Der Manager bei Standard & Poor`s hatte ein ziemlich klares Bild davon, was sich gerade da draußen abspielt. „Dieser Markt ist ein wild drehender Kreisel“, schrieb der Mitarbeiter der Ratingagentur per E-Mail an einen Kollegen. „Und es wird böse enden“.
Ein anderer, ein Analyst, probierte es mit Galgenhumor . In einer Mail textete er den Hit „Burning down the house“ der Talking Heads zu einer Art Katastrophen-Song um: „Pass auf (...), der Subprime-Markt kocht über“, dichtete er, „Bringt das Haus zum Einsturz“ („Bringing down the house“). Kurz darauf ließ sich der Analyst dabei filmen, wie er den Song singt und dazu tanzt, vor applaudierenden Kollegen.
Die internen E-Mails stammen aus dem Frühjahr 2007, als die Blase auf dem amerikanischen Häusermarkt gerade zu platzen begann. Standard & Poor`s (S&P) hätte die Dokumente wohl am liebsten unter Verschluss gehalten, doch Dank der Klage des US-Justizministeriums und mehrerer Bundesstaaten sind sie nun an die Öffentlichkeit gelangt.
Der Staat will S&P nachweisen, dass die Firma strukturierte Wertpapiere wissentlich als viel zu gut bewertet habe, um die Aufträge der Wall Street nicht zu verlieren. Eine strengeres Bewertungsmodell habe man verworfen, weil das schlecht fürs Geschäft gewesen wäre.
Wichtigste Beweismittel: Tausende E-Mails
Damit trage die Ratingagentur wesentlich Schuld an der Finanzkrise: Investoren weltweit hatten massenhaft solche gut beleumdeten Papiere gekauft. Als die Blase platzte, verloren sie rasant an Wert. Das brachte später das gesamte Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds. S&P bestreitet die Vorwürfe.
Als wichtiges Beweismittel dienen der Regierung nun die Tausenden von E-Mails, die S&P den Ermittlern übergeben hat. Die Dokumente, die in der Klageschrift zitiert werden, geben einen faszinierenden Einblick in das Geschäftsgebaren der größten US-Ratingagentur.
Ratingagenturen ABC
Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Anleiheemittenten; das können Unternehmen, Banken oder Staaten sein. Das Urteil der Bonitätsprüfer bestimmt letztlich den Kurs der Papiere. In die Bewertung fließen veröffentlichte Zahlen ebenso ein wie Brancheneinschätzungen. Die weltweit einflussreichsten Ratingagenturen sind Standard & Poor's (S&P), Moody's und Fitch.
Je schlechter Ratingagenturen die Bonität eines Marktteilnehmers beurteilen, desto schwieriger und teurer wird es für diesen, sich frisches Geld zu besorgen. Die Refinanzierungskosten steigen, im schlimmsten Fall ziehen Geldgeber ihr Kapital ab. Am Rating orientieren sich nicht nur Banken, sondern beispielsweise auch institutionelle Investoren.
Für ihre Einstufungen verwenden die Agenturen Buchstabencodes. Bei Standard & Poor's und Fitch beginnt die Skala mit der Bestnote „AAA“ (englisch: „Triple A“). Es folgen „AA“, „A“, „BBB“, „BB“, „B“, „CCC“, „CC“, „C“. Die meisten Stufen können mit Plus- und Minuszeichen noch feiner unterteilt werden. Ab „BB+“ beginnt der spekulative Bereich, der auch „Ramsch“ (englisch: „Junk“) genannt wird. Die Skala reicht bis „D“ - das bedeutet, dass ein Ausfall des Schuldners eingetreten ist. Etwas anders verfährt die Ratingagentur Moody's, die bei der Bewertung große und kleine Buchstaben sowie Zahlen kombiniert. „Aaa“ bedeutet „erstklassig“ und ist die höchste Bewertung. Diese Note steht für höchste Qualität, geringstes Ausfallsrisiko, vergleichbar mit Staatsanleihen. Dann folgen „Aa1“, „Aa2“, „Aa3“ für „starke Zahlungsfähigkeit“ sowie in der nächsten Stufe „A1“, „A2“ und „A3“ für „gute Zahlungsfähigkeit“. Danach wird der erste Buchstabe durch ein „B“ ersetzt. Der «spekulative Bereich“ beginnt bei „Ba1“, die niedrigste Kategorie ist „E“.
Kritiker bemängeln, es bleibe oft unklar, welcher Anteil der Bonitätseinstufungen Mathematik und was Meinung ist. In der Finanzkrise kamen Ratingagenturen in die Schusslinie: In vielen Fällen behielten Unternehmen, die ein hohes Risiko trugen, zu lange ihre Topnoten. Sie wurden erst herabgestuft, als die Krise bereits akut war; Anlegern blieb keine Zeit zu reagieren. Daher ist es wenig ratsam, allein auf das Urteil von Moody's & Co zu vertrauen.
Manche Profis verlassen sich inzwischen stärker auf das Urteil eigener Analysten. Deren Meinung findet umso mehr Beachtung, wenn sie eine abweichendes Urteil zu den Ratingagenturen fällen. Privatanleger können überlegen, wenig transparente Marktsegmente über Fonds abzudecken, statt direkt in Anleihen zu investieren. So profitieren sie quasi indirekt vom Know-How weiterer Experten.
Sie erzählen von Vorgesetzten, die die Rating-Standards aufweichen wollten, um nicht noch mehr Geschäfte an die Konkurrenten Moody`s und Fitch zu verlieren, von besorgten Mitarbeitern, die das Unheil kommen sahen, von Managern, die angesichts der zunehmend schlechten Presse einen Öffentlichkeits-Initiative starten wollten und von Analysten, denen angesichts der Lage nichts als Zynismus blieb.
So schrieb etwa ein Mitarbeiter: „Der Job läuft gut. Mal abgesehen davon, dass die Hypotheken-Welt zusammenbricht, Investoren und Medien uns hassen und wir alle herumrennen, um unser Gesicht zu wahren – keine Beschwerden“. Das war im Frühjahr 2007. Keine anderthalb Jahre später sollte Lehman Brothers zusammenbrechen, Amerika in die größte Rezession seit den 30er-Jahren stürzen und die ganze Welt mitreißen.