Sicher, von der Not anderer Menschen zu profitieren ist verwerflich. Krisengewinnler will niemand sein. Aber: Unternehmen, die in Krisen Lösungen anbieten, brauchen Kapital. Und wenn deren Aktien an der Börse nach oben schießen, sollen Anleger dieses Geld dann liegen lassen?
Aktuell stehen Unternehmen, die Schutzanzüge und Gesichtsmasken herstellen, hoch im Kurs. Ganz so, als müssten sich künftig nicht nur Ärzte und Pfleger, die Ebola-Patienten versorgen, in die Plastikungetüme zwängen, sondern jeder Bürger ein Exemplar im Schrank haben.
Die Folge: Der Aktienkurs des Schutzanzugproduzenten Lakeland Industries verdreifachte sich binnen einer Woche, als die Ebola-Epidemie im Oktober die USA erreichte. Die Aktie von Alpha Pro Tech, die Gesichtsmasken produzieren, legte an einem Tag über 30 Prozent zu.
Jede Krise – von Ebola bis Ukraine – hat ihre Profiteure. Anleger können sie auf eigene Faust suchen oder dies Fondsmanagern überlassen, die Geld in Sicherheitstechnik, Biotechnologie oder osteuropäische Aktien investieren. „Aus kommerzieller Sicht liegt das Umsatzpotenzial bei Ebola nicht so sehr in den afrikanischen Entwicklungsländern, sondern in den Lagerbeständen, die Industriestaaten für Notfälle aufbauen“, sagt Molekularbiologe Mario Linimeier, der die Biotech-Aktienfonds des Münchner Investmentberaters Medical Strategy lenkt (siehe Tabelle).
Um eine Ebola-Ausbreitung in den USA zu verhindern, bestellte das US-Verteidigungsministerium 160.000 Schutzanzüge. Und es überweist dem kanadischen Biotech-Unternehmen Tekmira 140 Millionen Dollar, damit es ein Medikament herstellt, das die Vermehrung des Virus im Körper der Infizierten hemmt. Anfang Oktober schoss die Aktie an einem Tag um 20 Prozent nach oben.
Dax und Börse leiden
Wenn sich Krisen verschärfen, profitieren einzelne Werte, der Dax und die Börse generell aber leiden. In der zweiten Oktoberhälfte etwa wurden die Dax-Gewinne des gesamten Jahres binnen einer Woche zunichte gemacht: Die Lage im vom Terror der „IS“-Kämpfer erschütterten Nahen Osten verschärfte sich.
Deutsche Unternehmen fürchteten im Russlandgeschäft um Aufträge, die Ebola-Angst grassierte, der Internationale Währungsfonds senkte seine globale Wachstumsprognose. Steve Kolano, Investmentstratege beim Fondshaus BNY Mellon, blickt deshalb derzeit primär auf die geopolitische Entwicklung in Russland und im Nahen Osten sowie auf den Verlauf der Ebola-Epidemie.
„Das sind Dinge, deren Richtung sich kaum vorhersagen läßt, die aber schnell zu massiven Schwankungen an der Börse führen.“ Seine Botschaft an die Investoren: „Für Bullenmärkte mit langfristig steigenden Kursen sind langsame Anstiege und schnelle Kursverluste typisch. Eine Chance zum Einstieg in solch einen Markt hat der Anleger allerdings nur dann, wenn es gerade viel Lärm gibt.“ Aktuell bieten vier Kategorien Chancen:
- Aktien von Sicherheitstechnik-Spezialisten, die von der Angst vor Terror- und Hacker-Attacken profitieren;
- Biotechnologieunternehmen, die an Impfstoffen arbeiten;
- Aktien russischer Unternehmen, denen die Sanktionen zusätzliche Umsätze bescheren – etwa, weil sie westliche Importwaren ersetzen und die Preise steigen;
- Katastrophen-Anleihen (Cat-Bonds), die Risiken von Versicherern aus Naturkatastrophen abdecken. Anleger gewinnen, wenn die Stürme und Fluten ausbleiben.
Wer sich nicht auf die Suche nach Einzelwerten machen will, kann diese Papiere über Fonds kaufen. Auch die sind riskant, aber das höhere Risiko kann sich auszahlen: Während der Dax in diesem Jahr 2,6 Prozent im Minus liegt, haben Fonds, die sich auf Sicherheitsthemen konzentrieren, dabei aber Rüstungsfirmen aus ethischen Gründen ausklammern, rund 15 Prozent zugelegt.
Bei den Biotech-Fonds ging es im Schnitt 25 Prozent aufwärts, mit Fonds für Katastrophen-Anleihen ließen sich 15 Prozent verdienen. Jeweils rund zehn Prozentpunkte dieser Renditen stammen aus Währungsgewinnen des Dollar gegenüber dem Euro, denn Fonds der Kategorien investieren stark in Dollar-Papiere.
Furcht vor IS
Die Märkte fürchten Anschläge der Organisation „Islamischer Staat“ („IS“). Vergangenen Mittwoch stieg der Ölpreis plötzlich von seinem Vier-Jahres-Tief, nachdem Gerüchte aufkamen, „IS“-Terroristen könnten für ein Feuer an einer Ölpipeline in Saudi-Arabien verantwortlich sein.
Nachdem ein mutmaßlicher Sympathisant der „IS“ ins kanadische Parlament eingedrungen war, fielen die Aktienkurse. In Kanada und den USA werden die Sicherheitskontrollen in öffentlichen Gebäuden verstärkt. Die Folge: „Die Ausgaben für die innere Sicherheit steigen“, sagt Patrick Kolb, der bei Credit Suisse Aktien von Unternehmen aufspürt, die mit IT-Sicherheit, Umwelt- und Verkehrssicherheit, Gesundheits- sowie Kriminalitätsschutz Geld verdienen.
Kolb hat zum Beispiel den schwedischen Hersteller von Überwachungskameras, Axis Communications, in seinem Fonds CS Equity Global Security. Dank Kameraüberwachung können Täter, wie beim Boston-Marathon, schneller gefasst werden. Digitale Kameras von Axis warnen sogar vor Gefahren.
Sie schlagen etwa in der Sicherheitszentrale Alarm, wenn ein herrenloser Koffer an einer Bushaltestelle herumsteht oder wenn eine Person über eine Mauer klettert. Börsianer rechnen damit, dass Axis mit dieser Technik gut verdienen wird. Sie sind deshalb bereit, an der Börse für Axis das 25-Fache der für 2014 erwarteten Gewinne zu zahlen.
Wachstumsfantasie hat ihren Preis: Die Umsätze von 190 Sicherheitsunternehmen sind in den vergangenen zehn Jahren jährlich im Schnitt um 6,8 Prozent gestiegen, gegenüber einem Anstieg der weltweiten Wirtschaftsleistung um 2,6 Prozent.