echtes Islamic Banking gibt es in der Europäischen Union bislang nur Großbritannien. Die Islamic Bank of Britain im Finanzzentrums London war die erste islamische Bank Europas, die das komplette Servicespektrum für Privatkunden anbot. Nur drei Jahre nach ihrem Start im Jahr 2004 konnte die Bank schon mehr als 60.000 Konten vorweisen. Allerdings schrieb die Bank anhaltend Verluste und entging 2011 der Pleite nur durch die Unterstützung einer Bank aus Katar. Immerhin zeigt die Zahl der eröffneten Konten, das grundsätzlich Nachfrage da ist. Inzwischen gibt es in Großbritannien fünf islamische Vollbanken und mehr als ein Dutzend spezialisierte Abteilungen in den traditionellen Bankhäusern.
Doch trotz eines in Europa und insbesondere in Deutschland sowie Frankreich relativ hohen Anteils von Moslems an der Bevölkerung tut sich der Markt für Islamic Finance hierzulande noch schwer. Dabei leben allein in Deutschland schätzungsweise 4,3 Millionen Muslime, darunter allein etwa 2,7 Millionen mit türkischen Wurzeln. In Frankreich ist der Anteil der islamischen Bevölkerung mit rund sechs Millionen noch höher. Allerdings machen die praktizierenden Muslime gemeinhin nur etwa 20 Prozent dieser Gruppe aus. In der Finanzwelt ist das dennoch ein nicht zu vernachlässigendes Potenzial.